Die Vorgänger.
Zwischen „stabilitas
loci“ und „peregrinatio“.
Eine kleine Geschichte der Seydaer Pfarrer.
Meinem
Vater zum 74. Geburtstag am 6. Juli 2014.
Staunen
kann man über die große Anzahl der Pfarrer, die in Seyda tätig waren. Es ist ja
so: Als Kind blickt man zu seinem Vater auf, der alles zu können scheint. Dann
kommt eine Zeit der kritischen Auseinandersetzung, auch der Reibung. Aber dann,
nach etlichen Jahren der Lebenserfahrung, reift die Einsicht „Das musst Du erst
einmal so hinbekommen!“. So können wir staunen, was Menschen vergangener Tage
durchgehalten und vollbracht haben. Ohne sie würden wir heute nicht hier sein.
Und wir können vor allem in Ehrfurcht verharren vor jenem Geist Gottes, der
seine Kirche durch die Zeiten erhalten hat: Trotz aller Schwachheit, aller Not,
allen Irrtums, allen Triumphes und aller Niederlage. Der Apostel Paulus
beschreibt seine Situation und damit auch die eines jeden Verkündigers des
Wortes Gottes:
„Lasst uns aber niemand irgend
ein Ärgernis geben, auf dass unser Amt nicht
verlästert werde. Sondern in allen Dingen lasst uns beweisen als die Diener
Gottes, in großer Geduld, in Trübsalen, in Nöten, in Ängsten, in Schlägen, in
Gefängnissen, in Aufruhren, in Arbeit, in Wachen, in Fasten, in Keuschheit, in
Erkenntnis, in Langmut, in Freundlichkeit, in dem heiligen Geist, in
ungefärbter Liebe, in dem Wort der Wahrheit, in der Kraft Gottes, durch Waffen
der Gerechtigkeit, zur Rechten und zur Linken, durch Ehre und Schande, durch
böse Gerüchte und gute Gerüchte,
als die Verführer, und doch
wahrhaftig,
als die Unbekannten, und doch
bekannt,
als die Sterbenden, und siehe!
wir leben;
als die Gezüchtigten, und doch
nicht ertötet,
als die Traurigen, aber
allezeit fröhlich,
als die Armen, aber die doch
viele reich machen,
als die nichts inne haben, und doch alles haben.“
(2
Kor 6,3-10)
Tatsächlich
hat sich die Kirche immer darauf berufen, „auf den Grund der Apostel und
Propheten“ erbaut zu sein, weswegen bei den Renovierungsarbeiten auch in
jüngster Zeit in den älteren Kirchen in der ältesten Farbschicht unter allem
anderen die 12 Weihekreuze gefunden wurden, die genau darauf hinweisen und bei
der Weihe, zu der üblicherweise ein Bischof kam, bezeichnet worden sind.
So
weit lässt sich die Reihe der Pfarrer natürlich bei uns nicht zurückverfolgen.
Nicht nur die vielen Kriege und Brandkatastrophen sind dafür die Ursache,
sondern vor allem, dass damals noch nicht in der Intensität, wie es mit der
Reformationszeit begann, alles schriftlich festgehalten wurde. Als
Mindestausstattung eines Priesters oder Pfarrers reichte es bis dahin, wenn er
vorlesen konnte, nämlich „Messe lesen“.
So
beginnt unsere Reihe mit einem Pastor, der zu gleicher Zeit wie Melanchthon, im
Jahre 1518, als Student nach Wittenberg gekommen war, ein Jahr nach dem
Thesenanschlag Luthers, wo die Welt in Aufruhr war. „Der große Schatz der
Kirche ist das heilige Evangelium von Gottes Herrlichkeit und Gnade.“ (These
62) – diese Botschaft machte Menschen neu frei und froh, von Gott angenommen zu
sein in Zeit und Ewigkeit, und sie schuf eine neue Struktur der Kirche, die nun
ganz darauf ausgerichtet sein sollte, dieses gute Wort Gottes zu hören und zu
leben.
Bartholomäus
Rieseberg war 25 Jahre alt, als er nach Wittenberg kam, am 24. August 1492 ist
er in Mieste geboren. Sein Vater war Landwirt, und er
konnte – das war nicht selbstverständlich – die Schule besuchen, in Gardelegen,
Oebisfelde und Ruppin, und
nun ging er an die Universität. Nach einem Jahr schon zog er, ausgestattet mit
der „neuen Lehre“, los, sie weiterzutragen, als
Lehrer in Güstrow, Gardelegen und Berlin; er kehrte dann noch einmal nach
Wittenberg zurück 1520 und 1521 (in turbulenten Zeiten, Luther schrieb die
wichtigen reformatorischen Schriften „An den christlichen Adel deutscher Nation
von des christlichen Standes Besserung“, „Von der babylonischen Gefangenschaft
der Kirche“ und „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ und verbrannte die
Bannandrohungsbulle, er war auf der Wartburg und am 8. Mai 1521 wurde mit dem
Wormser Edikt die Reichsacht über Luther und seine Anhänger verhängt). In
diesen Zeiten machten sich viele aus Wittenberg auf, die Botschaft des
Evangeliums hinauszutragen, so auch wieder Bartholomäus Rieseberg, er ging 1522
nach Magdeburg und predigte reformatorisch im Agnetenkloster,
und dann tat er dies in Immenhausen in Hessen. Das konnte schnell gefährlich
werden für Leib und Leben! Nicht umsonst ist in Wittenberg häufig der weiße
Schwan zu sehen: Jan Hus, wegen ähnlicher Lehre am 6.
Juli 1415 in Konstanz auf dem Scheiterhaufen verbrannt, rief dort in Anspielung
auf seinen Namen: „Heute bratet ihr eine Gans (tschechisch: Hus),
aber nach mir kommt ein Schwan, der wird singen.“ Diese Prophezeiung wurde auf
Luther gedeutet. Doch die Zeit der Scheiterhaufen war nicht vorbei, das Lied
„Ein feste Burg ist unser Gott“ hat Luther zum Beispiel gedichtet, als er von
solchem Tode zweier seiner Freunde in Amsterdam erfuhr, 1528.
Bartholomäus
Rieseberg konnte entkommen, aber er brauchte Hilfe und Unterstützung, die er
bei Luther fand, der seinen Studenten auch in dieser Weise beistand. So kam
Rieseberg zunächst 1523 nach Schweinitz, einem damals
sehr wichtigen Ort, wo der Kurfürst persönlich oft zu Gast war. In Schweinitz soll der Kurfürst jenen großen Traum gehabt
haben von dem Mönchlein, der mit seiner Feder bis nach Rom durchsticht. Um das
Jahr 1526 mußte Rieseberg dann wohl auch einmal in Brehna aushelfen, 1527 aber kam er nach Seyda „als der
erste evangelisch lutherische Pastor“, wie Dietmann
in seinem Standardwerk über die „Kurfürstliche Priesterschaft“ schreibt (I
699).
Langsam
zog die Reformation ein, wurden die neuen Gedanken aufgenommen. Das
Ablass-Kaufen ließ man sehr schnell, aber was Frömmigkeit nun bedeutete, musste
erst neu ausgefüllt und gelernt werden. In Schweinitz
war Rieseberg nicht der erste gewesen, dort wird ein Hermann Beheim genannt, der dort schon um 1520 bis 1526 tätig war
und der „der letzte katholische und der erste evangelische Pfarrer in Schweinitz“ war (wie ein Aufsatz von Otto Clemen heißt, ZVKGS 30, 1934, 91-95).
Im
Jahre 1528 ging ein Petrus Hofmann, der aus Seyda stammte, nach Blönsdorf als
erster evangelischer Pfarrer dort, bis 1553.
Am
Freitag vor Martini 1528 (also im November, vor dem Martinstag) fand in Seyda
die erste evangelische Kirchenvisitation statt. Luther und Melanchthon wollten
wissen, was von ihrer Reformation in den Orten angekommen war, und sie machten
oft ernüchternde Feststellungen: Nicht mal die Pfarrer konnten das Vater Unser,
es herrschte eine große Unwissenheit, und oft meinte man auch: „Jetzt müssen
wir ja nicht mehr zur Kirche gehen, dann lassen wir es doch.“
So
gaben sie sich große Mühe, den Leuten, zunächst den Verantwortlichen, das
Evangelium lieb zu machen. In Seyda nun kannten sie den Pfarrer schon und wußten um seine Bildung, so konnten sie sich hier Themen zuwenden
wie: Seyda brauchte eine Schule (das geschah) und ein Hospital (da wurde sich
später entschuldigt, man hätte das in Zahna mit
finanziert).
Im
Nachgang dieser Visitation, die sich auf den ganzen Kurkreis erstreckte, wurde
das Superintendentenamt eingeführt, Seyda wurde eine
der ersten Superintendenturen, bis 1887.
„Superintendent“ heißt wörtlich „über alle ausgestreckt“, ein Pfarrer sollte
also über ca. 10 andere wachen, über ihre Lehre und ihren Lebenswandel und dass
alles ordentlich zugänge. Eine Frucht der Visitation
war dazu das Verfassen des Großen und des Kleinen Katechismus durch Martin
Luther, wo die wichtigsten Stücke des christlichen Glaubens einfach erklärt
werden. Im Kleinen Katechismus in dialogischer Form („Was ist das?“), so wurde
auch in Seyda nun über viele Jahrhunderte gelehrt und auswendig gelernt. Heute noch
kann man diesen Kleinen Katechismus „für Haus, Schule und Kirche“ im
Evangelischen Gesangbuch finden, Nr. 806. Der große Katechismus war für die
„Pfarrherren“ bestimmt und bringt einfache Hintergrundinformationen und
Erklärungen, zum Beispiel: „Was ist Gott?“ „Woran Du Dein Herz hängst.“
Bartholomäus
Rieseberg war 13 Jahre lang in Seyda tätig. Er durfte offiziell heiraten – das
war neu, wie wir wissen – und hatte zwei Söhne: Bartholomäus wurde am 2. August
1530 in Seyda geboren, der andere Sohn hieß Stephan.
1539
ging er in seine alte Heimat, die Altmark, zurück, und wurde „der Reformator
Gardelegens“ (so heißt eine Schrift von Götz Boshamer).
Er war Oberpfarrer und Superintendent dort. Seine zwei Söhne wurden Diakone (also
„2. Pfarrer“) an St. Marien Gardelegen. Er und sein Sohn Bartholomäus starben
an der Pest 1566 in Gardelegen, der Vater an seinem Geburtstag (10. August),
der Sohn am 6. Oktober.
Ein
wenig ruhiger war das Leben von Wolfgang Wagner verlaufen, der 1540 das Amt des
Superintendenten und Oberpfarrers in Seyda antrat. Er war in Schmölln geboren
und hatte sich im Wintersemester 1534/35 erstmals an der Wittenberger
Universität eingeschrieben. Die hatte nun wirklich Weltruf, und das blieb über
mindestens einhundert Jahre so. Wie wir sehen werden, hat Seyda viel davon –
bei der Stellenbesetzung – profitiert.
1534
war die Bibelübersetzung nun erstmals fertiggestellt
worden, jenes große Werk, was Luther auf der Wartburg 1521 begonnen hatte (dort
konnte er das Neue Testament abschließen). In einer großen Gemeinschaftsarbeit
der Reformatoren, auch mit Hilfe profunder jüdischer Hebräischkenner war nun
das Alte Testament übersetzt worden, und es wurde die Bibel im Ganzen gedruckt:
Der große Bestseller, der nicht nur die Buchdrucker, sondern die Stadt
Wittenberg reich gemacht hat – und mit seinem Inhalt nun jedem Deutschen
verständlich das Leben reich machen konnte.
Wolfgang
Wagner kam 1538/39 als Diakon nach Jessen, bevor er dann 1540 bis 1555
Superintendent in Seyda wurde.
Es
waren dennoch aufregende Zeiten: Pastor Stiefel hatte in Lochau,
heute Annaburg, für den 19. Oktober 1833 den Weltuntergang vorhergesagt, und er
war nicht der einzige, der unmittelbar damit rechnete. Die Türken standen vor
Wien und drohten, die ganze europäische mittelalterliche Gesellschaft, das
„Corpus Christianum“, zu verändern. Die Menschen in
Seyda und den umliegenden Orten bekamen das zu spüren, weil sie alle eine
„Türkensteuer“ (für die Aufwändungen zur
Verteidigung) zahlen mussten, weswegen wir (wenigstens) ihre Namen kennen.
Doch
es kam noch schlimmer. Nachdem Luther 1546 gestorben war, brach der Krieg aus
zwischen den Fürsten, die der Reformation bzw. dem Kaiser verbunden waren. Das
Abendmahlsgerät, die silbernen Kelche, die Taufschalen mußten
abgegeben werden, um damit Söldner zu bezahlen – aber auch das half nichts, die
Schlacht bei Mühlberg 1547 ging verloren. Doch der lutherische Glaube konnte
den Menschen nicht mehr so schnell genommen werden, das lag auch an Menschen
wie Wolfgang Wagner, der in dieser Zeit daran fest hielt. Im Jahre 1555 kam
dann der ersehnte „Augsburger Religionsfrieden“, in dem es hieß: „Cuius regio eius
religio“ – „Wessen Macht, dessen Glaube“. Wie also
der oberste Landesherr konfessionell gestimmt war, so sollte es jeweils für
alle seine Untertanen gelten. Wer sich nicht daran halten wollte, mußte das Land verlassen. Das war besser als vorher –
nämlich Krieg – und es bedeutete, dass es in Deutschland fortan geschlossene
konfessionelle Gebiete gab. Sachsen war lutherisch.
Im
Jahre 1541 bekam der Seydaer „Oberpfarrer“ einen Helfer zur Seite, einen
„Diakon“, der insbesondere für Morxdorf und Mellnitz Pfarrer war, aber auch in der Stadtkirche Dienst
tat, wo üblicherweise am Sonntagvormittag und am Sonntagnachmittag Gottesdienst
bzw. Katechismusunterweisung stattfand, was sich beide Pastoren nun teilten.
Caspar
Roth hieß der erste „Diakon“ in Seyda, und er kannte das Seydaer Amt über den
größten Zeitraum, nach seiner ersten Zeit hier von 1541 bis 1544 wurde er 1544
bis 1555 Pfarrer in Kurzlipsdorf und dann, 1555 bis 1592,
Oberpfarrer und Superintendent wiederum in Seyda.
Er
wurde in Nördlingen, also in Süddeutschland, als Sohn des katholischen Pfarrers
von Pflaumloch oder Pflaumbach geboren, seine Mutter ist Elisabeth Mack, Hebamme in Nördlingen. Als „Magister“ war er also
befähigt, zu lehren, seine Ordination fand am 15. Juni 1541 in Wittenberg statt.
Bis
zur Reformationszeit und auch heute noch in der römisch-katholischen Kirche ist
es üblich, dass der Bischof einen Priester weiht. „Ubi
episcopus ibi ecclesia“, „Wo der Bischof ist, ist die Kirche“, dieser
Grundsatz aus dem 2. Jahrhundert der Christenheit findet man dort wieder.
(Auch, wenn man in den USA z.B. eine katholische Kirche sucht, muss man nach
der „Episcopal Church“ fragen.)
Die
Reformatoren haben die Kirche grundsätzlich anders definiert. Kirche ist die
Gemeinde, die Gottes Wort hört (und tut) und Abendmahl und Taufe feiert. So
wurde es im „Augsburger Bekenntnis“ 1530, das dem Kaiser beim Reichstag
vorgetragen wurde, erklärt, so ist es im Evangelischen Gesangbuch zu lesen. Eigentlich
kann und soll nach evangelischem Verständnis auch jeder Christ dem anderen
Gottes Wort auslegen und weitersagen. Damit man aber in der Kirche weiß, dass
man nicht einfach eine Privatmeinung hört, sondern eben „Gottes Wort“, so
sollen der Pfarrer „recte vocatur“,
ordentlich berufen sein: Das geschieht in der Ordination, wo er erklärt, dass er
auf der Grundlage der Heiligen Schrift und des Bekenntnisses predigen und
lehren wird. Die Gemeinde hat dann – immer zu – auch die Aufgabe, das zu
prüfen.
Das
„Bekenntnis“ umfasst natürlich die alten christlichen Glaubensbekenntnisse, das
„Apostolikum“ wird heute üblicherweise in fast jedem
Gottesdienst gesagt, das „Nizänum“ manchmal an großen
Feiertagen. Dazu kamen dann jene „Augsburger Konfession“ von 1530, Kleiner und
Großer Katechismus und andere Bekenntnisschriften.
Auch
Pfarrer aus Seyda haben daran direkt mitgewirkt, zum Beispiel dieser erste
„Diakon“ Caspar Roth, der die „Formula Concordiae“ (die „Formula der
Eintracht“) bei ihrer Erstveröffentlichung 1566 in Magdeburg im Kloster Berge
persönlich unterschrieb. Wie Melanchthon, der eigentlich „Schwarzerd“
hieß und sich seinen Namen ins Griechische übersetzte, so tat er es auch, nicht
„Roth“, sondern „Erythraeus“. Vielleicht
erinnert sich mancher noch an die Bestandteile des Blutes: Da gibt es die roten
Blutkörperchen, die Erythozyten (und die weißen, die
Leukozyten, woher sich die „Leukoräa“, der Name der
Wittenberger („Weißer Berg“, die „Weiße“) ableitet).
Nach
dem zunächst kurzen Aufenthalt von Caspar Roth, dessen Sternstunde erst noch
kommen sollte, war Valentinus Kraenert, geboren in Nossen, 1544 bis 1547 in Seyda tätig, am 23. Februar 1544
war er in Wittenberg ordiniert (also rechtmäßig zum Pfarrer erklärt) worden.
Dann
kam nach Valentinus Kraenest als Unterstützung Georg
am Berge oder Amberg, 1547 bis 1548. Hier kann man sehen, dass in dieser Zeit
erst die Nachnamen aufkamen. Der Gesichtskreis wurde deutlich größer, man hatte
mehrere, die z.B. Andreas oder Georg hießen, und so mußte
man sie zuordnen und ihnen Nachnamen geben: meist Orts- oder
Berufsbezeichnungen. Bei uns gibt es beispielsweise sehr oft „Richter“, weil
jedes Dorf im Fläming seinen eigenen Bürgermeister haben und also über seine
Angelegenheiten größtenteils selbst bestimmen durfte.
Gregorius
am Berge also war schon selbst Sohn eines Pfarrers, er wurde (sehr
wahrscheinlich, als sein Vater noch kein Pfarrer war) in Seehausen geboren. In Oehna war Dionysius am Berge dann (bereits der 3.)
lutherische Pfarrer, 1528-1548, vermutlich wurde er aus Anlass der
Kirchenvisitation dort eingesetzt, vorher war er in Wittenberg auf der Universität
gewesen und in Oehna nur „Adjunkt“
(„Dazugestellter“). Gregor am Berge wurde am 23. Februar 1547 in Wittenberg
ordiniert und war dann nur ein knappes Jahr in Seyda als „Diakon“ tätig.
Wahrscheinlich war sein Vater krank, denn er übernahm sein Amt in Oehna dann 1548, bis vermutlich 1574.
1548
wurde ihm auch ein Sohn geboren, schon in Oehna: Adamus. Er konnte das Gymnasium in Jüterbog besuchen,
später in Dresden. Der „Lehrer Deutschlands“, Philipp Melanchthon, hatte mit
den anderen Reformatoren fruchtbar gewirkt: Ein gutes Schulnetz war entstanden.
Adamus am Berge kam dann auch zur Universität in
Wittenberg, wurde dort 1573 ordiniert und war dann 1573 bis 1610 Pfarrer in Wildenau, ein „treuer und fleißiger Seelsorger“, wie es in
einem Visitationsprotokoll von 1608 zu lesen ist.
Auch
für Ambrosius Matthias wie für viele nach ihm war das Diakonenamt
in Seyda das „Sprungbrett“ ins eigene Pfarramt, er war 1524 in Kemberg geboren
und wurde 1553 bis 1585 Pfarrer in Sandersdorf. Er
tauschte mit Melchior Roth die Stelle, einem Bruder des Caspar Roth, auch aus
Nördlingen, der dann zwei Jahre später als Superintendent wieder nach Seyda
kam.
Melchior
Roth war am 25. September 1549 in Wittenberg ordiniert worden, zunächst Diakon
in Brehna von 1550 bis 1552 und dann gerade erst 1553
Pfarrer in Sandersdorf geworden – da ging er schon –
in diesem Tausch 1553 nach Seyda, wo er als Diakon bis 1560 blieb.
1555,
als die Brüder dann gemeinsam Dienst taten, hatte er drei Kinder; sein Bruder
Caspar sechs. In seiner Diakonenzeit in Seyda war 1542 sein Sohn Johannes
geboren worden (der sich auch gern „Erythraeus“
nannte). Von 1566 bis 1569 war er Schulmeister in Seyda, am 25. September 1569
wurde er ordiniert in Wittenberg und ging als Pfarrer 1569 bis 1583 nach Petersroda. 1583 hat er dann die Witwe des Pfarrers
Martinus Pauli aus Mühlbeck geheiratet, der dort 1551
bis 1582 tätig gewesen war. Das war eine häufige Form, die Pfarrstelle zu
bekommen, wie wir noch oft sehen werden. In Mühlbeck
war er bis 1616 am Werk, 1603 heiratet dort seine Tochter Maria Andreas Laudeck, Pfarrer in Altjeßnitz.
Ein
anderer Sohn des Caspar Roth, Caspar Roth (II.) war später Pfarrer in Kurzlipsdorf, eine Tochter Anna heiratete den Stadtrichter
und Schneider Michael Schneider in Bitterfeld, und ein Sohn Georg Roth, geb.
1547, wurde später sein Nachfolger als Oberpfarrer und Superintendent in Seyda.
Man kann also hier schon sehen, welche Entwicklungen und Verflechtungen mit der
Aufhebung des Zölibates (der Ehelosigkeit) in der Pfarrerschaft
entstanden, dazu familäre Bindungen in
gesellschaftliche Gruppen hinein. Das Zölibat war „erst“ um das Jahr 1000
eingeführt worden – vorher konnten fast 1000 Jahre lang die Priester heiraten –
eigentlich um zu verhindern, dass das Kirchenland und Amt „vererbt“ werden würde.
Manchmal war das nun zu beobachten, wie z.B. in Elster: Valentin Schwan 1528
bis 1533, Wolfgang Schwan (geb. 1489), 1533 bis 1572 in Elster, sein Sohn Simon
(geb. 1541 Elster), Helfer („Substitut“) des Vaters seit 1557 und sein
Nachfolger 1572 bis 1581. Oft – wie hier – war es aus der Not heraus geboren,
der Vater klagt 1560, „schwach und unvermuglich“ zu
sein, er „ist im Pfarrramt zu Elster gewesen 28 Jahr,
von Dr. Martin Luther dorthin berufen und ordiniert, hat 7 lebendige Kinder,
klagt, dass ihm das Gedächtnis schwach werde altershalber“. Und natürlich wurde
nicht das Haus und das Land mit vererbt, und es ging auch nicht immer so
weiter, denn bei Simon Schwan heißt es dann: „Ist nicht ehelich, hat aber umb guter Nachrede den Visitatoren
zugesagt, dass er sich in ehelichen Stand begeben wollte.“ (was aber nicht
bekannt ist).
Caspar
Roth (I.), der noch bei Luther und Melanchthon studiert hatte, blieb also fast
bis zum Ende des Jahrhunderts in Seyda, am Ende wird er wohl die meisten, die
er auch getauft hatte, selbst beerdigt haben – wenn er diese Aufgabe nicht den
zweiten Pfarrern überließ.
Vermutlich
ist sein Bruder Melchior 1560 gestorben, denn es ist nicht bekannt, wo er dann
hingegangen wäre, und nach ihm kam Martinus Droschelius,
geboren in Gräfenhainichen, ordiniert in Wittenberg am 30. Oktober 1560.
Jedenfalls wird er im Jahre 1560 bei einer weiteren Visitation in Seyda
erwähnt.
Andreas
Oertel (I), geboren in „Pansenis“
(vielleicht Pausa bei Plauen) 1537, frisch ordiniert
am 4. Februar 1562, ist 1562 bis 1572 als Diakon in Seyda und begründet eine
ganze Dynastie. Er wird 1572 bis 1583 Pfarrer in Mügeln (dort „1583 wegen
grassierender Pest nicht visitiert“). Sein Sohn Andreas (II) wurde in Seyda
geboren, besuchte die höhere Schule in Jüterbog, dann die Fürstenschule in Grimma für sechs Jahre. Das war ein Privileg für gescheite
Pfarrerskinder, das häufig genutzt wurde! Fünf Jahre hat er dann noch in der
Wittenberger Universität zugebracht, wurde Magister und am 17. Februar 1591
ordiniert, um sodann 1591 bis 1609 zuerst Diakon in Schweinitz,
dann ab 15. November 1609 Pfarrer dort zu werden, bis 1621. Er war verheiratet
mit Maria Tamm, und ihr gemeinsamer Sohn Andreas (III), geboren in Schweinitz 1597, besuchte wiederum die Fürstenschule Grimma 1610 bis 1615, sechs Jahre die Universität in Wittenberg und wurde
dort am 3. April 1622 ordiniert. Er war dann „Substitut“ („Ersatz“,
„Pfarrhelfer“) in Jessen 1622 bis 1626, wo schon die ersten Schrecken des
Dreißigjährigen Krieges auf unsere Region fielen.
Valentin
Schüler war der Nachfolger von Andreas Oertel (I) im Diakonenamt in Seyda 1572, auch er hatte 1566 die „Formula Concordiae“
unterschrieben – vielleicht kannte er deshalb den Superintendenten und
Oberpfarrer Caspar Roth und bekam die Stelle angeboten. Geboren wurde er 1535
in Dahme/Mark, besuchte zwei Jahre die Universität in
Wittenberg und wurde dort am 23. April 1561 ordiniert. Vorher, vor 1561, war er
Kantor in Dahme gewesen, 1561 bis 1572 Pfarrer in
Lebusa. Sechs Kinder hat er gehabt, 1574.
Ein
Schulmeister aus Seyda, Michael Grundmann, der bereits vor 1593 fünf Jahre in diesem Amt gewesen war, wurde nach
dem Ableben von Caspar Roth zum Diakon in Seyda bestimmt. Vielleicht brauchte
man einen Ortskundigen an der Seite des neuen Superintendenten, der allerdings
Georg Roth hieß und vielleicht sogar ein Schulfreund von Michael Grundmann war.
