Nur Pastors Gänse fliegen so hoch
Eine kleine Geschichte der Kirche in Elster.
„Himmel
und Erde werden vergehen, aber meine Worte vergehen nicht.“ sagt Jesus Christus (Lk 21,33)
Aus dem Predigttext für den 2. Advent 2014.
Viele haben mich freundlich aufgenommen in
Elster, Gielsdorf, Iserbegka, Listerfehrda und Meltendorf. Danke schön! Gern
möchte ich Sie alle näher kennenlernen und verstehen. Geschichte kann da
manchmal viel helfen und erklären.
Und hier ist es eine Kirchengeschichte: Auf der
Spur jenes Geistes Gottes, der am Werk ist und immer neu Glaube und Liebe
hervorgebracht hat – und hervor bringt. Staunen kann man da!
Es ist schön, eine solche Geschichte im Advent
zu schreiben, in der frohen Erwartung: Da kommt noch was! Da ist noch viel zu
erwarten! Unser Herr kommt, und es lohnt sich, ihm zu vertrauen.
Gott sei Dank für die Wege, die er mit der
Kirchengemeinde Elster bisher gegangen ist. Dank sei gesagt an die Vorangehenden
im Amt und alle, die insbesondere in schweren Zeiten zu ihrer Kirche gehalten
haben und froh und getrost bei Glauben und Liebe geblieben sind.
Dank auch an alle, die etwas zur
Kirchengeschichte Elsters geschrieben und erzählt haben. Besonders nennen und
bedanken möchte ich mich hier bei Herrn Eckhard Zwade und den Frauen von den
Gemeindenachmittagen in Listerfehrda und Elster.
1000 Jahre kann man nicht erschöpfend
beschreiben – und es wird sehr unterschiedlich sein, was ein jeder für
erwähnenswert und wichtig hält. Dieses kleine Heftchen möchte zum Gespräch
anregen. Vielleicht kann dabei auch manches Neue ans Tageslicht kommen. Für
Anregungen und Korrekturen bin ich dankbar.
Gottes Segen wünsche ich der Gemeinde und allen
Lesern:
Ihr Thomas
Meinhof, Pfr.
Erst seit etwa 200 Jahren hat die Elbe durch
Regulierungen ein relativ festes Bett und damit einen weithin berechenbaren
Lauf. Es ist schon ein besonderer Menschenschlag, der sich dennoch hier
ansiedelte: Immer in der Gefahr, durch Fluten Haus und Hof und Leben zu
verlieren, aber doch angezogen vom Strom, der Verbindung zu vielen Menschen schaffte,
Handel und Wandel eröffnete, die Äcker und Wiesen gut befeuchtete und den Tisch
gedeckt sein ließ nicht nur mit Fisch sondern mit Köstlichkeiten aus weiter
Ferne.
Vor 1000 Jahren lebten so hier schon die Wenden
oder Slawen, an die noch manches erinnert, etwa die Ortslage „Wendorf“ in
Elster oder einfach der Name „Wendt“. Wohin gehen Sie, wenn Sie Pilze suchen?
Auch in die „Kuscheln“? Kusy ist ein polnisches Wort und heißt „kurz“ – die
kurzen Bäume, also da, wo der Wald noch nicht hoch ist. Ein lebenslustiges Volk
soll es gewesen sein – auch davon findet sich heute etwas in Elster wieder.
Vor 1000 Jahren etwa kamen Fremde in unsere
Gegend – wie so oft – Sachsen wohl, auch Süddeutsche. Sie drangen über die Elbe
in für sie unbekanntes, ja gefährliches Gebiet und erweiterten den
Herrschaftsbereich der deutschen Könige. Damals gab es noch keine befestigten
Wege hier, fast überall war Urwald mit wilden Tieren, Wölfe zum Beispiel – und
nicht immer ging es friedlich zu bei der Begegnung mit denen, die schon hier
wohnten. So wurden Burgen gebaut. Aus dem Jahr 1161 stammt die älteste uns
vorliegende Urkunde des „Burgwartbezirks Alstermünde“. Nichts spricht dagegen,
dass er schon lange vorher Bestand hatte. Das System der Burgwarde gibt es seit
dem 10. und 11. Jahrhundert. Klöden, Seyda, Zahna hatten solch eine Burg, zu
deren Stammbesatzung 4 Ritter gehörten sowie ein Priester. Die Aufgabe war, die
neuen Siedler zu schützen, sie notfalls in die Burg zu holen, und das Land zu
befrieden. Insbesondere der Priester hatte die Aufgabe, für Vergewisserung und
Kraftquelle gerade in dem fremden, noch unbekannten Gebiet zu sorgen. In der
Kapelle innerhalb der Burg stand ein Altar, in dem eine Reliquie die
Verbundenheit mit der Weltkirche und den besonderen Schutz Gottes ausdrücken
sollte. „Ich bin bei Euch alle Tage bis zum Ende der Welt.“ sagt Jesus Christus
(Mt 28,20). In unseren Orten hier
war die Reliquie ein Stück vom „Heiligen Kreuz“, also vom Kreuz Christi.
Es geht hier nicht darum, die Echtheitsfrage zu
diskutieren – im Mittelalter kannte man durchaus die „Kontaktheiligung“, also
dass das Holzstück einmal neben einem Stück vom echten Kreuz gelegen hat. Und
es geht nicht darum, uns heute etwa an solche Dinge zu klammern oder von ihnen
etwas zu erwarten. Aber man denke doch einfach daran, dass uns eine Erinnerung
an einen lieben Menschen, ein Foto etwa, gut tut: So mag es den Menschen in
ihrer rauen Umgebung auch gegangen sein, wenn sie sich damit erinnern ließen:
Unser Herr Jesus Christus ist doch hier bei uns, auch in dieser Fremde, mitten
in feindlich gesinnter Umwelt.
Wo diese alte Burg „Alstermunde“ lag, wird
vielfach spekuliert. Natürlich an der Mündung der Elster in die Elbe! Aber das
Flussbett hat sich eben oft verändert. Schon die unterschiedlichen
Fließgeschwindigkeiten und Wassermassen bringen eine ständige Veränderung
hervor. Vermutet wird die Lage der alten Burg heute „in der Nähe der Schlossbuhne,
sie wurde 1901 mit Deckwerk überzogen“ (Elster (Elbe). Bilder aus vergangener Zeit.
Hrsg. durch die Gemeinde Elster (Elbe), Geiger-Verlag, Horb am Neckar, 1.
Auflage 1999, 5).
Die Ortslage wird auch als „Schlossecke“ bezeichnet.
„In der Lichtenburg in Prettin gibt es ein
Modell einer solchen Anlage: Ein kleines, wahrscheinlich nur hölzernes
Turmgebilde, vielleicht ein paar kleine Holzhütten und eine ebensolche Kapelle
dabei. Ringsherum ein hölzerner Palisadenzaun, vielleicht noch ein kleiner
Graben. Das war´s. Deshalb sind keine Mauerreste zu finden. Solche Burgwarde
wurden im Grenzgebiet zu den Slawen errichtet. Mit dem weiteren Vordringen nach
Osten verloren diese Burgen meist ihre Bedeutung, wurden deshalb nicht fester
und mit Steinen ausgebaut. Wohl häufig wurden daraus Siedlungen, Ortschaften,
eben Alstermünde, dann Elster. Mehrfach musste unser Ort dann vor der Elbe
weichen. Seit zwei bis drei Jahrhunderten liegt unser Elster nun dichter an der
Elbe als an der Elstermündung.“ (Schulze, Peter: Aufzeichnungen 1997,
Pfarrarchiv Elster.)
In den alten Geschichtsberichten ist auch von
einem Schloss Marienstern die Rede. Es ist gut möglich, dass die Burg später
umgewandelt und von Raubrittern genutzt worden ist – so vermutet es Oberlehrer
Reinhold Schiemann aus Leipzig, dessen Vater Lehrer in Elster war und seine
Großväter Lehrer und Pfarrer dort. Er schreibt: „Das Schloss Marienstern, wenn
es wirklich eine solche Burg gegeben hat, stand jedenfalls in der Gabel
Elster-Elbe als Raubschloss. Vom Dorfe also jenseits der Elster. Möglicherweise
war dieses Marienstern nur ein Vorwerk vom Schlosse Wartenburg, etwa der
Sommersitz, vorüberfahrenden Schiffen aufzulauern. Darauf würden die
ausgedehnten „Gräflichen Wiesen“ dort oben hindeuten.“
Rauben war ein üblicher Broterwerb – auch in
Seyda waren Raubritter zu Hause, und erst der Allgemeine Landfrieden von 1495
änderte dies. In Alstermünde aber werden die Wasser dies schon sehr viel früher
getan haben.
“Um 1500 war die Elbe noch als völlig
unreguliert anzusehen. Zum Gesamtbild des Flusses gehörten Gefälleunterschiede,
Inseln, Sandbänke und Uferabbrüche. Wassereichen und Schiffsmühlen machten die
Schifffahrt unmöglich.“ (Elster
aaO 10)
Es braucht schon eine Menge Durchhaltevermögen
und Zähigkeit, immer wieder neu aufzubauen. Es könnte sein, dass der jetzige
Kirchenbau schon der 5. in der Kirchengeschichte Elsters ist. Das Wasser, genauer
gesagt die Hochwasser und der wechselnde Lauf der Elbe haben dies bewirkt. Manche
Orte lagen sogar manchmal rechts und später dann wieder links des Stromes, zum
Beispiel Axien noch im Jahre 1612. Warum sonst liegen die Elsteraner Wiesen
heute jenseits der Elbe?
Jedenfalls musste der Standort „Alstermünde“
aufgegeben werden, und die Siedlung dabei wurde in nordöstliche Richtung
verlegt.
Die Wassermassen transportierten Unmengen von Erdreich.
Weißer, leichter Sand lagerte sich an den Ufern ab, wenn der Fluss einen Bogen
machte. So entstand ein auffallender weißer Berg – eine Markierung in Zeiten,
wo überall Urwald und noch keine festen Ortschaften vorhanden waren. Weißer
Berg – Wittenberg. So ist der Ortsname entstanden.
In Iserbegka soll sich ein „Eisenbecken“
befunden haben, also ein beliebter Fundort für Raseneisensteine, die zum Bauen
und Befestigen gebraucht wurden.
In Mühlanger wurden wohl schon vor 2500 Jahren
Mühlsteine verwendet. (Zwade,
Eckard: Maschinenschriftliche Zusammenstellung der Geschichte von Elster, ca.
1986.) Listerfehrda weist mit seinem Namen auf die
Furt hin, eine Möglichkeit, durch das seichte Wasser mit Vieh auf die andere
Seite des Flusses zu kommen.
Natürlich gab es eine kirchliche Organisation,
der Priester und seine Gemeinde gehörten zum Bistum Brandenburg, dies wiederum
zum 968 von Otto I. gegründeten Erzbistum Magdeburg.
Im Jahre 1180 bestätigt Bischof Balderam von
Brandenburg in einem Schreiben an das Prämonstratenser-Mönchskloster Leitzkau,
dass der Burgwart von Alstermünde dem Kloster unterstellt ist. (Elster aaO 5)
In diesen Jahren gab es eine weitere Migration:
Die Flamen kamen, weit aus dem Westen. Sie waren – wie die Sachsen - schon
Christen. König Albrecht der Bär und sein Bischof Wichmann organisierten diese
Ansiedlung, die im Jahre 1157 ihren Anfang nahm. Nördlich von Elster beginnt
der Fläming. Die Dorfteiche heißen dort ganz selbstverständlich auch noch heute
„Puhl“ – da merkt man, dass die Vorfahren aus Richtung England stammten. Die
Dörfer bekamen eine große Eigenständigkeit zugesichert, jedes seinen „Richter“,
der die meisten Angelegenheiten vor Ort klären konnte.
Die Flamen bauten bei der Besiedlung als erstes
aus Stein eine Kirche – selbst, wenn noch ringsherum Urwald und kaum sonst ein
Haus da war. Das bedeutete für sie: Gott ist uns nah, er ist in unserer Mitte,
er gibt uns Halt und Schutz. Die Kirchen hatten über die geistliche
Schutzfunktion hinaus eine ganz praktische, bei Unwetter oder Bedrohung durch
Räuber gingen alle – wohl auch die Tiere – in die Kirche und waren im Schutz
der dicken Mauern sicher. Die Fenster waren damals noch ganz klein, etwa wie
das Ostfenster in der Kirche in Mellnitz.
Das Gebiet um Elster wurde zuerst nicht von den
Flamen besiedelt: So hat hier nicht jedes Dorf eine Kirche.
Die deutschen Siedler, die um das Jahr 1000 über
die Elbe kamen, waren zumeist Bauern, sie rodeten die Waldflächen und betrieben
Ackerbau und Viehzucht. Bald wurden sie „Hüfner“ genannt, ein Huf ist ein Stück
Land, was eine kleine Familie gut ernähren kann, also etwa 8 Hektar.
Ludwig der Fromme, Sohn Karls des Großen, hatte
den Wunsch, dass überall in seinem Reich Pfarrer ihren Dienst täten. Aber wer
sollte das bezahlen, wenn er einmal nicht mehr war? Er wollte es nicht dem
Zufall oder dem Willen des Nachfolgers überlassen, sondern bestimmte, dass jede
Pfarrstelle vier Hufen Land zugeordnet bekommen sollte. Die konnte nun der
Pfarrherr selbst bearbeiten – oder er ließ den Acker bearbeiten. Bei der
Erweiterung des Reiches wurde dieses Prinzip weiter angewandt. So kann man
heute noch an der Größe des Kirchenlandes die alten Pfarrstellen erkennen, weil
das Kirchenland nicht verkauft wurde. Schließlich gehörte es der ganzen Kette
der Generationen, nicht nur einer.
Weitere Dorfbewohner waren die „Kossäten“, also die
„Mitbewohner“. Sie arbeiteten bei den Hüfnern und hatten selbst nur wenig
Eigentum. Manchmal werden sie auch „Häusler“ genannt, dann hatten sie
jedenfalls ein eigenes Haus, oder „Gärtner“, dann besaßen sie einen Garten.
Natürlich mischten sich die Zugezogenen und die
Einheimischen bald, wenn es auch noch deutliche Abgrenzungen innerhalb der Orte
gab (die Flamen bzw. die Deutschen wohnten im Ortskern, die Slawen auf dem
„Kiez“ oder dem „Kanipp“ außerhalb oder eben wie in Elster im „Wendorf“). Bis
heute spricht man von „Buschdörfern“ und „Flämingdörfern“. Die Sprache kam
zusammen. Doch noch 100 Jahre nach der Reformation wurde in Jessen bei einer
Visitation das Sprechen des Vater Unsers auf slawisch vorgefunden.
Es wird vermutet, dass die Slawen eher Gärtner
und Kossäten waren. (Zwade
aaO)
Ziemlich sicher ist sich der Schreiber eines
Artikels im Wittenberger Tageblatt 1932 über die Entwicklung des Ortsnamens: „Sein
ursprünglicher Name war Elstermünde… Diese Bezeichnung bestand etwa 200 Jahre.
Der zweite Name lautete Elsterberg, ungefähr ebenso lange. Erst seit Luthers
Zeiten steht der Name Elster.“
Im 13. Jahrhundert jedenfalls – seit 1180
gehörte Elster zu dem vom Askanierherzog Bernhard gegründeten „Herzogtum
Sachsen“ – im 13. Jahrhundert war Elster „eyn offen fleck ader stetleyn“. Im
Jahre 1363 findet sich „Alestria“ in einer Bestätigungsurkunde des Herzogs
Rudolf II. von Sachsen. 1377 gibt es Elster als Ortsangabe, es heißt: „er,
Johnas, Pfarrer zu Elster“ (Zwade aaO)
Und zur Jahreszahl 1385 findet sich der Eintrag:
„Kurfürst Wenzel überschreibt seiner Gemahlin in einer Schenkungsurkunde die
Abgaben der Stadt Elster.“ (Elster aaO 5)
Aus der Siedlung wurde ein Dorf – und dann ein
„Stetleyn“. Die alte Existenz eines Marktes deutet besonders darauf hin, in
einem Dorf wäre es einfach nur der Dorfanger.
Die Sachsen, die über die Elbe kamen, wie auch
die Flamen aus weiter Ferne und kurze Zeit später auch die Wenden oder Slawen,
die hier schon wohnten, waren Christen. Das heißt, dass es ihnen
selbstverständlich war, die Erde „zu bebauen und zu bewahren“, wie es gleich
ganz vorn in der Heiligen Schrift heißt. Ihnen war bewusst, dass es darauf
ankommt, seine Talente einzubringen, und dass es wichtige Regeln für das
Miteinander gab: Die Zehn Gebote. Das Leben des anderen, die Ehe, die Familie,
das Eigentum, die Wahrhaftigkeit: Sie waren geschützt. Und es war ihnen
deutlich, dass einer über ihnen steht, dem sie Rechenschaft geben müssen: Gott,
der Herr. Sie brachten in unsere Gegend die Fürsorge auch für Kranke und Alte.
Das war vorher nicht üblich gewesen. Diese Grundlagen der christlichen
Gemeinschaft, Sonntag für Sonntag in den Kirchen verkündet und im Alltag
gelebt, haben die Grundlage unserer Kultur gelegt.
Das Wittenberger Erbbuch berichtet 1513 über
Elster, dass es ein „flecklein“ oder auch „stetlein“ mit 150 Einwohnern ist,
darunter 17 Hüfner, zwei Halbhüfner, sechs Kossäten und ein Pfarrer. (Elster aaO 5)
Im 16. Jahrhundert unter der Regentschaft
Friedrich des Weisen rückt Elster in das Licht der Weltgeschichte. Am 10.