Georg
Roth war mit acht Jahren mit seinem Vater (seinem Vorgänger im Superintendentamt) nach Seyda gekommen, hatte die Schulen
in Seyda, Jüterbog und Dresden besucht sowie die Universität in Wittenberg. Er
schloss als Magister ab, ordiniert am 17. August 1572. 1572 bis 1574 war er
dann Rektor, also Schulleiter, und Diakon in Brehna,
1574 bis 1592 Pfarrer in Güterglück, und nun 1592 bis 1598 Oberpfarrer und
Superintendent in Seyda.
Noch
in Wittenberg hatte er Walburga Hennig geheiratet, dessen Vater Nickel Hennig „Oekonom“, also Kaufmann, in Wittenberg war. Als Magister
Georg Erythraeus (=Roth) hatte er 1577 auch schon
einmal in die Superintendentengeschäfte bei Gregorius Hanke in Gommern
hineingeschaut, als „Adjunktus“. Hanke – der Name ist
uns vertraut – war um 1510 in Jessen geboren worden und am 11. Januar 1542 in
Wittenberg ordiniert, also im gleichen Alter um Umstand wie Vater Caspar Roth.
Man
könnte denken, die lange Zeit der Familie Roth in Seyda ginge 1598 zu Ende, aber
so war es nicht. Superintendent wurde nun bis 1612 Michael Rackelmann,
der natürlich gut ausgebildet als „Magister“ war und 1580 selbst als Konrektor
die Fürstenschule in Meißen leitete. 1580 bis 1598 ist er Diakon in Zahna gewesen. Seine Frau hieß Magdalena Erithraeus und war die Tochter seines Vorgängers Georg
Roth. Sie waren schon länger verheiratet, 1585 wurde in Meißen der Sohn Urban
geboren, 1588 in Lübeck der Sohn Johann – erstaunlich sind die Geburtsorte, die
Mutter scheint doch für die damalige Zeit untypisch sehr reiselustig gewesen zu
sein. Der ältere Sohn Urban Rackelmann war nach dem
Gymnasium in Dresden, Lübeck und Meißen (dort 1599) an der Universität in
Leipzig 1603 und erst danach an der Universität in Wittenberg, wo er am 2. Mai
1610 ordiniert wurde und gleich bei seinem Vater in Seyda Diakon wurde, 1610
bis 1612.
Der
jüngere Sohn Johann wurde Pfarrer in Schönfeld bei Großenhain.
Urban
Rackelmann „tauschte“ den Ort mit dem Nachfolger
seines Vaters, Andreas Steinbeiß, dieser war Pfarrer
in Plossig und wurde Oberpfarrer und Superintendent
in Seyda, und Urban ging nach Plossig 1612 bis 1615
und war dann Pfarrer in Zscheila 1615, wo er 1638 an
der Pest starb.
Das
Alter des Naundorfer Taufsteins konnte vor kurzem
bestimmt werden, weil an ihm in Stein die Namen des Ortspfarrers und des
zuständigen Superintendenten eingemeißelt sind: Andreas Steinbeiß
war 1612 bis 1617 in Seyda tätig. Sein Vater Andreas war „Schulkollege“
(„Lehrer“) in Jessen, dort ist er 1567 geboren worden, die Fürstenschule in Grimma konnte er besuchen, die Leukoräa
vier Jahre, wurde dort Magister und am 4. Juni 1595 ordiniert, von 1595 bis
1612 eben, wie erwähnt, in Plossig. Von ihm haben wir
also richtig etwas zum Anfassen: Diesen schönen Taufstein, auf dem in
Bibelsprüchen die Taufe erklärt wird („Wer da glaubt und getauft wird, der wird
selig werden.“) und auch das Lamm als Bild des Friedensbringers Jesus Christus
mit der Siegesfahne dargestellt ist.
Andreas
Steinbeiß 1617 starb kurz vor jenem großen, grausamen
Krieg, der so viel Menschenleben forderte und so viele Orte veröden ließ. Sein
Nachfolger im Amt Johann Vater, 1617 bis 1637, bekam dies zu spüren.
Er
kam aus Leipzig, ist dort vermutlich 1582 geboren worden, besuchte die
Universität Leipzig und schloss dort mit dem Magister 1609 ab. 1613 bis 1617
war er Pfarrer in Böhlen. Mit seiner Frau Sabina hatte er vier Kinder, wovon
sich drei Söhne Albrecht, Johann und Christian 1533 in Wittenberg in der
Universität einschrieben, Albrecht war dann später Bäcker in Jüterbog, er starb
am 30. März 1688 in Wittenberg, wobei wiederum sein Sohn Johann Archidiakon an der Stadtkirche in Torgau war. Seine Tochter
Anna, die in Elster am 27. Juli 1634 schon Pate stand, heiratete den sehr viel
jüngeren Laurentius Große (geb. 1633 in Börnecke/Harz,
gest. 1699). Von den anderen Söhnen erfahren wir nichts und merken: Die Welt
war aus den Fugen! Wegen des Krieges flüchtete der Superintendent Vater mit
seiner Frau nach Wittenberg, und sie starben dort am gleichen Tag, am 6. Juni
1637, an der Pest.
Es
war die Zeit, als sich „Heerhaufe um Heerhaufe“ durch die Orte um Seyda zog,
Menschen gequält und getötet wurden und viele Orte ganz von der Landkarte
verschwanden. In Gentha etwa blieben am Ende nur zwei
Witwen und zwei Witwer übrig, um das Dorf wieder aufzubauen (die dazu
Ackergerät, Vieh und eine Kirche zum Trost und zur Hoffnung bekamen – hat sich
das gelohnt?!), in Naundorf gab es nur noch ein
bewohntes Gehöft, Schlüter (heute Hoffmann) – die Not war unbeschreiblich groß.
Superintendent Mühlig hat es in einem Bericht in der Mellnitzer Turmkugel beschrieben.
Ausgerechnet
diesen Superintendenten gibt es in der überlieferten Liste nicht, auch nicht in
Jessen oder in Zahna, wo etwa eine Vertretung
gekommen sein könnte. Es bleibt ein Wunder, dass wir aus diesen Zeiten
überhaupt Nachrichten haben.
Martin
Henricius war 1612 bis 1613 Diakon in Seyda, das ist
alles, was wir von ihm wissen.
Dann
gibt es wieder Verwandtschaft, jedenfalls sehr wahrscheinlich, mit Johannes Georgius Kling, 1614 bis 1617. Vermutlich hatte Andreas Steinbeiß, der 1595 nach Plossig
kam, die junge Witwe seines Vorgängers dort geheiratet und sie 1612 nach Seyda
mitgebracht – mit ihrer Tochter, die nun als ehemalige „Pfarrerstochter aus Plossig“ den Diakon heiratete. Ihr Vater war 1593 ordiniert
worden und in Plossig 1593 bis 1595, wo er starb. Natürlich
mußten die Gemeinden bzw. die Kirchenverwaltungen für
Pfarrwitwen aufkommen, da war es eine gute „Lösung“, wenn sie den Amtsnachfolger
heirateten: Damit war man die Kosten los, und der Pfarrer hatte eine Frau. Es
passt, dass, als Superintendent Steinbeiß 1617
stirbt, auch sein Schwiegersohn (?) Seyda verlässt und 1618 bis 1633 Pfarrer in
Schöna wird.
Der
Vater von Johannes Georgius Kling war Gastwirt in
Dessau gewesen, auch er konnte – wer weiß, durch welche Kontakte? – die
Fürstenschule Grimma besuchen (1603), danach die
Wittenberger Universität.
Nach
Seyda kam die junge Familie also nach Schöna, wo
später einer der ganz bedeutenden Seydaer Superintendenten herkam. Allerdings
war Schöna von 1642 bis 1664 durch die Kriegsfolgen
nicht besetzt und völlig am Boden, wovon wir noch hören werden.
Den
Kirchenbau in Gentha 1624 erlebte Paul Werner mit,
der 1618 bis 1626 Diakon in Seyda war, also in der Herrschaftszeit der
Kurfürstin Hedwig, die sich sehr für die Menschen und Kirchen einsetzte. Es
muss eine Sensation gewesen sein, dass auf dem großen in Öl gemalten
Abendmahlsbild in der Kirche in Gentha anstelle eines
Apostels eine Frau mit am Tisch des Herrn saß: Hedwig selbst. Erst vor zwei
Jahren wurde das wiederentdeckt. (Frau Dr. Essegern,
Dresden)
Der
Kurfürstin Hedwig wird auch die Hochzeit in ihrer Schloßkirche
am 10. Juli 1626 nicht entgangen sein, die Tochter des Schloßkantors
der Lichtenburg Christiana Michaelis heiratete den künftigen Diakon von Seyda,
Valentin Grundmann. Er wurde in Schilda am 24. Mai 1598 geboren, sein Vater
Georg schickte ihn auf die Universität nach Wittenberg, wo er am 24. Mai 1626
ordiniert wurde. Vorher soll er schon Pfarrer in Kurzlipsdorf
gewesen sein, im Juli jedenfalls fand die Hochzeit statt, sie zogen nach Seyda
und blieben dort bis 1632. Was aus ihnen wurde, ist wie bei so vielen in
dieser Zeit unbekannt.
Sein
Nachfolger Georgius Thaut,
1632 bis 1639 in Seyda im Amt, muss mit der Taufe seiner Tochter am 6. Oktober
1633 in die Liebfrauen- und Mönchenkirche Jüterbog
ausweichen. Thaut aber und seine Familie sind relativ
gut durch die Zeiten gekommen. Am 5. Februar 1609 wurde er in Krossen geboren,
sein Vater war dort Pfarrer und ab 1615 bis 1651 Oberpfarrer und Superintendent
in Herzberg. (Er kam aus Plauen und seine Frau war Baumeister- und
Gastwirtstochter aus der Untersteiermark.) Georgius Thaut konnte die Fürstenschule in Grimma
besuchen, 1623 bis 1629, in Wittenberg immatrikulierte er sich am 17. März 1629
für 3 Jahre, wurde dort am 8. Mai 1632 ordiniert. Nach der Zeit in Seyda, die
sicher sehr gefährlich war – Tausende umherstreunende Landsknechte und
Heimatlose suchten etwas Eßbares – ging er zu seinem
Vater als Diakon nach Herzberg und blieb dort bis 1671, wo er am 21. November
1671 starb.
Das
Diakonat in Seyda blieb von 1639 bis 1719 unbesetzt. Das waren die Folgen
dieses schrecklichen Krieges. In Elster wurde das Diakonat 1636 für immer
eingestellt. Von 1644 bis 1651 hatte Jessen überhaupt keinen Pfarrer, die
„Stadt war von den Schweden eingeäschert“ (Pfarrerbuch der Kirchenprovinz
Sachsen). Auch die Pfarrstelle in Kurzlipsdorf war
bis 1718 nicht besetzt, viele Kirchen waren zerstört. In einer kleinen
Randnotiz kann man lesen, dass 1720 erst in Morxdorf anläßlich einer Hochzeit die Kirche zum ersten Male wieder
genutzt werden konnte. So lange Zeit brauchte es, um das Notwendigste zu
versorgen, um 1718 gab es große Ernten auf dem Fläming, da konnte man sich
wieder etwas leisten.
Vom
Pfarrer in Oehna, Brun,
wird 1643 berichtet: „Hat während des Krieges das Dorf wahrscheinlich für drei
Jahre verlassen, da dieses völlig zerstört wurde.“
Seyda,
die „Glückliche“ (arabisch), bekam 1638 wieder einen Oberpfarrer und
Superintendenten, Georg Paul Spenlin. Er blieb nur
kurz, bis 1642. Er war aus der Gegend, am 21. Dezember 1607 in Wittenberg getauft,
sein Vater war Lic. jur. Georg Albert, Protonotarius in Wittenberg, allerdings schon 1624
verstorben, wie auch seine Mutter, Albina Albinus,
Tochter des Magisters Petrus Albinus, der Professor
für Geschichte in Wittenberg und später Sekretär am Hofe in Dresden war. So
hatte der Sohn Privatunterricht genossen und war dann an der Wittenberger
Universität 1624 bis 1630, auch mit kurfürstlichem Stipendium (für 1627
belegt). Er war ein Waisenkind, und Luther hatte einen all-„gemeinen Kasten“
angeregt, in dem Geld für Notleidende gesammelt wurde. Auch die Idee des „BaföG“ ist aus der Lutherzeit: Dass man mittellosen Studenten
die Ausbildung bezahlt und sie diese dann, wenn sie in Amt und Würden sind,
zurückbezahlen.
Georg
Paul Spenlin, der sich auch Paulus Spenlinus und Spendlinus schrieb
und nannte (die Namensschreibungen standen bis zu Bismarcks Zeiten nicht ganz
fest), schloß seine Studien mit dem Examen in
Wittenberg 1632 erfolgreich ab, Magister war er schon 1630 geworden und wurde
am 29. Juni 1630 in Wittenberg ordiniert. Vom 18. Juni 1632 bis 1634 war er
dann Pfarrer in Feldheim, 1634 bis 1637 Pfarrer in Rahnsdorf.
Er heiratete die Pfarrerstochter aus Rahnsdorf Anna
Margareta Perlin, ihr Vater war 1633 in Wittenberg
gestorben und ist neben dem Altar der Kirche in Wergzahna
begraben. Einen Sohn hatten sie auch, Paul, geb. 1639 in Seyda, er wurde später
Pfarrer in Vehlitz. 1642 endet die Amtszeit in Seyda.
Nicht
so viel Glück beim Heiraten hatte der Nachfolger, Matthäus Reimann, 1642 bis
1654 Superintendent und Oberpfarrer allhier. Er heiratete 1654 Maria Elisabeth
Schmied, die Tochter des Handelsmannes Leonhard Schmied aus Leipzig, und starb
im gleichen Jahr. Die Witwe heiratete daraufhin den Rektor Augustin Agricola.
Nun
kommen wir zu einem besonderen Vertreter unter den Seydaer Superintendenten:
Johannes Leyser, 1654 bis 1661 im Amt. Er wurde am
30. September 1631 in Leipzig geboren: Sein Vater war Polycarp
Leyser der Jüngere, Professor der Theologie in
Wittenberg, später auch Pfarrer an St. Thomas in Leipzig und Superintendent
dort. Er wurde Domherr in Zeitz (1614) und in Meißen (1628), war Ephorus der
kurfürstlichen Stipendiaten, Visitator der
kurfürstlichen Landesschulen und Präpositus des
Stiftes Wurzen. 1631 nahm er am Konvent evangelisch-lutherischer und
reformierter Theologen in Leipzig teil und wurde im gleichen Jahr Domdechant
des Stiftes Meißen.
Der
Großvater des neuen Seydaer Superintendenten, Polycarp
Leyser der Ältere, war gar Generalsuperintendent und
Professor in Wittenberg gewesen, 1576 bis 1587, 1594 bis 1610 (wo er starb)
Oberhofprediger und Konsistorialrat in Dresden. „Als einer der maßgebenden Mitarbeiter
an der Formula Concordiae
setzte er sich auch literarisch für die Verteidigung des Luthertums gegen Calvinismus und römische Kirche ein…, auch für die
Begrenzung der Paten auf drei Personen“.
In
seiner Verwandtschaft hatte er noch viele weitere Professoren und
Superintendenten.
So
ist klar, dass sein Vater und seine Mutter Sabina Volckmar
ihm eine exzellente Bildung ermöglichten, zunächst in der berühmten Schule in Pforta vom 23. August 1645 bis zum 11. September 1649, dann
an der Universität Leipzig ab 1649, wo er den Baccalaureus
1653 bekam, später den Magister. Und dann wurde er gleich Oberpfarrer und
Superintendent in Seyda, und als er aus Seyda wegging 1661 Oberpfarrer und
geistlicher Inspektor in Pforta (dem bedeutenden
Schulstandort).
Nun,
so kann man Großes erwarten.
Der
Mann war ledig. Er war Verfechter der Polygamie. Seine Werke hießen u.a. „Discursus inter polygamum et monogamum de polygamia.“ 1673 u.ö. („Gespräch
zwischen einem Polygamen und einem Monogamen über Polygamie“) und „Polygamia triumphatrix“ („Die
triumphierende Vielehe“). (RGG 4. Auflage, Jöcher, Dietmann, Erdmann: Lebensbeschreibungen, Archiv Pforta.)
Leider
ist es noch nicht möglich gewesen, in seine Werke direkte Einsicht zu nehmen.
Eines seiner Hauptargumente war 1 Mose 1,28: „Seid
fruchtbar und mehret euch“ (Artikel RGG von Ernst Koch), den „Mangel“ an
Menschen nach dem Dreißigjährigen Krieg also auf diese Weise zu beheben. Damals
konnten nur heiraten, die auch eine Familie ernähren konnten: Und das war nur
ein Teil der Gesellschaft.
Man
kann sich vorstellen, wie er mit den vielen Frauen der Patriarchen im Alten
Testament argumentiert und etwa in die Richtung, wie es in Stefan Heyms „König
David Bericht“ angedeutet ist: eine Frau zur Konversation, eine für die Kinder
und eine für das Bett. In unseren Zeiten, wo man plötzlich (etwa auf dem
Flughafen) einem Mann mit mehreren Frauen und ihren Kindern begegnen kann, ein
Mormone oder Moslem etwa, wird man sich an grundlegende christliche Maßstäbe
wie den Wert jedes Menschen (Frau und Mann) erinnern müssen, was damals in der
Fachwelt angeregt diskutiert wurde. (Vgl. S. Buchholz: Recht, Religion und Ehe.
Orientierungswandel und gelehrte Kontroversen im Übergang vom 17. zum 18.
Jahrhundert, 1988)
In
der damaligen Zeit wurde solche Anschauung geahndet, Johannes Leyser verlor seine Ämter und führte ein unstetes Leben. In
Hanau war er 1669, dann in Norddeutschland, in Amsterdam, in Stade, in Dänemark (dort bis 1677 Feldprediger), in
Schweden (1679 Stockholm), England, Italien und Frankreich. Er wurde mehrfach
inhaftiert und starb 1683 oder 1685 „auf der Landstraße zwischen Paris und
Versailles“.
Durch
diese schlimmen Zeiten gekommen ist auch der nächste Superintendent in Seyda, Joducus Schlaff, 1661 bis 1668. Er war in Hamburg oder in
Osnabrück 1621 geboren worden, sein Vater war Sekretär und Ratsherr. Er konnte
die Universitäten in Wittenberg, Jena, Helmstedt und Leipzig besuchen, wurde Licenziat. Das ist so etwas wie „Doktor“; der Unterschied
bestand damals darin, dass man diesen Titel sich selbst erarbeiten konnte,
während man den Doktor „verliehen“ bekam, also die Universität aussuchte, wen
sie zum Doktor machte. „Halle hat als letzte Fakultät erst nach 1945 den Lic. Theol. Durch den Dr. theol. Ersetzt, über vier Jahrzehnte nach dem aus
Heidelberg kommenden ersten Vorstoß. Nur ungern verzichtete man auf das Recht,
den höchsten theologischen Grad nur ehenhalber und
das hieß nach freiem Ermessen zu verleihen.“ (Wolfgang Wiefel:
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Sektion Theologie. In: Standpunkt
1977 Heft 10. Aus: Meinhof, Friedrich: Material für ein Kirchenkunde-Buch der
Kirchenprovinz Sachsen, Magdeburg 1978.)
Joducus Schlaff wurde am 24. November 1657 ordiniert und war dann 1657
bis 1661 Pfarrer in Großzschocher bei Leipzig, bevor
er nach Seyda kam.
Er
ist einer der ersten (abgesehen von Johannes Leyser),
der nach der Seydaer Superintendentenstelle noch auf eine andere Stelle
wechselte. Das Superintendentenamt in Seyda war eine
ehrenvolle und – wir kommen noch darauf – gut dotierte Stelle. In diesem Falle
aber ging Schlaff nach Prettin, 1668, wo er dort Oberpfarrer wurde. Das wird an
den Zeiten gelegen haben: Alles war zerstört, und in Prettin in der Lichtenburg
war die zentrale Verwaltung: Dort wird es am sichersten und auskömmlichsten
gewesen sein. So scheint er auch dort erst eine Familie gegründet zu haben
(vielleicht war das auch ein Grund), die Tochter Dorothea Elisabeth wurde in
Prettin am 5. Februar 1671 getauft. Eine andere Tochter, Anna Sabine, heiratete
D(oktor) Johann Christoph Bilefeld,
Substitut (wie Diakon) in Delitzsch.
Ebenfalls
als Durchgangsstation nahm Johann Simon das Superintendentenamt
in Seyda, 1668 bis 1674. Auch er hatte einen großen Stammbaum vorzuweisen. Am
21. November 1632 wurde er in Dresden geboren, sein Vater Eusebius Simon war
Diakon an der Kreuzkirche in Dresden, sein Großvater Simon war Rektor der
Kreuzschule dort. Er schrieb sich an der Wittenberger Universität am 12. Juli
1647 ein, das war „non iur.“, also vielleicht nicht
gültig, jedenfalls geschah es dann noch einmal am 29. April 1650. Erst während
seiner Zeit in Seyda machte er am 12. Februar 1669 in Wittenberg seinen Licenziaten. Dafür war Seyda gut geeignet: Abseits der
oftmals harten Auseinandersetzungen um das Erbe Luthers konnte man hier in Ruhe
studieren und hatte sein Auskommen.
Simon
war 1656 bis 1665 Konrektor in Wittenberg, 1665 bis 1668 Rektor ebenda, also
stellvertretender Schulleiter und dann Schulleiter. 1668 kam er nach Seyda, bis
1674, und wurde dann 1674 bis 1677 Oberpfarrer in Zörbig. Am Ende seines
Lebens, von 1677 bis 1697, wurde er Pfarrer und Superintendent in Kirchhain bei
Doberlug. 1697 wurde er emeritiert, auch das war neu
– sonst arbeitete man oft – oder ließ durch einen „Substituten“ arbeiten, bis
der Tod eintrat. Er starb erst in Kirchhain bei Doberlug
1701.
Nun
treffen wir auf den Neffen des wundersamen Amtsvorgängers, Polycarp
Christian Leyer, der das Amt 1674 bis 1675, nur kurz,
ausübte. Er war Sohn eines hoch anerkannten Theologieprofessors aus Wittenberg,
D. Wilhelm Leyser, der noch heute im Theologischen
Lexikon Erwähnung findet: Viermal war er Rektor der Universität. „Der
Schwerpunkt seiner akademischen Tätigkeit lag in der reflektierten Vermittlung
bibeltheologischer und systematischer Zusammenfassungen und in Disputationen.
Seine Wirkung bleibt undeutlich.“ (RGG 4, Ernst Koch).
Seine
Eltern (die Mutter hieß Catharina Bose) schickten ihn
also auf die Schule in Wittenberg, dann auf die Universität dort – das war
sicher in den unruhigen Zeiten nicht gut anders möglich. Er wurde dort Magister
und begann schon vor 1674 mit einer Lehrtätigkeit. Nach der kurzen Zeit in
Seyda wurde er Propst und Superintendent in Kemberg, 1675 bis 1678. Das war ein
Aufstieg, ein Propst ist für einen Bereich von mehreren Superintendenturen
zuständig, vergleichbar einem Regionalbischof.
Bischof, also „summus episcopus“,
war bis 1918 der Landesherr!
1677
hat er geheiratet, am 23. März 1678 ist er in Kemberg verstorben.
Aus
einer anderen Schicht – offensichtlich war das möglich – kam Georgius Gerhard, 1676 bis 1683 in Seyda. Sein Vater war
Caspar Gerhard, Schneider und Hausbesitzer in Radeberg, wo er um 1635 geboren
wurde. Die Kirchenbücher in Gadegast etwa beginnen
erst 1652, nach dem Dreißigjährigen Krieg, in den meisten Orten in Mitteldeutschland
ist es nicht anders, da lässt sich oft ein genaues Datum nicht sagen.
Georgius Gerhard war es möglich, in Leipzig zu
studieren, 1654, seinen ersten akademischen Grad, den Baccalaurus
(heute wieder bekannt als Bachelor), schloß er 1657 ab, und 1681 wurde er Licenziat
der Theologie in Wittenberg.
Mit
dem ersten Abschluss konnte er schon Konrektor in Zwickau werden, 1657 bis
1676.
1673
hatte er offensichtlich so ein Einkommen, dass er
heiraten konnte, am 20. Januar die Tochter eines Consultus,
also eines Ratsherrn, Anna Magdalena Klaubart.
4
Kinder hatten sie, Maria heiratete den Archidiakon
von Herzberg; Caspar wurde in Seyda geboren und besuchte die Fürstenschule
Meißen 1694 bis 1699; Gottlieb, in Seyda 1676 geboren, wurde Pfarrer in
Niederwerbig.
1676
kam die Familie nach Seyda. 1683 wurde Georgius
Gerhard Superintendent in Zahna und 1692 bis 1697
Superintendent in Herzberg.
Ganz
kurz sind die Nachrichten für Christoph Praetorius,
der mit einem Magisterabschluss von 1683 bis 1688 in Seyda Oberpfarrer und
Superintendent in Seyda war. Es war die Zeit, als Seyda auf der kurfürstlichen
Landkarte ein bekannter Jagdort geworden war. Die
Bauern mußten regelmäßig bei der Lappenjagd helfen,
wo rings um die Heide ein Kreis mit Tüchern gezogen und dann über Tage langsam
nach innen gelaufen wurde. Wenn der Kurfürst mit seiner Gesellschaft dann kam,
wurde der Kreis geöffnet, und das Wild lief zu Hunderten heraus, lange
„Strecken“ konnten gelegt werden. Nur: Es durfte vorher nicht so viel „durch
die Lappen“ gehen.
Einer
der bedeutendsten Vertreter in der Seydaer Kirchengeschichte ist Superintendent
Andreas Gormann. 1688, mit fast 50 Jahren, für die
damalige Zeit schon ein passables Alter, kam er nach Seyda – er hatte schon
viel erlebt und war so gut vorbereitet auf das, was kommen sollte.
Mitten
in den Wirren des Dreißigjährigen Krieges war er geboren worden, am 28.
November 1639 in Wittenberg. Sein Vater war Johann Gormann,
Richter und Steuereinnehmer in Zahna, die Mutter
Esther Berlin die Witwe des Abraham Lehmann, der 2. Diakon an der Stadtkirche
in Wittenberg war.
Er
hat die Schule in Wittenberg besucht, auch in Freiberg, war dann auf der
Universität in Leipzig 1660/61, wurde am 11. Juli 1664 ordiniert. Er wird das
neue Lied des Eilenburger Kantors und Diakons Martin Rinckart
gekannt haben, das Danklied nach dem großen Krieg: „Nun danket alle Gott… Der
ewigreiche Gott / woll uns bei unserm Leben / ein
immer fröhlich Herz und edlen Frieden geben / und uns in seiner Gnad / erhalten
fort und fort / und uns aus aller Not / erlösen hier und dort.“
Große
Not fand Andreas Gormann nun auf seiner ersten
Pfarrstelle vor. 50 Jahre später, er war „Jubelpriester“, also 50 Jahre im Amt,
heißt es im Kirchenbuch in Schöna, wo er das erste
Amt 1664 antrat: „Er hat … nur einen öden Pfarrplatz vorgefunden, weder Haus,
noch Hof, noch Stall, noch Scheune, und hat ein Jahr in einem Notstalle de propriis (vom Eigenen) leben müssen; auch später hat er
wenig Einnahmen gehabt, sodass er seines Weibes Mitgift bei diesem durchaus
wüsten Orte und diesen verwilderten Leuten habe zusetzen müssen.“
Er
hatte also mit schlimmsten Verhältnissen zu kämpfen, die allerdings damals
allgemein üblich gewesen sind. Wer die reiche Braut war, die ihre Mitgift
beisteuerte? Es könnte die Tochter des Superintendenten und Propstes Bücher in Schlieben gewesen sein, die allerdings erst nach 1649
geboren wurde, die er also erst nach einigen Jahren in Schöna
heiraten konnte. Als der Schwiegervater starb, geht er denn auch weg – und wird
Pfarrer in Annaburg, 1675 bis 1688. Von dort kommt er 1688 nach Seyda. In
dieser Zeit scheint er auch (zum zweiten oder dritten Mal, weil die Frauen
gestorben waren), geheiratet zu haben: Anna Regina, die ca. 1667 geboren wurde,
also fast 30 Jahre Altersunterschied zu ihm hatte. Begraben wurde sie in
Dresden am 26. Januar 1744 mit 76 Jahren.
Fünf
Kinder sind von ihm bekannt: Daniel Immanuel wurde schon in Annaburg am 17.
Januar 1675 geboren. Er ging auf die Armenschule in Dresden – und konnte dann
doch die Universität Wittenberg erreichen, war Magister 1705, ordiniert in
Leipzig 1713, und dann 1713 Feldprediger im Weißenfelsischen
Regiment. 1713 bis 1728 wurde er Pfarrer in Hohenprießnitz, dann bis 1740 in
Boritz.
Ein
anderer Sohn Gormanns war Emanuel David, der am 14.
Mai 1710 in Seyda heiratete und dann „berufener Feldprediger“ im
Dragonerregiment unter Generalmajor von Dünnewald war. August der Starke
kämpfte um Polen, gegen die Schweden, das spiegelt sich auch hier wieder. So
war der spätere Pastor in Gadegast 1706 bis 1742
Christoph Jungnickel vorher, seit 1697 – also neun Jahre lang - Feldprediger in
Polen und Sachsen.
Gormann gelang es, seine Kinder gut zu verheiraten: Emanuel David
heiratete Henriette Quenstädt, die Tochter des
Wittenberger Oberbürgermeisters; die Tochter Christiana Sophia heiratete am 12.
Februar 1715 in Seyda Johann Heinrich Heberlein,
königlich und kurfürstlich sächsischer Akzise-Einnehmer
in Großenhain, selbst Sohn des Schulmeisters; und seine im April 1688 geborene
Tochter Esther Adelgunde heiratete Paul Peter Koch, der später im Alter sein
Helfer, „Substitut“, also wieder Diakon in Seyda werden sollte.
Nach
seinem Tod heiratete die jüngste Tochter Johanna Beata in Dresden am 12. Januar
1736 den Hof-Fracteur (Verwalter) Johann Heinrich
Stürmer, so dass auch die Witwe Gormanns dort gut
versorgt war.
Das
Amt des zweiten Pfarrers wurde in Seyda wieder eingeführt, weil der
Superintendent Gormann alt geworden war und einen
Helfer brauchte. Der erste war Christoph Andreas Lossius,
1704 bis 1709 in Seyda offiziell „Substitut“, wahrscheinlich hat er vorher
schon mit geholfen.
1674
wurde er in Grünhain geboren, wahrscheinlich der Sohn eines jungen Pfarrers
(geb. 1650). Er schrieb sich an der Universität 1696 ein und machte 1697 dort
seinen Magister. Vor 1702 heiratete er Christina Kunigunde Gormann
(Tochter von Andreas Gormann und Esther Perlin). Die Söhne Karl Andreas (geb. 1702) und Christian
Theodor (geb. 1. November 1703) werden schon in Seyda geboren, sie sind später
Diakone beim Vater in Erfurt, an der Predigerkirche und an der Barfüßerkirche,
und sterben dort am 6. Juli 1749 bzw. (mit 10 Kindern) am 20. Februar 1761.
Im
August 1708 geschieht die große Katastrophe in der Seydaer
Stadtgeschichte, die Gormann und Lossius
hautnah miterleben. Ein Brand, entzündet durch den Schuss eines Jagdburschen -
dem Sohn des Oberförsters, der vorher immer dem Kurfürst gegenüber mehr
Brandschutz in der Heide gefordert hatte – der Brand zerstört 23 Bürgerhäuser
und die gerade frisch renovierte Kirche. Mit Frau und Kindern an der Hand
konnte Gormann sich durch den Torbogen flüchten, er
beschreibt all die Geschehnisse in der Turmkugel nach dem Wiederaufbau. Alle
seine Reichtümer zählt er auf, die Bibliothek und alles – wir können nun besser
verstehen, wie hart er dafür gearbeitet hatte, und wie groß ihm der Verlust
war. Er mußte mit seiner Familie Zuflucht finden im Gadegaster Pfarrhaus (später, 1718, konnte es dann neu
gebaut werden), der Gottesdienst mußte in einem Raum
im Amtshaus notdürftig stattfinden. Eine große Arbeit lag nun vor Gormann, die er mit ganzer Kraft – schon ein alter Mann –
ausfüllte: Er schrieb Brand-Bitt-Briefe, erreichte beim Kurfürsten, sie zu
bestätigen, um Spenden in den umliegenden sächsischen Städten zu erbitten. Es
gelang ihm auf wunderbare Weise, die christliche Gesellschaft funktionierte,
Menschen aus Meißen, Torgau, Wurzen und vielen anderen Städten gaben eine
„Liebessteuer“ und ein „Liebesopfer“ für das notleidende
Seyda. So konnten die Häuser wieder aufgebaut werden, und auch die Kirche wurde
schon zum Advent 1711 wieder eingeweiht. Das war eine immense Leistung in
diesen Zeiten. Es hätte zu Ende sein können mit Seyda, wenn es nicht Menschen
wie Gormann gegeben hätte, die sich so eingesetzt
haben.
Der
Turm war nun im Vergleich zu vorher klein, ein Dachreiter aus Fachwerk. Früher
war der Seydaer Kirchturm dem in Prettin vergleichbar, auf einem alten
Ölgemälde im Aufgang zur Empore in der Kirche kann man ihn noch betrachten. In
ihm läuteten vier Glocken, die alle zerstört waren, und auf der Ostspitze des
Giebels saß noch ein kleines Türmchen mit einem „Vesperglöckchen“ für die
Nachmittags-Pause auf den Feldern.
Superintendent
Gormann machte sich auch seine Gedanken, warum Gott
so ein Unglück zulassen konnte. Er weiß eine Erklärung, aber er wechselt an
dieser Stelle die Sprache ins Lateinische, so dass es nicht alle verstehen
konnten, und beschreibt die arglistigen Täuschungen und die abgrundtiefe
Bosheit, die sich Gott nun nicht länger angesehen hätte. Er habe seine Hand
einen Moment abgezogen, und da kam es zu dieser Katastrophe. Gleichwohl predigt
er und lädt ein zur Umkehr und zur Erfahrung des gnädigen Gottes, dessen
Handeln im Wiederaufbau spürbar wurde.
Als
nun dieses große Werk getan war, konnte Gormann die
Jubelfeier zu seinem 50. Ordinationsjubiläum begehen. „Jubelpriester“ sagte man
damals. Wie er auch in bitterster Armut treu seinen Dienst versah, wie er nicht
verzagte und deshalb auch genau der richtige Mann war im Jahre 1708, um den
Wiederaufbau der Stadt in die Wege zu leiten, davon sprach der Amtsbruder D.
Müller aus Jessen und stellte seine Rede unter die Überschrift: „Der Apostel
Andreas ist in Andreas Gormann wieder lebendig
geworden“.
Von
einer wichtigen Aufgabe eines Superintendenten bis 1918 wurde bisher wenig
gesprochen: Die Schulaufsicht. Bildung war kirchliche Aufgabe, Melanchthon und
Luther hatten die Eröffnung von Schulen angeregt, und noch 1881 hat die Kosten
für den Schulneubau in Seyda zu einem Drittel die Kirchengemeinde übernommen.
Auch Gormann hatte diese Aufgabe. Ganz konkret war da
beispielsweise in Gadegast ein „Substitut“
aufgetaucht, ein Helfer für den alten Lehrer dort, der ihm seine Tochter
verheiratete und froh war, auf diese Weise einen gesicherten Ruhestand haben zu
können. Das war – wie wir schon bei Pfarrern und Superintendenten sahen, auch Gormann machte es so – üblich. Dieser aber, der Sohn eines
Superintendenten war, der „von Panduren und Kroaten erschlagen“ wurde, und mit
seinen zwei Brüdern, die allesamt Schneider waren, nach Schönewalde gekommen
war, hatte die Gelegenheit ergriffen, Lehrer zu werden. Er hieß Balthasar
Christoph Meinhöfer, schnitt aber von seinem Namen
die schwäbische Endung ab und nannte sich fortan „Meinhof“. Von ihm stammen
alle ab, die so heißen. Über diesen Meinhof kamen Klagen zum Superintendenten
von der christlichen Schneiderinnung, die sich bitter beschwerten, dass dieser
Neulehrer schwarz und unter der Hand – denn er war ja nicht als Schneider in
der Innung eingetragen – nähte und sich damit zusätzlich Geld verdiente. Das
ging natürlich nicht, ein Lehrer hatte sich ganz auf seine Aufgaben zu
konzentrieren, nämlich auch „in der Kirche den Kindern das Beten und Singen“
beizubringen, was dieser Meinhof in Gadegast auch
tat, so ist es schriftlich bezeugt.
Eine
andere Sache, die damals die Gemüter bewegte, war der Konfessionswechsel des
Landesherren, der ja – wir hörten es schon – seit der Reformationszeit
„oberster Bischof“. „summus episcopus“,
war. Dabei waren nicht nur die Frauengeschichten August des Starken und manch
anderer Fürsten anstößig, sondern insbesondere sein Konfessionswechsel. Um die
Krone von Polen zu erlangen (1697), wurde er römisch-katholisch. Die
lutherische Kirche in Sachsen hatte sich aber so gefestigt und war so stark,
dass sie auch gegen diesen autoritären Herrscher bestehen konnte. In der neu
gebauten Kirche von 1711 ist oben links auf der Empore das polnisch-sächsische
Allianzwappen zu sehen: Gelb und Schwarz, die Schwerter – und der weiße Adler
für Kleinpolen sowie der Reiter für Großpolen und Litauen. Das war der Sitz des
Vertreters der Staatsgewalt, also meist wohl des Amtsmannes.
August der Starke wird die Kirche kaum betreten haben.
Die
Kirche wurde von nun an Peter- und Paulskirche genannt. Ganz am Beginn trug
sie, wie viele Kirchen der Umgebung diesseitig der Elbe, den Namen „Heilig
Kreuz“ mit einer entsprechenden Reliquie.
Ein
Stück Land, das „Petershölzchen“ genannt wurde, in Seyda am Mittelbusch,
erinnert an diesen Namen: Die Pachteinnahmen sollten für St. Peter in Seyda
Verwendung finden.
In
die Kirche wurde ein großer Schnitzaltar eingebaut, mit den Figuren von Petrus
und Paulus.
Eher
zufällig hat das mit Gormanns nächstem Schwiegersohn,
der auch sein „Substitut“ wurde, zu tun: Er hieß Paul Peter Koch. Nachdem der
erste Substitut-Schwiegersohn, wohl, weil seine Frau
gestorben war, und weil die Lage in Seyda nach dem Brand sicher sehr schlecht
war, weggezogen war (seine nächste Frau begrub er schon in Weimar am 3. Februar
1709 und heiratete dann erneut in Weimar am 25. Februar 1710 die Tochter des
Generalsuperintendenten von Weimar, Agnes Elisabeth Ursula Lairitz,
begraben 15. Juli 1725 in Erfurt, und schließlich 1730 die Witwe eines
Medizinprofessors in Erfurt, wo er dann als Oberpfarrer 1713-1738 an der
Barfüßerkirche arbeitete und auch Assistent im Evangelischen Ministerium Erfurt
wurde – nachdem dieser Christoph Andreas Lossius also
Anfang 1709 weggezogen war, verheiratete Gormann
seine Tochter Esther Adelgunde Gormann am 5. November
1709 an Paul Peter Koch, der dann 1709 bis 1719 Substitut in Seyda war, obwohl
seine Frau schon im April 1711 mit „23 Jahren weniger 6 Tagen“) starb.
Paul
Peter Koch wurde am 17. November 1686 in Zerbst geboren, sein Vater war Petrus
Koch, Pfarrer an St. Marien Zerbst-Ankuhn. 1703 kam
er auf die Universität nach Wittenberg, 1706 hatte er dort seinen Magister. Am
7. Mai 1709 wurde er in Wittenberg ordiniert.
In
seine Amtszeit, in der Superintendent Gormann, weil
er schon „sehr schwach“ war (Dietmann), sicher sehr
auf seine Hilfe angewiesen war, fällt die Einweihung einer neuen Glocke für Seyda,
zum 200jährigen Reformationsjubiläum. Diese Glocke läutet uns noch heute, und
auf ihr steht, dass sie den „Freudenthon
evangelischer Christenheit“ „ins Künftige vermehren“ helfen soll. In solch
schwierigen Zeiten – viele umliegende Kirchen waren immer noch nicht zu
benutzen - wurde es geschafft, wieder eine Glocke auf den Turm zu hängen.
„Der
Probst und Superintendent Gormann starb 1719, alt und
lebenssatt“ schreibt Dietmann in biblischer Sprache.
Eine Propstei ist Seyda nicht gewesen, aber er unterstreicht damit seine
Bedeutung.
In
das Jahr 1719 fällt der berühmte Besuch August des Starken, bei dem er einen
kapitalen Hirsch, einen 18-Ender, zur Strecke brachte. Daran erinnert noch
heute die „Schöne Säule“ in der Heide.
In
der Heide geschaffen wurde auch feinstes Glas, der Alchimist Kunckel war in der Glashütte am Werk und sollte eigentlich
das Rezept für Gold finden. Seiner Frau war das Gehalt zu gering, das er bekam,
und so drängte sie ihn, beim Kurfürst mehr zu verlangen. Der Kurfürst schrieb
zurück: „Kann Kunckel Gold machen, so bedarf er
meines nicht. Kann er es nicht, scher er sich vom Acker.“ Letzteres tat Kunckel dann auch, ging nach Skandinavien und erfand das
weltberühmte Rubinglas.
Paul
Peter Koch hatte nach dem Tod seiner ersten Frau, der Gormann-Tochter,
wieder geheiratet: Am 2. August 1712 in Seyda Johanna Salome Wichmannshausen, die Tochter des hochfürstlichen gothaischen Amtsrates aus Borne. Vorher mußte
er noch seine Tochter, Erdmuth Elisbaeth,
begraben, geboren in Seyda am 14. April 1711, gestorben am 24. Juli 1711.
Mit
der neuen Frau hat er mindestens zwei Kinder, einen Sohn Johann Gabriel,
geboren in Seyda am 15. Dezember 1715, und eine Tochter Esther Adelgunde
Friederike. Diese heiratete am 24. Oktober 1754 Christian Gottlieb Löbner, der Wappen- und Büchsenschneider in Kaisa war und ein Sohn des Johann Christian Löbner, Waldwappen- und Zeichenschneider in Torgau.
1720
zog er nach dem Tod Gormanns nach Glashütte und wurde
da Pfarrer; dort wurde er aus unbekannten Gründen auch 1 ¼ Jahr einmal vom
Dienst suspendiert. 1733 bis 1763 war er Pfarrer in Lausa.
Nach einer anderen Quelle ging er schon 1753 in den Ruhestand und zog zur
Tochter nach Kaisa.
Die
beiden Schwiegersöhne Lossius und Koch waren
„Substituten“ des Superintendenten Gormann, aber wohl
nicht offiziell Inhaber der zweiten Pfarrstelle. Gormann
hatte sie wegen seines Alters angestellt, und das wurde, weil es offensichtlich
war, geduldet.
Nun
aber wurde die Notwendigkeit gesehen, in Seyda wieder offiziell einen zweiten
Pfarrer zu installieren. Das geschah 1719 mit D. Paul Gottlieb Hofmann, der bis
1725 in Seyda Dienst tat.
Am
16. April 1678 war er in Torgau als Sohn des Superintendenten geboren worden.
Der Vater hatte Kontakt zu höchsten Kreisen, war er doch selbst 1655 „Informant“
des Kurprinzen Johann Georg III. gewesen, also Hauslehrer. 1782 ging er von
Torgau weg und übernahm bis 1704 als Pfarrer und Rektor das Gymnasium in Thorn,
was dann sein Sohn besuchte, auch die Schulen in Danzig und Breslau. Er war auf
der Universität Königsberg, in Leipzig dann 1702 und dort Magister 1704, in
Wittenberg Licenziat 1709 und Dr. theol.
ebd. 1710. Als außerordentlicher Professor hat er 1713 bis 1719 in Leipzig
gearbeitet. Ordiniert wurde er im Juni 1719 in Wittenberg, wo er dann nach
Seyda kam. Hier profitiert Seyda wieder von der Nähe Wittenbergs: Ein guter
Ort, versorgt zu sein, und doch in der Nähe der Universität weiter am geistigen
Leben der Zeit teilzunehmen.
Eine
ältere Stieftochter, Dorothea Maria Arnold, heiratet in Seyda am 6. Februar
1725 den Geleitskommissar Daniel Friedrich Typke; und
der Vater geht dann nach Annaburg und wird dort Superintendent.
Ein
lebensgroßes Ölgemälde haben wir von Superintendent D. Johannes Zacharias Hilliger. Es steht auf der Kirchenempore und zeigt ihn mit Lutherrock,
also der Kleidung der Wittenberger Professoren, der er ja gewesen war; mit Perücke
und Doppelkinn und vor vielen, vielen Büchern als einen gelehrten, wohlhabenden
Mann. Dazu muss man wissen, dass „Dicksein“ damals wichtig war, niemand ließ sich
als „Hänfling“ malen, das hieße ja: Der hat nicht mal so viel, dass er sich
richtig sattessen kann. Johannes Zacharias Hilliger war 45 Jahre lang ununterbrochen in Seyda tätig –
das hat bisher noch keiner geschafft. Sein Kollege, der Amtsmann,
allerdings, hat seine Grabplatte vis a vis. Darauf steht ein lateinisches Gedicht, in dem es
sinngemäß heißt: 10 Jahrfünfte (also 50 Jahre) – war ich hier tätig: Mach mir
das mal nach, dann sprechen wir drüber!
Solche
langen Amtszeiten waren also durchaus üblich, wenn die Gesundheit es möglich
machte, was bei den vielen Gefahren wie Pest und Krieg eben nicht
selbstverständlich war. Auch Superintendent Hilliger
hat viele schwere Zeiten erlebt, zum Beispiel den Siebenjährigen Krieg 1756 bis
1763 hier an der Grenze zwischen Sachsen und Preußen, und es dauerte noch
lange, die große Brandkatastrophe von 1708 zu überwinden. In seiner Zeit sind
sicher so nach und nach die Ausstattungsgegenstände in die Kirche gekommen.
Johannes
Zacharias Hilliger wurde in Chemnitz getauft am 7.
Januar 1693. Im Kirchenbuch ist oft nur das Taufdatum vermerkt, denn das war dem Pastor sicher. Es wurde sowieso innerhalb von drei Tagen
getauft, schon wegen der hohen Kindersterblichkeit. Die Kinder sollten
wenigstens „in den Himmel kommen“, es war eine schwere Sünde, wenn man das
(wenn es einem möglich war) versäumte.
Sein
Vater war Johann Wilhelm Hilliger, Superintendent an
St. Jakobi in Chemnitz. Dort hat er dann die Schule besucht, 1704, später die
Universität Leipzig 1710, auch die in Jena und Halle. Seinen Magister bekam er
am 30. April 1714 in Wittenberg, wurde Licenziat und
schließlich Dr. theol. in Wittenberg am 17. April
1727 – da war er schon in Seyda. Eine akademische Laufbahn hatte er da schon
hinter sich, seit 1716 konnte er als Magister legens
Vorlesungen halten, und 1724 wird er als außerordentlicher Professor (im
Unterschied zum „ordentlichen“ Professor mit einer fest eingerichteten Stelle)
in Wittenberg geführt.
1725
kam er also nach Seyda – bis 1770.
In
Wittenberg hat er am 29. Oktober 1725 Johanne Christiane Juliane Kirchmaier, Tochter des Georg Wilhelm Kirchmeier, der Rat
und Griechischprofessor an der Universität dort war, geheiratet. 9 Kinder
hatten sie miteinander. Am 22. Oktober 1752 wird sie auch einmal als Patin in Gadegast erwähnt.
Wie
man an dem großen Ölbild in der Kirche sehen kann, war er auch Verfasser
umfangreichen theologischen Schrifttums. Was hat er geschrieben? Leider sind
bisher keine seiner Schriften zugänglich geworden. Hier eine Kostprobe von
einem Zeitgenossen: „Kein Mensch, spricht Bernhardus,
kommt plötzlich oben an. Durch Aufsteigen, und nicht durch Fliegen, erreicht
man die obersten Sprossen an der Leiter. Darum lasset uns hinauf steigen, als
wie mit zweien Füßen, nämlich durch die Betrachtung und durch das Gebet…
Das
Gebet, die Betrachtung und die Anfechtung sind die drei Stücke, welche einen
rechten gottesgelehrten Mann machen. Sobald dir etwas Widriges begegnet, es sey innerlich oder äußerlich, so denke, dass der Präceptor da sey, und wolle dich examiniren, was du aus der heilgen
Schrift gelernet hast… Wie wirst du es so viel tiefer
verstehen unter dem Kreuz, als vor dem Kreuz!“ (August Hermann Francke: Kurzer
Unterricht, wie man die heilige Schrift zu seiner wahren Erbauung lesen solle).
Anfechtung
gab es auch für diesen Mann in seiner guten Stellung genug. Von den 9 Kindern
sind drei als Kinder und eines im jugendlichen Alter gestorben. 3 Töchter hat
er an Pfarrer in der Umgebung verheiratet: Am 17. November 1751 Johanna Sophia,
geb. am 10. Juni 1734, an den Pfarrer in Gadegast,
eine andere an den Diakon in Mühlberg und eine an den Pfarrer in Leetza. Sein ältester Sohn, Johann Wilhelm, geboren am 15.
Juli 1735, wird einmal Oberpfarrer und Superintendent in Seyda: Wir treffen ihn
also noch einmal.
Auf
dem großen Ölbild hat er ein geöffnetes Buch in der Hand und hält es dem
Betrachter entgegen. Darauf steht mit drei Sprachen, in Latein, auf Griechisch
und Hebräisch: „Befiehl dem Herrn deinen Weg – auch wenn es dir schlecht geht –
der Herr sieht dich doch!“ Darin wird der Psalm 37 angedeutet (Befiehl dem
Herrn deinen Weg…, auch die Passion Jesu – und das hebräische Wort für sehen,
was in der abgründigen Geschichte von Isaaks Opferung so eine wichtige Rolle
spielt (1 Mose 22). Dieser Mann war offensichtlich
auch bereit, alles zu geben, um das Reich Gottes zu bauen. Viele Kirchen in
seinem Amtsbereich waren um 1720 nach fast 80 Jahren wieder nutzbar: Aber nun
galt es doch, den Menschen die Kirche und den Glauben wieder lieb zu machen,
den sonntäglichen Besuch des Gottesdienstes als Element des Christenlebens
wieder zur Tradition werden zu lassen, was Generationen vorher nicht mehr
kannten; die Feiern des Lebens in der Kirche zu begehen, die Kinder dem
geordneten kirchlichen Unterricht zuzuführen. Eine ganz große Aufgabe, die er
in diesen Jahrzehnten vor sich hatte und nach Kräften ausgefüllt hat – eben
auch verbunden mit theologischem Studium und daraus selbst Kraft schöpfend. Er
stand für Stabilität – und die vielen Diakone, die er „überlebt“ hat, brachten
vielleicht aus anderen Orten immer auch neue Ideen für die kirchliche Arbeit
mit.
Am
16. Juli 1770 stirbt D. Johannes Zacharias Hilliger:
Da hat sich das kirchliche Leben in Seyda und auf den Dörfern wieder
„normalisiert“ und war an einem Stand angekommen, der dem vor dem
Dreißigjährigen Krieg vergleichbar ist.
Als
Superintendent Hilliger kam, war noch August Gilbert
da, der erste offizielle Diakon nach der langen Pause in Folge des
Dreißigjährigen Krieges, 1719 bis 1726. Ein französisch klingender Name,
tatsächlich war er der Urururenkel eines
Rittmeisters, der im Dienst Karl V. stand, also mit großem Stammmbaum.
Dessen Sohn war 1545 bis 1572 Oberpfarrer und Superintendent in Liebenwerda
gewesen, dessen Sohn 1592 bis 1603, dessen Sohn 1630 bis 1663, und dessen Sohn
(der Vater des Diakons in Seyda) Diakon dort 1662 bis 1705. 1663 war August
Gilbert in Liebenwerde geboren worden. Er hatte das
Gymnasium in Luckau absolviert, in Wittenberg und in Magdeburg studiert (1709),
1709 war er auch an einem Institut in Dresden tätig.