Dezember 1520 verbrennt Martin Luther am „Elstertor“ in Wittenberg die
Bannandrohungsbulle. Das „Elstertor“ war das Stadttor Wittenbergs gen Osten –
Elster als der nächste größere Ort gab den Namen dafür.
Der Reformator Martin Luther wird nicht selten zwischen
Schweinitz und Wittenberg unterwegs gewesen sein. In Schweinitz war eine alte
kurfürstliche Residenz, dort hatte Friedrich der Weise noch vor dem
Thesenanschlag 1517 den Traum gehabt von dem Mönchlein, der mit seiner Feder
bis nach Rom durchsticht und alles verändert.
Ganz gewiss sind Elsteraner genauso wie die
Wittenberger 1517 nach Jüterbog gepilgert, um sich Ablass bei Tetzel zu kaufen.
Er durfte nicht nach Kursachsen hinein, aber sein Angebot war so verlockend,
dass es viele zu ihm zog. Wo sonst konnte man für einen angemessenen Preis,
sogar sozial gestaffelt, ein Ablassen von Fegefeuerstrafen und damit einen
direkteren Zugang ins Himmelreich gleich und sofort mit Geld erreichen, für
sich selbst – und für Menschen, die man liebte?
Martin Luther merkte im Beichtstuhl von diesem
Vorgehen, und er schrieb daraufhin seine 95 Thesen gegen den Ablass. Gleich in
der 1. These stand, dass es nicht etwa reiche, einmal Geld zu bezahlen –
sondern das ganze Leben solle eine Buße sein. Und das Himmelreich ist auch
nicht mit Geld zu bezahlen, sondern Jesus Christus hat für uns am Kreuz dafür
bezahlt. Diese Erkenntnis fand Luther in der Heiligen Schrift, weshalb er sich
dann auch bald daran machte, die Bibel ins Deutsche zu übertragen, auf dass es
jeder lesen könne.
Die Tat Luthers brachte eine ganze Welt zum
Einstürzen. Auf Ablass war fast alles gegründet, was in der Kirche geschah. So
gut wie jede Kirche wurde bis dahin dadurch bezahlt, dass Menschen Geld gaben,
um sich von erwarteten Strafen im Fegefeuer freizukaufen, eben Ablass zu
erhalten.
Natürlich war und ist es bis heute nahe liegend
zu fragen: Wenn ich es doch geschenkt bekomme von Gott – warum sollte ich dann
noch etwas tun, also in die Kirche gehen, mich einsetzen für die Gemeinde,
überhaupt „anständig“ leben? Nun, Luther wusste, dass er selbst und jeder
Christenmensch die Vergewisserung und Erneuerung regelmäßig brauchte und
braucht, um sich nicht vom „altbösen Feind“ greifen zu lassen. Aus großer
Dankbarkeit Gott gegenüber, der uns Leben und auch neues Leben schenkt, dürfen
wir auch einander annehmen – eben aus Dankbarkeit Gott gegenüber.
10 Jahre nach der Reformation setzten die
Reformatoren eine Kirchenvisitation durch. Sie wollten sehen, was angekommen
war von der „Erneuerung“ der Kirche – und fanden oft schwierigste Verhältnisse
vor. Manchmal konnte nicht einmal der Pfarrer das Vater Unser. Es reichte, wenn
einer lesen konnte – „Messe lesen“ eben. Das konnten nur 6% der Menschen
damals.
Bei dieser Visitation 1528 wurde der erste
evangelische Pastor in Elster, Valentin Schwan, eingesetzt. Ob er der Vater von
Wolfgang Schwan, geb. 1489, war, der von 1533 bis 1572 das Amt bekleidete,
wissen wir nicht. Sein Sohn Simon aber, geboren 1541 in Elter, war „Substitut“
(Helfer) des Vaters seit 1557 und sein Nachfolger 1572 bis 1581. Der Vater
Wolfgang Schwan klagt 1560, „schwach und unvermuglich“ zu sein, er „ist im
Pfarrramt zu Elster gewesen 28 Jahr, von Dr. Martin Luther dorthin berufen und
ordiniert, hat 7 lebendige Kinder, klagt, dass ihm das Gedächtnis schwach werde
altershalber“.
Man kann also hier schon sehen, welche
Entwicklungen und Verflechtungen mit der Aufhebung des Zölibates (der
Ehelosigkeit) in der Pfarrerschaft entstanden. Das Zölibat war „erst“ um das
Jahr 1000 eingeführt worden – vorher konnten fast 1000 Jahre lang die Priester
heiraten – eigentlich um zu verhindern, dass das Kirchenland und Amt „vererbt“
werden würde. Manchmal war das nun zu beobachten, wie z.B. in Elster, wo der
Pfarrer dreimal hintereinander „Schwan“ hieß. Aber natürlich wurde nicht das
Haus und das Land mit vererbt, und es ging auch nicht immer so weiter, denn bei
Simon Schwan heißt es dann: „Ist nicht ehelich, hat aber umb guter Nachrede den
Visitatoren zugesagt, dass er sich in ehelichen Stand begeben wollte.“ (was
aber nicht bekannt ist) (Pfarrerbuch
der Kirchenprovinz Sachsen).
Aus dem Jahre 1510 gibt es erste Aufzeichnungen
über eine Fähre. „Eine Überfahrt dauerte 40 bis 60 Minuten. Zwei bis drei
Fährleute mussten die Fähre über Elbe staken und oft, wenn es mit den schweren
Heuwagen nicht vorwärts ging, den Anker fallen lassen.“ (Zwade aaO)
Jedenfalls kam man hinüber. Martin Luther hat
dieses schöne Bild der Überfahrt gebraucht, um die Taufe zu erklären: Die Taufe
ist wie ein Schiff, was uns über die Wogen und Wellen des Lebens trägt – bis
hinüber in Gottes neue Welt. „Das Schiff zerbricht nicht, weil es Gottes
Ordnung und nicht unser Ding ist. Aber das geschieht wohl, dass wir gleiten und
herausfallen. Fällt aber jemand heraus, der sehe, dass er wieder hinzuschwimme
und sich daran halte, bis er wieder hineinkomme und darin gehe.“ So hat Martin
Luther es im „Großen Katechismus“ geschrieben – nach der ersten Visitation im
Kurkreis. Im „Kleinen Katechismus für Haus, Schule und Kirche“ erklärt er die fünf
wichtigsten Stücke des christlichen Glaubens: Zehn Gebote, Glaubensbekenntnis,
Vater Unser, Taufe und Abendmahl. Er wurde über Jahrhunderte in Elster gelehrt
und auswendig gelernt. Der „Große Katechismus“ war für die „Pfarrherren“
bestimmt und bietet Hintergrundwissen, wie z. B.: „Worauf du nun dein Herz
hängst und verlässt, das ist eigentlich dein Gott.“
Es gab nun regelmäßig Visitationen, in denen das
kirchliche Leben geordnet wurde – und auch das Schulwesen und die
Krankenpflege. 1533 heißt es, dass die Stadt Elster „zur guten Zucht der Jugend
einen Schulmeister halten müsse“ (Zwade aaO). Bildung war ein Schlüsselwort der Reformation:
Da, wo Menschen Gottes Wort selbst lesen und verstehen konnten hatten
Scharlatane wie Tetzel keine Chance. In der Bibel steht nichts vom Fegefeuer
geschweige denn davon, dass mit Geld ein Ablass davon zu erreichen wäre!
Kurze Zeit nach diesem großen Aufbruch kam es zum
Krieg. „Dreimal in einem Zeitraum von neun Jahren wurde Elster im
Schmalkaldischen Kriege von spanischen Truppen heimgesucht und aufs ärgste
ausgeplündert. Am schlimmsten nach der Schlacht bei Mühlberg am 24. April 1547,
in der Kurfürst Johann Friedrich der Großmütige besiegt und der Schmalkaldische
Bund vernichtet wurde.“ (Wittenberger
Tageblatt 1932).
Militärisch war der Kurfürst, der die Reformation schützte, besiegt. Aber die
reformatorischen Gedanken konnten nicht mehr vertrieben werden. Eine
evangelische Kirche war entstanden und bestand fort. Der Augsburger
Religionsfrieden im Jahre 1555 garantierte ihre Existenz in Sachsen.
Für Elster ist aus diesem Jahr die chronistische
Meldung überliefert, dass die Kirche „von den beeden Krugen“ (Schiffchen und
Anker) 20 Groschen „Zapfgeld“ (Elster aaO 20) erhielt. Die beiden traditionsreichen
Gaststätten gab es also schon damals. Wie die Kirche zu „Zapfgeld“ kam, kann
verschiedene Ursachen haben: Vielleicht ging es um kirchlichen Grundbesitz,
vielleicht hat aber einfach die Regierung, die die Aufgabe hatte, die Kirche zu
erhalten, ein direktes Abzweigen dieser Einnahmen an die Kirche verfügt.
Der erste mit Namen bekannte Lehrer für Elster
war 1575 Johannes Werner aus Lüttchenseyda, ein ehemaliger Leineweber. Dass er
der erste Lehrer für Elster war, scheint mir sehr unwahrscheinlich: Dafür haben
die Reformatoren zu gründliche Arbeit geleistet.
Über die Sorge mit dem Elbestrom wird im Jahre
1577 in den Kirchenvisitationen berichtet, nämlich „dass sie ihre Scheunen
haben zum Teil abbrechen und ins Feld hinausbauen müssen“ wegen Hochwassers (Elster 26). Wieder hat sich der
Ort ein Stück verschoben!
Im Jahre 1589 wird folgendes geschrieben: „Wegen
des reißenden und wachsenden Elbstroms hat mit anderen Wohnhäusern auch das
Haus des Predigers abgebrochen und ins Feld hinausgebaut werden müssen.“ (Ebenda).
1598 heißt es bei der Kirchenvisitation: „Auch wäscht die Elbe immer den Kirchhof weg,
so dass die Kirche wohl bald abgebrochen und weggebaut werden muss“. 1602 wurde
dann ein neuer Kirchenbau fertiggestellt. Er stand bereits auf dem Platz des heutigen
Sekundarschulhofs. (Elster
68).
In diesen bedeutsamen Jahren – immerhin verschob
sich der ganze Ort und damit auch der Standort der Kirche – war Pfarrer Johann
Sagittarius in Elster tätig, von 1585 bis 1613. Wie es verbreitet üblich war,
übersetzte er seinen Namen „Schütz“ ins Lateinische. Sein Vater war Kanzler der
Universität in Wittenberg! Die ältesten vorhandenen Kirchenbücher wurden in
seiner Zeit begonnen, 1585. So lange zurück kann man in Elster seine familiären
Wurzeln zurückverfolgen, ungefähr 15 Generationen – bis zu den Urururururururururururururgroßeltern!
Sie waren getauft, haben in der Kirche geheiratet und sind kirchlich beerdigt
worden – deshalb hat man Eintragungen darüber.
Auch für Pfarrer Sagittarius geben Kirchenbücher
Auskunft: Seine Tochter Helena heiratete einen Kupferschmied in Torgau, zwei
Söhne musste er in Elster begraben, ein Sohn wurde Schuster in Torgau, der
jüngste, 1592 in Elster geboren, Pfarrer in Dautzschen.
Im Jahre 1582 wurde in Elster eine zweite
Pfarrstelle, ein Diakonat, eingerichtet. Offensichtlich war die Bevölkerung
stark angewachsen und der Bedarf dazu gegeben. Der Pfarrer Johann Schütz war
also nicht allein hier tätig. Er hatte einen akademischen Grad, er war
„Magister“. Von ihm wird allerdings berichtet, 1598: „…weil er im Kopf schwach, dass man ihn oft
in Ketten hat legen müssen, ist ihm vor 2 Jahren substituiert Johannes Hertel
Stolbergensis Mismensis“. Der 29 Jahre alte Johann Hertel wurde ihm also als Pfarrer
an die Seite gestellt, später ein Johann Ruel, der schon vorher Diakon in
Elster war (dafür kam Ersatz) und dann allein als „Oberpfarrer“ die Stelle
führte bis 1618.
Es waren schwere Zeiten. 1599 starben 22
Menschen an der Pest (Zwade
aaO). 1610
ertrinken 19 Einwohner bei einer Überfahrt über die Elbe, als sie zum Melken
der Kühe fahren. (Elster
5) – Sie
sollen auf dem alten Elsteraner Friedhof begraben sein, „in der Nähe der
Bürgermeistersteine lag eine Platte 1 m lang, 1 m breit, welche dieses
Massengrab deckte“ (Wittenberger
Tageblatt 1920).
Auch die Tochter des Pfarrers, Anna ertrank am 9. Oktober 1610 bei Elster in
der Elbe.
Johann Ruel war Sohn des Schweinitzer
Bürgermeisters. Benedikt Kretzschmar, 1618 bis 1621 Diakon in Elster, war Sohn
des Bürgermeisters aus Belgern. David Dimpel, 1634 und 1635 als 2. Pfarrer
hier, war mit der Bürgermeisterstochter aus Marienberg verheiratet. Hier sieht
man die engen auch verwandtschaftlichen Verbindungen, die es damals zwischen
Vertretern von Kirche und Staat gab.
Neben Elster hatte der Pfarrer auch die Orte
Gentha und Ruhlsdorf kirchlich zu betreuen. Von 1575 stammt die Klage der
Bauern, dass sie den Pfarrer nicht mehr abholen wollen - wegen der Gefahr
umherziehender Wölfe! (Heimatglocken
Juni 1917, 1).
Trotz aller Widrigkeiten und besonders trotz des
Hochwassers, was sicher noch mehr Gebäude gefährdete – reichte doch die Kraft
für einen Kirchenneubau 1602. Es war mit ziemlicher Sicherheit eine
Fachwerkkirche: Die einfachste und schnellste Art, damals zu bauen.
Es gab dann zeitweise sogar drei Pfarrer in
Elster: neben dem kranken Oberpfarrer Schütz seinen „Substituten“, also
„Ersatzmann“ Ruel – und dazu auf der 2. Pfarrstelle als „Diakon und Küster“
Matthäus Moccerus. Am 9. Mai 1602 wurde dessen Tochter Margaretha in der Kirche
getauft.
In kurfürstlichem Auftrag hat Oberlandbaumeister
Dillich einen kunstvollen Stich einer Ansicht von Elster 1628 angefertigt, auf
dem man die Fachwerkkirche am westlichen Rand des Ortes sehen kann. Auch ein
Elsteraner Stadtwappen mit zwei Fischen ist darauf zu sehen.
Elster noch im Frieden, ein Chronist schreibt von
58 Wirtschaften!
1625 stirbt der Bürgermeister Laurentius Elstermann,
dessen Grabstein sich noch in der Kirche befindet. (Elster aaO 5). „Das Bürgerrecht war
sehr wertvoll, die Elsterschen waren völlig freie Bauern und brauchten keinem
Herrn Frohndienste zu leisten, beneidet von ihren nächsten Nachbarn in
Listerfehrda, die zu manchen Zeiten diese Abhängigkeit schwer empfinden
mussten. Wohl der letzte Bürgermeister ist Sebastian Siebner gewesen, dessen
Grabstein noch auf dem alten Friedhof bei der Kirche vorhanden ist.“ (Wittenberger Tageblatt
1932).
Elster bestand 1632 aus 18 Hüfnern, sieben
Kossäten und sechs Häuslern. Es gab eine Kirche, eine Pfarre und ein Diakonat,
das gleichzeitig die Schule war. Zwei Hüfner hatten die Schankgerechtigkeit.
Elster hatte ca. 200 Einwohner.
1634 sterben 53 Einwohner an der Pest. (Elster aaO 5).
Die Jahre 1634 bis 1637 waren vielleicht die
schwersten in der Elsteraner Geschichte. Die Gräuel des Dreißigjährigen Krieges
erreichten Elster und zerstörten es fast vollständig. Viele Orte verschwanden
ganz, so ein Dorf zwischen Elster und Listerfehrda. In der Mellnitzer Turmkugel
hat sich ein Zeitzeugnis erhalten: „Was sich nicht in unwegsame Sümpfe und
Wälder flüchten konnte, das ging verloren; und was von der Geisel des Krieges
und den wilden Lüsten entmenschter Kriegshorden verschont geblieben war, das
fiel der Hungersnot und der Pest zum Opfer. In den Jahren 1635 und 1636 müssen
die Kriegsnöte nach den Schilderungen eines Augenzeugen, des damaligen
Superintendenten Mühlig, die furchtbarste Höhe erreicht haben. Heerhaufen um
Heerhaufen zogen kreuz und quer von Ort zu Ort, und jeder stellte seine
unerfüllbaren Forderungen. Die Leute, die doch nichts mehr hatten und
herbeischaffen konnten, wurden gemisshandelt und zu Tode gequält und gefoltert.
Frauenschändung war an der Tagesordnung. Keine wurde geschont, der man habhaft
werden konnte, auch Kinder und Greisinnen nicht. Den Männern reichte man den
Schwedentrunk und füllte ihnen Mistjauche ein, bis sie starben, nur weil die Menschen
kein Geld mehr hatten und keine Lebensmittel und Vieh, das man von ihnen haben
wollte. Alles, was noch fliehen konnte, floh.“
1637 wurde Elster von den Schweden zerstört, die
Kirche ist einsturzgefährdet und der Turn nur noch ein Balkengerippe. (Elster aaO 68/Schulze aaO
1996). Die
Kirchenbücher brechen ab, durch den Krieg und die Pest ist Elster fast
menschenleer.