Nach
Seyda wurde er berufen am 1. Mai 1719, in Wittenberg ordiniert am 28. Juni 1719,
„worauf er am 17. Sonntag nach Trinitatis, den 1. October, angezogen“. Hier kann man die verschiedenen Stufen
deutlich sehen, wie die Besetzung einer Pfarrstelle verlief. Von kirchenleitender Stelle wurde man berufen (Vokation), auch ordiniert (rechtmäßig zum Pfarrer erklärt),
und die Gemeinde hatte das Zustimmungsrecht, man wurde also vorgestellt und
„angezogen“, trat also mit dem entsprechenden Gewand vor die Gemeinde, die
einen bestätigte (Akklamation). Johannes Bugenhagen
war 1523 der erste Pfarrer, der von der Gemeinde (von ihren Vertretern) gewählt
wurde. Dieses Mitspracherecht veränderte sich durch die Zeiten, aber es war
immer da.
„Angezogen“,
das lässt auch nach den Gewändern fragen, die die Pfarrer damals trugen. Es
herrschte da eine große, eine „evangelische“ Freiheit. Luther hatte einmal
einen Brief von einem Pfarrer bekommen, der in Gewissensnöten war: Der
brandenburgische Kurfürst verlange von ihm, die alten Meßgewänder
aus katholischer Zeit anzuziehen, er aber sei doch ein Prediger der
Reformation! Er bat Luther um Rat. Und Luther stellte klar, dass es auf die
Botschaft ankäme, und nicht auf den Rock, in seiner Art etwas drastisch schrieb
er zurück, er könne durchaus auch im Nachthemd auftreten, wenn es gewünscht
sei: Hauptsache, er könne das Evangelium verkündigen. Diese Lehre von den „Adiaphora“, der Unterscheidung von Hauptsache und
„Nebensächlichkeiten“, ist fortan Bestandteil lutherischer Lehre und lutherischen
Lebens.
In
Seyda und Umgebung wurden also noch lange die alten Meßgewänder
benutzt, meistens wohl eine weiße Alba, die kostbar verziert sein konnte, und
eine Stola als Zeichen des Priesters (ein „Schal“ ähnlich den heutigen auf dem
Fußballplatz könnte man den Zeitgenossen es gut übersetzen). Solch eine Stola
ist das Zeichen eines katholischen Priesters: Wenn er sich solch eine Stola
überzieht, ist er für jeden sichtbar „im Amt“ und kann eine Messe zelebrieren.
Mit dieser Stola umschließt er auch die Hände der Trauenden bei der Hochzeit.
In
Gadegast haben wir alte Unterlagen, dass alle hundert
Jahre eine Rechnung für ein neues „Messgewand“ bezahlt worden ist: So lange mußte es schon halten. Alles wurde anders, als unser Gebiet
zu Preußen kam und der preußische König für alle Pfarrer den „Lutherrock“
vorschrieb, den wir auch heute noch kennen.
Am
19. Oktober 1721 heiratete Diakon Arnold Gilbert Dorothea Sophie Steinhäuser,
Pfarrerstochter aus Pombsen: Zwei Kinder wurden ihnen
geschenkt, Rahel Dorothea, geb. in Seyda am 21. Februar 1723, und Christian
August, geb. in Seyda am 21. Juli 1725, der später Pfarrer in Erlbach in
Sachsen wurde, wohin die Familie 1726 zog, zunächst war August Gilbert dort
Pfarrer bis 1758.
Durch
den Brand waren alle Kirchenbücher zerstört worden, mühsam wurden die alten
Akten aus denen im Amt Seyda rekonstruiert und abgeschrieben, um die
vertraglich zugesicherten Leistungen einklagen zu können. Die Kirchenbücher
beginnen wieder im Jahre 1708, und auch der Tod des folgenden Diakons ist dort
vermerkt: Johann Christoph Schürer, geboren in Zwickau 1680, Magister, kam 1726
nach Seyda und starb am 25. Mai 1729 hier.
Auch
der folgende Diakon ist nach kurzer Zeit in Seyda gestorben: Es waren eben
schlechte Zeiten, das „auch wenn es dir schlecht geht“ aus dem Wahlspruch des
Superintendenten auf dem großen Ölbild war nicht aus der Luft gegriffen,
sondern mit viel Leben und Leid gefüllt. Auch dem Superintendent sind in diesen
Tagen drei Kinder gestorben. Diakon Johannes Jacobi, geboren 1689 in Wehlen bei Pirna, seit 1730 da, stirbt am 25. Oktober 1732.
Beim
nächsten, Johann Gottlob Medicke, ist es wieder so,
freilich ist er schon 59 Jahre alt. Er kam 1733 und starb am 2. November 1739
in Seyda. Seine Frau, Maria Elisabeth, stirbt kurz nach ihm: Am 18. Dezember
1739. Kinder hatten sie nicht. Als Pfarrerssohn besuchte er die Fürstenschule Grimma vom 14. September 1693 bis zum 14. September 1699, sodann
die Universität Wittenberg (1700), er war Magister phil.
(wahrscheinlich der Philosophie, es kann aber auch Philologie, also
Sprachenlehre, sein) am 29. April 1709. Am 18. April 1719 wurde er zum Diakon
und Rektor in Gommern sowie zum Pfarrer in Pöthen
berufen, wo er bis 1733 war.
Ein
junger Mann, der noch viel vorhatte, war der nächste im Diakonenamt,
ab 1739: Johann Theophilus Horwein. Am 4. Februar
1709 war er in Wittenberg geboren worden, sein Vater war Lehrer an der
Stadtschule, er hatte in Wittenberg das Gymnasium wie auch die Universität
besucht (1726), seinen Magister hier bekommen (1728) und 1738 in Dresden das
Examen abgelegt. Vor 1738 war er noch „Informant“, also Hauslehrer in Lübben:
Das war das Los vieler Absolventen der Theologie, bevor sie eine richtige
Stelle bekamen. Auch Paul Gerhardt, dem großen Liederdichter, ging es im vorherigen
Jahrhundert so.
1739
kam er also nach Seyda und heiratete hier am 26. Mai 1740 Louisa Sophia
Holstein, ihr Vater war ein praktischer Mediziner aus Dresden. Das Ehepaar ging
1742 wieder aus Seyda weg, er wurde Pfarrer in Lüsse
1742 bis 1748, und später war er 1748 bis 1770 Superintendent in Dahme. 1755 aber bekam er noch den „Doktor der Theologie“
verliehen.
In
den Jahren nach 1740 wurde in Seyda das Diakonat gebaut, was auch heute noch am
Kirchplatz steht. Es war, schon von Gormann angeregt,
ein großes Werk. Die Seydaer hatten alle eine besondere Abgabe (direkte Steuer)
dafür zu zahlen, Holz gab der Kurfürst. Ausführlich ist das in der „Geschichte
des Hauses Kirchplatz 2 in Seyda“ beschrieben.
Christoph
Gotthelf (oder Gotthold) Schmieder war wohl der
erste, der dann dort einziehen konnte, als es 1744 fertiggestellt
werden konnte. 1742 bis 1747 war er in Seyda. Am 6. März 1718 wurde er in
Dresden als Sohn eines Artilleriehauptmannes geboren. In Meißen besuchte er die
Fürstenschule 1731 bis 1734, später dann die Universität Wittenberg. Das 1.
Examen legte er in Dresden 1740 ab und war dann Magister. Nach kurzer Zeit in
Seyda (nun konnte er eben, anders als viele seiner Zeit, heiraten, weil er ein
Auskommen hatte und eine Familie ernähren konnte) hat er Hochzeit gefeiert, am
21. April 1743 mit Sophie Elisabeth Kranewitter,
einer Rektorentochter aus Wittenberg, geb. am 18. Dezember 1717. Trotz ihrer 11
Kinder wurde sie fast 70 Jahre alt (gestorben am 8. Juli 1786 in Lungwitz). Mindestens vier der Kinder sterben im
Kindesalter zwischen 1746 und 1751. Ein Sohn, 1760 geboren, wird später einmal
Oberpfarrer in Pforta, an dem berühmten
Schulstandort.
Die
Familie zog weiter: 1747 bis 1753 die Pfarrstelle in Bülzig,
1753 bis 1760 in Haseloff bei Niemegk, 1760 bis 1768
in Zadel und schließlich 1768 bis 1771 in Marbach bei
Nossen in Sachsen, wo Christoph Gotthelf Schmieder am 12. April 1771 stirbt.
Es
gibt also auch damals schon Pfarrer, die oft ihren Ort wechselten, aus
verschiedenen Gründen. Auf der Universität lernt man heute, dass man sich alle
acht bis zehn Jahre überlegen sollte, die Stelle zu wechseln. Der Propst kommt
nach zehn Jahren, um ein entsprechendes Gespräch zu führen: „Ist es gut
gelaufen, ist es doch der beste Zeitpunkt, wegzugehen. Ist es schlecht
gelaufen, eben auch.“ Erinnert wird dabei daran, dass auch ein Acker nicht
immer die selbe Frucht verträgt, sondern gewechselt
werden muss: Ein Pfarrer, eine Pfarrerin spricht eben bestimmte Leute an, und
andere nicht, und deshalb sei ein Wechsel gut.
Es
gibt beides in der großen Kirchengeschichte, die „stabilitas
loci“, das beständige Bleiben an einem Ort, wie die „peregrinatio“,
die Wanderschaft, „unstet und flüchtig“.
Der
nächste Helfer für Superintendent Johannes Zacharias Hilliger
– so viele hatte er schon überlebt, und auch bei diesem würde es so sein - war
Augustin Petri. In Klebitz, ganz in der Nähe, war er
als Pfarrerssohn am 26. Dezember 1712 geboren worden, 1748 kam er nach Seyda,
und am 11. Mai 1759 starb er hier. Er hatte eine gute Ausbildung genossen,
zunächst Privatunterricht, dann war er auf der Fürstenschule in Meißen 1728 bis
1734, an der Universität Wittenberg 1734 bis 1739, Examenskandidat in Dresden
1739, und dann noch einmal bei einem Examen in Wittenberg am 12. März 1748. Damit
war er Magister und wurde am 29. März 1748 in Wittenberg ordiniert.
Zwischendurch ist er „Informant“ in Coswig gewesen, zwei Jahre lang, vor 1748
dann in Dresden.
Die
Stelle in Seyda wurde „festgemacht“ (konfirmiert) am 4. April 1748, und hier
war er dann bis zu seinem Tod am 11. Mai 1759 in Seyda. Zwei Jahre vorher hat
er noch geheiratet, immerhin schon mit 44 Jahren, Florentina Wilhelmine Eberhardine Berenlot. Ihr Vater
war Martin Friedrich Berenlot, Erb-, Lehns- und
Gerichtsherr in Mark Zwuschen. Mark Zwuschen hatte für die Oberpfarre Seyda größte Bedeutung,
gehörte doch das ganze Land der Kirche und stellte eine beträchtliche
Einnahmequelle dar, wie wir später noch hören werden.
Nun
kommt der letzte Diakon, der unter Superintendent Hilliger
tätig war: Johann Christoph Arnold, 1759 bis 1771. Er wurde am 21. September
1718 in Zethau geboren und starb am 28. Januar 1814
mit 95 Jahren in Jüterbog. Für diese Zeit war es ein sensationell hohes Alter!
In Leipzig und in Magdeburg hatte er studiert, am 23. Oktober 1759 kam er auf
seine erste Stelle in Seyda, mitten im Siebenjährigen Krieg. Am 2. November
1762 hat er in Oehna geheiratet (er 44, sie 17 – und
trotzdem feierten sie Goldene Hochzeit). Die Braut war Johanna Elisabeth Hesse,
geboren in Gadegast am 21. November 1743, gestorben
in Jüterbog am 19. Juni 1818. Ihr Vater ist 1742 bis 1751 Pfarrer in Gadegast gewesen, dann bis 1770 Pfarrer in Oehna, weshalb dort auch die Hochzeit stattfand: In der
Regel da, wo die Braut herkommt.
4
Kinder hatten sie, Christiane, geboren in Seyda am 17. Mai 1764; Karl Gotthilf,
geboren in Seyda am 20. Juni 1765, später Pfarrer in Pobethen;
Ehregott Friedrich, geboren in Seyda am 9. Juli 1767, gestorben hier am 10.
März 1768; Johann Wilhelm, geboren vermutlich in Seyda am 28. Februar 1769,
gestorben in Jüterbog am 6. März 1809 als Kreisrichter.
Johann
Christoph Arnold erlebte also den Tod des großen Superintendenten Hilliger mit, der 77 Jahre alt wurde und 45 Jahre in Seyda
tätig war.
Der
nächste Superintendent kam aus Jüterbog. Der Seydaer Diakon Arnold wurde
Pfarrer an der Kirche Unserer Lieben Frauen in Jüterbog (dort emeritiert 1800),
und von dort kam der bisherige von dort und wurde Superintendent in Seyda:
August Anton Medicke, 1771 bis 1782 im Amt. Ein
Jüterboger, am 27. August 1715 wurde er dort getauft, sein Vater war
Bürgermeister. Er besuchte das Gymnasium in Jüterbog, die Landesschule in Pforta, die Universitäten in Leipzig und Wittenberg und war
dann Magister.
1740
bis 1741 war er Rektor in Jüterbog, 1741 bis 1753 Diakon an der Kirche Unserer
Lieben Frauen und der Mönchenkirche Jüterbog, 1753
bis 1763 Diakon an St. Nikolai Jüterbog und seit 1763 bis 1771 1. Pfarrer von
„Unserer Lieben Frauen“ und „Mönchen“ in Jüterbog.
Vielfältige
historische Verbindungen bestehen zwischen Seyda und Jüterbog: Nicht nur, dass
in der Reformationszeit die Seydaer ihren Ablass bei Tetzel
in Jüterbog einkauften. In dieser Zeit mußten auch
die Raubritter auf der Burg Sydow ihr „Geschäft“
aufgeben, weil 1495 der „Allgemeine Landfrieden“ ausgerufen worden war und der
Kaiser nun alle zu bestrafen drohte, die sich weiter durch Rauben betätigen
wollten. So mußten die Herren der Burg Ländereien
verkaufen, und sie taten das zum Beispiel an die Nonnen in Jüterbog. Es sind
Wiesen und Waldflächen bei Gentha, die noch heute
„Nonnenwiese“ und „Nonnenheide“ heißen. Diese Nonnen hatten als
Charakteristikum vier rote Kreuze auf ihrem Stirnband. Sie ließen einen
direkten Weg anlegen, von ihrem Kloster in Jüterbog (wenn man von Seyda kommt,
direkt an der Ampel am Stadteingang) bis zu ihren Besitzungen. Dieser Weg heißt
bis heute „Roter Kreuzweg“ (nicht erst seit dem 19. Jahrhundert) und teilt die
Heide, die Preußen nutzten ihn später gemeinsam mit der Dahmschen Straße zur
Einteilung ihrer Jagen. An ihm findet sich das Sterzdenkmal
und die Schöne Säule.
Asugust Anton Medicke mußte
gleich in seinem ersten Jahr in Seyda seine Frau hier begraben, am 12. Dezember
1771 starb sie mit 58 Jahren. Ihr Vater war Amtssteuerrevisor
und Ratsherr in Jüterbog gewesen, Marie-Luise Flemming, am 11. Juli 1747 hatten
sie in Jüterbog geheiratet. Er heiratete ein weiteres Mal, in seiner Zeit in
Seyda: am 14. Oktober 1773. Die Hochzeit fand in Niederseefeld statt, seine
zweite Frau Regina Magdalena Müller starb aber bald in Seyda am 25. Januar 1780,
mit 56 Jahren.
So
werden seine 10 Kinder alle von der ersten Frau gewesen sein. 1782 bis zu
seinem Tod am 12. Oktober 1788 war er dann Oberpfarrer und Superintendent in
Liebenwerda, dort begraben rechts des Altars.
In
Seyda stand ihm im Amt an der Seite Diakon Carl Gottlob Burckhardt, von 1771
bis 1781. Er war in Unterjugel bei Johanngeorgenstadt
als Sohn eines Richters geboren worden, besuchte die Universität in Leipzig,
war in Wittenberg ordiniert worden 1771 und mit 44 ins Amt gekommen. Ledig
starb er zehn Jahre später in Seyda am 23. März 1781.
Sein
Nachfolger im Diakonenamt war der Zimmermannssohn
Gotthelf Bernhard Jabin, 1781 bis 1788. Ein weiteres
Beispiel dafür, dass es eben in diesem Stand der Geistlichkeit durchaus möglich
war, auch als Handwerkerssohn in Ämter zu gelangen.
Am 6. August 1744 wurde er in Gollma geboren,
besuchte die Universität Wittenberg, wurde Magister und 1781 ordiniert.
1782
ging der Superintendent, erst 1784 kam der neue: Er hat also eine Vakanzzeit
erlebt, in der es auch einmal ohne Oberpfarrer und Superintendent ging.
Bestimmt hat er da viel Arbeit gehabt, aber auch neue Freiheiten.
Am
14. Februar 1786 heiratet er in Schmiedeberg Charlotte Friederike Hesse
(1767-1800), ihr Vater war Land-Akzise-Einnehmer in
Schmiedeberg. So ausgestattet ist er dann bereit, auch selbständig eine
Pfarrstelle zu übernehmen: 1788 wird er Pfarrer in Stolzenhain, wo er bis zu
seinem Tode am 11. Mai 1811 tätig ist. 5 Kinder hat er aus seiner ersten Ehe,
die aber alle erst in Stolzenhain geboren werden.
Im Superintendentenamt in Seyda war seit 1784 bis 1789
Christian Gottfried Küttner. Als Pfarrerssohn wird er
1735 in Pleißa geboren, er besucht die Landesschule Pforta 1747 bis 1753 und erwirbt an der Universität Leipzig
seinen Magister. Von 1762 bis 1784 ist er Pfarrer in Limbach bei Reichenbach im
Vogtland.
Sein
5. Kind wird geboren, als er gerade nach Seyda kam, am 28. Februar 1784: Johann
Heinrich Ludewig. Und seine Frau Christiana Concordia
Pusch stirbt wenig später, am 9. Juli 1784, mit 36 Jahren. Er „muss“ nicht
sofort wieder heiraten, weil seine älteren Kinder schon größer sind. Die
Tochter Carolina Amalia heiratet am 7. Januar 1785 den Amtmann Johann Christian
Schecke aus Seyda; eine andere Tochter Johanne Friederike 1791 in Mügeln einen Arzt,
und eine weitere 1798 in Seyda Friedrich Cuno, einen Witwer und Amtsaktuar in Meißen. Das hat er schon nicht mehr erlebt,
denn er stirbt am 14. Januar 1789 in Seyda, und das Superintendentenamt
ist wieder frei.
Johann
Wilhelm Hilliger kommt, er kennt Seyda, er ist hier
geboren als Superintendentensohn am 15. Juli 1735, und so kennen wir ihn auch
schon. Er war das 6. Kind, aber der 1. Sohn, konnte die Fürstenschule in Meißen
besuchen vom 11. Juni 1750 bis 22. März 1756, dann die Universität Wittenberg, wo
er den Magisterabschluss bekam und 1765 ordiniert wurde. Vor 1765 war er
Hauslehrer in Dresden, 2 Jahre lang. 1765 bis 1790 ist er Pfarrer in
Niedergörsdorf gewesen, bevor er nach Seyda kam. Am 11. Februar 1766 hatte er
in Seyda Christiana Dorothea Müller (27. Juni 1741 geboren, gestorben am 26.
September 1805 in Seyda), die Tochter des kurfürstlichen Hofjägers und
Oberförsters Niedergörsdorf, geheiratet.
Unter
der Seydaer Kirche und auch um sie herum gibt es zahlreiche Gruften.
Immer wieder einmal bricht eine auf, ein Loch ist in der Erde, und wenn man mit
einem Spiegel hineinleuchtet, so erkennt man, dass die Decken bemalt sind: Wie
kleine Zimmer sind es, in denen die Särge stehen. Drei Berufsgruppen hatten
insbesondere das Privileg, in Gruften begraben zu
werden: die Familien der Amtsleute, der
Superintendenten und der Oberförster. So war es im 18. Jahrhundert üblich. Von
Superintendent Johann Wilhelm Hilliger und seiner
Frau haben wir noch an der Nordostseite der Kirche einen großen Grabstein mit
frommen Symbolen, aber einer nicht fromm gehaltenen Inschrift: Die Zeiten
hatten sich geändert, die „Aufklärung“ war über das Land gegangen, man dachte
„rational“ – fragte sich also zum Beispiel: „Warum soll man in der Kirche
Kerzen anzünden, es ist doch hell genug!“
7
Kinder hatte das Ehepaar Hilliger jun.: ein Sohn
wurde Pfarrer in Seifersdorf bei Dresden, ein Sohn Amtsaktuar
in Freiberg (die Hochzeit fand am 21. November 1802 in Seyda statt), ein Sohn
wurde Kaufmann in Posen, eine Tochter heiratete 1798 in Seyda den Dekan der
philosophischen Fakultät Wittenberg.
In
die Amtszeit Johann Wilhelm Hilligers fiel die letzte
Hinrichtung in Seyda, 1795. Der Superintendent hatte den des Raubmords
Schuldigen in seinen letzten Tagen und auf seinem letzten Weg zu begleiten und
holte sich dazu auch Rat an höherer Stelle. Weßlau
hieß der Schmied, der im Gasthaus von einem Reisenden erfahren hatte, dass er
mit seiner Geldbörse unterwegs sei, ihm nachging in die Heide, ihn erschlug
(noch heute heißt die Stelle „Totschlag“ im Wald bei Gentha)
und sich mit dem Besitz aus dem Staube machte. Durch die vielen Kriege – die
Revolution in Frankreich war im Gange – kamen Seydaer als Soldaten auch nach Elsaß-Lothringen, wo einem ein Hufschmied bekannt vorkam:
so wurde er entdeckt und überführt und nun auf grausame Weise öffentlich in
Seyda hingerichtet. Mancher meint, die Weinberge in Seyda hätten ihren Namen
nicht so sehr von den Früchten, sondern vom Weinen, denn dort war die
Hinrichtungsstätte.
Aus
dem Jahre 1796 ist der Torbogen, der einmal den Friedhof eingrenzte, die Jahreszahl
ist deutlich auch heute zu lesen. Traditionell wurden die Toten um die Kirche
herum und bisweilen in der Kirche begraben: Ging man zur Kirche, wurde man an
die Sterblichkeit erinnert; daran, dass Lebende und Tote bei Gott
zusammengehören – und dass es Hoffnung gibt über den Tod hinaus.
Am
27. August 1807 starb der Superintendent Johann Wilhelm Hilliger:
Die Welt war wieder einmal aus den Fugen, in der Schlacht bei Jena und Auerstedt hatte Preußen 1806 verloren und Napoleon zog in
Berlin ein. Sachsen war mit ihm verbündet, wurde dadurch auch Königreich. Das
alles sollte sich noch sehr auf die Entwicklungen in Seyda auswirken.
Kurz
bevor Hilliger kam, war in der Zeit des Übergangs
Gottfried Samuel Winzer Diakon in Seyda, ein Pfarrerssohn, geboren am 25.
November 1759 in Groß-Schacksdorf, sein Großvater war
Diakon an der Stadtkirche in Wittenberg gewesen. Er hatte die Schule in Sorau (Zary!) besucht, war an der
Wittenberger Universität am 14. Mai 1779 immatrikuliert und dort auch zum
Magister ernannt worden, am 30. April 1783. 1788 wurde er in Wittenberg
ordiniert. Nachdem er zwei Jahre in Seyda war, 1788 bis 1790, ging er als
Pfarrer nach Sebnitz.
An
der Seite Hilligers stand 1790 bis 1795 Gottfried
Ehrenreich Oertel, ein Schneiderssohn
aus Dresden, dort im November 1761 geboren. Nach dem Besuch er Leipziger
Universität war er 1790 in Wittenberg ordiniert worden und konnte nun auch, gut
versorgt, heiraten. In der Seydaer Kirche wurde die Hochzeit vom „14. bis 16.
Sonntag nach Trinitatis“ 1790 aufgeboten, und die
Feier fand dann in Gersdorf bei Kamenz statt. Die
Braut hieß Sophie Eleonore Caroline Bormann und war die Tochter eines
Oberstleutnants. Zwei Kinder wurden in Seyda geboren: Hermann Conrad, am 5. Mai
1793, und Friedrich Maximilian, am 3. Mai 1795. Da ging die junge Familie dann
nach Liebenau bei Dippoldiswalde, wo der Vater Pfarrer bis zu seinem Tode 1825
war.
Johann
Gottlob Horst kam 1802 als Diakon nach Seyda, 30 Jahre alt (geboren am 12.
Januar 1772 in Wittenberg), sein Vater war Nagel- und Ackerschmied in
Wittenberg. Mit 17 schon war er an der Universität in Wittenberg, 1789. Ordiniert
wurde er dort 1802. Am 9. Januar 1803 hat er die Tochter des Kustos (Küsters)
und Registrators der Stadtkirche Wittenberg, Maria Sophia Borst, geheiratet,
aber nach nicht mal zwei Monaten Ehe starb er am 3. März 1803 an „Stick- und
Schlagfluss“ (wahrscheinlich Herzinfarkt).
Andreas
Gustav Patau war 1803 bis 1810 in Seyda Diakon. Als
Sohn eines Hauptmannes der sächsischen Infanterie wurde er am 22. Mai 1765 in
Torgau geboren, nach dem Besuch der Universität in Wittenberg 1803 ordiniert
und war ab 18. Juli 1803 im Amt. Er heiratete Christiane Louise Birgcker, ihr Sohn Gustav Eduard wurde in Seyda am 29.
November 1804 geboren. 1810 ging er als Pfarrer nach Großweitzschen
bei Leipzig.
Über
300 Jahre lang war das Leben in Seyda – natürlich unterbrochen durch Kriege und
Katastrophen – recht gleichförmig verlaufen. Die Biographien ähnelten sich, das
Leben des Großvaters war meist nicht anders als das des Enkels; die Pachtpreise
vom Beginn des 16. Jahrhunderts (in Scheffeln berechnet) waren bisweilen noch
exakt die gleichen geblieben. Doch nun änderten sich rasant die Zeiten. Die
französische Revolution hatte die alten Ordnungen in Frage gestellt, auch auf
dem Gebiet des Glaubens – und sie war bis vor die Haustür in Gestalt der
Truppen Napoleons, die bald durch Seyda zogen, gekommen. Die Franzosen
verheizten bei ihren Biwaks alle Hopfenstangen, so dass der blühende
Hopfenanbau hier ab sofort eingestellt worden ist. Doch das war nur eine kleine
Veränderung gegenüber dem, was noch
kommen sollte.
Karl
Wilhelm Gottlieb Theophil Camenz war der
Superintendent, der in diesen Zeiten Superintendent wurde, vom 21. Oktober 1807
– bis zum 1. September 1837, wo er starb. In Cölln
bei Meißen wurde er als Pfarrerssohn am 14. Oktober 1769 geboren, besuchte das
Gymnasium in Meißen 1783 bis 1789, machte an der Universität Leipzig 1789
seinen Magister und wurde in Dresden am 8. März 1800 ordiniert. Von 1800 bis
1807 war er zunächst Pfarrer in Oberau. Seine Frau Johanna Henriette Wilhelmine
Hofmann aus Cölln bei Meißen hatte er wohl gerade
erst geheiratet, denn sie war erst 21 Jahre alt. Einmal stand sie auch Patin,
am 10. Oktober 1811. Das Paar hatte keine Kinder. Frau Camenz
starb mit 55 Jahren und 3 Monaten am 20. Januar 1842 in Seyda.
In
die Amtszeit des Superintendenten Camenz fällt der
„Befreiungskrieg“. Am 5. September 1813 fand das „Treffen bei Gadegast“ mit 315 toten Soldaten und einer toten Zivilperson
statt, am nächsten Tag die „Schlacht bei Dennewitz“
mit 110.000 Soldaten und über 33.000 Toten. Tausende Soldaten zogen durch
Seyda, Lebensmittel waren knapp, Seuchen und andere Krankheiten griffen um
sich. Die Völkerschlacht bei Leipzig am 18. Oktober brachte eine entscheidende
Wende. Sachsen aber stand auf der Seite der Verlierer, es hatte mit den
Franzosen gegen Preußen und Sachsen gekämpft. Sachsen mußte
einen großen Teil seiner alten Gebiete an Preußen abtreten, die preußische
„Provinz Sachsen“ entstand. Für den Superintendenten und viele andere in Seyda
war das eine Katastrophe. Die alten Verbindungen nach Dresden wurden gekappt.
Zuständig war nun das Konsistorium in Magdeburg. Der preußische König war
reformiert – also von jener anderen evangelischen Richtung aus Süddeutschland
und der Schweiz, nicht lutherisch. Viele seiner Vorgänger hatten schon eine
Vereinigung der evangelischen Strömungen versucht, vergeblich: Nicht zuletzt
Paul Gerhardt hatte als Pastor der Nikolaikirche in Berlin den lutherischen
Glauben verteidigt und deshalb sein Amt verloren.
Der
Unterschied bestand zum einen, so hatten es die Reformatoren aus beiden
Richtungen bei einem Religionsgespräch in Marburg 1529 gefunden, „nur“ im
Verständnis des Abendmahls. Während die Reformierten
sagten, „Jesus ist im Himmel“ – und das Mahl ist mehr eine symbolische
Gedächtnisfeier, beharrten die Lutheraner darauf, dass Jesus „in, mit und unter
Brot und Wein“ im Mahl präsent ist. „EST“ hatte Martin Luther dick auf den
Tisch geschrieben damals in Marburg: „Hoc est corpus meus.“ – „Das ist mein
Leib.“ sagt Jesus bei der Einsetzung des Abendmahles. Eine andere Sache war die
Kirchenorganisation, die Reformierten kannten viel mehr das synodale Element,
also die Mitwirkung der Gemeinde über Presbyterien (Gemeindekirchenräte) und
entsprechende Gremien. Ein äußerer Unterschied ist auch, dass die Lutheraner
zwar Christus in die Mitte stellten, aber alles andere in der Kirche konnte bleiben, wenn es dem nicht entgegen stand. Ganz
deutlich wird das in unserer Gegend in der Kirche in Arnsdorf: Die
Heiligenfiguren aus der Mitte des Altars wurden herausgenommen – aber nicht
zerstört, sondern an die Wand an der Seite gehängt, und die Kanzel an dieser
Stelle eingebaut, in die Mitte. In reformierten Gemeinden konnte man getrost
auf alles verzichten: Nur die Bibel mußte auf dem
Tisch liegen, ja, bisweilen gab es nur einen Klapptisch – für die Feier des
Abendmahles – und sonst in der Kirche markant nur die Kanzel in der Mitte.
Die
Gemeinde in Seyda war nun über Jahrhunderte lutherisch geprägt gewesen. Der
Schnitzaltar, nach dem Kirchenneubau 1711 in die Kirche gekommen, vermittelt
die lutherische Theologie: Wort und Sakrament stehen in der Mitte: Kanzel,
Altar und Taufstein. Das Gesetz und das Evangelium weisen auf Christus hin: Auf
der einen Seite Mose mit den Geboten, den Ordnungen,
auf der anderen Seite Johannes, der schrieb „Gott ist die Liebe“. „Das Wort
Gottes bleibet in Ewigkeit“ war der Wahlspruch der Reformation, in der Mitte
über der Kanzel in Seyda zu lesen.
Der
preußische König dieser Zeit, Friedrich Wilhelm III., war kirchlich und
liturgisch interessiert. Zum Reformationsjubiläum 1817 verkündete er für seinen
Machtbereich eine „Union“, die aber so angelegt war, dass unter einem Dach
lutherische und reformierte Gemeinden nebeneinander bestanden. Superintendent Camenz
fand sich also plötzlich statt in einer lutherischen Landeskirche in einer
unierten wieder. Der König, dessen Freund der russische Zar Alexander war,
nachdem er in Berlin auch einen Platz benannte, war von den russischen Melodien
beeindruckt und verfasste selbst ein neues Gottesdienstbuch mit entsprechendem
Einfluss, 1822. Ungewöhnlich für einen König ließ er es den Gemeinden frei, sie
einzuführen: Aber wer sie einführte, der bekam ein kunstvolles Exemplar in
Goldschnitt und mit einer persönlichen Widmung des Königs an die Gemeinde
geschenkt. Das taten natürlich viele – in Morxdorf
zum Beispiel wurde das Exemplar noch 200 Jahre später unter einer Kirchenbank
gefunden. In Seehausen aber beispielsweise zogen die Bauern mit ihren alten
Gesangbüchern vor das Pfarrhaus und riefen: „Wir sind Lutheraner!“
Superintendent
Camenz wird es nicht unrecht gewesen sein. Noch 1830
beschreibt er in der Turmkugel die Trauer darüber, mit dem geliebten
Sachsenland nicht mehr verbunden zu sein – und die Hoffnung, dass sich das doch
einmal ändern könnte. Bei der nächsten Gelegenheit – 1854 – wurde dieses Papier
wieder aus der Turmkugel entfernt, wegen „antipreußischer Ressantiments“:
Da war man dann ganz in Preußen angekommen.
Die
Zeit des Umbruchs begleitet hat Diakon Joseph Ehregott Jacobi, von 1810 bis
1818 in Seyda. Geboren war er als Pfarrerssohn in Olbernau,
am 17. Oktober 1781. Er besuchte die Fürstenschule Meißen vom 5. September 1793
bis zum 29. Juni 1799, dann die Universität in Wittenberg, wo er 1810 ordiniert
wurde. Am 24. Juni 1810 heiratete er die Tochter des Jessener
Oberpfarrers Ernestine Friederike Ziegler. 7 Kinder hatten sie, in Seyda sind Bertha Ernestine geboren, am 8. 11. 1811,
ein Sohn ist am 15.2.1813 totgeboren, ein anderer kam am 1.5.15 zur
Welt. Mitten in diesen Zeiten wurde also auch geheiratet, es wurden Kinder
geboren; ja, es wurden sogar Pläne für einen neuen Kirchturm gemacht: Die
Hoffnung war da: Es wird doch weitergehen. Wäre es planmäßig weitergegangen,
hätten wir solch einen Kirchturm wie heute in Schönewalde.
Krankheiten
waren eine reale Gefahr. So starb beim schon genannten „Treffen bei Gadegast“ nur eine Zivilperson: Eine 86jährige alte Frau,
die meinte, ihr würde doch nichts passieren, bekam einen Streifschuss. Im
Nachhinein aber kam über 10% der Bevölkerung ums Leben, denn sie hatten sich in
den Sümpfen versteckt, durch das schlechte Wasser und die Menschensammlungen
aus aller Welt verbreiteten sich Seuchen.
Die
beginnende Neuordnung erfuhr Johann Karl Adolf Lindemann, der Diakon in Seyda
1818 wurde, schon in seiner Ausbildung. Geboren war er am 11. Februar 1790 als
Rektor- und später Pfarrerssohn, 1809 immatrikulierte er sich in Wittenberg und
kam am 30. April 1811 zum Magister phil. Ordiniert
wurde er in Merseburg am 1. September 1818. Von Seyda ging er 1824 nach St.
Nicolai Eisleben als Diakon, wurde 1829 noch Doktor der Philosophie und mit
diesem Titel dann 1833 bis 1853 Oberpfarrer dort. In der Seydaer Zeit hatte er
1819 in Heinsdorf (aufgeboten Neujahr bis zum 2.
Sonntag nach Epiphanias) Christiane Amalie Weiße geheiratet, die Witwe des
Adolph Weiß, der Amtsinspektor in Seyda war. Offensichtlich hatte der
Amtsinspektor den Wechsel von Sachsen nach Preußen nicht verkraftet.
Der
erste Sohn Eduard wurde am 21. Januar 1821 in Seyda geboren und wurde
Hofopernsänger in Kassel, wo er am 2. März 1886 starb. Schwanger zog sie nach
Eisleben, wo dann am 11. September 1824 Adalbert zur Welt kam, der Arzt wurde
und 1854 in Paris starb.
Der
Sohn eines Schankwirtes war Johann Gottfried Lehmann, geboren am 26. September
1790 in Schmerkendorf. Nach der Thomasschule in
Leipzig ging er dort an die Universität. Sein 2. Examen absolvierte er nun beim
neuen Konsistorium in Magdeburg. Sein Vater starb, als er vier Jahre später
Diakon in Seyda wurde. Nur 4 Jahre war er im Amt und wurde vorzeitig
emeritiert, mit 38 Jahren. Auch das gab es.
Ambrosius
Ziegler kam von 1829 bis 1833. Der erste Bauernsohn im Seydaer Diakonenamt wurde in Wallroda am
9. März 1799 geboren. Er besuchte die Domschule in Naumburg, die Universität in
Halle 1821 bis 1824. In Wittenberg gab es nun keine Universität mehr, sie hatte
nur noch den klangvollen Namen Halle-Wittenberg, bis heute. In Magdeburg legte
er sowohl das 1. Examen 1825 wie auch das 2. Examen 1827 ab und wurde dort am
21. Oktober 1829 ordiniert. 1830 heiratete er in Globig (aufgeboten in Seyda Exaudi bis Trinitatis) 1830
Amalie Auguste Schöne, eine Pfarrerstochter, die 1841 starb. Er heiratete
erneut, eine Pfarrerstochter aus Dabrun, in
Delitzsch, und wurde 1833 bis zu seinem Tode am 11. Mai 1872 Pfarrer in Vesta.
Karl
Gottlieb Moritz Stich kam aus der Nähe, in Zahna
wurde er am 31. März 1802 als Sohn des Mädchenschullehrers geboren. Nach dem
Gymnasium in Wittenberg und dem Besuch der Universität in Halle 1821 bis 1824
legte er das 1. Examen 1826 in Magdeburg und das 2. mit einigem Abstand 1832
auch dort ab. Am 18. Mai 1833 wurde er in Magdeburg ordiniert. Von 1833 bis
1872 war er in Seyda. Am 23. September 1834 heiratete er in Seyda Ida Luise Ruperti (geb. in Seyda am 24. April 1817), die Tochter des Justizkommisars Carl Heinrich Alexander Ruperti
aus Seyda. 5 Kinder hatten sie miteinander.
Das
jetzige Pfarrhaus wurde in der Zeit des Superintendenten Friedrich Albert Parreidt gebaut, der von 1838 bis 1851 in Seyda war. Er
wurde am 20. März 1802 in Delitzsch geboren, sein Vater war Gerichtsdirektor
und Kirchenvorsteher und 1822 gestorben. Friedrich Albert Parreidt
hatte da schon die Landesschule in Pforta besucht,
1820 und 1821 in Leipzig studiert und war jetzt, von 1821 bis 1823, Student in
Halle. In Wittenberg legte er das 1. Examen ab, 1823, dort war er auch auf dem
Predigerseminar zu Michaelis 1823, das 2. Examen 1825 kam in Magdeburg, die
Ordination in Magdeburg am 26. September 1827. Nun konnte er heiraten, am 31.
Oktober 1827 Auguste Wachsmuth, die Tochter des
Gerichtsamtsmannes in Delitzsch. Bevor er nach Seyda kam, war er 1827 bis 1833
Substitut in Zwochau, 1833 bis 1838 Oberpfarrer in Gerbstedt.
Aus
dem Besitz des Superintendenten Parreidt haben wir
ein schönes Ölgemälde über den Kirchgang in Seyda zu dieser Zeit. Es ist jetzt
in den Heimatstuben im Amtshaus zu betrachten. In den alten Flämingtrachten
gehen die Leute zur Kirche, mit dem „Muff“ zum Wärmen der Hände. Der Kirchturm
ist noch der Fachwerk-Dachreiter, die Notlösung nach dem Stadtbrand. Deutlich
zu sehen ist das Diakonat von 1744.
Das
Bild kam auf Umwegen in den 90iger Jahren wieder nach Seyda. Es hieß, es sei
bei der Auflösung des Heimatmuseums 1960 nach Prettin gegangen, war dort aber
nirgendwo, auch im Fundus nicht, zu finden. So bat ich um einen Termin mit dem
Direktor – und schon, als ich in seine Amtsstube trat, erblickte ich das große
Bild über seinem Schreibtisch.
Das
jetzige Pfarrhaus – die ehemalige Superintendentur,
später „Oberpfarre“ (eine hundert Jahre alte Postkarte gibt es mit dieser
Bezeichnung) wurde 1846 gebaut, schon teilweise unterkellert und – bis auf ein
Amtszimmer und Archiv – ganz für die Superintendentenfamilie vorgesehen. Noch
heute gibt es an mancher Tür Beschläge aus der Zeit des Hausbaus, wenn sich
auch sonst manches verändert hat.
Superintendent
Parreidt starb, kinderlos, am 12. Juni 1851 in Halle.
Oskar Wilhelm Lebrecht Nietzsche war damals, 1842 bis 1857, Diakon in Seyda. In
Kloster Roßleben ist er geboren, am 20. oder 26.
Januar 1867, und in die dortige Klosterschule gegangen, wo sein Vater Konrektor
war. In Leipzig 1826/27 und in Halle 1828/29 studierte er, in Halle legte er
auch sein 1. Examen ab, 1830, in Magdeburg das 2., 1833, und wurde in Magdeburg
am 27. Juli 1842 ordiniert. Die heutige Form der Ausbildung etablierte sich:
Erst das Theologiestudium an der Universität mit dem 1. Examen, dann
kirchlich-praktische Ausbildung und das 2. Examen vor dem Konsistorium.
Meistens war nicht gleich eine Stelle zu haben, so dass die Zeit mit
Hauslehrerdiensten oder anderem überbrückt werden mußte:
Bis zur Ordination und dem Amtsantritt.
Drei
Kinder hatte Diakon Nietzsche, zwei Söhne und eine
Tochter, und 1857 ging er von Seyda weg und wurde Pfarrer in Köttichau bis zu seinem Tod am 13. Juli 1870.
In
Seyda erlebte er den Neubau des Kirchturms, 1854, mit. Eine neue Orgel sollte
in die Kirche eingebaut werden, und es gab Platzprobleme aufgrund des
Bevölkerungszuwachses. Immer mehr Menschen war es durch die wirtschaftliche
Entwicklung möglich, einen eigenen Hausstand mit einer eigenen Existenz zu
gründen, zu heiraten und selbst Kinder zu haben. Charakteristisch in Seyda ist
dafür die „Neue Straße“, die im Osten der Stadt dazukam. Bei einer Untersuchung
der Geschichte dieser 40 Häuser zeigte sich, dass die ersten Hausbesitzer
allermeist fleißige Handwerker waren, die sich nun diesen Traum verwirklichen
konnten. Die erste Eisenbahn fuhr in der Nähe vorbei, zwischen Wittenberg und
Berlin, eine Sensation, und über den Bahnhof Blönsdorf war nun nicht nur die
Welt zu erreichen, sondern von dort kamen auch viele Waren, die man bisher
nicht kannte. Frischer Fisch, später auch Bananen und Kaffee – und die Butter
aus Seyda ging nach Berlin und wurde mehrmals prämiert. Dass die Seydaer sich
weigerten, eine Eisenbahnstation an ihrem Ort zu haben, bleibt eine Legende,
aber natürlich sind die Vorbehalte gegen das Neue überall da gewesen: „Da fährt
uns ja das Geld weg!“ sollen die ortsansässigen Geschäftsleute gesagt haben.
Der
neue Kirchturm war preußisch-schlicht, ganz anders, als der sächsische Entwurf
von 1813 mit seinen Rundungen und seiner Laterne. In der Turmkugel gab der neue
Superintendent Friedrich Christoph Jacobi auch unmißverständlich
seine Treue zum preußischen Staat bekannt, dem all die neuen Dinge
zuzuschreiben waren. Als störend und in höchstem Maße destruktiv empfand er die
Ereignisse des Revolutionsjahres 1848, die auch in Seyda und Umgebung manches
aus den Fugen brachten: Die Autoritäten gerieten ins Wanken, und
„Unsittlichkeit“ machte sich breit. Jacobi war ein Mann, der diesem mit Strenge
begegnen wollte. Als Sohn eines Gerichtsboten wurde er in Weißensee am 24.
Februar 1801 geboren, besuchte das (schon preußische) Gymnasium in Erfurt 1820,
die Universität in Halle 1824 bis 1827 und wurde im Dezember 1832 in Merseburg
ordiniert. 1832 bis 1839 war er Pfarrer in Rothenberga,
1839 bis 1846 Substitut in Eckartsberga und 1846 bis 1851 Superintendent
ebenda.
Verheiratet
war er mit Charlotte Karline Hinze, die einmal als
Erbin am 25. November 1843 des Stiftssuperintendenten Haasenritter,
Merseburg, genannt wird. Die drei Kinder waren schon groß. Ein Sohn Gustav, in
Eckartsberga am 3. August 1834 geboren, lernte in Schulpforta,
wurde Medizinstudent und Schriftsteller – und ist in die USA ausgewandert. Auch
diese Möglichkeit gab es, über Menschen aus Seyda, die diesen Schritt taten,
kann man etwas lesen in dem Heft „Seyda und die Neue Welt“.
1851
kam Superintendent Jacobi nach Seyda und war hier bis zu seiner Emeritierung
1878 tätig. Er bekam den Roten-Adler-Orden IV. Klasse, war also vom preußischen
Staat hoch dekoriert. Am 1. Januar 1881 starb er in Giebichenstein
(Halle).
Ebenfalls
den Reichs-Adler-Orden IV. Klasse bekam Diakon Ernst Ehregott Ferdinand Müller,
der von 1858 bis 1870 in Seyda war. Er hatte sich langsam hochgearbeitet: Sein
Vater war Schullehrer in Steigra, in Jüdenhof ist er am 8. April 1816 (schon in Preußen) geboren
worden. Er besuchte das Domgymnasium in Magdeburg, die Universität Halle 1839,
machte dort sein 1. Examen 1844 und das 2. Examen in Magdeburg 1847. Da war er
schon Musiklehrer in den Franckeschen Stiftungen Halle, 1843 bis 1846; 1846 bis
1851 dann Hilfslehrer in der Knabenbürgerschule dort, 1851 bis 1856 Hilfslehrer
in der Realschule und 1856 bis 1858 – nach seiner Ordination am 2. April 1856
in Magdeburg – Hilfsprediger in der Strafbesserungsanstalt der Franckeschen
Stiftungen. Das war sein Lebensweg, als er 1858 nach Seyda kam. 1852 hatte er
in Merseburg die Roßlebener Pfarrerstochter Auguste
Friederike Amalie Pörner geheiratet. Gleich, als er
nach Seyda kam, stirbt hier am 22. Juli 1858 die Tochter Rosalie Thekla
Elisabeth mit 7 Monaten und einem Tag. Am 26. März 1859 wird Friedrich Ernst
Bruno geboren, der später Pfarrer in Großorteshausen
war und ein tragisches Ende nahm: „Am 28. März 1921 beim Hölz-Putsch
von Kommunisten als Geisel aus der Kirche Großosterhausen geholt und im Gefecht
bei Schraplau durch Bauchschuß
tödlich verwundet.“
Die
Welt veränderte sich rasant, wir können aber davon ausgehen, dass diese Kinder
– wie auch der am 16. August 1861 geborene Ernst Gustav Hugo, später Pfarrer in
Hohenthurm, im strengen preußischen Geiste erzogen
wurden. Das Preußentum feierte viele Triumphe, nach dem Deutsch-Französischen
Krieg war der preußische König Kaiser des geeinigten Deutschen Reiches. Durch
die französischen Reparationszahlungen (5 Milliarden Francs) und den
wirtschaftlichen Aufschwung war viel Geld da, was in den nächsten Jahren auch
in Seyda investiert wurde, die Gründerzeit. In der Nähe entstand eins der
modernsten Industriezentren Europas, bei Bitterfeld und Wolfen. Vielen Menschen
ging es spürbar besser.
Diakon
Müller ging 1870 als Pfarrer nach Haynsburg, wo er,
als sein Emeritierungsschreiben zum 1. Oktober schon unterwegs war, am 12.
September 1893 starb.
Dr.
Max Bennoni Georg Hornburg war sein Nachfolger im Diakonenamt, ein Sattlermeisterssohn,
geboren in Magdeburg am 3. Dezember 1842. Nach dem Domgymnasium in Magdeburg
besuchte er die Universität in Berlin 1864 bis 1867, wurde Doktor der
Philosophie und am 23. März 1871 ordiniert. Am 5. April starb der Pfarrer von
Ausleben, wo er als Hilfsprediger eingesetzt wurde. Er heiratete die
Pfarrerstochter Therese Franziska Emilie Schirlitz,
deren Mutter auch schon gestorben war. Sie gingen im gleichen Jahr nach Seyda,
bis 1876. Danach war er Pfarrer in Detershagen, 1876
bis 1899, wo er am 28. Januar 1899 starb.
Der
wirtschaftliche Aufschwung hatte auch Schattenseiten. Auf die Gründerjahre
folgte der „Gründerkrach“. Hunderte von „brotlosen Landarbeitern“ zogen durch
die Straßen und baten um Essen und Unterkunft. Es gab keine Sozialversicherung,
die sie auffangen konnte. Sie hatten ihre Dörfer verlassen und waren in die
Städte in die neuen Fabriken gezogen, wenn diese nun schlossen, hatten sie
nichts mehr. Wie eine Landplage muss es gewesen sein.
Da
war es ein großer Lichtblick der Kirchengeschichte, dass der Regierungsrat
Gustav von Diest in ihnen die „Brüder von der
Landstraße“ sah, denen in Jesu Namen geholfen werden müsse. Sein Rezept war
„Arbeit statt Almosen“. Seyda wählte er als Standort für eine Arbeiterkolonie
nach Bodelschwinghschem Vorbild aus (Bodelschwingh war sein Verwandter). Das Moor sollte
trockengelegt und damit neues Ackerland gewonnen werden. 1883 wurde mit dem Bau
der Häuser begonnen, und am 14. Dezember wurden sie eingeweiht. Von Diest bekannte, dass die Geldmittel nun erschöpft seien,
aber er tat seinen Glaubensmut kund, dass der Herr auch nun weiterhelfen werde.
Es
war eine große Umstellung für das Städtchen, eine solche Einrichtung in
unmittelbarer Nähe zu haben. Natürlich profitierten auch viele davon, es gab
Arbeit für die Handwerker und am Ende neues Ackerland. In Seyda war es weit
verbreitet, dass die Familien neben einem Handwerk auch eine kleine
Landwirtschaft betrieben.
Eine
segensreiche Einrichtung begann, Hunderten von Menschen wurde wieder auf die
Beine geholfen. Nach einigen Monaten konnten sie sich mit dem dort verdienten
Geld und neu an Leib und Seele gestärkt wieder eine eigene Existenz aufbauen.
Die
Aufgabe, diese Einrichtung zu leiten, kam nun auf den Diakon Georg Gotthold
Hermann Jentzsch zu. Als er 1877 nach Seyda kam, wußte
er wohl noch nichts davon, sondern war einfach zweiter Pfarrer in Seyda. Der
Pfarrerssohn war am 15. Juli 1848 in Audenhain
geboren worden, hatte in Torgau das Gymnasium besucht und im Kloster Unserer
Lieben Frauen in Magdeburg, an der Universität Leipzig (1867 bis 1869) und in
Halle (1869 bis 1871) studiert. Dann kam er ins Predigerseminar nach Wittenberg
1872. Nach einer Hilfspredigerzeit in Brusenfelde
wurde er in Magdeburg am 31. Januar 1877 ordiniert und hat am 27. Februar 1877
Marie Hitzigrath geheiratet, eine Pfarrerstochter aus
Ostpreußen. Drei Söhne hatten sie, Karl Hermann Johannes, geboren in Seyda am
15. Januar 1878, wurde Pfarrer in Biederitz; der Sohn Johannes bekam das
„Eiserne Kreuz II. Klasse“ im Weltkrieg, und August Wilhelm Martin Jentzsch
wurde am 12. November 1879 in Seyda geboren. Von ihm ist ein sehr schönes Lied
im Evangelischen Gesangbuch zu finden, Nr. 418. „Brich dem Hungrigen dein Brot
/ die im Elend wandern / führe in dein Haus hinein, trag die Last der andern.“
– Das war es, was in der Arbeiterkolonie, deren Aufbau er als Kind sah und wo
sein Vater tätig war, erlebte. Und dann hat er vor dem Altar in Seyda gesessen,
wo das Abendmahl sehr schön geschnitzt dargestellt ist: Jesus mit seinen
Jüngern am Tisch, und vorn ist frei gelassen für die, die noch kommen: Eine
große Einladung. „Der da ist des Lebens Brot / will sich täglich geben. Tritt
hinein in unsre Not / wird des Lebens Leben. – Dank sei Dir, Herr Jesu Christ,
dass wir Dich noch haben / und dass Du gekommen bist, Leib und Seel zu laben.“
Dieser
Martin Jentzsch ist 1884 mit seinem Vater weitergezogen
nach Battaune, wo dieser Pfarrer war, bis er am 10.