Von den vorher 58 Wirtschaften lebten 1638 nur
noch 6 Männer, 13 Frauen und ein Pferd. Pfarrer von 1608 an war Daniel Frenzel,
zuerst war er 2. Pfarrer, dann seit 1618 „Oberpfarrer“ in Elster. 1608 bei
seinem Herkommen hat er die Tochter des Gastwirts, man sagte damals, des
„Krügers“ aus Ruhlsdorf, Maria Fritsche, geheiratet. Sie starb bei der Geburt
einer Tochter 1619. 1637 endete seine Dienstzeit in Elster.
Als Pfarrer für Elster wird Martin Dietrich für
die nächsten 20 Jahre, bis 1657, geführt. Sein Schwiegervater Dr. Friedrich
Balduin war Generalsuperintendent in Wittenberg – vielleicht ist er dort oft
untergekommen. Sein Sohn wurde 2. Pfarrer in Klöden. 1657 ging Pfarrer Dietrich
nach Kurzlipsdorf und war also auch für Naundorf bei Seyda zuständig.
„Wie wechselnd die Kriegsgefahren waren, geht
daraus hervor, dass öfter Kinder von Elster und Listerfehrda im benachbarten
Wartenburg getauft werden mussten, so im Jahre 1636, während umgekehrt
Wartenburger Kinder Anfang 1637 in Elster die Taufe empfingen, weil der
Wartenburger Pfarrer im Pestjahre gestorben war. In Elster war später das
Pfarrhaus völlig niedergebrannt, gleich vieler anderer Wohnhäuser, so dass der
Pfarrer keine Unterkunft mehr fand, die ihm erst nach langem Suchen in
Kropstädt gewährt wurde…“ Aber auch dort war die Pfarrstelle seit 1637 für
viele Jahre unbesetzt. „Kirche und Kirchturm in Elster waren so baufällig, dass
die Leute Angst hatten, das Gotteshaus zu besuchen. Der Turm war von Holz. Die
Bretter hatten sich Soldaten geholt, die in Klöden ihr Feldlager hatten. So
richteten denn sämtliche „übrige Pfarrkinder“ in Elster unterm 2. März 1650
eine Eingabe an den Kurfürsten und baten um Gewährung einer Haussammlung im
Kurkreise sowie im Leipziger und Meißner Kreise zum Neubau der Kirche und des
Turms, die ihnen gestattet wurde.“ (Wittenberger Tageblatt 1932).
Die christliche Gemeinschaft bewährt sich. 1653
wird dann die Kirche auf heutigem Platz gebaut, sie ist „wegen unterschiedener
Wasserfälle fortgerückt worden.“ Gewiss unter schwierigsten Umständen, unter
Nutzung des alten Materials und mit einfachen Mitteln – erstand wieder eine
Fachwerkkirche. Schon dreißig Jahre später waren schon erhebliche
Erneuerungsarbeiten erforderlich. Immerhin soll die Kirche 1653 drei Glocken
erhalten haben. 120 Jahre später ist der Kirchturm wieder baufällig, er wird
1790 neu gebaut. (Schulze
aaO 1997).
Die Schule wird 1657 neu aufgebaut und eingerichtet.
(Elster aaO
5).
Sicher hatte man in diesen Notzeiten keine große
Auswahl an Pfarrern. Nach Elster kam Petrus Overier. Von ihm haben wir eine
„Revokationspredigt“ vom 15. September 1652, die er in der Leipziger
Nikolaikirche gehalten hat und worin er seinen Übertritt vom Katholizismus
begründete. Vorher war er Kapuzinermönch in Köln. Er wurde 1658 neuer Pfarrer
in Elster. Eine zweite Pfarrstelle gab es seit 1636 nicht mehr. Petrus Overier
oder Ouvrier hatte „um 1652“ Maria Richter, eine Bäckerstochter aus Wittenberg,
geheiratet.
In Elster ist er im Jahre 1677 verstorben. Er
war nicht der erste, der vom Katholizismus her übertrat. Wolfgang Honoratus
Dalhöfer, geboren in München 1601, hatte die Jesuitenschule in München sieben
Jahre besucht und war im Augustiner-Eremiten-Orden (wie Luther) sieben Jahre
lang, wurde „dann erleuchtet“ und studierte in Wittenberg. 1630 bis 1634 war er
2. Pfarrer in Elster – und musste hier zwei seiner Söhne begraben. Die Nähe zu
Wittenberg brachte es, dass über die Universität die Pfarrstellen oft
vermittelt wurden.
„Nach den Wirren und Verwüstungen des
Dreißigjährigen Krieges und den Folgen der Pest sind die in Elster verbliebenen
neun Einwohner nicht mehr in der Lage, die mit dem Stadtrecht verbundenen
Steuern aufzubringen. Der Einfluss des Amtes Wittenberg nimmt immer mehr zu und
das Stadtrecht erlischt.“ (1648; Elster aaO 5).
Ein Augenzeuge und Leidensgenosse dieser Zeit
ist Paul Gerhardt gewesen. Er ist in Gräfenhainichen geboren, wurde dann
Hauslehrer und Pfarrer in Berlin und später in Lübben. Vier Kinder hat er
verloren. Seine Lieder gehören noch heute zu den beliebtesten in unseren
Kirchen, auch in Elster: „Geh aus mein Herz und suche Freud“, „Wenn ich einmal
soll scheiden“, „Ich bin ein Gast auf Erden“:
„Ich bin ein Gast auf Erden
und hab hier keinen Stand;
der Himmel soll mir werden,
da ist mein Vaterland.
Hier reis ich bis zum Grabe;
dort in der ew´gen Ruh
ist Gottes Gnadengabe,
die schließt all Arbeit zu.
Was ist mein ganzes Wesen
von meiner Jugend an
als Müh und Not gewesen?
Solang ich denken kann,
hab ich so manchen Morgen,
so manche liebe Nacht
mit Kummer und mit Sorgen
des Herzens zugebracht.
Mich hat auf meinen Wegen
manch harter Sturm erschreckt;
Blitz, Donner, Wind und Regen
hat mir manch Angst erweckt;
Verfolgung, Haß und Neiden,
ob ich´s gleich nicht verschuld´t,
hab ich doch müssen leiden
und tragen mit Geduld.
So ging´s den lieben Alten,
an deren Fuß und Pfad
wir uns noch täglich halten,
wenn´s fehlt am guten Rat;
sie zogen hin und wieder,
ihr Kreuz war immer groß,
bis dass der Tod sie nieder
legt in des Grabes Schoß.
Ich habe mich ergeben
in gleiches Glück und Leid,
was will ich besser leben
als solche großen Leut?
Es muss ja durchgedrungen,
es muss gelitten sein;
wer nicht hat wohl gerungen,
geht nicht zur Freud hinein.
So will ich zwar nun treiben
mein Leben durch die Welt,
doch denk ich nicht zu bleiben
in diesem fremden Zelt.
Ich wandre meine Straße,
die zu der Heimat führt,
da mich ohn alle Maße
mein Vater trösten wird.“
Der alte Grabstein gleich neben der Kirchtür ist
von Pfarrer Christian Friedrich Kretzschmar, der 1705 in der Kirche begraben
sein soll und von 1688 an hier Pfarrer war. Er konnte seine Tochter Anna an den
„Erbschenken, Gutsbesitzer und Ortsrichter Herrmann“ aus Niemegk verheiraten.
Auf dem Grabstein steht:
„Hier liegt ein Gottes Mann, die Teutsche
Redlichkeit.
Er schmeckt in stoltzer Ruh die süße Ewigkeit.
Herr M(agister) Christian Friedrich Kretzschmar
In die 17 Jahr Treu verdient gewesener Pfarrer
im Stedtlein Elster
Ward
geb. A(nn)o 1645 am 4. Dec(ember)
von Christ-Priesterlichen Eltern, der Herr Vater ist gewesen Christian
Kretzschmar, Pastor in Burkertshain, die Frau Mutter Anna Maria geborene
Kosinick war Pfarrers Tochter in Stauche. Zum hiesigen pastorat vociret (als
Pastor berufen) A(nn)o 1688 den 5. August, war der 8. Sonntag nach
Trinit(atis). Starb den 20. Jan(uar) 1705 eines seeligen Todes Seines Alters im
60ten Jahre.
Wir schreiben auf sein Grab, ach seine schönen
Gaben,
So von der Welt vergehn, die sind allhier
begraben.“
Nach ihm kam Ephraim Reddemer, „ein Ausländer
von Pommern oder Kurland, mit einem sächsischen Regiment Infanterie als
Feldprediger 1705 nach Elster“ gekommen, er war vorher „bei der
königlich-polnischen und kursächsischen Leibgarde zu Fuß“. (LHA SA Rep A 29bI, Nr.
157. Aus: Pfarrerbuch aaO). 40 Jahre blieb er, bis er 1745 mit 68 Jahren in Elster
starb.
Elster ist schneller wieder „auf die Beine
gekommen“ als andere Orte. Die Morxdorfer Kirche etwa war erst 80 Jahre nach
der Katastrophe, im Jahre 1720, wieder nutzbar. Profitiert hat Elster hier
gewiss von der Flussschifffahrt. Hier kamen Waren aus anderen, vom Krieg
verschonten Gebieten, die für das Überleben und den Wiederaufbau genutzt werden
konnten.
Im 18. Jahrhundert gab es erste Elbregulierungsarbeiten
als Schutz vor Hochwasser, Eis und Uferabbrüchen. 1770 war der Durchstich bei
Klöden, 1774 zwischen Torgau und Prettin.
Fuhren Schiffe damaliger Zeit gegen den Strom,
so wurde bei günstigem Wind gesegelt, bei Windstille wurden Pferde oder sogar
Menschen davor gespannt. Mit der Vergrößerung der Schiffe bildeten sich
besondere Berufsgruppen heraus: die Bomätscher (Treidler oder Kahnzieher) und
die Haupter (gewässerkundige Schiffsführer). (Elster aaO 10).
Das Wappen des Schiffervereins „Harmonie“ trägt
die Jahreszahl 1720. (Elster
aaO Rückseite).
Der Gorsdorfer Pfarrer Gottlob Ehrenfried Stolle
wechselte 1745 nach Elster und war hier bis 1760 „Oberpfarrer“. Eine Tochter,
Johanna Rosina, verheiratete er an seinen Nachfolger Christoph Gottlieb Schmidt.
Er wurde mit 60 Jahren emeritiert – hat also nicht bis zum Tod gearbeitet, das
war neu, und lebte dann noch 9 Jahre bei seinem Schwiegersohn in Klöden, der
dort Pfarrer war.
1751 bis 1760 war Schmidt „Adjunctus“ bei seinem
Schwiegervater Stolle, also „Hinzugefügter“, es war wohl der Versuch, die 2.
Pfarrstelle wieder einzurichten. 1753 starb seine Frau, die Elsteraner
Pfarrerstochter, und er verheiratete sich erneut und blieb bis zu seinem Tod
1786 in Elster.
Der Siebenjährige Krieg 1756 – 1763 scheint
Elster nicht weiter tangiert zu haben, wenn freilich Kriegszeiten immer auch
Notzeiten sind, Unsicherheit und Teuerung bedeuten. (Vgl. Wittenberger
Tageblatt 1932).
Im Jahre 1790 kann wieder in größerem Stil an der
Kirche gebaut werden. Sie erhält einen neuen Kirchturm mit einer Wetterfahne,
die ein Schiff und einen Bomätscher zeigt. (Elster 5).
Diese alte Wetterfahne wurde nach dem
Blitzschlag von 1895 heruntergenommen und wieder aufgesetzt.
Noch wichtiger aber war der Einbau einer Orgel
in diesem Jahr, 1790. Luther wollte die Beteiligung der Gemeinde im
Gottesdienst und führte deshalb den Gemeindegesang ein. Er dichtete dazu viele
Lieder selbst und fügte populäre Melodien dazu. Die Tradition des gemeinsamen
Singens schuf eine große kirchenmusikalische Tradition und förderte schließlich
den Orgelbau.
Zu dieser Zeit war Johann Gotthelf Bormann hier
Pfarrer, frisch vom Studium kam er 1786 und blieb bis zu seinem Tod 1826. Mit
seiner Frau, der Pfarrerstochter aus Zahna, Luise Sophie Ehregott Uschmann,
hatte er sieben Kinder. Einer davon, Carl Ferdinand, wurde Pfarrer; er war 1823
bis 1827 „Substitut“ in Elster, 1827 bis 1868 Pfarrer in Bergwitz. Immer wieder
gab es also den Versuch, die 2. Pfarrstelle wieder einzuführen: Aber es wurde
dazu so nur ein Pfarrhaus, eine Pfarrwohnung gebraucht, weil beide aus einer
Familie kamen.
Um 1800 bestand Elster aus einem Richtergut
(Richter=Bürgermeister), 17 Hüfnergütern (darunter zwei Gasthäuser), zwei Halbhüfnergütern,
sieben Kossätengütern, elf Wohnhäusern, einer Schmiede, einer Windmühle, einer
Schiffsmühle, einem Salzmagazin, einem Hirtenhaus, einer Schule, einer Pfarr-
und Schulwohnung, einer Kirche.
Die Namen der Hüfner: Roeder, Vehse, Oestert,
Kase (zweimal), Wollschläger, Waegner/Hemmerling, Broese (zweimal), Waegner
(noch zweimal), Herrmann, Roeder, Jaehnicke, Schlüter, Reuther, Wenzel,
Meißner.
Der Ort hatte sich also von der Katastrophe des
Dreißigjährigen Krieges erholt – aber wie lange hatte das gedauert!
Große Veränderungen standen an. In der Ferne, in
Frankreich, fand eine Revolution statt, die die alten Mächte in Frage stellte.
Durch die Truppen Napoleons kamen diese neuen Ideen ins Land. Sachsen,
Bündnispartner Napoleons, war zunächst nicht so stark betroffen vom Krieg. In
den Jahren 1810 und 1811 konnten entscheidende Maßnahmen zur Elbregulierung
durchgeführt werden. Vier Buhnen wurden gebaut, die auch heute noch (in
veränderter Form) Dienst tun. Seitdem fließt die Elbe (meistens) dort, wo wir
es gewohnt sind, und ändert nicht mehr ihr Bett.
Es waren dies die letzten Entscheidungen der
sächsischen Herrschaft, die nach den Befreiungskriegen vorüber war. Sachsen,
mit Frankreich verbunden, stand auf der Seite der Verlierer, und unser Gebiet
kam schließlich zu Preußen, was mit Russland verbündet in der Völkerschlacht
bei Leipzig einen großen Sieg errang.
Der Elbübergang der schlesischen Armee und das
Treffen bei Wartenburg 1813 spielten dabei eine entscheidende Rolle. Da wir
anschließend zum Land der Sieger gehörten – die neue preußische „Provinz
Sachsen“ wurde gegründet – wurde der Ereignisse durch Denkmale und Feiern auch
nachhaltig gedacht.
So wissen wir, dass die preußischen Generäle
York und Blücher sich in Elster aufhielten und vom Dach der heutigen Gaststätte
„Zur Fähre“ die Schlacht leiteten. (Elster aaO 8).
Oberlehrer Schiemann beschreibt das Geschehen, in
das natürlich auch Kirche und Pfarre einbezogen waren:
Bernadotte sollte an anderer Stelle die Elbe
überqueren, stellte es aber nicht gut an und die Franzosen kamen herbei. „Da
ließ York am Abend des 1. Oktober 1813 in aller Stille sämtliches
Brückenmaterial abbrechen, verladen und nach Elster bringen. Dieses
Brückenmaterial damaliger Zeit war so unvollkommen, dass sämtliche Kähne,
Balken, Bretter, Scheunentore, Seile und Ketten dazugeholt wurden, die
Glockenstränge wurden abgeschnitten. Mein Großvater hatte ein Schnippchen
geschlagen und schnell die Turmuhr aufgezogen, sonst hätten die langen und
starken Zeigerlein auch daran glauben müssen. Ebenso wurde Bettzeug und Wäsche
weggeholt, so dass am 4. und 5. Oktober kein Verbandszeug aufzutreiben war. Von
meinem Großvater waren noch ein paar Bände von zwei größeren Werken da. In dem
einen stand von seiner Hand: „Band 3 und 4 wurden am 4. und 5. Oktober zu
Verbandzeug zerrissen“. Im anderen lautete es ähnlich. Man merke: Das damalige
grobe Papier als Verbandzeug.
Ebenso wurde auch alles Vieh weggetrieben und
zwischen den beiden Übergangsstellen geschlachtet. Auch Großvaters einzige Kuh
musste natürlich mit. Daraufhin wendete sich dieser an den Oberbefehlshaber der
Russen, der auf der Pfarre Quartier genommen hatte. Von diesem mit einem Befehl
auf einem Zettelchen versehen, geht er und sucht unter den Schlachtopfern sein
Tierlein heraus, immer bedroht von den Säbeln der Kosaken…“ (Wittenberger Tageblatt
1920).
Viele Tausende von Soldaten zogen durch Elster.
In der Schlacht selbst kamen relativ wenige Zivilisten um – aber durch die sich
verbreitenden Krankheiten schrumpfte die Bevölkerung in den nächsten Monaten
deutlich. Viele hatten sich in den Sumpfgebieten versteckt und sich mit dem
verschmutzten Wasser infiziert, andere sich bei den Soldaten angesteckt. Zu
bedenken ist auch der große Mangel an Lebensmitteln. Etwa 10% der
Einwohnerschaft starben auf diese Weise.