April 1912 starb. Er wurde dann selbst Pfarrer, war zum Beispiel 1909 bis 1919
Pfarrer und Leiter der Flussschiffermission Berlin-Charlottenburg und später
Mitglied der Bekennenden Kirche, unter Hitler auch inhaftiert.
1883
wurde die Luthereiche auf dem Kirchplatz gepflanzt, in Erinnerung an den 400. Geburstag des Reformators. Sie soll aus einer Eichel der
Luthereiche am Elstertor in Wittenberg gezogen worden sein. Sehr viel später
wurde ein Ableger der Partnergemeinde in Hessen geschenkt. Dort steht nun seit 2011 eine Luthereiche vor der Volkartshainer Kirche, und eine „Befreiungslinde“ vor der Oberseemener Kirche.
Ein
Kämpfer war der Superintendent Johann Friedrich August Rietz,
der 1878 nach Seyda ins Superintendentenamt berufen wurde,
und er passte deshalb vielleicht gerade auch in die Nähe der neu entstehenden
Arbeiterkolonie.
Sein
Vater war ein Häusler, also einer, der wirklich nichts weiter hatte als ein
Häuschen, kein Handwerk sonst, keine Hufen Land (dann wäre er ein „Hüfner“ gewesen), ein Häusler aus Linda auf der anderen
Seite der Seydaer Heide. Dort wurde Johann Friedrich August Rietz
am 28. September 1834 geboren, und nach der Schule begann er zunächst eine
Kaufmannslehre – in Seyda! Aber sein Talent wird entdeckt worden sein, von
einem, der auch „von unten“ kam, seinem Konfirmator,
der 1844 bis 1855 Pfarrer in Stolzenhain und Linda war. Dieser Ernst Friedrich
August Schlaaf war Sohn eines Schuhmachermeisters aus
Schönebeck und hatte sich auch über viele Stationen „hochgekämpft“
bis zum Pfarrer, wurde auch später (1856 bis 1874) Oberpfarrer und
Superintendent in Weferlingen, wo er der Gönner des jungen Rietz
blieb.
Es
ist jedenfalls sehr wahrscheinlich, dass er dafür sorgte, dass der Junge noch
mit 16 Jahren den Gymnasiumsbesuch in Wittenberg begann – und also mit der
Schule erst mit 21 Jahren fertig war. Er besuchte dann die Universität in Halle
1855 bis 1858, legte dort sein 1. Examen ab 1858. 1859 bis 1861 verdiente er
sich als Erzieher im Waisenhaus in Halle, den Franckeschen Stiftungen, sein
Geld, legte 1861 sein 2. Examen in Magdeburg ab und war dann „Kollaborator“ („Mitarbeiter“) an der Realschule der
Stiftungen.
1862
konnte er die Tochter seines Konfirmations-Pastors heiraten, Luise Marie Schlaaf. Vater Schlaaf hatte sich
auch langsam in den Franckeschen Stiftungen hochgearbeitet.
1864
bekam er nach der Ordination am 3. Juli 1864 (er war im Kandidatenkonvikt
Unserer Lieben Frauen in Magdeburg) seine erste Stelle als Diakon in Görsbach im Südharz. 1867 kam er in die Ephorie
seines Schwiegervaters, wurde Substitut (also Helfer) eines 71jährigen, also
alten Pfarrers, der ohne Frau war und zum 1. Januar 1867 schon emeritiert
wurde; weiter aber im Haus war bis zu seinem Tode am 8. September 1869. Von da
an war Rietz dann nicht mehr nur „Ersatz“, sondern
Pfarrer in Rätzlingen, bei Oebisfelde.
Auf
diese Weise versuchte man auch, die Altersversorgung der Pfarrer zu sichern.
1874
starb der Schwiegervater mit 66 Jahren. 1878 an einer Lungenkrankheit auch
seine Tochter, die 1. Frau des Johann Friedrich August Rietz,
der in diesem Jahr Oberpfarrer und Superintendent in Seyda wurde. Die
Schwiegermutter nahm er mit nach Seyda, wie auch ihre andere Tochter, Lydia,
geboren in Weferlingen am 6. Mai 1860. Drei Kinder hatte er, alle aus dieser
zweiten Ehe, dabei ein Sohn Theodor Ernst August, geboren in Seyda am 2.
Februar 1884, später 2. Pfarrer an der Lutherkirche in Chemnitz, der später
berühmt wurde, weil er sich als Pfarrer für das Einrichten von Schrebergärten
einsetzte. Auch seine zweite Frau mußte Rietz in Seyda beerdigen. Sie starb am 6. Juni 1887 und war
ebenfalls lungenkrank.
Im
Jahre 1887 gab es in der preußischen Kirchenprovinz Sachsen eine Reform der
Kirchenkreise. Wo man 50 Jahre vorher auf kleine Kreise gesetzt hatte, Übersichtlichkeit
und Überschaubarkeit, so fragte man nun nach Zentralisierung. Seyda verlor die
Superintendentenstelle, sie ging nach Zahna. Zwei
Jahre lang war Rietz also von 1887 bis 1889 „nur“
Oberpfarrer, bevor er dann 1889 bis 1893 als Oberpfarrer und Superintendent
nach Zahna ging.
Er
löste den 82jährigen Superintendenten Christian Wilhelm Voigt ab, 1846 bis 1889
im Dienst, hochdekoriert mit dem Roten-Adler-Orden
IV. und III. Klasse „mit Schleife“ und emeritiert am 1. April 1889. Rietz setzte sich jedenfalls auch gegen den Schwiegersohn
Voigts, Christian Robert Schulze, durch, der in Zahna
von 1871 bis 1887 Diakon war.
Der
alte Superintendent blieb noch im Pfarrhaus in Zahna
und starb am 16. oder am 17. November 1891.
Nicht
84 Jahre wie er, sondern 59 war Rietz, als er am 8.
November 1893 in Zahna starb. Seine Schwiegermutter, Emilie Pauline Gottvertrau Schlaaf geb.
Wichmann, wurde wenige Tage später heimgerufen, am 27. November 1893, mit über
73 Jahren.
Mit
dem Diakonenamt, also dem pfarramtlichen Dienst in Morxdorf und Mellnitz wie für die
Arbeiterkolonie, wurde 1885 bis 1902 Friedrich August Cremer betraut.
An
ihn erinnert sichtbar die Altarbibel in der Morxdorfer
Kirche, in der seine Widmung steht. Er wurde am 5. Juli 1840 in Brackel bei
Dortmund geboren, sein Vater war dort Pfarrer und Superintendent in Dortmund,
drei weitere Brüder waren auch Pfarrer.
Er
besuchte das Gymnasium in Dortmund, machte dort zu Ostern 1857 Abitur, ging auf
die Universitäten in Halle, Erlangen und Berlin und wurde in Netphen am 31. Mai
1864 ordiniert. Von dort kam auch seine Frau, Mathilde Hüttenhain, eine
Kaufmannstochter. 1869 ging er als Pfarrer nach Wahlhausen, 1870 wurde der Sohn
geboren, der später Pfarrer in Zweimen wurde, 1885
wechselte er als Diakon nach Seyda – mit der klaren Aufgabe, auch in der
Arbeiterkolonie tätig zu sein. Sie wurde von Neinstedter
Brüdern geleitet, aber zu Andachten und zu Unterricht und Seelsorge tat Cremer
dort Dienst. Eine besondere Aufgabe war die Verbindung zwischen den
Kirchengemeinden und der Arbeiterkolonie: Verständnis zu entwickeln, Sammlungen
durchzuführen.
Die
Tochter, Anna Cremer, heiratet Otto Carl Heinecke, der Nachfolger von Cremer im
Diakonenamt wird.
Oberpfarrer
in diesen Zeiten war seit 1890 Karl Friedrich Albert Glaser, der seine Karriere
mit diesem Amt hier abschloss und am 1. April 1905 emeritiert wurde. Der erste,
der eine lange „Rentnerzeit“ hatte, gestorben ist er erst am 30. Dezember 1923
in Beversen.
In
Gommern war er als Lehrerssohn geboren worden, am 23.
November 1837, studierte im Kloster Unserer Lieben Frauen in Magdeburg und an
der Universität Halle 1857 bis 1860. 1863 und 1864 arbeitete er als Lehrer in
Stendal, wurde am 18. Mai 1864 ordiniert und war von 1864 bis 1869
Hilfsprediger an St. Marien Stendal, 1869 bis 1880 Pfarrer dort und 1880 bis
1890 Pfarrer und Superintendent in Vahlsdorf. Auch
ihn traf die Kirchenreform, 1886 verlor er den Superintendentenstatus.
Eine
Pfarrerstochter aus Schora hat er geheiratet.
Man
könnte meinen, dass nun in diesen seinen letzten Dienstjahren nicht mehr viel
passiert sei, aber das war nicht so: 1894 fand eine große Kirchenrenovierung
statt, ein blauer Sternenhimmel zierte fortan die Decke, zwei große
Bleiglasfenster kamen in den Altarraum. Sie zeigen rechts Jesus, den Guten
Hirten, der sein Schäfchen auf der Schulter nach Hause trägt; und links Jesus,
der an die Herzenstür klopft. Im Stil der Zeit hatte die Tür keine Klinke, mit
Absicht: Selbst sollte man die Herzenstür öffnen, Jesus fällt nicht „mit der
Tür ins Haus“.
In
diesen aufstrebenden Zeiten war die Kirchenkasse gut bestellt, auch der
Schulneubau konnte – wie erwähnt – zu einem Drittel 1881 getragen werden, die
große Orgel von Geissler wurde 1883 mit 18 Registern eingeweiht. Seyda tat die
lange Friedenszeit gut, und es tat sich Vieles. Das rote Gehwegsystem wurde
1894 durch Seyda geführt, viele alte Fachwerkhäuser verschwanden oder wurden
neu aufgebaut. Ein Impuls für die wirtschaftliche Entwicklung war die Arbeit
für Handwerker und der Absatz für landwirtschaftliche Produkte auch in Richtung
Berlin und insbesondere in den neu errichteten Kasernen bei Jüterbog.
Es
waren die Zeiten, wo die alten Leute in Seyda noch zum Gebet in der Bank
knieten, und wo man meint, der Gottesdienstbesuch sei so viel besser gewesen
als heute. Dabei kann man an einem „normalen“ Sonntag in Seyda auch nur 30
Leute in der Kirche zählen, obwohl fast 2000 Menschen hier wohnen. Aber
natürlich war die Kirche im Leben der Menschen noch fester verankert – über die
Feste des Lebens, Taufe, Konfirmation, Hochzeit, Beerdigung, wo sich kaum einer
von den kirchlichen Riten ausschloss.
Ein
älterer Mann hat mir erzählt, dass die Seydaer Pfarrstelle früher sehr hoch
dotiert gewesen sein soll, so dass es bei der Bewerbung im Jahre 1905 viele
Kandidaten gab. Tatsächlich ist zu finden, dass die Seydaer Kirchengemeinden 9.000
Reichsmark im Jahr für ihren Pastor zahlten, in Zeiten, wo es an anderen Orten
2.200 bis 6.000 Reichsmark gab und auch in den Städten wie Wittenberg, Halle
oder Magdeburg vielleicht gerade einmal ein „Mietzuschuss“ von einigen hundert Mark
dazugelegt wurde. Lange muss man suchen, um noch eine vergleichbare Dotierung
zu finden, in unserer Nähe etwa Klöden, wo die alte
Propststelle war, mit immerhin fast 7.000 Reichsmark. Übertroffen wird Seyda
eigentlich nur von Bitterfeld, die 11.000 Reichsmark zahlten: Was man verstehen
kann. Dort „brummte“ die Industrie, es war das Technologiezentrum Europas, da
wurde Geld verdient – und vielleicht war es auch schon damals schwierig, einen
Pastor für diese Industriestadt zu bekommen.
Wie
kam Seyda zu diesen großen Einnahmen? Nun, das lag wohl zu einem großen Teil an
den Pachten aus Mark Zwuschen, was ganz zur
„Oberpfarre“ gehörte. Weil es jedoch immer wieder schwierig war, die
Verhandlungen zu führen – manche Seydaer führten den langen Weg an, um die
Pacht zu mindern oder nicht zu zahlen: So entschloss man sich, 1907 für 108.000
Reichsmark die ganze Flur Mark Zwuschen zu verkaufen.
Die Geschichte der Gutsbesitzer dort beginnt. Das Geld wurde in Wertpapieren
angelegt und brachte nun ganz bequem Geld – so lange Frieden war, und es war
seit fast 40 Jahren Frieden, man konnte es sich gar nicht anders vorstellen.
Doch wir wissen – 1923 kam die Inflation, damit war dieses ganze Vermögen
verloren, die Seydaer wurden nun ganz anders „zur Kasse“ gebeten, was zu den
ersten Kirchenaustritten führte.
Oberpfarrer
Friedrich Wilhelm Karl Dörge gewann jedenfalls in dem
Auswahlverfahren vor dem Seydaer Kirchenrat unter vielen Bewerbern; üblich
waren eine Probepredigt und ein Gespräch. 1905 trat er die Stelle an.
Geboren
war er in Eickendorf bei Haldensleben am 16. Mai 1864, sein Vater war
Gutsbesitzer, „Halbspänner“. Er besuchte das
Realgymnasium in Halberstadt, das Gymnasium in Mühlhausen und die Universität
in Halle 1886 bis 1889. Ordiniert wurde er am 13. Februar 1895 und war dann
Pfarrer in Müllersdorf, bis 1905. In Bornstedt im Mansfelder Land hat er am 11. März 1895 die
Tochter eines Bergbeamten geheiratet. Ein Sohn, Karl, war am 5. November 1899
geboren worden, den er als Schulanfänger mit nach Seyda brachte, später wurde
er Doktor der Philosophie und ab 1939 Professor für Mathematik in Köln.
Warum
die Seydaer gerade ihn ausgewählt haben? Wie bei den Angeboten bei einer
Ausschreibung für Reparaturarbeiten an der Kirche wurde damals wahrscheinlich
nicht das „billigste“ genommen, sondern aus der Mitte etwas gewählt; in diesem
Falle etwas Bodenständiges. Ein „Halbspänner“, was
sein Vater war, war ein kleinerer Bauer, 12 bis 24 Hektar, und er hatte mit
einem anderen Bauern zusammen ein vollständiges Gespann für einen (größeren)
Gutsbesitzer zu stellen. Es ist also davon auszugehen, dass dem neuen
Oberpfarrer die Lebensverhältnisse der Seydaer vertraut waren, ebenso seiner
Frau aus dem Mansfelder Land.
Oberpfarrer
Dörge blieb 21 Jahre lang bis zu seiner Pensionierung
in Seyda. Auch in schweren Zeiten hat er die Gemeinde begleitet, im Weltkrieg
und in der schlimmen Nachkriegszeit mit der Inflation. Er erlebte das Ende des
landesherrlichen Kirchenregimentes (1918 dankte der Kaiser ab, er war „summus episcopus“, oberster
Bischof), nun mußte sich die Kirche neu organisieren.
Auch die Küster-Schul-Auseinandersetzungen wurden geführt: Die Kirche hatte nun
nicht mehr die Schulaufsicht, das Vermögen war zu trennen. Religionsunterricht
fand natürlich weiter statt und hat Generationen geprägt. Es ist interessant,
die Stundenberichte zu lesen: Ein Thema wurde an einem Tag jeweils verschieden
beleuchtet: in Religion (meist zu Beginn des Tages), in Mathe, in „Sach- und
Heimatkunde“, in Deutsch.
Von
Oberpfarrer Dörge ist noch überliefert, dass er seine
Predigten auf dem „Weinbergsweg“ auswendig lernte. Dass er bis zum Schluss
voller Tatendrang war, zeigt auch, dass er nach der Emeritierung 1926 „noch
mehrere Jahre die Parochien Wolteritz
und Hayna verwaltet“ hat. Gestorben ist er am 28. Mai
1943 in Köln-Lindenthal bei seinem Sohn, wo er seine
letzten fünf Lebensjahre zubrachte.
Sehr
lang ist die Liste der Meriten des Diakons Otto Carl Heinecke, der damit wohl –
jedenfalls mit dem, was gedruckt im Gemeindeblatt, den „Heimatgrüßen“ zu lesen
war, das er gemeinsam mit dem Gadegaster Pastor Voigt
begann.
Kantorensohn
war er, in Strenznaundorf am 15. Juni 1872 geboren,
er hatte das Gymnasium Halle besucht wie auch die Universität dort, und wurde
1902 „Hilfsprediger der Kirchenprovinz Sachsen“, war also für gesamtkirchliche
Aufgaben bestimmt. Am 4. Februar 1903 wurde er ordiniert und 1903
„Provinzialvikar“. Tatsächlich hat er sich für die Kirchliche Pressearbeit
verdient gemacht, auch wohl in der Verbreitung von Bibeln – und auf vielen
anderen Gebieten. Nach Seyda kam er als Diakon 1903 und heiratete hier am 7.
April 1904 Anna Cremer, die Tochter seines Vorgängers.
In
seiner Zeit in Seyda und darüber hinaus hat er sich sehr um die Seydaer
Heimatgeschichte bemüht, seine Verwandtschaft wohnte auch weiterhin in Seyda
(Dr. Nekwasil am Markt), so dass er auch später
häufig Seyda besuchte. 1912 war er Initiator zur Gründung eines Heimatvereins,
bei einem Besuch in den zwanziger Jahren gab er dem Frauenverein ein
„Heimatlied“ zum Besten, was auch heute noch in Seyda bekannt ist.
Am
23. Juni 1909 wurde in Seyda sein Sohn Johannes Walter Heinecke geboren, der
später Pfarrer in Tornow im Kreis Landsberg/Warthe
war, in der Bekennenden Kirche gegen Hitler aktiv (auch inhaftiert), und
zuletzt in Hannover. 1992 ist er in Hildesheim gestorben. Im Evangelischen
Gesangbuch findet sich von ihm ein feines Lied zur Hochzeit, Nr. 240, was aber
auch zu jeder christlichen Gemeinschaft passt. „Du hast uns, Herr, in dir
verbunden / nun gib uns gnädig dein Geleit. Dein sind des Tages helle Stunden /
Dein ist die Freude und das Leid. Du segnest unser täglich Brot, Du bist uns
nah in aller Not…“
Heinecke
war der letzte aktive Diakon in Seyda, denn sein Nachfolger Wilhelm Otto Ludwig
Wittkopp, 1914 bis 1916 im Seydaer Diakonenamt, war als Soldat im Weltkrieg.
Geboren
wurde er in Schindelmühle bei Prenzlau am 29. November 1882, sein Vater war
Mühlenpächter. Er besuchte das Gymnasium in Prenzlau, die Universitäten
(viele!) in Halle, Berlin, Marburg, Bonn und Kiel von 1902 bis 1908 – wobei
darin auch sein Militärdienst 1903/4 stattfand. Das 1. Examen legte er in
Berlin 1908 ab und war dann als Hauslehrer 1908 und 1909 in Oberhof tätig. Nach
der Ordination in Weimar am 20. März 1910 ging er als Hilfsprediger nach Jena
an St. Michael, 1910 bis 1911. 1911 wurde er Pfarrer in Daumitzsch,
da heiratete er auch, in Bad Godesberg Martha Gertrud Elisabeth Haas, die
Tochter eines Kunststofffabrikanten, geboren in Gemüßnd/Eifel
am 4. Juli 1887.
1914
begann der Dienst in Seyda – im Januar war Heinecke an die Immanuelkirche in
Berlin berufen worden. Im August brach der
Weltkrieg aus, als Sanitäter war er eingesetzt und bekam das „Eiserne
Kreuz“ II. Klasse. Seine Dienstzeit endete am 31. Dezember 1916. Da war er
schon als Pfarrer nach Elster berufen worden, seit dem 15. Dezember 1916. Bis
1952 war er dort tätig, auf dem Friedhof in Elster ist sein Grab zu finden.
Er
hatte vier Kinder: Bernhard, Theologiestudent, fiel in Rußland
1943. Die Tochter Detta starb mit 16. Helgard,
geboren am 30. August 1921, war mit Friedrich Wilhelm Hans-Joachim Werneburg verheiratet, einem Oberkirchenrat im
Landeskirchenamt der Thüringer Kirche. Der behinderte Sohn Herrmann starb noch
in Elster 1950.
Er
hat ihn durch die Nazizeit gebracht – dass das nicht einfach war, vergisst man
heute bisweilen, und er war Mitglied der Bekennenden Kirche, also in Oppostion zur nazitreuen Kirchenpartei „Deutsche Christen“.
So war er in diesen Jahren – im fortgeschrittenen Alter, über 50 – für 11
Monate strafversetzt nach Treffurt und Schadeleben – wo er aber auch auf BK-Pfarrer traf. Am 1.
August 1952 wurde er in Elster emeritiert und starb am 29. April 1955 in
Neumark im Geiseltal.
In
Berlin mögen die Zwanziger Jahre von manchen als „golden“ empfunden worden
sein, in Seyda drückte die wirtschaftliche Not, Inflationszeit und
Wirtschaftskrise. An diese Zeit erinnert zum Beispiel das Sterzdenkmal in der
Heide: Ein junger Forstbeanter stellte sich Wilderern
entgegen, die einfach den Kochtopf ihrer Familien mit einem Stück Wild
auffüllen wollten. Er traf sie in der Heide, und nach einem Schußwechsel
ging er zu Boden. „Im Morgengrauen des 8. Mai 1921“ kann man auf dem Stein in
der Heide lesen. Die spannende Geschichte der Versuche, die Sache aufzuklären,
kann man in der „Geschichte der Kirche in Seyda“, Band 6, lesen. Auch
Aberglauben spielte dabei eine ungeahnte Rolle und wirft ein Licht auf diese
Zeit, in der sich die meisten die „guten alten Kaiserzeiten“ zurückwünschten:
Auch viele Pastoren, wie man im Gemeindeblatt, dessen Redaktion weiter der Gadegaster Pastor Voigt führte, deutlich lesen konnte, etwa
1922: „Wann schenkt uns Gott den Führer, der uns von dieser Not erlöst?“
Wahrscheinlich
war das Pfarrergehalt für Seyda nun nicht mehr so unbeschreiblich hoch wie
vorher – nach der „Pleite“ von 1923. Es
wurde nun auch eine einheitliche Bezahlung der Pfarrer in Deutschland
angestrebt. Jedenfalls fiel die Wahl 1926 auf Dr. Theodor Eduard Gottlieb Graf,
der bis 1931 hier im Amt war. Sein Vater Wendelin war Schullehrer in Ettinghausen, dort ist er am 8. Juli 1871 geboren worden –
hat also die lange Friedenszeit von da an bis 1914, 43 Jahre lang, erlebt. Er
besuchte das Gymnasium in Bensheim und studierte Theologie und Philosophie in
Bonn und Berlin. Die rheinische Kirche gehörte wie die Provinz Sachsen zur
„Kirche der altpreußischen Union“, weshalb es diese Verbindungen ins Rheinland
– ja auch vorher schon – gab. Das 1. und 2. Examen schloß
er in Koblenz ab, wo er auch Dr. phil. wurde. Die
Ordination fand am 11. Juli 1897 statt, danach war er Hilfprediger
in Heißen im Rheinland, bis 1899.
1899
bis 1906 ging er als Pfarrer der Deutschen Evangelischen Gemeinde nach
Constanza in Rumänien. Auch das gab es in dieser Zeit öfter, ein Pfarrer
beispielsweise aus Gadegast war vorher in Syrien
gewesen, und in der Gadegaster Kirche erinnert noch
heute eine alte „Missionsfahne“ an große Missionsfeste vor 120 Jahren, wo
vielleicht zum ersten Mal ein Schwarzer nach Gadegast
kam und die Gemeinden hier den Aufbau der Kirche in der Ferne, etwa in Tansania
(Deutsch-Ostafrika), tatkräftig unterstützten. Es
waren die Abenteuer dieser Zeit. Carl Meinhof etwa, ein Nachfahre des Gadegaster Schulmeisters 1710 bis 1720, der in der Gadegaster Kirche den Kindern „Beten und Singen“ gelehrt
hatte, Carl Meinhof war Dorfpastor in Pommern, in Barzwitz, und lud sich einen
Schwarzen ein, diese Sprache zu erlernen. Er wurde dann Professor für
ostafrikanische Sprachen, schrieb das erste Wörterbuch Deutsch-Swahili und
sammelte afrikanische Märchen.
Graf
ging also nicht ganz so weit, sondern bis nach Rumänien, was aber für die
damaligen Zeiten auch schon eine erstaunliche Entfernung war, immerhin noch
Teil von Österreich-Ungarn, der großen K.u.K.-Monarchie.
1906 kehrte er heim und war drei Jahre Pfarrer in Dößel.
1909 bis 1925 ist er auf eigenen Wunsch aus dem Dienst ausgeschieden. Man kann
vermuten, dass er diese Zeit für wissenschaftliche Studien genutzt hat, aber er
war auch 1915 Militärpfarrer in Frankfurt/Oder und 1917 und 1918
Feldgeistlicher auf der Krim sowie in Rumänien und Bulgarien. Das „Eiserne
Kreuz“ II. Klasse wurde ihm verliehen.
1925
bis 1926 war er Pfarrer in Parey.
Am
1. September 1926 kam er nach Seyda. In der Gemeinde ist überliefert, dass er
auch hier oft krank gewesen sein soll. Am 1. Juli 1931 wurde er emeritiert.
Man
soll nicht vergessen, welche Transformationsprozesse den Menschen damals, auch
Pfarrer Dr. Graf, aufgelegt waren. Nicht nur die rasante technische
Entwicklung, auch die komplette Umgestaltung der Gesellschaft, der
Paradigmenwechsel von der Monarchie zur Demokratie, die ständige Unruhe mit
Aufständen und Gewalt, wie auch traumatische Erlebnisse im Krieg waren nicht
leicht zu verkraften, auch für einen Pfarrer nicht.
An
seiner Seite stand Martha Auguste Maria Harms, die Tochter eines Restaurators,
in Köln haben sie am 16. Mai 1899 geheiratet, so dass sie auch mit in Rumänien
war. 2 Kinder hatten sie miteinander.
In
Klöden war von 1900 bis 1936 ein Pfarrer Schöne
tätig, der vorher, 1893 bis 1900, Pfarrer und Lehrer der Deutschen Evangelischen
Gemeinde Rimnic Calcea in
Rumänien war, ganz sicher haben sie sich gekannt.
Nun
beginnt die Reihe der Pfarrer, an die sich viele noch erinnern können. Auch
Pfarrer Wittkopp, bis 1952 in Elster, gehört dazu.
Pfarrer
haben nicht nur gute Dinge getan, sondern auch enttäuscht. Insbesondere im
Kampf der Kirche gegen die Machthaber und gegen den schwindenen
Einfluß wurde manche „Kirchenzuchtmaßnahme“
gebraucht, die nicht dazu eingeladen hat, weiter dazu zu gehören. Es liegt
ferne, darüber zu urteilen. Sie haben mit ihren Möglichkeiten festgehalten an
dem Evangelium und es weitergetragen, und ohne ihren
Einsatz würde die Pfarrstelle in Seyda heute wohl nicht bestehen. „In, mit und
unter“ den menschlichen Worten und Taten ist auch immer das Licht der freimachenden
Botschaft Gottes zu hören gewesen.
Edmund
Walther Mücksch kam 1932 nach Seyda als
Hilfsprediger. Als Kaufmannssohn war er in Magdeburg am 13. August 1806 geboren
worden, hatte dort das Gymnasium in Magdeburg, die Universitäten in Halle und
in Königsberg besucht und das 1. Examen 1928 in Halle abgelegt. In Bethel war er 1931 Studieninspektor, also schon selbst
zuständig für die Theologenausbildung, Vikar in Gommern und nach dem 2. Examen
1931 und der Ordination am 29. März 1931 in Magdeburg Hilfsprediger in Wolfen.
Am 16. August 1932 heiratete er in Nordhausen Elisabeth von Bülow, ihr Vater
war Kapitän zur See. So kam er nach Seyda und war hier von 1932 bis 1934
Pfarrer. Schon am 7. Januar 1934 war er Pfarrer in Mückenberg, bis 1946.
Hitler
war an die Macht gekommen und versuchte, nicht nur die ganze Gesellschaft (16
Gegenstimmen gab es im ganzen Kreis Schweinitz bei
der letzten freien Wahl), sondern auch die Kirche zu vereinnahmen. Dies gelang
ihm auch in weiten Teilen. Die Kirchenbewegung „Deutsche Christen“, die sich
ganz klar zu Hitler und seinem Weg bekannte und zum Beispiel das Jüdische aus
dem christlichen Glauben entfernen wollte (was nicht geht, das ganze Alte
Testament ist die Geschichte des Jüdischen Volkes, und Jesus, Petrus und Paulus
waren Juden).
Das
Mitreißende war, das nun das ganze Volk geeint sein sollte – und eben auch
wieder geschlossen in die Kirche einzieht. Dass wieder Ordnung ist, wie es der Gadegaster Pastor schon 1922 wie viele erhofft hatten, und
der nun Pfarrhaus und Kirche mit Hakenkreuzfahnen beflaggen ließ.
Mücksch jedenfalls stand auf der anderen Seite, er war Mitglied der
Bekennenden Kirche, der Gegenpartei, die sich gegen die Deutschen Christen
stellte. Er war Mitglied des „Pfarrernotbundes“, den Pfarrer Niemöller gegründet hatte, und des erweiterten Bruderrates
der Bekennenden Kirche. Da die Kirchenleitung deutschchristlich durchsetzt war,
mußten sich die BK-Pfarrer und Gemeinden selbst
organisieren und zum Teil auch selbst versorgen. Die staatliche Gewalt griff
gegen sie ein, mehrfach wurde auch Mücksch verhaftet.
BK-Pfarrer wurden auch schneller als andere eingezogen, von 1940 bis 1945 war
er Soldat.
Nach
dem Krieg machte er als Widerständler eine steile Karriere in der Kirche. 1946
bis 1960 war er Pfarrer und Superintendent am Dom in Stendal, 1960 bis 1966
Provinzialpfarrer und Rektor des Pastoralkollegs Gnadau
(für die Aus- und Weiterbildung der Pfarrer), 1966 bis 1971 Oberkonsistorialrat
beim Konsistorium in Magdeburg. Am 1. September 1971 wurde er emeritiert und
starb in Euskirchen am 17. Juni 1993.
Ich
kann mir vorstellen, dass den Seydaern in diesen Zeiten der Nachfolger, Pastor
Heinrich Ostermann, lieber war, der weniger polarisierte und sich mitfreuen
konnte, wenn die Hitlerjugend etwa bei der Kirchenrenovierung half, die
Kirchenbänke nach außen zu schaffen, um das Erntedankfest im Freien feiern zu
können. Er war deshalb kein Nazi; auch ahnte man ja noch nicht, was kommen
sollte.
Die
Kirche wurde 1935 renoviert, und vermutlich hat Pastor Ostermann die Sprüche
ausgesucht, die auch heute noch an der Empore zu lesen sind und Auskunft geben,
was dem Pfarrer und der Gemeinde besonders wichtig war: Das 1. Gebot, das Mahl
des Herrn, das „Wartet und betet!“ aus dem Garten Gethsemane
wie das „Singet dem Herrn ein neues Lied, denn er tut Wunder!“, die
Vergewisserung „Ein feste Burg ist unser Gott“ und schließlich: „Ich schäme
mich des Evangeliums von Christus nicht, denn es ist eine Kraft Gottes, die
selig macht alle, die daran glauben.“ An die westlichen Wände wurden zwei
Sprüche geschrieben, die heute nicht mehr zu lesen sind: „Einen andern Grund
kann niemand legen als den, der gelegt ist, welcher heißt: Jesus Christus.“ Und
„Herr, ich habe lieb die Stätte deines Hauses und den Ort, da Deine Ehre
wohnt.“
Dem
Gefühl der Zeit entsprach am meisten vielleicht der Spruch im Vorraum: „O Land,
Land, Land: Höre des Herrn Wort!“
Ostermann
war also zunächst Hilfsprediger, noch bei Pfarrer Mücksch,
1933 bis 1934, und dann 1934 bis 1936 „1. Pfarrer“. Geboren wurde er am 12.
Juni 1904 in Elberfeld. Sein Vater war Missionar der
Rheinischen Mission und starb 1904 in Ragetá in
Neu-Guinea, was damals auch deutsche Kolonie war. Die Mutter war die Tochter
eines Schreinermeisters aus Barmen. Er
besuchte die Schulen in Bad Kreuznach, Stargard, Johanngeorgenstadt,
Freiberg, Naumburg, Erfurt, schließlich die Universitäten in Halle und in
Münster. Bevor er sich der Theologie zuwandte, hatte er Landwirtschaft
studiert, vielleicht einfach mit dem Gedanken, den Menschen und ihrer
Lebenswelt nahe zu sein, die auf dem Lande leben. Sein Stiefvater Zippel war Pfarrer und wechselte oft seine Stelle. 1927 und
1928 war er 2. Pfarrer in Zahna, 1928 bis 1940 1.
Pfarrer dort. (Am 15. August 1940 bekam er einen Nervenzusammenbruch. Sein Sohn
fiel 1941 in der Sowjetunion.)
1936
bis 1945 war Heinrich Ostermann offiziell Pfarrer in Belgern,
aber schon seit 1939 Sanitätssoldat. Er fiel am 24. Februar 1945 in Sülm bei Bitburg. In einem katholischen Pfarrhaus hatte er
Zuflucht für die Nacht gefunden, aber ein Treffer ging ins Haus in das Zimmer,
wo er schlief.
Viele
große und kleine Anekdoten werden noch heute von Pfarrer Willi Hagendorf
erzählt, der als Vikar (also etwa „Pfarrstellvertreter“, ein Pfarrer in der
Ausbildung) 1936 nach Seyda kam.
In
Aschersleben wurde er am 22. Juli 1911 als Sohn eines Bergarbeiters geboren,
besuchte das Reformgymnasium in Aschersleben und die Universität in Halle, wo
er mit dem 1. Examen 1935 abschloß und dann – 1936 –
nach Seyda kam. Seine Familie erzählt, dass er an der Olympiade in Berlin
Anfang August 1936 als Schwimmer teilgenommen hat und auch eine Silbermedaillie nach Hause brachte. Seine Sportlichkeit
sollte ihm noch manches Mal eine Hilfe sein. Das 2. Examen legte er 1938 in
Magdeburg ab, ordiniert wurde er am 22. Januar 1939 und war dann
„Hilfsprediger“, ab 1940 Pfarrer. Kirchenpolitisch war er zu Beginn wohl auch
von Hitler begeistert gewesen, dann eher in der „Mitte“, die es ja auch gab:
Von den etwa 14.000 Pfarrern im Deutschen Reich gehörten etwa 2.000 der
Bekennenden Kirche, 5.000 den Deutschen Christen an – alle anderen verhielten
sich mehr oder weniger „neutral“.
Bei
Pastor Hagendorf änderte sich das. Die Hitlerjugend kam – seine Konfirmanden! –
und wollten den Davidsstern über der Kirchtür herausschlagen. Da stellte er sich
davor und schickte sie weg: „Der ist älter als ihr!“ Seine erste Frau starb vor
dem Krieg, er heiratete eine junge Frau, die in den Baracken des „Reichsarbeitsdienstes“ in Seyda tätig war,
Ruth Jahas, 1940. Da wurde er auch Soldat, 1940 bis
1941, und es heißt, er habe den Eisenbahnwagen in Compiègne
bei Paris bewacht, in dem schon der Versailler Vertrag unterzeichnet worden
war, und den Hitler nun extra aus dem Museum holen ließ, um den
Waffenstillstand mit Frankreich am 21. Juni 1940 zu unterzeichnen. Der
Höhepunkt von Hitlers Macht! Doch Pfarrer Hagendorf ließ sich nicht mehr
blenden. Er machte kritische Äußerungen. Die „Ahnenanfragen“ von Menschen, die
nachweisen mußten, dass sie keine jüdischen Vorfahren
hatten, beantwortete er – in allen 44.000 Einträgen aber ist heute kein
einziger Hinweis auf jüdische Wurzeln zu finden, es ist unklar, ob dies ein
Werk des Pfarrers ist. Er steckte aber in die Antwortbriefe eine Spendenbitte
für Judenchristen bei, was ihn in das Visier der GeStaPo
brachte. Schließlich wurde er wegen Hören vom „Feindsender“ denunziert und kam
von 1944 bis zum Ende des Krieges in Haft. In Halle, im Roten Ochsen, saß er
ein. Zunächst zögerte sich das Verfahren heraus, wohl wegen Krankheit. Dann
wurde er zum Tode verurteilt, aber eine Bombe fiel auf das Gericht und die
Gerichtsakten mußten erst wieder gesammelt werden.
Kurz
bevor die Amerikaner kamen, früh um 5 Uhr, ging die SS von Zelle zu Zelle und
erschoss die Insassen. Nur die Zellentür von Pfarrer Hagendorf und zwei
weiteren Gefangenen öffnete sich nicht. Hinterher vermuteten sie, es hätte
daran gelegen, weil sie die Verdunklung in dieser Nacht „vergessen“ hatten, so
dass es so aussah, als sei die SS schon in dieser Zelle gewesen.
Jedenfalls
kamen gegen 8 Uhr die amerikanischen Soldaten und fanden sie – lebend.
Er
blieb dann noch eine Weile in Halle, denn Seyda lag im russisch besetzten
Gebiet. Erst im Juli – inzwischen war Halle auch „russisch“ geworden, schwamm
er durch die Elbe und kam wieder nach Hause.
Er
war nicht der einzige, der in Seyda unter den Nazis gelitten hat. Darüber ist
ausführlich in dem Heft „Zu richten die Lebenden und die Toten. Über Menschen
aus Seyda, die unter den Nazis gelitten haben.“ zu lesen. Erwähnt werden soll
aber eine besondere Frucht des Katechismusunterrichtes, den alle Pfarrer zu halten
hatten. Als Max Hecking, wohl der einzige Kommunist
im Städtchen, aus dem Lager wiederkam, wo er schwer mißhandelt
worden ist, kam der, der ihn einmal angezeigt hatte, zu ihm, und bat ihn auf
Knien, ihn jetzt nicht an die Russen auszuliefern. Hecking,
der „Rote“, antwortete: „Er wird richten die Lebenden und die Toten. Ich richte
Dich nicht. Geh nach Hause.“ Er zitierte also aus dem Glaubensbekenntnis!
In
den letzten Kriegstagen kam Pastor Lent als
Flüchtling nach Seyda mit seiner schwangeren Frau, die ihre Tochter in Seyda
zur Welt brachte. Pastor Lent wohnte zunächst im
Pfarrhaus mit Familie Hagendorf, er versah den kirchlichen Dienst: Viele
Beerdigungen, von Wehrmachtssoldaten, abgestürzten Fliegern, Selbstmorden. Als
er eines Morgens um 6 Uhr vom Milchholen kam, sagte er zu seiner Frau „Die
Russen sind da.“ und versteckte sie in der Pfarrscheune.
Die
Not war groß, und er hatte einen großen Mut in diesen Tagen. Er ging zu den
„Gelagen“ der russischen Soldaten und sammelte die Reste ein, um sie den
Familien mit vielen Kindern in ihren Verstecken zu bringen.
Als
er nach Zemnick zum Gottesdienst fuhr, waren die
Bauern entmutigt, denn die Russen hatten gerade die wertvolle Herdbucht-Zucht,
die Rinder, aus dem Dorf getrieben. Pastor Lent
schloss die Kirche wieder zu und machte sich auf den Weg zum Kommandanten, um
ihm deutlich zu sagen, dass er die Existenzgrundlage der Familien in Zemnick zerstörte. Und: Der ließ mit sich reden! Zwar bot
er ihm zunächst nur ein paar alte, klapprige Kühe an – aber später wurden dann
die richtigen Tiere wieder nach Zemnick überführt.
Das haben die Zemnicker bis heute nicht vergessen.
Frau
Hagendorf wartete wie viele andere auf ihren Mann. Die Rückkehr war ungewiss.
Hier ein Brief einer Superintendentenfrau aus Sachsen, die auch lange auf ihren
Mann warten mußte: „Die Kunst des Wartens, die jeder
von uns in den letzten 6 Jahren an irgend einer Stelle hat lernen müssen, ist
für viele in den letzten Monaten besonders schwer geworden. Um das Pfarrhaus
herum kehren die Männer zurück, und, wenn es ein rechtes Pfarrhaus ist, erfährt
es von allen - auch wenn der eigene Mann
noch nicht mit dabei ist. Die, mit denen man zusammen wartete, sind am Ziel:
„Denken Sie, Frau Pfarrer, gestern früh stand er vor der Tür!“ Und man freut
sich mit ihnen, sehr freut man sich und will alles hören, erst von der Frau und
dann vom Heimkehrer selbst. Aber am Abend, ehe man schlafen geht, am Morgen,
ehe die Arbeit anfängt, malt man es aus – „Auf einmal steht er vor der Tür!“
wäre ja auch so nötig. Niemand sieht die Arbeit, die auf den Pfarrer wartet, so
deutlich wie die Pfarrfrau. Niemand weiß es so gut, wie nötig es wäre, doch
nötig für Gottes Erntearbeit, für Gottes Reich. Und darum meint man, Gott müsse
die Landstraßen für ihn bereit machen, die Gitter öffnen, die Schlagbäume
auftun. Und manchmal ist es, als warte man auf Gott selbst, „von einer
Morgenwache bis zur anderen“, wenn man auf den wartet, der heimkehren soll zu
seinem Haus und zu seiner Gemeinde.
Nicht
wahr, Sie spüren, dass Sie nicht allein warten? Damit meinen wir nicht nur die
Verwandten und Freunde, die mit Ihnen warten, auch nicht nur die treuen
Gemeindeglieder, die nach ihrem Seelsorger ausschauen, oder die Frauen im Dorf,
mit deren Männern er in den Krieg zog. Auch wenn in der Gemeinde schon viele
aus den Wartenden ausschieden, die Kirche wartet mit Ihnen, unsere Sächsische
Landeskirche im besonderen. Sie wartet auf ihre
Diener, um der alten und neuen Aufgaben willen, die getan werden müssen. Sie
wartet, um die Gemeinschaft der Betenden und Opfernden sichtbar zu verstärken,
sie wartet um die „Bruderschaft der Not“ neu mit Ihnen aufzubauen. Und manchmal
ist es für die Kirche selbst dabei so, als warte auch sie gleichzeitig „von
einer Morgenwache bis zur anderen“ auf die Barmherzigkeit Gottes.
Darum
ist es unser gemeinsamer Wunsch, dass wir recht warten möchten! Warten im
Wissen darum, dass Gott seine Stunde kennt, im Vertrauen darauf, dass auch die
Fernen in seiner Nähe geborgen sein können. Denn wenn recht gewartet wird,
hilft einer dem andern, und wir werden es miteinander spüren dürfen, dass ja
Gottes Führung im Leben der einzelnen Christen wie in der Geschichte der
Christenheit immer die Wartezeiten vor die schönsten Erfahrungen setzt.
Zum
Warten gehört die Geduld! Geduld, auch mit dem Wesen der anderen, mit denen,
die die Lücke auszufüllen suchen im Pfarramt und in der Gemeinde, die sich doch
nicht schließt, Geduld schließlich auch mit unserem eigenen Herzen.
Wenn
Paulus sagt, dass die Geduld Hoffnung bringt, so schließt das gewiß die Hoffnung für die Erde, die Hoffnung auf das
gemeinsame Leben und Arbeiten hier in unserem Dasein nicht aus. Aber sie
beschränkt sich nicht auf die Erde. – Einmal werden wir nicht mehr warten,
niemals mehr, denn wir werden am Ziel sein. Gott helfe uns, dass wir dann
beieinander sind. Mann und Frau, Pfarrer und Gemeinde, die Kirche und ihre
Diener!“
(Esther
von Kirchbach, in: Achter Brief an alle sächsischen ev.-luth. Pfarrer von Lic. Lau, 8.12.1945, aus: Seidel: Aus den Trümmern 1945,
541f)
Als
Pfarrer Hagendorf nach Hause kam, zog die Pfarrersfamilie Lent
in die Neue Straße, zum Kirchenältesten Deutsch – wo
die Frau ihr Kind zur Welt brachte. Vermutlich sind sie dann weiter gezogen,
vielleicht nach Leetza. Es war jedoch nicht so
einfach, als „Flüchtlingspfarrer“ eine Stelle zu finden, denn die Stammkirchen
im Osten riefen dazu auf, zurückzukommen. Es war noch nicht allen klar, dass
die Gebiete östlich von Oder und Neiße von nun ab nicht mehr deutsch sein
würden.
Pfarrer
Hagendorf ist den Seydaern in besonderer Weise auch als Landwirt bekannt. Er
hatte den höchsten Mais und die beste Milchquote, wie mir ein Prüfer von damals
bestätigte. 1947 ließ er seinen Stall fließen, vor einigen Jahren wurden die
Fliesen im Boden gefunden: Man würde heute von Designerfliesen sprechen. Er
soll wohl auch einmal eine Hochzeit und eine Beerdigung fast verpasst haben,
also schnell den Talar über die Gummistiefel gestreift haben: Die Gemeinde
wartete schon. Es war die Not, die ihn dazu trieb, sich im Selbststudium das
Wissen zur Landwirtschaft anzueignen. Er hatte damit auch einen guten Draht mit
den Landwirten: Man hatte die gleichen Sorgen. Nicht allen gefiel es, 1951/52 gab
es ein Disziplinarverfahren zu „Differenzen wegen Beteiligung an Landwirtschaft
etc.“.
Das
war fast vergessen, als nach dem niedergeschlagenen Aufstand vom 17. Juni 1953
zwei Streikleiter aus Wolfen und Bitterfeld an seine Tür klopften und um Hilfe
baten. Es herrschte Ausnahmezustand, und nach 8 Uhr durfte sich keiner mehr auf
der Straße blicken lassen. Sie wurden gesucht, und ihnen drohte die
Todesstrafe. Ein Bauer hatte sie zwischen toten Schweinen mit zum Pfarrhof nach
Seyda genommen, wo sie hinten an die Pfarrhaustür klopften. Pfarrer Hagendorf
hielt sie zunächst für Spione. Immerhin hatte er sechs Kinder im Alter von zwei
bis 14 Jahren. Sie mußten auf der Bibel schwören –
und er versteckte sie. Diese spannende Geschichte kann man in dem Heft „Einer
muss uns aufnehmen: Das hat Jesus gesagt! Die Ereignisse des 17. Juni 1953 im Seydaer
Pfarrhaus.“ nachlesen, einer der Versteckten hat sie 50 Jahre später erzählt.
Jedenfalls
schafft es Hagendorf mit Hilfe seines Amtsbruders Köhler aus Klöden und einer „Kampfgruppe Marlies“, die beiden mit
falschen Pässen aus der DDR nach Westberlin auszuschleusen.
Irgendwie
kam es heraus. Am 15. September 1953 wurde er verhaftet. Die Haft zu
überstehen, half ihm wieder seine Sportlichkeit. 1954, bei einer Amnestie zum
5. Republikgeburtstag, wurde er entlassen, erhielt aber Redeverbot, und sein
Pass sollte eingezogen werden. Er war aber wohl schneller zu Hause als die
polizeiliche Post in Jessen, jedenfalls nutzte er das Telegramm aus dem Westen
zu einer Beerdigung im Familienkreis sofort, um sich die notwendigen Papiere zu
besorgen und nach dem Westen zu gehen. Seine Frau folgte ihm mit den Kindern
später nach, viele Seydaer halfen bei der Flucht, indem sie Sachen nach
Westberlin brachten.
Er
wurde 1955 Pfarrer in Lünen in Westdeutschland. 1993
schrieb er an seine ehemaligen Konfirmanden: „Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung
und Liebe. Ich habe dies versucht, mit Bibel und Katechismus meinen
Konfirmanden immer nahezubringen.“
„Seid fröhlich in Hoffnung“ – so hieß ein
großer Kirchentag 1954 in Leipzig. „Frau Pastor Hagendorf“ hatte einen großen
LKW organisiert, mit dem Gemeindeglieder aus Seyda daran teilnahmen. Auch
Sammlungen für Bedürftige – und davon gab es in diesen Jahren viele in Seyda,
besonders die Flüchtlinge – organisierte sie mit der Stadt zusammen. Nun war
sie selbst zum „Flüchtling“ geworden.
Neben
Pastor Lent war auch Pastor Kurt Fetzer durch die
vorrückende Front im Krieg in den Flüchtlingstrecks nach Seyda gekommen. Er kam
zum Kriegsende auf dem Diest-Hof unter, der alten
Arbeiterkolonie, und versuchte, die große Not zu lindern. Täglich strömten
Hunderte von Flüchtlingen durch Seyda, sie wurden in die Baracken hinter dem
Schützenhaus und später in Familien verteilt, aber die Schwachen, ohne
Familienanschluss, die vom Bombenterror und anderen Schrecklichkeiten
Verwirrten, die wurden „in die Kolonie“ geschickt, was so zum „Alters- und
Pflegeheim“ wurde.
Vorn
im „Roten Haus“ war der Sitz des sowjetischen Kommandanten, ganz nah. Ein
russischer Offizier drückte Pastor Fetzer ein Bündel Tabakpflanzen in die Hand
mit dem Hinweis, sie anzubauen. Tatsächlich konnte durch den Anbau dann viel
Geld eingenommen und manche Not gelindert werden.
Fetzer
wurde am 21. Dezember 1911 in Hermannsdorf im Kreis
Thorn geboren. Neben der Arbeit im „Pflegeheim“ tat er viele
Vertretungsdienste, bis er nach Oehna in die dort
freie Pfarrstelle wechselte, die in dieser Zeit noch zur „Kirchenprovinz
Sachsen“ und erst kurze Zeit später zu „Brandenburg“ gehörte. Sie war 1950
vakant geworden. Die provinzsächsische Kirche versuchte nun, nachdem die
Rückkehr in die alte Heimat diesen Pfarrern nicht mehr möglich war, sie
einzugliedern. Schon 1946 schreibt der
Landesbischof Müller in seinem Rechenschaftsbericht vor der
Provinzialsynode, es seien 250 Flüchtlingspfarrer untergebracht worden. „Wir
konnten es freilich nur so, dass wir auch solche Pfarrstellen wieder besetzten,
die aus finanziellen Gründen unbesetzt bleiben sollten. Dadurch ergab sich dann
die zwingende Notwendigkeit zu einer empfindlichen Herabsetzung der
Pfarrgehälter.“ (Aus den Trümmern 1945, 223)
Der
jüdische Arzt Dr. Weidauer, der auf einem Todesmarsch
entkam und nach 1945 in Seyda praktizierte, verkaufte Pfarrer Kurt Fetzer 1960
zu billigem Preis sein Zweitauto. Das wurde dem Pfarrer zum Verhängnis, denn
kurz darauf wurde der Doktor bei einem Fluchtversuch gen Westen (schon in Mellnitz) erwischt – und Fetzer als Fluchthelfer gesucht.
So floh er auch und war fortan im Westen, bei Göttingen, im Dienst, wo er bei
einer Beerdigung tot umgefallen sein soll.
Nach
dem ebenfalls unfreiwilligen Weggang von Pfarrer Hagendorf stand die Besetzung
der Pfarrstelle Seyda erstmals ernsthaft in Frage. Für die Gemeindekirchenräte
war es kaum zu fassen: Hatten doch die Väter vor 50 Jahren noch unter so vielen
Kandidaten auswählen können, weil Seyda so gut dotiert war! War es doch einmal
eine Superintendentur gewesen!
Zwei
Kirchenälteste, Tischlermeister Hirsch und
Müllermeister Huth, machten sich auf den Weg nach Magdeburg zum Bischof, um
dort vorzusprechen. Wir wissen davon heute, weil sie sich laut
Gemeindekirchenratsprotokoll „einen Tag Arbeitsausfall“ von der Gemeinde
bezahlen ließen. Gelohnt hat es sich jedenfalls! Seyda wurde wieder besetzt.