Nun gab es also ab 1815 eine neue Regierung. Für
die Kirche bedeutete dies, dass der oberste Landesherr jetzt der preußische
König war. Er war gleichzeitig der „summus episcopus“, der höchste Bischof.
Nun, in Sachsen war er katholisch gewesen und musste sich vertreten lassen, in
Preußen war er auch nicht lutherisch, sondern reformiert: Die Hohenzollern
stammten aus Süddeutschland, wo die Reformation aus der Schweiz gewirkt hatte.
Zum 300. Reformationsjubiläum verfügte der preußische König eine Kirchenunion:
Reformierte und lutherische Christen sollten gemeinsam unter einem Dach vereint
eine evangelische Kirche bilden. Dabei konnte jede Gemeinde ihren lutherischen
bzw. ihren reformierten Charakter behalten. Nicht alle fanden das gut, in
Seehausen etwa zogen die Bauern mit dem Gesangbuch vor das Pfarrhaus und
protestierten lautstark: „Wir sind Lutheraner!“ Schon Paul Gerhardt hatte seine
Pfarrstelle in St. Nikolai in Berlin aufgeben müssen, weil er sich gegen derlei
Unionsbestrebungen gestellt hatte und mit dem König in Konflikt geriet.
Heute ist der Unterschied zwischen Reformierten
und Lutheranern hier kaum noch jemandem bewusst. 1529 traf sich Luther in
Marburg mit Vertretern der Reformierten und stellte fest, dass sie in den
allermeisten Punkten übereinstimmten: Nur in einem, für Luther entscheidenden,
nicht: Beim Abendmahl. Luther beharrte auf der „Realpräsenz“, er schrieb vor
sich auf den Tisch: „EST“ – „Das ist mein Leib. Das ist mein Blut.“ – dass also
Jesus „in, mit und unter Brot und Wein“ wahrhaftig anwesend ist bei der Feier
des Abendmahles. Das bestritten die Reformierten. Inzwischen kann man natürlich
längst miteinander feiern. Es bleibt dennoch ein wichtiger Unterschied, ob und
auf welche Weise man mit der Präsenz Christi im Gottesdienst rechnet.
Dass die Kirchengemeinde fortan zu einer unierten
Landeskirche gehörte hatte auch die Folge, dass das synodale Prinzip und die
Mitbestimmung von „Laien“, also Menschen, die nicht „Geistliche“ sind, in der
Gemeinde gestärkt wurden. So ist auch heute der Gemeindekirchenrat das
Leitungsgremium der Kirchengemeinde.
Im Jahre 1828 war in Elster ein Kirchenneubau
geplant, vor dem man jedoch aus Kostengründen zurückscheute. Ja, es gab in den
nächsten Jahren eine umfangreiche Diskussion dazu und schließlich die
Begründung, dass man in der alten Kirche „zu Hause“ sei, was ein neuer
Kirchenbau nicht ohne Weiteres bieten könne. (vgl. unten, S. 27).
Elster hat 1832 380 Einwohner. „Es werden 14
Hüfner, ein Schmied, ein Leinewebermeister, ein Seilermeister, ein
Schneidermeister, ein Stellmacher, ein Schiffer, vier Handarbeiter und fünf
Häusler verzeichnet. Eine Windmühle, eine Schneidemühle, eine Wassermühle, eine
Salzniederlage, zwei Gasthöfe, die schon „Anker“ und „Schiffchen“ hießen, waren
vorhanden. Es gab einen Pfarrer, einen Ortsrichter und einen Schullehrer. 12
Familien, man nannte sie Hausgenossen, waren noch ohne Besitz. Sie ernährten
sich von der Tagelöhnerei oder von der Schifffahrt – als Schiffsknechte oder
Kahnzieher. Kaufläden, Bäcker, Fleischer oder Friseure gab es noch nicht.
Straßen: Der Markt, die Lindenstraße, ein Teil der Gielsdorfer Straße und der
Dresdener Straße, die Elbstraße und die Friedensstraße.“ (Elster aaO 6).
Der Oberlehrer Schiemann schreibt 1920: „Durch
Wasser vertrieben, lag der zweite Dorfplatz“ – nach dem Dreißigjährigen Krieg –
„von der Sandecke gerechnet nahe dem heutigen heran. Das letzte Haus von diesem
zweiten Dorf hat mein Vater noch stehen und wegrollen sehen, weil es schon zu
einem Viertel unterspült war. Es war die Salzscheune. In vorbahnlicher Zeit kam
das Salz zu Wasser von Schönebeck, und die Fässer wurden in der Salzscheune
eingelagert… Diese Salzscheune wurde auf Rollen gesetzt und abgeschoben und
steht heute noch. Es ist das Haus übereck von Webers Gastwirtschaft, Besitzer
Alicke. Früher sah man noch am Giebel die kleinen Querriegel, die das ehemalige
Scheunentor verrieten.“
Pfarrer Gottlieb Adolf Fleck, seit 1827 in
Elster, blieb bis zu seinem Tod 1850 hier. Sein Nachfolger war August Ludwig
Ferdinand, der zunächst seit 1833 Pfarrer in Seehausen war und 1851 nach Elster
kam, dort auch bis zu seinem Tod 1870 blieb. Seine Frau war die
Bürgermeisterstochter Clara Ottonie Eißner aus Wittenberg. Auf seinem Grabstein
steht „Psalm 73 Vers 28“, die Jahreslosung 2014 („Gott nahe zu sein ist mein
Glück“, in der alten Lutherübersetzung: „Das ist meine Freude, dass ich mich zu
Gott halte und meine Zuversicht setze auf Gott, den Herrn.“) Er hat viel erlebt
in diesen Jahren in Elster, auch den Neubau von Pfarrhaus und Kirche!
Das Wasser war und ist das große Naturelement,
mit dessen zerstörerischer Kraft die Elsteraner lebten und leben. Nun kam in
erschreckendem Maße noch eine andere Kraft hinzu: Das Feuer.
1844 hatte der preußische König deshalb für
seine Landen verfügt, dass kein Haus mehr neu mit Stroh gedeckt werden darf.
Die Strohdächer waren die Ursache gewesen, dass ein einmal entzündetes Feuer
schnell neue Nahrung fand.
Unter dieser Vorschrift wurde das neue Elsteraner
Pfarrhaus 1856 und das neue Schulhaus 1859 erbaut: Und so überstanden sie auch
die Brandkatastrophe des Jahres 1861.
In diesem Jahr brannte die gesamte nördliche
Seite von Elster nieder, darunter auch die Kirche.
Oberlehrer Schiemann hat es als Junge erlebt und
beschreibt es im Kirchenblatt „Heimatglocken“ im September 1920. Sein Vater und
Großvater waren Lehrer, und sein Großvater mütterlicherseits der Pfarrer Manitius
in Elster, er selbst ist in Elster aufgewachsen und war später in Leipzig
tätig.
„1861 am 21. Mai, 3. Pfingstfeiertag,“ (ein
Dienstag) „in Wartenburg ist Missionsfest. Das prächtige Wetter hat halb Elster
hinaus und hinübergelockt. Nachmittag finden im sogenannten Weinberg hinter dem
Schlosse noch verschiedene Ansprachen statt. Mein Vater“ (der Lehrer und Kantor
war) „hatte noch Taufen gehabt und kommt später, tritt außen an die Versammlung
und ärgert sich über die Jungen, die einander immer zurufen: „Aach, sieh nur
da, wie der Damper roocht!“ Schließlich wendet er sich um und sieht die Flammen
hochlodern. „Elster brennt!“ ruft er in die Versammlung, und ein Blitz hätte
nicht schlimmere Wirkung üben können, so stiebt die Menge auseinander, und
alles stürzt durch Schlosshof und Dorf der Fähre zu. Ich 7jähriger Junge
kümmerte mich doch nicht um die Reden, ich spielte mit Wartenburger Jungen dort
an dem Wasserlauf. Plötzlich war der ganze Platz leer, und ich lief, da ich
niemand mehr angehörte, mit anderen Jungen zum Dorfe hinaus der Elbe zu. Dort
saßen wir dann gerade der Kirche gegenüber. Die ganze hintere Dorfzeile ein
Rauch- und Feuermeer. Plötzlich entstand an einer der westlichen Säulen, welche
die Haube des Turmes freitrugen, ein Flämmchen, das rasch größer wurde. Bald
brannte die 2. und 3. Säule, dumpf stöhnten die Glocken ihren letzten Seufzer,
wenn brennende Stücke auf sie herunterfielen. Plötzlich neigte sich die Haube
nach links und stürzte mit Gekrach in den Pfarrgarten hinab, die Kirche ging in
Flammen auf, mein Vater war noch rechtzeitig über das Wasser gekommen und
hatte, während die Kirche schon im Dach brannte, Altarbekleidung, Leuchter,
Kruzifix, Begräbniskreuz, auch ein paar Stühle herausgeholt. Rauch und Feuer
aber verhinderte alles weitere. Aus der Umgebung waren zwar 22 Spritzen da,
aber zu retten war nichts mehr, da fast überall Strohdächer waren und in Zeit
einer halben Stunde schon die ganze Zeile brannte. Von Rühlike neben Stellmacher
Gresse bis zur Gielsdorfer Straße blieben nur 3 Häuser, die Pfarre am Dach
schon angekohlt, das Oesteritz´sche Auszugshaus“ (westlich neben Pfarrhaus) „und
das Rödersche Wohnhaus neben Bäckermeister Hehne, während hinter diesem
Tischlermeister Kühn vor einem rauchenden Aschenhaufen stand. Welcher Wirrwarr
im Dorfe war: rettende und vom Schreck umherirrende Menschen, herausgetriebenes
Vieh, das sich dann meist im Heger sammelte, überall Hausrat zwischen Spritzen
und Wasserwagen – lässt sich nicht beschreiben. Gegen 7 Uhr fragt Bauer
Hemmerling: „Welch´ Zeit muss es denn sein? Ich habe die Turmuhr gar nicht
hören können?“ sieht sich um: „Wo ist denn der Turm?“ – Er weiß nicht, dass 200
Schritte von ihm Turm und Kirche in Asche liegen. Die Glocken waren teilweise
zu Schrotkügelchen geschmolzen. Kirche und Turm waren aus bestem
Eicheholz-Fachwerk erbaut. Im Turm noch ein zweiter Turm aus dicken
Eichenbalken, die Außenwände zu schützen und zu festigen. Von der Orgel wurde
nichts aufgefunden als ein kleines Registerschildchen und ein Stäbchen
zusammengeschmolzenes Pfeifenzinn. Das Metall zu den heutigen Glocken wurde
durch Sieben und Waschen des Turmschuttes gewonnen. – Bald wimmelte das Dorf
von Bauhandwerkern, auch für uns Jungen fiel Arbeit ab, Ziegel hinaufreichen.
Bei fast allen Scheunen und Häusern habe ich mit helfen „Dachdecken“.“
Natürlich wurde nach der Ursache des Brandes
geforscht, der so viel Unglück anrichtete. Es gibt die Überlieferung, die
Lehrer Sens (ca. seit 1912 in Elster) weitergegeben hat: Ausgegangen soll der
Brand vom Pfarrgrundstück sein, verursacht von „Pastors Magd im Ziegenstall“. (Schulze aaO 1996). Stehen dahinter schon
kirchenfeindliche Tendenzen? Ein anderer Gedanke ist dieser: „Nach 1900 soll
ein Maurermeister aus Annaburg auf seinem Sterbebett gestanden haben, dass er
das Feuer gelegt habe, um für seine Gesellen Arbeit zu schaffen.“ (Elster aaO 68).
Pastor Wittkopp schreibt in den Heimatglocken im Februar
1918 vom Brand:
„Im Jahre 1861 wurde Elster durch ein schweres
Brandunglück heimgesucht. Die ganze eine Hälfte des Dorfes wurde in Asche
gelegt; besonders litten durch das Feuer die Witwe Matthieß, der Hüfner
Gottfried Bröse, der Hüfner Gottlieb Bröse und der Häuser August Schade, weil
sie nicht versichert waren. Zu den Gebäuden, die dem furchtbaren Wüten des
Feuers zum Opfer fielen, gehörte auch die Kirche. Sie hatte schon 1840, ja
schon 1828 einem Neubau Platz machen sollen, da der Fachwerkbau nicht mehr
halten wollte. Der Beschluss war schon gefasst worden, die Regierung, vertreten
durch den Regierungsreferendar Dr. Piper in Wittenberg hatte zugestimmt, der
damalige Pastor Fleck war mit einverstanden, aber die Gemeinde scheute zuletzt
doch wohl die Kosten und bat, den Beschluss aufzuheben.
Bemerkenswert sind die Gründe, die sie dabei
vorbringt. Ich führe die Sätze wörtlich an, damit wir uns ein ungefähres Bild
davon machen können, wie die Leute damals dachten und wie es ihnen ging. „Unser
Kirchturm ist nur vor 40-50 Jahren gebaut noch neu, und anerkannt fest und gut.
Die ganze innere Einrichtung der Sitze und Chöre im ganzen ganz zu unserer
Zufriedenheit, so dass jede Änderung derselben uns weniger angenehm sein würde.
Nur eine Befestigung unserer äußeren Kirchenwände dürfte notwendig sein. Die
Größe der Kirche muss schlechterdings bleiben, da die Einwohnerzahl sich mehrt
und man für Kinder und Kindeskinder baut. Für die Befestigung der Seitenwände
also werden unsere Kirchenvorsteher wie es ihnen zukommt laut Landrecht § 321,
mit Zuziehung der Richter und Schöppen, Sorge tragen, auch was sonst im
einzelnen schadhaft ist, machen lassen. Alles andere übersteigt schon unser
Vermögen. Wir sind von dem Elbstrom hart bedroht und müssen die großen Uferbaue
aus eigenen Mitteln machen. Müssten auch eine Notkirche zuvörderst haben. Auch
eine neue Orgel. Der Mindestbietende soll nicht gelten. Alles das zusammen,
hierzu eine Kirchenmauer, würde den Kostenanschlag noch übersteigen.
Aber auch nicht verantworten könnten wir´s. Schon
über das Abtragen unseres noch guten Turmes könnten wir uns nicht zufrieden
geben. Aber die vorhabende Veränderung des Innern der Kirche ist eine Sache,
welche noch mehr bedeuten will. Sie würde den nachteiligsten Einfluss auf die
allgemeine Andacht und Erbauung haben. Sie würde eine Emporkirche geben auf
welcher das junge Volk nur Unfug hinter dem Rücken des Predigers treiben würde.
Sie würde eine Behinderung des Vortrags der Predigt und der Wirksamkeit
derselben sein, welche gegen Sünde und Laster so höchst notwendig ist. Sie
würde also wider das allgemeine Beste sein und mit der verminderten
Versittlichung zusammenhängen. So würde sie dem ganzen heiligen Zwecke der
Kirche und den gottesdienstlichen Versammlungen in ihr den bedenklichsten
Eintrag tun. Solches zu unternehmen, zu solchem unsere Einwilligung gegeben zu
haben und zu geben, läuft also gegen unser Gewissen. Gewissenssache ist es uns,
uns dagegen zu erklären. Jedem Einwohner im Staate muss aber, dem Königlichen
Landrechte zufolge, II, 11, § 2, eine vollkommene Gewissensfreiheit gestattet
werden. Also gewiss auch nicht weniger einer ganzen Kirchengemeinde. Demnach
hat die Sache ihr Bewenden, und wir danken ganz ergebenst unsern für unsern
Kirchenbau so tätigen höheren Behörden für ihre zeitherigen Bemühungen.“
(Da zeigt sich also die neue evangelische
Kirchenstruktur, ganz demokratisch!)
„Die neue Kirche hatte laut Kostenanschlag vom
Jahre 1831 4827 Taler kosten sollen, das war der Gemeinde zu teuer, und so trat
sie im letzten Augenblick zurück. Der Bauinspektor besichtigte die Kirche noch
einmal gründlich, erklärte, er halte eine Reparatur für genügend, in einem
Briefe schreibt er, sie könne noch hundert Jahre stehen, in einem andern aber,
sie halte höchstens noch 30 Jahre aus, genug, es fand eine ordentliche
Ausbesserung statt und alles war zufrieden.
Aber hundert Jahre stand die alte Kirche doch
nicht mehr, auch nicht dreißig Jahre, sondern nur noch zwanzig Jahre, da
brannte sie völlig nieder. Das Fachwerk, die Bänke, die Emporen, der Altar, die
Orgel, die Glocken, alles wurde ein Raub der Flammen. Es war gerade acht Tage
nach der Visitation durch den Superintendenten Schapper…
Die erste Frage war nun, wo sollte der
Gottesdienst abgehalten werden? Der Superintendent schlug dem Landrat von Jagow
vor, sofort eine Notkirche aus Brettern zu errichten, aber mit Lebhaftigkeit
wies der den Plan ab; das sei gar nicht nötig, die neue Kirche werde so schnell
gebaut werden, dass die Gemeinde die kurze Zeit sich gut so behelfen könne.
Sollte man das Schulzimmer nehmen? Der Raum war zu klein. Sollte man in den
Gasthofsaal gehen? Die Gemeinde sträubte sich dagegen, sie wollte nicht an
derselben Stelle Kirche halten und die Sakramente feiern, wo die
Tanzfestlichkeiten und weltlichen Lustbarkeiten stattfanden. So entschloss man
sich, den Dachboden des Pfarrhauses zum Versammlungsraum herzurichten; zwar der
Bauinspektor Fessel hatte seine großen Bedenken; in einem Gutachten wies er
darauf hin, das höchstens 150 Personen sich dort aufhalten dürften, da die
Balkenlage vielleicht zu schwach sei, auch würde im Sommer die Hitze unmittelbar
unter dem Ziegeldache, im Winter die Kälte unerträglich sein können; aber
Superintendent und Landrat, Pfarrer und Gemeinde hielten den Ort doch für den
geeignetsten, 300 bis 350 Menschen fänden dort Platz, so erklärten die
Hausväter, sie wollten von jeder anderen Einrichtung absehen und sich während
der ganzen Zeit damit begnügen. So predigte denn Pastor Manitius auf dem Boden
seines Hauses. Den Gesang leitete Schullehrer Schiemann, vorher läutete er mit
seiner großen Handglocke, die Leute stiegen die beiden Treppen hinauf und dann
wurde begonnen.
Rüstig fing man an, die Vorbereitungen zum
Neubau zu treffen. Alles schien gut zu gehen. Die Brandkassengelder wurden von
der Versicherung pünktlich gezahlt, ungefähr 5000 Taler; der evangelische
Oberkirchenrat bewilligte eine Kollekte, die im Herbst 1861 in sämtlichen
evangelischen Kirchen der Provinz Sachsen gesammelt wurde und 1407 Taler 11
Silbergroschen 9 Pfennig ergab; was noch fehlte, hoffte man aus dem
Kirchenvermögen und sonstigen Beiträgen aufzubringen. Ein Bauplan wurde von dem
Bauinspektor Deutschmann in Wittenberg entworfen, wobei folgende Richtlinien
befolgt wurden: die Kirche sollte auf dieselbe Stelle zu stehen kommen, wo die
alte gestanden hatte. Sie sollte Raum bieten für 540 Personen; ihre Höhe und
die Lage der Fenster sollte so eingerichtet werden, dass später die Emporen
eingebaut werden könnten, wenn die Gemeinde zu groß würde. Es sollte ein Rohbau
werden, da die Güte der in dieser Gegend hergestellten Steine dies wohl
gestatte und mit dem Wegfall des Putzes nicht erheblich gespart werde. Die
Baukosten würden 9850 Taler betragen, ohne Orgel und Glocken. So schien alles
gut zu gehen.
Aber dem so viel versprechenden Anfang entsprach
der Fortgang in keiner Weise.
Es dauerte 6 Jahre, ehe überhaupt mit den
Arbeiten begonnen wurde, erst im Jahre 1867 ging man an die Ausführung des
Baues, und 4 Jahre dauerte es, bis die Kirche zum Gebrauche fertig war, also
voll 10 Jahre vergingen, bis die 4 Gemeinden Elster, Listerfehrda, Gielsdorf
und Meltendorf für das abgebrannte Gotteshaus eine neue Kirche bekamen.
Woran lag das?
Wie aus den Akten hervorgeht, machte man sich
sehr langsam ans Werk. Schuld daran scheint zunächst die Regierung gewesen zu
sein; sie setzte nicht den nötigen Druck dahinter. Viel Zeit wurde damit
verbracht, ehe der Bauplan genehmigt wurde; Superintendent, Landrat und
Gemeinde mussten ihre Zustimmung geben und jeder hatte seine besonderen
Wünsche. Sodann fehlte es an Bruch- und Mauersteinen. Die Bruchsteine waren
wegen des kleinen Wasserstandes nicht herbeizuschaffen, die Mauersteine waren
wegen der vielen Bauten nicht zu bekommen und standen in zu hohen Preisen. Der
Hauptgrund aber lag ganz wo anders. Die Gemeinde verlangte, dass der Fiskus zu
den Kosten den Patronatsbeitrag beisteuern sollte, und die Regierung weigerte
sich. Endlos waren die Schreibereien darüber. Die Regierung erklärte, als 1840
die Kirche hätte neu gebaut werden sollen, wäre keine Rede von einem Beitrag
des Staates gewesen, und die Gemeinde beharrte dabei, sie sei königlichen
Patronats und sie hätte ein Recht auf das Geld. Obwohl der Superintendent
beweglich klagte, es sei ein schreiender Notstand, der Dachboden des
Pfarrhauses wäre zu dürftig, um dort Gottesdienst zu halten, die Leute kämen
gar nicht mehr zur Predigt, alle abgebrannten Wohnhäuser und Ökonomiegebäude
des großen Dorfes seien wieder neu und stattlich aufgebaut worden, nur das
Gotteshaus und mit ihm ein wesentliches Mittel des kirchlichen Lebens liege in
Trümmer, so wurde der Neubau der Kirche durch diese erwähnten Hindernisse immer
wieder aufgehalten. Endlich entschied das Ministerium in Berlin, die Gemeinde
habe zu bauen ohne den Patronatsbeitrag und sofort anzufangen; und auf diesen
Zwang hin wurde 1867 mit dem Kirchenbau endlich der Anfang gemacht. Die Gemeinde
hatte zwar Unrecht bekommen in ihrem Streit gegen die Regierung; aber sie hatte
ihren Willen doch insofern durchgesetzt als sie ihren Ansprüchen an den Fiskus
nicht entsagt hatte. Sie baute nicht freiwillig, sondern gezwungen, und diese
Tatsache war sehr wertvoll, als die Gerichte über die Lastenpflicht des
Patronats zu entscheiden hatten. Bekanntlich sind wir da mit unsrer Ansicht
durchgedrungen, die Alten unter uns werden sich dessen erinnern, einen
wesentlichen Anteil an dem Erfolge hatte Pfarrer Hahn, der gleich nach seinem
Amtsantritt in Elster die Sache durchfocht.
So wurde endlich Hand angelegt an das Werk; aber
es ging auch jetzt noch nicht flott vonstatten. Der Bauinspektor ließ es an der
sachgemäßen Beaufsichtigung fehlen, es wurde nachlässig gearbeitet, die Mauer
verwarf sich, die Fenster wurden durch den Sturm eingedrückt, die Türen passten
nicht, es war ein beständiger Ärger, es kam zu Klagen, Schadenersatzansprüchen,
Untersuchungen und der Bau wurde monatelang, einmal ein ganzes Jahr lang unterbrochen.
Immer wieder kamen Anfragen, die Akten gingen hin und her, Landrat, Regierung,
Ministerium, Superintendent, Konsistorium beschäftigten sich mit der Sache, es
ging nicht vorwärts und ging nicht vorwärts, der Zustand auf dem Dachboden des
Pfarrhauses wurde unerträglich, der alte Pastor Manitius starb, der alte
Superintendent kam fort, auch der alte Landrat war nicht mehr da.
Es war, wie es in einem Schreiben des Landrats
heißt, eine gräuliche Unordnung in dieser Angelegenheit. So ganz allmählich wurde
die Kirche aber doch fertig. Als sie schon dastand und eingeweiht werden
sollte, zeigten sich wieder Risse und die Einweihung musste noch um ein halbes
Jahr verschoben werden. Ein neuer Pastor kam, Flaischlen; die Kirche war noch
immer nicht so, dass seine Einführung in ihr hätte stattfinden können, und man
hatte schon beschlossen, diese Feier in Gentha vorzunehmen, aber da strengte
sich doch alles an, dass die Kirche in Elster, dies Schmerzenskind, dies
Sorgenkind zehn lange Jahre hindurch, doch noch fertiggestellt wurde, so dass
im Juni 1871 zugleich mit der Einführung des neuen Pastors die neue Kirche
eingeweiht werden konnte.
Die Glocken, schon 1868 gegossen, läuteten
feierlich, Generalsuperintendent, Superintendent und Landrat und viele
auswärtige Pfarrer waren erschienen, die ganze Gemeinde war freudig bewegt,
dass sie nun endlich wieder ein Gotteshaus hatte. Freilich die Orgel fehlte
noch, erst im Jahre 1874 wurde sie beschafft, nach vielem Hin- und Herschreiben
und Plänemachen, worüber eine ganze Menge Akten vorhanden sind, entschloss man
sich, die alte Orgel der Peterskirche in Leipzig für 500 Taler zu kaufen; aber
ehe es soweit kam, hatte man viel Verdruss, es zeigten sich auch immer wieder
Risse in den Kirchenmauern, noch 1875 musste eine Ausbesserung vorgenommen
werden, aber im großen und ganzen war man zufrieden und sagte sich, wenn man
die stattliche Kirche mit ihrem weithin sichtbaren Turm ansah: Was lange währt,
wird gut.
Als ich vor einigen Monaten den alten
Krügers-Vater in Gielsdorf fragte: „Herr Krüger, Sie sind doch früher viel in
dieser Gegend herumgekommen, auf dem Fläming und überall, gibt es denn dort
auch schöne Kirchen?“ „Ja, die gibt es wohl, sagte er, aber, Herr Pastor, die
schönste und beste ist doch unsere Kirche in Elster.“ Und jedes echte Pfarrkind
unsrer ganzen Gemeinde denkt ebenso.“ (Pastor Wittkopp im Februar 1918 in den „Heimatglocken“,
6-8).
So eine große Kirche! In einem Schreiben des
Bauinspektors Deutschmann vom 4. April 1865 kann man lesen, wie dies berechnet
wurde:
„Wahl der Baustelle: Die Kirche wird auf der
Stelle nur dann Platz finden können, wenn einige alte Gräber translociert
werden, wozu indessen nach der mündlichen Mittelung des Herrn Ortsgeistlichen
die Beteiligten ihre Zustimmung wohl geben werden. In allen Fällen ist aber der
Baugrund in und um Elster so eben und fest, dass die veranschlagte
Fundamentierung auch für jede andere Baustelle als passend zu erachten ist…
Wenn aber, wie es scheint, mit dem Bau der
Kirche bald angefangen werden soll, ist es zunächst nötig, den Platz zu
ermitteln. Nach der von dem Herrn Ortsgeistlichen den Unterzeichnenden
erteilten amtlichen Auskunft beläuft sich die Zahl der konfirmierten
Gemeindeglieder aus den eingepfarrten Ortschaften Elster, Listerfehrda,
Gielsdorf und Meltendorf auf 810 Köpfe, wonach 2/3 dieser Zahl gerechnet die
Kirche Raum für 540 Köpfe zur Zeit bieten müsste. Demgemäß ist die Kirche so
groß entworfen, dass 1. im unteren Raum des Schiffs in den Mittelreihen 43 x 13
¾ + 11 ¾ + 10 : 1 ½ = 408 und 2. auf den
Seitenbänken 125 ½ : 1 ½ = 84, Latus 492. 3. Auf dem Orgelchore an Sitzplätzen
4 x 13 ½ : 1 ½ = 35 und 4. Ebendaselbst an Stehplätzen 20, Summa: 547 Personen
Platz finden. Die Höhe der Fenster ist nach Bestimmung des Herrn Geheimen
Oberbaurat Stüler so angenommen, dass für den späteren Zuwachs leicht Emporen
eingerichtet werden können, zu welchem Zwecke auch die Anlage der Fenster zur
Erleuchtung des Schiffes unterhalb der Emporen nischenartig gleich vorbereitet
ist. Die Beschränkung des projektierten Raumes auf das gegenwärtige Bedürfnis
und die vorgesehene spätere Erweiterung ist nun deshalb gewählt, weil die
Muttergemeinde Elster durch das Brandunglück schon ohnehin so erheblich
gelitten hat, dass ihr eine momentane bedeutende Beisteuer zu den Baukosten, zu
denen vor der Hand nur die Brandkassengelder und die aus einer in der
diesseitigen Provinz abgehaltenen Kirchenkollekte eingekommenen Beiträge, in
Summa: ca. 8000 Taler vorhanden sind sehr schwer fallen würde. Die Kirche ist
im Rohbau projektiert, da die Güte des in der Umgegend von Elster fabrizierten
Materials das wohl gestattet. Die Beschaffung der Orgel und der Glocken ist
nicht mit veranschlagt und wird dieselbe der Opferwilligkeit des kirchlichen
Sinnes der Eingepfarrten überlassen. In Betreff der Bauausführung wird noch
bemerkt, dass dieselbe jedenfalls unter Aufsicht eines Baubeamten geschehen
muss, da die Anfertigung der Detailzeichnungen den ausführenden Meistern nicht
überlassen werden kann. Wittenberg, d. 17. Februar 1865: Der Bauinspektor Deutschmann.“
„Die Einweihung der Kirche war zugleich die
Einführung von Pfarrer Hermann Julius Flaischlen.“ Er stammte aus Württemberg,
1854 war er Oberhelfer im Rauhen Haus in Horn bei Hamburg, also bei Johann
Hinrich Wichern, der die flammende Rede zur „Inneren Mission“ 1848 auf dem
Kirchentag in Wittenberg hielt, und in jenem Haus, in dem der Adventskranz vor
175 Jahren erfunden wurde! Auch in Neinstedt war er im „Rettungshaus“ tätig. In
Elster blieb er nur sieben Jahre, 1878 ging er nach Kropstädt.
Zur Einweihung und Einführung war es den Lehrern
der nächsten Umgebung freigestellt, „die Schule an dem Tage ausfallen zu
lassen, um sich an der hohen Feier beteiligen zu können“ (Wittenberger
Wochenblatt am Dienstag, 13. Juni).
Über die Feier berichtet das Wittenberger
Wochenblatt am Donnerstag, 15. Juni:
„Der letzte Freitag war für die Gemeinde zu
Elster ein hochwichtiger Festtag, da an diesem Tage die Einweihung des neuen
Gotteshauses und die Einführung des neuen Seelsorgers der Gemeinde stattfand. –
In aller Kürze lassen wir den Verlauf der Feierlichkeit hier folgen. Ungefähr
10 Uhr morgens setzte sich ein großer Zug unter feierlichem Gesange von dem
Schulhause aus nach der Kirche zu in Bewegung. Voran die Schuljugend mit ihren
Lehrern, sodann die Geistlichen, Gemeinde-Vorsteher und viele
Gemeinde-Mitglieder. Auf dem Kirchhofe angekommen, bewegte sich der Zug
zunächst um das Gotteshaus und darauf, als dies unter den üblichen Gebräuchen
geöffnet, in dasselbe hinein. Der Generalsuperintendent Schulze hielt die
Weiherede über 1 Petri 2,5 und 6 („Und bauet auch ihr euch als lebendige Steine
zum geistlichen Hause und zur heiligen Priesterschaft, zu opfern geistliche
Opfer, die Gott angenehm sind durch Jesus Christus. Darum steht in der Schrift:
„Siehe da, ich lege einen auserwählten östlichen Eckstein in Zion, und wer an
ihn glaubt, der soll nicht zuschanden werden.“ (Jes 28,16)). Der Superintendent
Romberg hatte zum Text der Einführungsrede des neuen Pfarrers Evang. Marci
16,16 gewählt („Wer da glaubet und getauft wird, der wird selig werden; wer
aber nicht glaubet, der wird verdammt werden.“). Nachdem dieser in der üblichen
Weise feierlichst in sein Amt eingeführt, wurde mit dessen Antrittspredigt die
kirchliche Feier beschlossen. Das gemeinsame Mittagsmahl wurde im „Gasthof zum
Anker“ eingenommen.“
Pfarrer Schulze ordnete zur 125-Jahr-Feier 1996
das Ereignis geschichtlich ein:
Am 9. Juni 1871 war die Einweihung – der
deutsch-französische Krieg war gerade beendet. Eine Woche später fand die große
Siegesfeier in Berlin statt. Eine bewegte Zeit! Am 18. Januar war die
Neugründung des Deutschen Reiches proklamiert worden. Die Grenzen innerhalb
Deutschlands wurden aufgehoben, auf der Elbe waren die Zollgrenzen schon 1870
gefallen. Es gab eine einheitliche Währung, einheitliche Maße und Gewichte. Die
Gründerzeit begann: Mit den hohen französischen Geldzahlungen konnte viel
finanziert werden. Industriebetriebe wurden gegründet, Eisenbahnlinien gebaut,
Großstädte entstanden. Arbeitskräfte waren billig. Es war auch die Zeit der
Hinterhöfe, der Enge, von Not und Krankheiten in den Arbeitervierteln.
In dieser Zeit also wurde unsere Kirche gebaut,
gebaut im neoromanischen Stil als schlichter, einfacher Hallenbau, versehen mit
drei Apsiden.
Wie mag die Gemeinde aufgeatmet haben – nach zehn
Jahren Notbehelf, wo auf dem Boden des Pfarrhauses Gottesdienst gefeiert wurde!
Eines aber fehlte noch, die Orgel! Sie wurde
1874 beschafft. Das Wittenberger Tageblatt schreibt:
„Die Parochie Elster feierte am vergangenen
Sonntage ein schönes Doppelfest, nämlich ihr Erntedankfest und das der Weihe
der für die Kirche beschafften Orgel. Bei der Einweihung des neuen
Gotteshauses, welche vor 3 Jahren stattfand, wurde die Orgel recht schmerzlich
vermisst. Endlich gelang es, die Orgel der Petrikirche in Leipzig, welche dort
durch eine neue ersetzt worden ist, käuflich zu erwerben. Das stattliche, aus
21 klingenden Stimmen, 2 Manualen und dem Pedale bestehende Orgelwerk wurde von
den Herren Orgelbauern Spressel und Kohl“ in die Elsteraner Kirche eingesetzt (Wittenberger Kreisblatt
23.9.1874).