Pfarrer
Rufried Mauer (nicht: Maurer, sondern zu gleicher Zeit war in Diakon im
Pflegeheim, dem heutigen Diest-Hof tätig, der hieß Meurer), Pfarrer Rufried Mauer kam zu Weihnachten 1954 als
junger Pfarrer nach Seyda und blieb bis 1963. In Spandau
wurde er am 31. Januar 1928 geboren und am 13. November 1955 ordiniert. In
Seyda war er zunächst Hilfsprediger und ab 29. September 1956 „1. Pfarrer“. Ob
er der Pfarrer war, der seine Predigt in Mellnitz mit
den folgenden Worten begann, ist nicht sicher: „Ich bin nicht gekommen, Eure
Scheunen anzuzünden! Ich bin gekommen, ein Feuer in Euren Herzen zu entfachen!“
In
Mauers Zeit gab es viele tiefgreifende Veränderungen
im kirchlichen Leben. Der Kampf um Jugendweihe und Konfirmation begann mit
großer Schärfe 1954. Propst Staemmler aus Wittenberg
hielt Vorträge über das Thema „Der Terror der Jugendweihe“. Sie wurden für den
Kreis Jessen verboten, daraufhin hielt er sie nur noch dort. Waren es in Seyda 1955
noch über 50 Konfirmanden, so sind es 1961 nur noch drei gewesen. Ja, Pfarrer Mauer schrieb für die Turmkugel
in Gadegast 1960, dass es den Jugendlichen durch den
äußeren Druck gar nicht mehr zuzumuten sei, sich konfirmieren zu lassen. Es
fanden nun zu verschiedenen Zeiten auf den Orten kleine Feiern statt,
„Erstzulassung zum Abendmahl“. Der kirchliche Unterricht wurde aus der Schule
verbannt, das Pfarrhaus entsprechend umgebaut: In das Untergeschoss kamen die
Gemeinderäume. Schon in Kriegszeiten und danach waren Flüchtlinge untergebracht
worden, so dass es zunächst keine Verkleinerung der Pfarrwohnung bedeutete,
aber sich in den nächsten Jahren auswirkte: Es kamen nur jüngere Pfarrer, die
erst eine Familie gründeten und dann bei entsprechender Kinderzahl Seyda wieder
verließen; oder einer, der das „Kinderprogramm“ schon hinter sich hatte.
Drei
Dinge im Gemeindeleben, die uns heute selbstverständlich erscheinen, sind im
Kirchenkampf gegen den Nationalsozialismus entstanden. Gemeindekirchenräte
erkannten die Gefahr einer anderen „Weltanschauung“ und suchten nach Wegen der
Vergewisserung für sich und ihre Gemeinden. Das eine ist die Bibelwoche, die
jedes Jahr ein bestimmtes Buch, einmal aus dem Alten, einmal aus dem Neuen
Testament, intensiv behandelt. Das zweite ist das Glaubensbekenntnis im
Gottesdienst, was bis in die Nazizeit hinein über Jahrhunderte immer nur vom
Pfarrer gesagt worden ist. In Berlin-Dahlem, bei Pastor Niemöller,
fing die Gemeinde nun spontan an, es mitzusprechen als Bekenntnis gegen anderslautende Bekenntnisse in ihrer Umgebung. Und das
dritte war die „Christenlehre“, die in Hessen „erfunden“ wurde, aber nun bei
uns in Mitteldeutschland durch die schulpolitische Situation überall eingeführt
wurde.
Bis
1918 hatten die Superintendenten die Aufsicht über die Schulen, auch die
Weimarer Reichsverfassung sicherte den Religionsunterricht in den Grundrechten
als ordentliches Lehrfach. In der Nazizeit aber wurde er unterwandert und
zunehmend dazu genutzt, die Ideologie und Rassenlehre des Nationalsozialismus
zu verbreiten. Deshalb wurde die biblisch-kirchliche Unterweisung innerhalb der
Gemeinde als Notwendigkeit empfunden. In Seyda fand 1933 das letzte
„Krippenspiel“ der Schule statt, (Martha Hähner war
die Maria), danach ging das nicht mehr. Lehrer Brantin
schickte schon zu Beginn der zwanziger Jahre seinen Sohn nicht mehr in den
Religionsunterricht, hielt aber – als Lehrer – Lesepredigten in der Kirche bis
zum Kriegsende ab – gegen Bezahlung. Überhaupt war die Lehrerschaft
traditionell in das kirchliche Leben eingebunden. Auf den Dörfern war es
Normalität, dass an dem einen Sonntag der Pastor eine Predigt hielt, an dem
anderen Sonntag der Lehrer eine „Lesepredigt“ vorlas. Mit dem Nationalsozialismus
zogen sich die Lehrer, zum Teil durch äußeren Druck, von diesen Aufgaben
zurück. Einer, der die Verbindung bis zum Schluss durchgehalten hat, war Kantor
Schmalz, der seit 1919 bis 1963 im alten „Diakonat“ am Kirchplatz lebte und
neben dem Schulunterricht die Orgel spielte und den Chor anleitete. Er kam auch
mit „über die Dörfer“. Bei einer Volkszählung in der DDR 1964 aber waren nur
noch 6% der Lehrer Mitglied der evangelischen oder der katholischen Kirche.
Eine große Kluft entstand zwischen dem, was so lange strukturell und auch
inhaltlich zusammengehörte.
Die
Kirchengemeinde Seyda bemühte sich also um Räumlichkeiten im Pfarrhaus – obwohl
in der Verfassung der DDR bis 1967 noch der Religionsunterricht als
ordentliches Lehrfach in der Schule festgeschrieben war, fand er doch nicht
mehr dort statt. Lehrkräfte wurden ausgebildet, in Seyda Frau Ostara Richter
von „gegenüber“ aus der Bergstraße (das Haus links neben dem Amtshaus war ihr
Elternhaus), im gleichen Alter wie Pfarrer Mauer. Mit viel Engagement gab sie
„Christenlehre“ in Seyda und den umliegenden Orten. Auch der Kindergottesdienst
wurde in dieser Zeit sehr gepflegt, im Anschluss an die „Hauptgottesdienste“ in
Seyda und auch in den Dörfern. Ein Jugenddiakon in der Ausbildung war Ende der
50iger Jahre in Seyda tätig, Rainer Sauerbier, der später segensreich in der
ganzen Kirchenprovinz tätig war und mit Freude die Gründung eines CVJM in Seyda
1997 erlebte.
Und
schließlich zog auch wieder ein „richtiger“ Diakon in das Diakonat in Seyda
ein, nachdem Kantor Schmalz gestorben war: Hans-Georg Solbrig.
Sein großes Grabkreuz ist auf dem Friedhof zu sehen, 1990 ist er gestorben. Er
gehörte einer Diakonenbruderschaft an und hat sich mit großem Einsatz in
schweren Zeiten um die Christenlehre und die ganze kirchliche Arbeit in Seyda
gemüht.
Pfarrer
Rufried Mauer konnte seit 2005 mehrere Jahre lang zur „Jubelkonfirmation“
seinen Konfirmanden von damals zum 50. Jubiläum die Predigt halten, sehr
eindrücklich: Frei sprechend und mit der Bibel in der Hand. Er ging 1963 bis
1966 als 2. Pfarrer nach Bockwitz, 1966 bis 1974 war er an St. Nicolai in Zeitz
täitg, 1974 bis 1981 in Hohenmölsen und zuletzt von
1981 bis 1993 in Letzlingen. In seinem Ruhestand wohnt er in Magdeburg, hält
Domführungen und kümmert sich um chinesische Studentinnen und Studenten. Sein
in Seyda geborener behinderter Sohn ist kürzlich verstorben.
Pfarrer
Günther Schlauraff, geboren am 1. April 1938 in
Allstedt, kam 1963 nach Seyda. Er war der Sohn eines Lokführers, sein Vater
starb 1951. In Allstedt besuchte er die Grundschule 1944 bis 1952, dann war er
in der uns schon bekannten und berühmten Landesschule Pforta 1952 bis 1956, später an der Universität in Leipzig
1956 bis 1958. Auch in der DDR gab es an den staatlichen Universitäten
theologische Fakultäten, in Greifswald, Berlin, Halle, Leipzig und Jena. Zu
einer geisteswissenschaftlichen Universität in Europa gehört einfach die
Theologie (neben Medizin und Jura) als Kerndisziplin dazu. So wurde sie in
kleinem Rahmen geduldet. Bisweilen hatten diese Ausbildungsstätten auch eine
gewisse Staatsnähe, so dass die Kirchen ihrerseits Möglichkeiten schufen,
Theologie zu studieren: Auch für Studierende, denen der Staat den Erwerb der
Hochschulreife durch den Besuch der Oberschule verweigerte oder die aus anderen
Gründen nicht an einer staatlichen Ausbildungsstätte studieren wollten oder
konnten. Eine solche Möglichkeit waren das „Katechetische
Oberseminar Naumburg“, was Günther Schlauraff 1958/59
besuchte, andere die Predigerschule Wittenberg und Erfurt (dort war er 1959 bis
1963).
Nachdem
er am 1. November 1963 „Anwärter“ in Seyda geworden war, wurde er amtlich am 1.
Dezember 1965 zum Pfarrer hier eingesetzt, am 12. Dezember 1965 war die
Ordination im Magdeburger Dom.
Seine
Frau Waltraud – 1962 hatten sie geheiratet – kam aus Pleismar
und war von Beruf Krankengymnastin.
Pfarrer
Schlauraff hatte auch mit seiner Familie unter dem
wachsenden staatlichen Druck – die Grenzen waren 1961 geschlossen worden – zu
leiden. Seine Frau hatte „Berufsverbot“ und arbeitete dann als Katechetin. Die
Kinder hatten es später in der Schule oft nicht leicht.
In
dieser Zeit mußten Bibelstunden in Privaträumen
polizeilich angemeldet werden. Es gab dazu vorgedruckte
Formulare. Plötzlich, 1971, wurde dem Pfarrer erklärt, solche Bibelstunden
außerhalb kirchlicher Räume seien nun nicht mehr möglich. Pfarrer Schlauraff führte dies trotzdem fort, gab die Scheine wie
früher ab – und es geschah nichts. Es lag eben immer auch sehr an den Menschen
„auf der anderen Seite“, wie reagiert wurde.
Drei
Kinder sind in Seyda aufgewachsen: Die Tochter Beate wurde am 13. Januar 1964
in Wittenberg geboren und wurde später Elektromechanikerin und Altenpflegerin.
Der Sohn Michael, geboren in Jessen am 17. November 1969, wurde Pfarrer bei
Naumburg und ist auch mit einer Pfarrerin verheiratet. Oft kann man ihre Namen
in der mitteldeutschen Kirchenzeitung lesen. Der Sohn Thomas wurde am 29.
Dezember 1974 in Wittenberg geboren, lernte Sozialassistent und ist als
Kaufmann im Groß- und Außenhandel tätig.
Von
Pfarrer Schlauraff ist vor allem seine große
Jugendarbeit bekannt. Er schaffte es, wieder ganze Jahrgänge für die
Konfirmation zu begeistern: Nun ein Jahr später, in der 9. Klasse, nach 3
Jahren Konfirmandenunterricht (und der Jugendweihe im Jahr vorher, der letzte,
der „nur“ Jugendweihe hatte, wurde 1971 konfirmiert). Neben einer mitreißenden
Art waren es die Elternbesuche, die zu der großen Beteiligung führte. Mit den
jungen Amtsbrüdern aus Klöden und Elster pflegte er
ein intensives Verhältnis. „Rüstzeiten“ auf dem Gelände der „Arbeiterkolonie“
fanden statt, die sich größter Beliebtheit erfreuten und viele für Glauben und
Kirche begeisterten. Auch zum katholischen Pfarrer Neumann aus Elster gab es
gute Verbindung. Nach dem Krieg fanden in der Seydaer Kirche regelmäßig
katholische Gottesdienste statt. Die Sitze für die Messdiener sind uns bis
heute geblieben. Die Katholiken bekamen einen eigenen Kirchenschlüssel. 1994,
als es nur noch „Ersatzschlüssel“ für die Kirche gab, kam eine alte katholische
Frau und brachte ihn ins Pfarrhaus zurück: „Ihnen kann ich ihn geben.“ Es ist
der einzige Originalschlüssel, den wir heute haben. Der katholische Pfarrer
Neumann hat später geheiratet und bildete Anfang der 90iger Jahre evangelische
Pfarrer aus, darunter auch einen neuen für Seyda.
Schlauraffs gingen zum 1. Mai 1975 nach Thüringen, nach
Kühndorf, wo Pfarrer Schlauraff bis zu seiner
Emeritierung am 1. März 1997 tätig war, bevor er dann nach Naumburg in die Nähe
seines Sohnes Michael zog.
Nun
war zum zweiten Mal der Fall gegeben, dass die Wiederbesetzung der Pfarrstelle
Seyda ungewiss war. Die Situation der Kirchen in der DDR hatte sich sehr
verändert: Die Mitgliedszahlen waren – auch durch äußeren Druck – stark
gefallen, wer in Staat, Volksbildung oder Wirtschaft etwas werden sollte,
durfte sich nicht übermäßig kirchlich engagieren. Die Kirchen waren weithin dem
Verfall Preis gegeben, nur hier und da konnten kleinere Reparaturarbeiten, oft
in Eigenintiative oder mit Hilfe westlicher
Partnergemeinden, durchgeführt werden. Auch vom Kirchturm in Seyda und allen
Wänden blätterte der Putz großflächig ab, die Kirche in Mellnitz
wurde baupolizeilich gesperrt. Die bunten Fenster rechts und links vom Altar
wurden in den 70iger Jahren mutwillig eingeworfen. Erwachsene hatten Schüler
dazu motiviert: „Das Alte muss weg!“
Um
dennoch einen neuen Pfarrer zu bekommen, unternahm man jedoch in Seyda
vielfältige Anstrengungen. Ins Pfarrhaus bauten Kirchenälteste,
Herr Bäckermeister Otto Neumann und Herr Gerhard Omnitz,
eine neue Schwerkraftheizung ein. Der Drogist und Kirchenälteste
Hans-Georg Schulze machte sich, wie 20 Jahre zuvor, auf den Weg zur
Kirchenleitung (diesmal aber ging die Reise nur bis Wittenberg), um eine
Wiederbesetzung zu erwirken.
In
all dem war Gott, der Herr, am Werk, aber auch schon vorher: Bei einer seiner
letzten Amtshandlungen taufte Pfarrer Schlauraff in
Seyda ein kleines Mädchen, noch ein Baby, was später einmal über viele Jahre
und Jahrzehnte eine tüchtige Pfarrfrau in Seyda werden sollte. Doch dahin war
es noch ein weiter Weg.
Nach
langer Zeit – manche glaubten schon nicht mehr daran - hatten die Bemühungen
des Kirchenrates Erfolg. 1978 kam ein Vikar nach Seyda, also frisch vom Studium
nach dem 1. Examen: Roland Wolfram Schaeper, der die
meisten seiner Gemeindeglieder um Kopflängen überragte. Er wurde am 18. Mai
1952 in Magdeburg geboren und war der Sohn von Max Schaeper,
der Jurist war und als Oberkonsistorialrat im Konsistorium in Magdeburg
arbeitete (geb. 1902, gestorben am 10. Februar 1984). Er durfte die „EOS“, die
Erweiterte Oberschule „Geschwister Scholl“ in Magdeburg besuchen, also dort
sein Abitur ablegen, und begann zunächst ein Landwirtschaftsstudium an der
Universität in Leipzig. Später besuchte er dann das „Katechetische
Oberseminar Naumburg“ und legte dort am 11. Juli 1978 das 1. Theologische
Examen ab. In seiner Zeit in Seyda war er im Predigerseminar in Wittenberg zur
weiteren Ausbildung und wurde am 14. Dezember 1980 ordiniert. 1980 bis 1982
nannte sich die Dienstbezeichnung „Pfarrer a.(ußerhalb) des H.(ilfsdienstes)“,
also noch ohne das volle Pfarrergehalt. 1982 war er dann „richtig“ Pfarrer und
1986, als er nach Röbel in Mecklenburg wechseln wollte, eben noch nicht die
vorgeschriebenen fünf Jahre im Amt, wo es aber dann doch eine Erlaubnis zum
Weggehen gab.
Pfarrer
Roland Schaeper hatte 1972 Anka
Zschieschang geheiratet, ihre gemeinsamen Kinder sind
in Seyda aufgewachsen: Matthias, geboren am 8. Dezember 1974 in Naumburg,
Reinhard, geb. am 2. September 1977 in Naumburg, Stefan, geboren in Wittenberg
am 29. Januar 1980 (kürzlich einmal zu Besuch in Seyda mit seiner Frau), und
Martin, geb. am 23. November 1981.
In
Seyda gab es in dieser Zeit mehrere kirchliche Mitarbeiter: Diakon Solbrig war tätig, er spielte auch die Orgel; eine junge
Katechetin, Karin Mitowski, tat ihren Dienst. Pfarrer
Schaeper engagierte sich auf vielerlei Weise: Ganz
tatkräftig nahm er die Maurerkelle in die Hand, um notwendige Arbeiten am
Pfarrhaus zu tun. Zusammen mit Kirchenältesten (Max
Busse u.a.) verputzte er das Kirchenschiff von außen
und riss den Zugang für die Männer von der Südseite her ab. Bei der
Kirchensanierung in Mellnitz sieht man ihn ganz oben
auf dem Dachfirsten sitzen und arbeiten, die Kirche wurde mit Hilfe der LPG und
auch der Bürgermeisterin von Mellnitz wieder hergestellt
und 1985 wieder eingeweiht, ein bemerkenswertes Werk. Bei der Deckung der
Pfarrscheune mit Asbestplatten schnitt Pfarrer Schaeper
sich einen Finger ab, von der Versicherungssumme baute er einen großen Swimming-Pool im Pfarrgarten, extra tief wegen seiner
Körpergröße, aber auch erwärmt über eine selbstgebaute Schlauchleitung via
Asbest-Scheunendach. Dieser Swimming-Pool zog sowohl
viele Kinder an, als auch etwa junge Frauen zum Frauenkreis bei Frau Schaeper.
Der
„Martinstag“ wurde gefeiert, ein kleiner Lampionumzug zog durch den Torbogen:
Daraufhin kam eine Vorladung vor den „Rat des Kreises“ wegen „unerlaubter Zusammenrottung“,
also verbotener Menschenansammlung. Pfarrer Schaeper
schrieb auch einmal eine Eingabe gegen Fluglärm – in der Heide waren viele
sowjetische Soldaten stationiert. Er bekam auch eine Antwort: Er solle doch
bitte die Nummern der Flugzeuge aufschreiben, damit der Sache nachgegangen
werden könnte.
Pfarrer
Schaeper schrieb in seiner Ausbildung, die ja noch in
der Seydaer Zeit stattfand, eine Arbeit
„Den Gottesdienst als Feier zurückgewinnen“. Er schaffte es für sich ab, auf
die Kanzel zu steigen, um der Gemeinde näher zu sein.
Der
Wechsel zu einer anderen Landeskirche war zu Ende der DDR-Zeit leicht möglich,
schon wegen des allgemeinen Pfarrermangels. Nach Seyda kam 1988 Dieter Podstawa. Er hatte vor, in seinen letzten Dienstjahren hier
zu bleiben. Geboren war er am Silvestertag 1937 in Dessau als Sohn eines
Schlossers, der im Krieg umkam. In Dessau aufgewachsen wurde er 1960 in Bernburg
und in Weiden Predigerpraktikant, 1961 in Roßlau
Vikar. 1962 war er „Prediger im Hilfsdienst“ in Steutz, dann dort „Prediger“,
1965 Prediger in Horstdorf bei Wörlitz, 1980 in Bernburg an St. Ägidien (3. Pfarrstelle).
Nach
Seyda kam er 1988 mit einem markanten Auto, einem „Mazda“: Das fiel damals sehr
auf, wo man meistens „Trabant“ und manchmal „Wartburg“ oder „Skoda“ fuhr – eben
ein „Westwagen“. Eine seiner Töchter war nach Westdeutschland ausgereist, er
durfte sie auch – das war für die meisten DDR-Bürger nicht einfach möglich –
besuchen und knüpfte dabei die Kontakte zur alten Partnergemeinde Seydas in
Hessen, Oberseemen. Dort traf er auf Pfarrerin Doris
Kasten, die als 18jährige aus Meckenburg weggegangen
war und „ein Herz für den Osten“ hatte. Die Partnergemeinden – zuerst noch
„Patengemeinden“ waren in den 50iger Jahren einander zugewiesen worden, als die
dauerhafte Teilung Deutschlands immer deutlicher wurde. Nach Seyda sind wohl
auch Anfang der 60iger Jahre ein paar Päckchen gekommen, aber sonst war diese
Partnerschaft bis 1988 nicht aktiv. Nun aber organisierte das „Dekanat
Schotten“ für den Kirchenkreis Jessen eine Schnellbaurüstung, die Pfarrer Podstawa mit seinem Anhänger über die innerdeutsche Grenze
brachte, und die eine unschätzbare Hilfe bei der Sicherung und Erhaltung der
Kirchen wurde. Pfarrer Podstawa war ein regelrechter
Spezialist beim Gerüstbau, ganz allein hat er – 1992 – mit Frau Gertraude Lenz
aus Seyda und Otto Lehmann, der von unten zureichte, den ganzen Kirchturm in
Seyda eingerüstet.
In
Zemnick waren im Frühjahr 1989 mehr Männer beteiligt,
und als sie an der Turmspitze waren, sagte er die prophetischen Worte: „Im
Herbst sehen wir was anderes!“ – was die Zemnicker
behalten und überliefert haben. Das war nämlich damals kaum zu glauben, dass
sich etwas ändern könnte: Und doch, am 9. November 1989 fiel die Mauer, und ein
Jahr später war Deutschland wieder vereinigt.
Damit
änderte sich die kirchenpolitische Situation grundlegend.
Pfarrer
Podstawa konnte nun fast alle Kirchen und Kirchtürme
im alten Kirchenkreis Jessen einrüsten:
Damit wurde ein großer Teil der notwendigen „Eigenleistungen“ erbracht, die
staatliche Förderung betrug oft bis zu 80%. Er legte damit eine gute
„Grundlage“ (polnisch: „podstawa“) für eine
Weiterarbeit in den Kirchen und Kirchengemeinden.
Seine
Frau Christel Podstawa, Tochter eines
Geschäftsvertreters aus Wittenberg (1962 hatten sie geheiratet), wurde schwer
krank, so dass er zum 1. November 1992 in den „Wartestand“ versetzt wurde und
nach Wittenberg zog, um sich ganz um sie kümmern zu können. Einige Zeit war sie
auch als Katechetin in Seyda tätig gewesen.
Hier
endet diese kleine Darstellung der „Vorgänger“.
„Halleluja! Danket dem Herrn, denn er ist
freundlich, und seine Güte währet ewiglich. Wer kann die großen Taten des Herrn
ausreden, und alle seine löblichen Werke preisen! Wohl denen, die das Gebot
halten, und tun immerdar recht. Herr, gedenke meiner nach der Gnade, die du
deinem Volk verheißen hast; beweise uns deine Hilfe, dass wir sehen mögen die
Wohlfahrt deiner Auserwählten, und uns freuen, dass es deinem Volk wohl gehet,
und uns rühmen mit deinem Erbteil.
Wir haben gesündigt samt
unsern Vätern, wir haben mißgehandelt, und sind
gottlos gewesen. Unsere Väter in Ägypten wollten deine Wunder nicht verstehen;
sie gedachten nicht an deine große Güte, und waren ungehorsam am Meer, nämlich
am Schilfmeer… Er half ihnen aber um seines Namens willen, dass er seine Macht
bewiese… Da glaubten sie an seine Worte und sangen sein Lob. Aber sie vergaßen
bald seiner Werke, sie warteten nicht seines Rats… …
Da ergrimmte der Zorn des HErrn über sein Volk, und
gewann einen Gräuel an seinem Erbe, und gab sie in die Hand der Heiden, dass
über sie herrschten, die ihnen gram waren. Und ihre Feinde ängstigten sie, und
wurden gedemütigt unter ihre Hände. Er errettete sie oftmals, aber sie erzürneten ihn mit ihrem Vornehmen, und wurden wenig um
ihrer Missetat willen.
Und er sah ihre Not an, da er
ihre Klage hörte, und gedachte an seinen Bund, mit ihnen gemacht, und reute ihn
nach seiner großen Güte, und ließ sie zur Barmherzigkeit kommen, vor allen, die
sie gefangen hatten.
Hilf uns, Herr, unser Gott,
und bringe uns zusammen aus den Heiden, dass wir danken deinem heiligen Namen,
und rühmen dein Lob. Gelobt sei der Herr, der Gott Israels, von Ewigkeit zu
Ewigkeit, und alles Volk spreche: Amen, Halleluja!“
Psalm
106
Herzlichen
Dank meinem Vater für die geduldige Beratung und den Einblick in seine
Bibliothek.
Quellen-
und Literaturverzeichnis:
-
Geschichte der Kirche in Seyda, 7 Bände, Seyda 2000. Zu finden wie auch andere
Geschichtsheftchen aus Seyda unter www.seyda.de
(Geschichte)
- Geschichte des Hauses Kirchplatz 2, Seyda
2004.
-
Einer muss uns aufnehmen, das hat Jesus gesagt: Die Ereignisse des 17. Juni
1953 im Seydaer Pfarrhaus, Seyda 2003.
-
Er wird richten die Lebenden und die Toten. Menschen in und um Seyda, die unter
dem Nationalsozialismus gelitten haben, Seyda 2014.
-
Das evangelische Deutschland 1913. Jahr- und Adressbuch, Leipzig 1913, 568.
-
Geschichte der Neuen Straße. In: Festschrift Seyda 2012, Seyda 2012.
-
Pfarrerbuch der Kirchenprovinz Sachsen, 10 Bände, 2003 – 2009.
-
RGG: Die Religion in Geschichte und Gegenwart, 4. Auflage (Lexikon).
-
Seidel, J.J.: Aus den Trümmern 1945: personeller Wiederaufbau und
Entnazifizierung in der evangelischen
Kirche der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands, Einführung und Dokumente,
Göttingen 1996.
-
Seyda und die Neue Welt, Seyda 2007.
-
Wiefel, Wolfgang: Martin-Luther-Universität
Halle-Wittenberg, Sektion Theologie. In: Standpunkt 1977 Heft 10. Aus: Meinhof,
Friedrich: Material für ein Kirchenkunde-Buch der Kirchenprovinz Sachsen,
Magdeburg 1978.