Der Pfarrerssohn Hermann Wittkopp – der wohl
gewiss Interna wusste, schreibt 1944: Es „wurde in einer Leipziger Kirche die
Orgel geteilt, und den einen Teil bekam Elster. So sind wir zu einer
Schleiflagen-Orgel gekommen. Vielleicht hat schon Bach auf ihr gespielt.“ (Wittkopp, Hermann
(Pfarrerssohn): Maschinenschriftliche Aufzeichnungen, Herbst 1944.).
Eine rasante wirtschaftliche Entwicklung vollzog
sich in den nächsten Jahren. Zwischen Wittenberg und Bitterfeld entstand eines
der größten und bedeutendsten Industriezentren Europas – und Elster hatte
Anteil daran. 1932 waren von 100 Elsteranern nur noch drei direkt in der
Landwirtschaft beschäftigt, der größte Teil waren Fabrikarbeiter in
Wittenberger Fabriken, bei ARADO, der WASAG oder in Piesteritz. Die Lebenswelt
von Arbeitern mit Schichtbetrieb und an Maschinen ist eine grundlegend andere
als die des Landwirtes, der an die Jahreszeiten gebunden ist und mit der Natur
lebt. Die neuen Fabrikarbeiter kamen meist ja auch aus dörflichen Strukturen,
aber sie verließen ihre Heimatdörfer und siedelten sich hier neu an. Dabei kam
es häufig zu einem Abbruch von Traditionen – und das betraf auch die
kirchlichen Sitten und Gebräuche. Auf die Arbeiterschaft bekamen die Sozialdemokratie,
die damals durchaus kirchenkritisches Profil hatte, sowie andere ideologische
Richtungen Einfluss. Auch innerhalb des christlichen Glaubens taten sich neue
Horizonte auf: Es gab nicht mehr allein die eine lutherische Kirche, sondern
durch den Zuzug vieler Menschen begegnete man anderen Glaubensvorstellungen.
Eine „Revolution auf dem Wasser“ wurde 1866
ausgelöst, als die ersten Kettendampfer auf der Elbe erschienen. 1926 lösten
die Radschleppdampfer die Kettendampfer ab und die Kette wurde aus der Elbe
entfernt. (Elster
aaO 10).
Von 1871-1875 wurde die Eisenbahnlinie
Wittenberg – Falkenberg gebaut, und Elster erhält einen Bahnhof. (Elster aaO 6).
Bis dahin war man in seinem Leben kaum über die
Dörfer der näheren Umgebung hinausgekommen. Zu Fastnachten zog die Jugend – zu
Fuß – in die Nachbarorte und lernte sich kennen: Aber das war ein begrenzter
Radius. In Zemnick zum Beispiel war der erste „Fremde“, der einheiratete, ein
Bahnarbeiter aus Ostpreußen im Jahr 1899. In Elster hat diese Entwicklung sehr
viel früher und sehr viel massiver eingesetzt. Mit der Eisenbahn war ein Tor
zur Welt aufgeschlagen, und den Elsteranern war das Reisen per Schiff bereits
selbstverständlich.
Natürlich versuchte die Kirche, auf die
„Entfremdung“ der Arbeiterschaft zu reagieren. Besonders die „Innere Mission“
ist hier zu nennen: Wichern hatte auf dem Kirchentag 1848 dringend appelliert,
die Not breiter Bevölkerungsteile nicht zu ignorieren, sondern sich im Namen
Jesu für die Bedürftigen einzusetzen. Ein Leuchtfeuer dieser Arbeit im Geiste
christlicher Nächstenliebe in unserer Gegend ist die Arbeiterkolonie in Seyda,
die Gustav von Diest für brotlose Landarbeiter gründete.
Auch der Pfarrerberuf wandelte sich. In früheren
Zeiten ist der Pfarrer durchaus auch Landwirt gewesen: Er konnte das Pfarr- und
Kirchenland selbst bewirtschaften, wenn es nicht verpachtet wurde. Hermann
Wittkopp schreibt: „Bis zum Jahre 1870 etwa wurde das Land (225 Morgen
Pfarrgrundstück) vom Pfarrer selbst bewirtschaftet, danach hat er es
verpachtet. Den ersten Anlass zur Verpachtung hat wohl die Pfarrscheune
gegeben, die im Jahre 1866 aus Rache angesteckt wurde und niederbrannte (die
Kirche und das halbe Dorf brannten mit).“ Die Pfarre war also einmal wie ein
richtiger Bauernhof angelegt. (Wittkopp aaO Herbst 1944).
Ein Beispiel für die Verpachtung ist eine
Annonce im Wittenberger Kreisblatt vom 5. Mai 1855: „Wiesen-Verpachtung. Die
Pfarr-Wiesen zu Elster, circa 17 Morgen Elbwiesen, 4 Morgen auf Mark Wendorf
und 13 Morgen auf dem Drösel, sollen Dienstags den 29. Mai Vormittags 10 Uhr
als dem Tage nach Pfingsten, in einzelnen Parcellen, unter Vorbehalt des
Zuschlags, die Elb-Wiesen an Ort und Stelle, die übrigen in meiner Wohnung an
den Meistbietenden verpachtet werden. Elster den 14. Mai 1855 L. Manitius,
Pfarrer.“
Von Pfarrer Wittkopp und seiner Familie wurde bis
1928 noch der „Elbgarten“ mit Kartoffeln bearbeitet, dann verpachtet, und 1935
zu einem Obstgarten mit 24 Kirsch- und
24 Pflaumenbäumen verwandelt. Da es sonst keine Kirschen gibt, kommen viele
Interessenten – und erhalten auch Kirschen. Der Pfarrerssohn schreibt: „Abschlagen
kann man nicht, oder nur selten. Da sagt zum Beispiel die eine: Zu mir kommt
ein Soldat auf Urlaub, und ich möchte ihm gern einen Kirschkuchen backen. Der
andere will einen Kranken besuchen usw. Das Dorf ist groß. Wir selber müssen
oft verzichten und können kaum etwas einmachen. Wir geben es den Leuten aus
Freundschaft und wollen nichts dafür haben. Manchmal vergessen sie es aber
nicht und drängen uns Gegengaben auf, Eier, Speck, oft mehr, als wir ihnen
gegeben haben.“
„In früheren Zeiten hielten wir uns Gänse, sechs
Stück. Jetzt hat Mutter keine Hilfe mehr, und es macht zu viel Arbeit, die
Gänse großzuziehen. Auch damals wurde nicht allzu viel Arbeit auf sie verwandt,
die Gänse gediehen, aber waren furchtbar wild. Sie entwickelten sich zu
schnittigen Fliegern. Morgens, aus der Enge des Stalles herausgelassen, nahmen
sie einen Anlauf, flogen freudig schnatternd übers Hoftor, über die Straße, die
Lücke, die Wiese und platschten endlich in die Elbe. Dort trieben sie sich den
ganzen Tag herum und es war abends ein schönes Vergnügen, sie wieder
heraufzuholen und in den Stall zu lotsen. (Als eines Tages eine Straßenlampe
zerflogen war, sagten die Leute: Das waren Pasters Gänse; nur die fliegen so
hoch. Und wir mussten bezahlen, ohne dass es einer gesehen hatte.)“ (Wittkopp, Hermann aaO
1944).
Diese kleine Anekdote lässt tief blicken: In die
Bemühungen eines Pfarrers, sich in das Landleben einzufügen – was ihm
offensichtlich nicht so gut gelingt, die Gänse sind so leicht, dass sie hoch
fliegen können. Und es ist auch ein Hinweis auf den tiefen Graben, der nach und
nach entstanden ist zwischen Kirche und politischer Verwaltung, auch zwischen
Kirche und Schule, die sich auf der anderen Straßenseite befand. Die Kirche
stand oftmals für das alte, unmoderne; manchmal hat sie mehr Beharrungsvermögen
gezeigt, als die Fähigkeit entwickelt, auf neue Zeiten zu reagieren und auf
Menschen zuzugehen. Dieses Auseinanderentwickeln ist über einen langen Zeitraum
zu beobachten – sie erreichte einen Höhepunkt bei der „Verbannung“ von Pastor
Wittkopp 1934, weil er Mitglied der Bekennenden Kirche war und sich damit gegen
den Nationalsozialismus erklärte. Und es kann sein, dass dieser Graben manchmal
einfach fortgeschrieben worden ist, obwohl sich längst die Zeiten und
vielleicht auch die Menschen geändert hatten oder neue Personen hier und dort
im Amt waren.
Der rasante Anstieg der Bevölkerung hatte auch
andere Auswirkungen: Der Friedhof um die Kirche herum wurde zu klein. „Dieser
Kirchhof, so groß wie Hof und Garten zusammen, war bis etwa 1880
Begräbnisplatz. Seitdem ist er voll und wird nicht mehr belegt.“ (Wittkopp, Hermann aaO). Es ist eine
Besonderheit, dass man in Elster noch heute verschiedene alte Grabsteine auf
dem alten Friedhof bewundern kann. Sie einmal eingehend zu beschreiben wäre
eine lohnende Arbeit.
Elster wird auch weiterhin von Katastrophen nicht
verschont. Im Jahre 1883 gibt es einen weiteren Großbrand, nun brennt die halbe
Südseite des Dorfes nieder. (Zwade aaO). Nachdem 1861 der Norden abgebrannt war, ist also jetzt so
ziemlich alles „neu“, Pfarrhaus (1856), Schule (1859) und Kirche (1871) gehören
zu den ältesten Gebäuden.
„Ein Blitzschlag am 30. Juli 1895 führte zu
Schäden am Turm. Da die neue Kirche ebenfalls schon Schäden aufwies, wurde eine
Generalüberholung durchgeführt.“ (Schulze aaO, 1997).
Die Glocken überstanden den Blitzschlag. In
Elster wurde im selben Jahr durch Blitzschlag die Hagendorfsche Mühle
vernichtet. (Zwade
aaO).
Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung entwickelte
sich die Binnenschifffahrt weiter. Das war in Elster deutlich spürbar. Um 1900
war Elster ein bedeutender Schifferort. Es gab 40 bis 50 Schiffseigener, eine
Quelle spricht sogar von 78 Schiffseignern, 300 Menschen waren in der
Schifffahrt tätig.
1892 gründete sich der Schifferverein „Harmonie“. Ihr Leitspruch hieß:
„Mit Gott in die Flut, voll Kraft und Mut“.
1893 wurde eine Schifferschule gegründet. (Elster aaO 6 und 11).
Die Schifferfastnachten waren ein Höhepunkt im
Leben des Ortes: „Die Fastnachten wurden Anfang Februar jeden Jahres
abgehalten. Nachmittags gab es einen Festumzug und abends einen großen Ball.
Dazu wurden auch die Schiffervereine aus anderen Orten eingeladen. Sie nahmen
mit ihren Fahnen an den Umzügen teil. Der Mittelpunkt jeden Umzugs war der als
Kahn dekorierte Festwagen. Er wurde von Clowns gezogen.
Der Festwagen wurde von dem daraufsitzenden
Kapitän durch die Straßen dirigiert. Ein Heizer mit einem Kanonenofen saß in
der Mitte des Wagens. Er hatte die Aufgabe, Federn und Kiele zu verbrennen. Die
Rauchfahne und der Geruch zogen sich durch alle Straßen. Am Ende des Kahnes saß
der Steuermann. Ihm folgten maskierte Gestalten (die Ausjekledden).
Der Ball fand im Gasthaus „Zum Anker“ statt. Der
Saal wurde mit allerlei Schifferutensilien geschmückt wie Wimpel,
Schiffsmodelle, Staken, Malstöcke (Zeichen) usw. Die Theke war mit dem Hinweis
„Trinkwasser für Schiffer“ versehen. Daneben forderten die Frauen das
„Ankerverbotsschild“. Am zweiten Tag der Schifferfastnachten wurde gezempert.
Verkleidete Jugendliche gingen schon am Morgen mit Musik und Getöse durch die
Straßen und weckten alle Einwohner. Es wurden Würste, Schinken, Speck, Brote
und Eier gesammelt. Dies verzehrte man dann am Abend. Im „Anker“ feierten die
Schiffer und zeitgleich im „Schiffchen“ die Handwerker und Gewerbetreibenden.“ (Elster aaO 29).
So
verband sich die alte Tradition der „Fastnachten“ auf dem Fläming mit denen der
Schiffer. Mit der alten Fastenzeit vor Ostern – Fastnacht als die „Nacht vor
dem Fasten“ – hatte man weniger zu tun.
Im Jahre 1896 wurde in Meltendorf, was immer zur
Kirchengemeinde Elster gehörte, auf Initiative der Einwohnerschaft eine eigene
Kirche gebaut, die sich aus diesem Grund bis heute in kommunalem Eigentum
befindet. Dem vorausgegangen war die Einrichtung eines „Kirchenzimmers“ mit
Altar und Sitzbänken im neuen Haus des Hüfners Bröse. In dem kleinen Dorf
fanden über Jahrzehnte Woche für Woche Gottesdienste statt, zu dem auch ein
eigener Chor sang. Der Elsteraner Pfarrer kam freilich nicht so oft, deshalb
besorgte man sich Pastoren aus der Umgebung, etwa aus Gadegast oder gar
Piesteritz, die man abholte und gut beköstigte – für eine Predigt am Sonntag. (Vgl. „Kleine Geschichte
von Meltendorf“ 2014).
Dieser Kirchenbau könnte auch etwas mit der
angedeuteten Auseinanderentwicklung zwischen Landbevölkerung und
Industriearbeitern zu tun haben.
Pfarrer war in dieser Zeit Christian Ludwig
Heinrich Hahn. Er kam 1892 nach Elster, mit 47 Jahren, war früher in Schweinitz
und in Dautzschen tätig gewesen und gebürtig aus Eben-Ezer in der Kapkolonie,
also Sohn einer Missionarsfamilie, die in Südafrika war. In diesen Zeiten
wurden auch durch die Kirchengemeinde Elster die neu entstandenen Gemeinden vor
allem in Afrika unterstützt, es gab Sammlungen und Missionsfeste.
Pfarrer Hahn hatte zehn Kinder, und er starb in
Elster am 11. März 1916. Er musste noch erleben, wie sein Sohn Rudolf als
Kriegsfreiwilliger am 10. November 1914 fiel. Er selbst war Träger des
Reichsadlerordens IV. Klasse und hatte im Krieg 1870/71 ein Verdienstkreuz
erhalten (KDM 1870/71 f. Nicht-Kombattanten, Zentenar-Medaille). (Pfarrerbuch aaO).
Auf seinem Grabstein steht der Spruch: „Leide
dich als ein guter Streiter Jesu Christi.“ (2 Tim 2,3). In unserer Lutherübersetzung steht es im
Zusammenhang heute so: „So sei nun stark, mein Sohn, durch die Gnade, die in
Christus Jesus ihren Grund hat. Und was du vor vielen Zeugen von mir gehört
hast, das vertraue zuverlässigen Menschen an, die fähig sind, auch andere zu
lehren. Leide mit mir als ein guter Streiter Christi Jesu. Wer in den Krieg
zieht, gibt sich nicht mit Erwerbsgeschäften ab, damit er dem gefällt, der ihn
angeworben hat. Und wer an einem Wettkampf teilnimmt, erringt nur dann den
Siegespreis, wenn er nach den Regeln gekämpft hat.“
Spuren der modernen Zeiten finden sich auch an
der Kirche: 1911 erhält sie eine Turmuhr. Die Zeit, wo man „mit den Hühnern“
aufstand und für jeden Tag einen Kreidestrich über die Tür machte, um den
Sonntag nicht zu verpassen, war endgültig vorbei. Die Zeit wurde fortan durch
Maschinen in Stunden, Minuten und Sekunden gezählt – und wurde knapp.
Der Krieg warf seine Schatten voraus. Das
Gedenkjahr 1913 an die Völkerschlacht bei Leipzig und davor das Treffen bei
Wartenburg wurde begangen – einhundert Jahre hatte es keine Kriegshandlungen
mehr in Elster gegeben, Krieg war also ferne – und der letzte Krieg von 1870/71
lag über 40 Jahre zurück, fast zwei Generationen. Er war gewonnen wurden und
brachte einen großen wirtschaftlichen Aufschwung. So sah man den Krieg nicht
als etwas Furchtbares, sondern viel mehr verklärt als etwas Heldenhaftes oder
gar Reinigendes an – auf diesem Hintergrund ist die Kriegsbegeisterung des
Jahres 1914 zu erklären, die auch Pfarrer und Gemeinde (es waren ja so gut wie
100% Christen) ergriff.
Pfarrer Ludwig Wittkopp begann am 15. Dezember 1916
seinen Dienst in Elster, vorher war er 2. Pfarrer in Seyda gewesen – aber
praktisch nicht dort, denn er war Feldgeistlicher und Sanitäter, wovon er der
Gemeinde besonders in den Kriegsjahren viel berichtete. In Schindelmühle bei
Prenzlau als Sohn eines Mühlenpächters geboren ist er zunächst Hauslehrer in
Oberhof gewesen, dann Hilfsprediger in Jena und Pfarrer in Daumitzsch. In
Elster blieb er sehr lange, bis 1952. Er hatte mit seiner Frau Martha aus der
Eifel vier Kinder: Der Sohn Bernhard, Theologiestudent, fiel in Russland 1943,
die Tochter Martha, geb. 1911, ist mit 16 Jahren verstorben; der Sohn Hermann
hatte Kinderlähmung, wurde im Rollstuhl gefahren und starb 1950 mit 25 Jahren.
Von ihm haben wir verschiedene Berichte. Die Tochter Helgard, geb. 1921,
heiratete einen Pfarrer und späteren Oberkirchenrat in Thüringen, Hans-Joachim
Werneburg.
Im Juni 1917 erschien eine erste „Probeausgabe“
der „Heimatglocken“, eines Gemeindeblattes, was Pastor Wittkopp herausgab.
Neben einer Andacht und Beiträgen von Autoren aus der Ferne – es gab in dieser
Zeit viele solcher Blätter, und man tauschte sich aus – gibt es manches
geschichtlich Interessante aus Elster und Umgebung zu lesen, und auf Seite 4
die Familiennachrichten. Der „patriotische“ Geist ist besonders in der
Kriegszeit zu spüren. Pastor Wittkopp selbst war Träger des Eisernen Kreuzes
II. Klasse, er hatte die vielen Gefallenen zu nennen und Andachten für die
Angehörigen zu halten. Man kann im Rückblick nur konstatieren, welche
Verblendung es doch gerade auf diesem Gebiet gegeben hat, und darüber staunen,
dass das Evangelium trotzdem immer wieder hindurchgeleuchtet hat und geblieben
ist. Sehr erstaunlich ist auch – bei dieser Vorgeschichte – dass sich Pastor
Wittkopp schon früh der „Bekennenden Kirche“ anschloss, die sich gegen die
„Deutschen Christen“ wandte. Die „DC“ begrüßten Hitler sehr und wurden auch von
ihm unterstützt. Es ist dazu gut zu wissen, dass die Begeisterung für den
Nationalsozialismus fast alle Bevölkerungsteile ergriffen hatte, auch unter
Lehrern und Pfarrern. In Deutschland gab es damals etwa 14.000 evangelische
Pfarrer, wovon 5.000 sich der Kirchenpartei der „Deutschen Christen“
anschlossen, 2.000 waren wir Pfarrer Wittkopp „Bekennende Kirche“, „BK“; 7.000
verhielten sich „neutral“. Pfarrer Wittkopp wurde sogar für elf Monate
strafversetzt nach Treffurt und Schadeleben, im Jahre 1934.
Da wurde von Mitglieder der Bekennenden Kirche
die „Barmer Theologische Erklärung“ geschrieben, auf die heute jeder Pfarrer
und jede Pfarrerin unserer Landeskirche verpflichtet wird. Sie steht auch im
Gesangbuch und wendet sich deutlich gegen die totalitären Ansprüche Hitlers.
„Wir verwerfen die falsche Lehre, als dürfe die Kirche die Gestalt ihrer Botschaft
und ihrer Ordnung ihrem Belieben oder dem Wechsel der jeweils herrschenden
weltanschaulichen und politischen Überzeugungen überlassen.“ „Wir verwerfen die
falsche Lehre, als solle und könne der Staat über seinen besonderen Auftrag
hinaus die einzige und totale Ordnung menschlichen Lebens werden und also auch
die Bestimmung der Kirche erfüllen.“
Pastor Wittkopp erlebte und durchlebte die
wechselnden Zeiten mit. Zunächst die Not im 1. Weltkrieg, auch die materielle:
„Im 1. Weltkrieg hielten wir uns mehrere Ziegen.“ schreibt der Sohn in seinen
Erinnerungen.
In den „Heimatglocken“ muss der Pastor 1917 über
die befohlene Glockenabgabe berichten: „Am 16. August vormittags sind die
beiden größeren Glocken der Kirche in Elster abgenommen worden. Zwei Angestellte
der Firma Boost in Wittenberg kamen mit der Bahn an und meldeten sich bei mir;
wir gingen hinauf in die Glockenstube, auf meine Bitte läuteten wir drei noch
einmal das sogenannte Sterbegeläut, und dann machten sie sich an die Arbeit. Es
war nicht möglich, die Glocken ganz herunterzuschaffen, sie mussten zerschlagen
werden. Das ging sehr schnell, und dann wurden die einzelnen Stücke
heruntergeworfen und auf einen Wagen geladen… Gott gebe, dass wir uns bald
wieder neue Glocken hinhängen können; die eine kleine, die uns geblieben ist,
ist doch nur ein Notbehelf. Aber es geht auch so, und wir können Kirchgänger
bleiben auch ohne Glocken. Wer die drei Glocken gehört hat, hört auch die
eine.“ – „Als im Jahre 1868 die Glocken neu gegossen wurden, erhielt die größte
die Inschrift „Gott erhalte Elster.““ (Heimatglocken September und August 1917).
Über 100 Gefallene waren vom Ersten Weltkrieg zu
beklagen, und auch die wirtschaftliche Not war groß. Dennoch wurde angepackt.
Im Jahre 1919 wurde der Sportverein „Eintracht“ gegründet – relativ spät, das
lag wohl an den Schifferfamilien, die oft nicht zu Hause waren – aber doch mit
einer rasanten Entwicklung in den letzten einhundert Jahren.
1920 begann die Elektrifizierung. Alle Haushalte
erhielten bis 1922 einen Stromanschluss. (Elster aaO 6).
Am 9. Juli 1922 wird das Denkmal für die
Gefallenen des Ersten Weltkrieges eingeweiht. Der Bau war zunächst umstritten.
In einer „Denkschrift“ der Erbauer heißt es zur Haussammlung: „Alle Helfer
waren dabei so angefeindet worden, dass nicht einer sich zu einer nochmaligen
Sammlung bereit finden wollte. Von einigen Leuten wurden diese aus dem Hause
gewiesen. Wer waren nun diese Gegner? Leute, die vom Kriege nichts oder sehr
wenig sahen, solche, die aus politischem Unsinn dagegen waren, sie erblickten
darin ein reaktionäres Unternehmen und fanden deshalb viele Anhänger aus
Arbeiterkreisen und endlich Kriegerwitwen (nur wenige), die das Geld für sich
und ihre Kinder mochten. Es war aber bekannt, dass diese verhetzt waren und
dass sie das Geld nicht für ihre Kinder, sondern für ihren losen Lebenswandel
verbraucht hätten. Leider war es eben eine Zeit, in der die Menschen viel
verhetzt wurden und nur wenige beherzte Leute den Mut aufbrachten, die eigene
Meinung kund zu tun. – Auch die Platzfrage machte Schwierigkeiten. Auf dem
Markt ein Denkmal zu errichten lehnte die Gemeinde ab. Auf dem Friedhofe ein
solches zu bauen, lehnte der Gemeindekirchenrat ab, weil grundlegende
Veränderungen des Friedhofes vorgenommen werden müssten. Ein großer Teil der
Einwohner wollte, dass aus dem alten Friedhof eine öffentliche Anlage werde.
Diesem widersprach aber der Pastor Wittkopp. Wir mussten darauf eingehen, nur
einen kleinen Teil zu benutzen, alles andere aber unangetastet zu lassen. Durch
alle Verhandlungen und alles Entgegenarbeiten kam es, dass für das Denkmal fast
der doppelte Preis gezahlt werden muss.“ Die Kosten beliefen sich auf 18.000
Reichsmark, das war eine sehr stattliche Summe. (Pfarrarchiv Elster, Chronikmaterial).
Am Volkstrauertag finden bis heute – und wohl
seit der Wende, wo das Denkmal zwischen dem Gestrüpp „wiederentdeckt“
wurde – Jahr für Jahr
Kranzniederlegungen der Vereine von Elster statt, vorher ist eine Andacht in der
Kirche.
Im Jahre 1944 beschreibt der Pfarrerssohn aus
seiner Perspektive, wie es um den alten Friedhof, das Denkmal und das Gedenken
bestellt war:
„Er ist jetzt ein schöner, verwilderter Park
geworden, mit viel Gebüsch, aber auch mit breiten, gepflegten Wegen und Beeten.
Dafür jemand finden, der sie pflegt, ist eine große Sorge, denn wir selber
können es auch nicht immer machen. Der Pfarrer hat ja schließlich noch mehr zu
tun. So sind es denn eine große Anzahl von „Klienten“; von denen (jeder) ein
bisschen macht. Bezahlt werden sie kaum mit Geld, denn das haben alle genug,
und sie machen sich nichts daraus, sondern mit dem Tabak, den das Pfarrhaus auf
seine Marken bekommt, denn wir rauchen nicht. Tabak, das Gras, das dort wächst,
das bisschen Obst, das dort steht, das geht jetzt schnell weg, und dafür finden
wir Leute.
Mitten auf dem Kirchhof steht das Kriegerdenkmal
für die Gefallenen des I. Weltkrieges… Es ist ein quadratischer Unterbau, auf
dem die Namen der hundert Gefallenen stehen. Darüber erhebt sich eine spitze
Pyramide. In jedem Jahr am Volkstrauertag, den die Kirche aufgebracht und die
Partei als Heldengedenktag erfunden hat, kommt die Partei und sämtliche Vereine
dort zusammen,“ der „Ortsgruppenleiter schwingt eine große Rede. Die
Schulkinder singen (jedes Jahr dasselbe), von jedem Verein wird ein Kranz
niedergelegt. Früher wurden die Kränze dann in der Kirche aufgehängt, jetzt
aber nicht mehr, damit sie nicht durch Kirchenluft entweiht werden. Die ganze
Sache wird mit Fleiß dann angesagt, wenn die Kirche mit ihrer Feier gestört wird,
das wird schon von oben so angeordnet. Trotzdem kommen aber doch mehr in die
Kirche, obwohl auch da zu wenig.“ (Wittkopp, Hermann aaO Herbst 1944).
1924 bzw. 1928 wurden abermals zwei neue Glocken
aufgehängt. Alle drei Glocken schmolzen beim Brand 1937. (Schulze aaO 1997).
Die „Heimatglocken“ bemühen sich, die neue
politische Situation mit ihren Strömungen aufzufangen und die Leser in eine
konservative Richtung zu beeinflussen. Pastor Wittkopp kämpft um die Erhaltung
des Religionsunterrichts in der Schule; er kritisiert die Meinung von Menschen, die nach Amerika auswandern wollen
oder die nicht genug Kinder in die Welt setzen oder aus der Kirche wegen der
Kirchensteuer austreten wollen; er mahnt die „Sittlichkeit“ und „Gottesfurcht“
an. Zu den Konfirmanden sagte er noch kurz nach dem Krieg: „Liebe kleine
Mädchen, liebe kleine Jungen, geht nicht
ins Kino. Das ist nur schädlich für euch.“ Aber auch anderes, wichtigeres blieb
von seinem Unterricht und seiner Predigt in Erinnerung und hat manche ein Leben
lang getragen. So empfahl er, zum Geburtstag das Lied: „Bis hierher hat mich
Gott gebracht“ zu singen.
Bis hierher hat mich Gott gebracht / durch seine
große Güte, bis hierher hat er Tag und Nacht / bewahrt Herz und Gemüte. Bis
hierher hat er mich geleit, bis hierher
hat er mich erfreut, bis hierher mit geholfen.
Hab Lob und Ehr, hab Preis und Dank / für die
bisher´ge Treue, die du, o Gott, mir lebenslang / bewiesen täglich neue. In
mein Gedächtnis schreib ich an: der Herr hat Großes mir getan, bis hierher mit
geholfen.
Hilf fernerweit, mein treuster Hort, hilf mir zu
allen Stunden. Hilf mir an all und jedem Ort, hilf mir durch Jesu Wunden. Damit
sag ich bis in den Tod: durch Christi Blut hilft mir mein Gott; er hilft, wie
er geholfen.
Am 18. Oktober 1925 gab es einen
„Kreiskirchentag“ in Elster, wovon das Wittenberger Tageblatt am 20. Oktober
1925 berichtete:
„Dem Beispiele anderer Kirchenkreise folgend,
fand gestern in Elster der erste Kirchentag des Kirchenkreises Wittenberg
statt… Es waren rund 150 Vertreter der Kirchengemeinden, welche der Einladung
gefolgt waren, um zusammen mit einer erfreulichen Zahl der sonstigen Gemeindeglieder
Zeugnis von dem neu erweckten Leben der evangelischen Kirche in unserem
Kirchenkreise abzulegen… Nach dem Eintreffen in Elster sammelten sich die
Teilnehmer vor dem dortigen Pfarrhause zum gemeinsamen Kirchgange, der 10 ½ Uhr
unter Glockengeläut sich nach dem reich mit Tannengrün und Blumen geschmückten
Gotteshause begab, das er unter Orgelklang betrat. Voran schritten die
Geistlichen des Kirchenkreises im Talar, dann folgten – nach Gemeinden geordnet
– die Vertreter der einzelnen Kirchengemeinden. Es waren mindestens 600
Teilnehmer, die das Gotteshaus bis auf den letzten Platz füllten. Da die
vorhandenen Sitzplätze nicht ausreichten, mussten noch Stühle und Bänke zur
Aushilfe herbeigeholt werden.“ Es predigte der Direktor des Wittenberger
Predigerseminars, Dr. Macholz, zur Pfingstgeschichte. „Einleitend verglich er
die Kirche mit einem Schiff, das nicht untergeht trotz Sturm und Wogenprall.
Das ist – so führte er dann aus – freilich nicht die Kirche, die wir haben,
sondern jene, die wir brauchen. Die heutige Kirche hat viele Mängel und Fehler.
Was müssen wir tun, damit es mit dieser besser werde? Uns fehlt in der Kirche
der tiefinnerliche Zusammenhalt. Wir müssen die Kraft erbitten, mitzuhelfen an
der Erstarkung des kirchlichen Lebens Mit äußerlichen Einrichtungen ist es
nicht getan, wenn der tiefe innerliche Zusammenhalt fehlt. Wir brauchen in
unseren Gemeinden Herzen, welche brennen in der Liebe zu Jesus und den Brüdern.
Darin soll uns die erste Christengemeinde als Vorbild dienen. Wollen wir unsern
Gemeinden Leben bringen, dann müssen wir gleich den ersten Christen wartende
Menschen werden. Wir müssen dafür sorgen, dass das Brausen des heiligen Geistes
in unseren Gemeinden fühlbar werde. Dazu müssen wir recht beten lernen, müssen
das heilige Brausen in unserer Seele spüren. Dieses wird uns emporheben über
alles Irdische und uns zur leuchtenden Fackel in der Gemeinde machen. So sollen
wir uns bewusst sein, was wir zu tun und zu sein haben, um in unsern Gemeinden
Leben zu wecken…
Bei den Abkündigungen wies Herr Pfarrer Wittkopp
darauf hin, dass der Kirchentag eine besondere Bedeutung für die Gemeinde habe
durch die im Altarraum neuangebrachten drei hohen gemalten Fenster, welche die
Geburt, die Kreuzigung Jesu und den auferstanden Christus in leuchtender
Farbenpracht nach künstlerischen Entwürfen darstellen. Sie sind ein Geschenk
eines früheren Einwohners von Elster, des Herrn Kaufmann Büttner in Magdeburg.“
Bei der Nachmittagsversammlung vor vollem Hause wurde betont: „Diese Tagung
soll auch nach außen hin zeigen, dass wir mit dem Leben unserer Kirche an einem
neuen Abschnitte angekommen sind. Der Grundsatz der neuen Kirchenverfassung:
„Die Kirche baut sich auf den Gemeinden auf.“ müsste in allen Sitzungszimmern
der kirchlichen Gemeindevertretungen hängen. Alle sind berufen, am Aufbau der
Kirche mitzuarbeiten.“ Der Festvortrag trug die Überschrift: „Evangelischer
Frontdienst“ und wurde von Herrn Oberingenieur Quack aus Bitterfeld gehalten.
„Das Leben der Kirche verkriecht sich in allen möglichen Vereinigungen. Nur
wenige Alte haben der Kirche die Treue bewahrt. Die jungen kehren dieser
vielfach den Rücken. Die Mitglieder der kirchlichen Körperschaften beschäftigen
sich meist nur mit Verwaltungsfragen. Die Schuld liegt an den Umwälzungen der
Zeit. Die neue Zeit wird so beschaffen sein, wie wir sie vorbereiten. Retten
wir nicht den Glauben und die Sitte der Väter hinüber in die neue Zeit, dann
werden unsere Kinder geistig verarmen, und für die zerstörenden Kräfte wird die
Bahn frei… Die Schäden in unserer Jugend liegen zum größten Teile darin
begründet, dass die Eltern den Einfluss auf die Kinder verloren haben. Erst
wenn das Elternhaus seine Pflicht tut, kann es besser werden. Die Jugend hat
sich zusammengeschlossen, um ihre Sache selbst zu führen. Bringen wir ihr
Vertrauen entgegen… Herr Reichstagsabgeordneter Dr. Hemeter-Gentha führt u.a.
aus… Der Zweck des heutigen Kirchentages soll sein, ein enges Verhältnis
zwischen Kirche und Gemeinde, zwischen Pfarrer und Gemeindegliedern zu
schaffen.“ (Wittenberger
Tageblatt 20. und 21.10.1925).
Es wurde sich aber natürlich auch ganz praktisch
um die Nöte der Menschen gekümmert, im Unterricht, in der Seelsorge – und auch
durch Diakonie:
Bereits in den letzten Kriegsjahren ist eine
Gemeindeschwester angestellt worden, eine Diakonisse aus Wittenberg, auf
Anregung des Pfarrers – angestellt
zunächst vom Vaterländischen Frauenverein zum Roten Kreuz; dann von der
Gemeinde übernommen und vom „NSV“, einer nationalsozialistischen Organisation.
Hermann Wittkopp schreibt: „Der Staat bezahlt
sie aber mehr als kümmerlich, wie er überhaupt in manchen Sachen überraschend
knauserig ist. Die Schwester hat sich immer zum Pfarrhaus gehalten.“ Schwester Emmi
Grohmann, eine baltische Pfarrerstochter von der Insel Ösel, kam 1940 nach
Elster.
Und in einer Notiz vom 11.3.1950 ist zu lesen:
Schwester Anna Naujokat war ehemals bei uns Gemeindeschwester und wohnt jetzt in
Bielefeld. Sie hat uns als Pfleglings-Familie im Osten angenommen und schickt
uns oft Pakete, heute gleich zwei auf einmal. Es ist uns fast bedrückend, zumal
wir annehmen, dass auch sie nicht übermäßig reich ist. Wir müssen ihr sehr
danken.“
„Zur Erleichterung der Fahrten auf die Dörfer
schaffte sich Vater 1925 ein Pferd an. Wie nicht anders zu erwarten ist, wurde
er dabei angeschmiert. Suleika, so nannten wir das Pferd, sah sehr fromm und
gutmütig aus, erwies sich aber bald als ein äußerst tückisches und
eigenwilliges Biest. Öfters „ging es durch“. Nachdem es die Insassen des
schönen Jagdwagens mehrmals an den Rand des Grabes bzw. der Elbe gebracht
hatte, wurde Suleika wieder verkauft, und Vater ließ sich von den Bauern mit
ihren Pferden fahren.
1929 kaufte sich Vater ein Automobil, einen
Dixi, eine unerhörte Sensation für die Gegend. Es bekam den Namen „das braune
Reh“, weil es so hochbeinig und braun lackiert war. Es sah ziemlich lächerlich
aus, und Helgard (die Pfarrerstochter) schämte sich, darin zu fahren, auch
klapperte es meilenweit. Das Braune Reh hat uns jedoch brav gedient und uns
niemals im Stich gelassen. Wir haben weite Fahrten mit ihm unternommen. Im Harz
kletterte es die Berge auf und ab. Sogar nach Berlin sind wir gefahren.
Allerdings, in die Stadt selbst haben wir uns doch nicht getraut, mit ihrem
aufpassen, losrasen, stoppen, wieder losrasen usw. So stellten wir den Wagen
vor der Stadt in einer Garage ab und fuhren als gewöhnliche Zivilisten in die
Stadt. Nach einem genussreichen Tag kamen wir müde zu unserem geduldig
wartenden Auto zurück und schaukelten langsam und müde nach Hause. Es wurde
sogar auf der schönen Reichsautobahn eine Fahrt nach Nürnberg geplant. Leider
kam der Krieg dazwischen. 1939 wurde Vater gestattet, seine Dienstreisen auf
dem Auto auszuführen, und am Nummernschild der „rote Winkel“ angebracht. Leider
wurde uns diese Genehmigung nach vier Wochen wieder entzogen und der „rote
Winkel“ entfernt. Seitdem steht das Auto trauernd in seinem Stall und siehst
sich die Wände an, sicher ist es schon verrostet.“ (Wittkopp, Hermann aaO).
„(19)29 wurde die ganze Kirche neu ausgemalt und die
Orgel bekam einen elektrischen Windmotor. Jedoch befindet sich jetzt noch an
der Seite der Kasten mit den Bälgen, für den Fall, dass die Elektrizität einmal
versagt.“ (Ebenda.)
In der
Apsis über dem Altar war nun ein Sternenhimmel zu sehen. Die Einweihung der
Kirche geschah am 10. November 1929. Auch die alten Grabsteine wurden gesichert
und in die Kirche gebracht.
Die rasante Entwicklung Elsters bemerkt das Wittenberger
Tageblatt am 8.10.1932: Es „…fällt die ungewöhnlich große Zahl von neuen
Wohnhäusern auf. Auf der Nordseite, nach dem Bahnhofe zu, sind ganze
Straßenzüge neu entstanden… Auf 100 Einwohner kommen heute knapp 3, die
ausschließlich von Landwirtschaft leben, die Mehrzahl sind Fabrikarbeiter, dann
folgen der Zahl nach Schiffer, Handwerker und andere Gewerbetreibende. Heute
beträgt die Einwohnerzahl rund 2000, vor einem Jahrhundert waren es nur 300.“
Der wirtschaftliche Hintergrund war die
Grundsteinlegung für das Stickstoffwerk 1914 in Piesteritz (Elster aaO 33) sowie die Errichtung
vieler anderer mittlerer und großer Betriebe (WASAG, ARADO, Kant, Wetzig u.a.).
Elster verliert seinen Charakter als Schifferdorf und wird eine Arbeiterwohnsiedlung.
(Zwade).
Durch einen Explosion im Rüstungsbetrieb WASAG –
Reinsdorf verlieren 1935 zwei Bürger aus Elster ihr Leben, 17 werden zum Teil
schwer verletzt.
„1932 sind es also ca. 2000 Einwohner und 24 Straßen.
Landwirte hat Elster nur noch 17. Die übrigen Einwohner setzen sich aus
folgenden Berufen zusammen: 16 Kaufleute und Händler, vier Gastwirte, fünf
Bäcker, fünf Fleischer, vier Müller, zwei Gärtner, vier Kohlenhändler, zwei
Drogisten, zwei Dentisten, zwei Friseure, zwei Tischler, drei Schlosser und
Büchsenmacher, sechs Schuhmacher, fünf Schneider, ein Uhrmacher, ein
Autofuhrunternehmer, drei Bauunternehmer, zwei Dachdecker, ein Klempner, zwei
Elektriker, drei Ofensetzer, ein Brunnenbauer, zwei Maler, zwei Schmiede, zwei
Korbmacher. Elster hat noch 14 Schiffseigener, Kapitäne, Lotsen,
Schiffssteuerleute, Maschinisten, Bootsleute und Schiffsjungen. Ca. 25 Vereine
haben sich gegründet. Sogar eine Musikkapelle ist vorhanden.“ (Elster aaO 6). Die anderen scheinen
Fabrikarbeiter zu sein, denn sie werden hier nicht aufgeführt.
Auch die Kirche baut: 1932 wird der
„Konfirmandensaal“ errichtet:
Der Pfarrerssohn beschreibt es auf seine Weise.
Seine Wertungen sind natürlich nicht allgemeingültig, beschreiben aber die
Stimmung und Sichtweise der Pfarrersfamilie:
„Es ist
ein Saalbau mit einem Kohlenkeller. 1932 angefangen, sollte es erst eine
Leichenhalle werden, die Elster ja dringend benötigt. Ein Raum für den
Konfirmandenunterricht sollte später im Stall ausgebaut werden.
Der Bau war dem Maurer Müller („Kalkmüller“) aus
Elster übertragen worden... Er betrieb das kleine Gebäude unendlich langsam, so
dass nach einem Jahr es noch im Rohbau stand. Jetzt erhob der Nachbar Geißmann
Einspruch, dass die Leichenhalle in die Nähe seines Gartens kam. Gesetzlich
waren 100 m bis zum nächsten Gebäude vorgeschrieben, und es waren 97 m. Hätte
der Nachbar Einspruch erhoben, als das Kapellchen fertig war, wäre seine Klage
zurückgewiesen worden, so aber wurde der Bau eingestellt und es begann ein
endloses Verhandeln mit allen möglichen Behörden. Unglücklicherweise fiel die
Verbannung des Pastors gerade in die kritische Zeit, und die Sache fiel unter
den Tisch. Der Stellvertreter Vaters, Kandidat Gleß, hatte keine Lust, die
Verhandlung wieder aufzunehmen.
So fanden wir bei unserer Rückkehr dieselbe
Ruine vor, die wir verlassen hatten, und Vater nahm mit frischen Kräften den
Kampf mit dem Bürokratismus wieder auf. Er änderte seinen Plan, baute statt der
Friedhofskapelle einen Konfirmandensaal. Das Gebäude wurde verlängert, ein anderer
Eingang gebaut. Und bald war das Haus fertig, denn Vater hatte einen anderen
Maurer beauftragt. Auch der „Engelsweg“ wurde durch den Durchbruch unserer
schönen Kirchhofsmauern angelegt.
Jeden dritten Sonntag fand eine Missionsstunde
statt. Sie setzte sich jedoch nicht durch, blieb schwach besucht, und so wurde
sie bald wieder aufgegeben.
1940 wurde auf den Wunsch mehrerer Frauen die
evangelische Frauenhilfe gegründet. Es wurden bald mehr, aber der Kreis, den
die Kirche um sich sammelte, ist doch klein geblieben. Zu den monatlichen
Versammlungen kommen durchschnittlich nur 30 bis 35 Frauen, aber diese kommen
freiwillig, nur, weil ihr Herz sie treibt.
Es wird viel gesungen. Vater hält eine Andacht,
Mutter liest eine moralische Geschichte vor, worin sie ja große Erfahrung
besitzt. Beliebt ist z.B. „Die Familie Pfäffling“ von Sapper. Sehr wichtig war
auch die Kaffeepause, wo sich die Frauen ausschwabbeln konnten. Manchmal auch
nicht „aus“. Wenn wir Kirschen haben, muss Mutter einen Kirschkuchen backen.
Wegen Mangel an Kaffeeersatz, Zeppelinkaffee, Plürch, musste die Kaffeepause
eingestellt werden. Damit hat die Frauenhilfe einen wesentlichen
Anziehungspunkt eingebüßt. Die Kohlenfrage im Winter ist dadurch gelöst worden,
dass sich jede Frau ein Brikett mitbringt.
Die Kassiererin ist Frau Bröse. Sie ist sehr
eifrig und streng mit ihren Untergebenen… Die Bauernfrauen sind in der Ernte
oft übermüde, sie schlafen sanft und selig ein. Aber sie kommen. Es verlangt
sie, etwas anderes zu sehen und zu hören als nur ihre Arbeit.
Und darum ist die Kirche so wichtig, weil sie
den Leuten zeigt, dass sie eine Seele haben, dass sie diese Seele pflegen
müssen, sonst werden sie zum Sklaven, zum Arbeitstier. Und die Kirche sagt
ihnen, wie sie es machen müssen, über dem Alltäglichen zu stehen. „Eins ist
not!““ (Anspielung auf den Besuch Jesu bei Maria und Martha; Martha macht sich
in der Küche zu schaffen, während Maria Jesus zuhört – Jesus lobt Maria.) (Lk 10,38-42).
„Meistens dient der Pfarrsaal dem
Konfirmandenunterricht, der „Pfarre“. Hier in Elster werden die Kinder zwei
Stunden in der Woche unterrichtet, die Vierzehnjährigen (die Vorbeter) mit den
Dreizehnjährigen (den Zuhörern) zusammen. Die Geschlechter hat Vater getrennt:
Dienstags die Jungens und freitags die Mädchen. Am Donnerstag kommen „die
Auswärtigen“ aus den Dörfern mit Rädern hergefahren. Die Bauernkinder betragen
sich sehr gut. Es ist für sie eine Abwechslung in ihrem eintönigen Arbeitsgang,
und sie fahren gern zum Unterricht nach Elster. Auch mit den Mädchen geht es,
denn Vater ist ein sehr guter und erfahrener Pädagoge.
Aber mit den Jungens! Es ist furchtbar. Ja, man
kann sich vor ihnen fürchten. Von dem Hauptlehrer Bog aufgehetzt sind sie
widerspenstig, bockig, machen kleine Sabotagen und stören den Unterricht auf jede
Weise, wo sie nur können. Vater kann sie nur mit Mühe bändigen. Er sagt, er
komme sich vor wie ein Zuchthausdirektor. Er muss sie immer beobachten… Bog hat
fürchterlich hier gewütet. Aus seiner vorigen Stelle ist er ja auch von der
Gemeinde, die schließlich revoltiert hat, hinausgeschmissen worden. Hier ist es
auch bald so weit.
Eine kleine Schar von Jungens steckte einen
Stein ins Schlüsselloch des Saales und verkeilte ihn darin, sodass nicht aufgeschlossen werden konnte. Der
Tischler musste geholt werden, der das Schloss auseinandernahm und das Tor
öffnete. Als sie das zehn Mal hintereinander gemacht hatten und Vater den Täter
nicht herauskriegte, stellte er sich in der Sakristei auf die Lauer, und durchs
Fenster konnte er auch den Täter erkennen. Er wurde nun entsprechend bestraft.
Nach einiger Zeit steckte wieder ein Stein drin. Da machte Vater es anders. Er
hielt die Konfirmandenstunde ab und ließ die Jungens draußen stehen, zwei
Stunden lang. Das war ihnen natürlich sehr unangenehm, und bis jetzt haben sie
noch keinen Stein hineingetan.
In den letzten Tagen ist es zu einer Krise
gekommen, und Vater hat auf der ganzen Linie gesiegt. Vor der Stunde beredeten
sich die Jungen, einfach nicht zu kommen und Fußball zu spielen. Nur einer
wagte das nicht, ein Evakuierter, von dem Vater die Sache erfuhr. Nun schloss
Vater alle Jungen, die unentschuldigt gefehlt hatten, vom
Konfirmandenunterricht aus, und erklärte, sie nur wieder aufzunehmen, wenn sie
einzeln zu ihm ins Haus kämen und ihn um Verzeihung bäten. Da erschien einer
nach dem anderen, Vater ersparte ihnen nichts von ihrem Kanossa, bat um
Entschuldigung und wurde wieder aufgenommen. Nur zwei der größten Taugenichtse
blieben fort. Nun, da lassen wir uns keine grauen Haare wachsen. Vater fragte
die Jungens noch: „Wolltet ihr den Unterricht stören und sprengen?“ „Ja.“ „Habt
ihr gewusst, dass ihr euren Eltern damit wehe tut, und wolltet ihr ihnen
ungehorsam sein?“ „Ja.“
(Wittkopp, Hermann aaO Herbst 1944).
1934 war Pastor Wittkopp 11 Monate strafversetzt –
konnte aber zurück kehren. Man kann sich vorstellen, dass das Verhältnis zur
staatlichen Macht danach sehr getrübt war.
1934, im gleichen Jahr, kam es zur Gründung der
Freiwilligen Feuerwehr, auch zur Gründung des Angelsportvereins 1934 e.V. (Elster aaO 6). Die Nationalsozialisten versuchten, das
ganze Leben zu bestimmen, und viele waren davon begeistert.
Am 19. September 1937 werden durch Blitzschlag
Turm und Schiff der Kirche stark beschädigt. Hermann Wittkopp berichtet: Es „ging
ein schweres Gewitter über Elster nieder. Da der schöne, spitze Kirchturm
damals noch nicht mit einem Blitzableiter geschützt war, wurde er vom Blitz
getroffen und brannte ab. Er bestand ja fast nur aus Dachpappe, Holz und
Schiefer. Nur die nackten Mauern blieben stehen. Nur mit größter Mühe
verhinderte die Ortsfeuerwehr ein Übergreifen des Brandes auf die übrige
Kirche. Als endlich die Wittenberger Motorspritze ankam, war die Hauptgefahr
schon beseitigt und sie konnte nur noch das Feuer dämpfen und ablöschen. Alles,
was nicht niet- und nagelfest war, hatten wir aus der Kirche herausgetragen.
Die Feuerwehrleute waren durch die hintere Sakristeitür in die Kirche gelangt,
die sie erst mit dem Beil zerschlagen mussten, weil der Schlüssel innen stak.
An die große Vordertür konnte keiner heran. Dort prasselte ein Regen von
brennenden Holzbrettern und glühendem Schiefer herab… Es war halb neun, als der
Blitz traf, und nach zehn Minuten war der Turm eine lodernde Fackel. Nach
weiteren zehn Minuten neigte sich das Gebälk, woraus die Turmspitze bestand.
Wohin würde sie fallen? Sie fiel gerade auf die günstigste Stelle, nämlich
schräg in die Friedensstraße hinein. Die glühende Turmbekrönung aus Kupfer
bohrte sich in das Dach.
Nun polterte und bumste es immer mal in dem
brennenden Turm: Das waren unsere schönen drei Bronzeglocken, die allmählich in
der furchtbaren Hitze schmolzen, und die schweren Uhrgewichte, deren Halter
verbrannten.“
„…da alles gut versichert war, konnte alles wie
früher aufgebaut werden…
Das Glockenmetall wurde aus dem Schutt
herausgeklaubt und in die neuen Glocken, die 1939 aufgehängt wurden, mit
hineingegossen. Drei Jahre später wurden die Glocken dann, bis auf den kleinen
Bimmler, in die Luft geschossen.“
Die ältesten Schülerinnen und Schüler mussten bei
den Aufräumarbeiten helfen. Eigentlich war ein Schulausflug nach Berlin
geplant, der deshalb ausfiel. Mancher hat das bis heute nicht vergessen.
„Vor der Kirche… steht“ heute „der schlanke,
spitze Kirchturm. 33 m ragt er in die Höhe, wie eine Nadel. Als er (19)36 abbrannte,
waren wir alle sehr betrübt, besonders die Schiffer, die sich nun nicht mehr
nach seiner Uhr richten konnten, und dem … Dorfbilde von Elster fehlte die
Bekrönung. Es ist Vaters Verdienst, dass Elster die Spitze wieder hat, denn
wegen dem Ausbau des großartigen Westwalls… war schon damals das Material sehr
knapp. Es schwebte lange, ob nicht ein Satteldach dem Turm aufgesetzt werden
sollte. Aber Vater setzte es durch, dass mit unwesentlichen Veränderungen der
alte Turm wieder gebaut wurde.
Zwei Jahre dauerte das. Der ganze obere Teil der
Mauer musste entfernt werden, weil er ausgeglüht und durch die Hitze zerstört
war. Dann hoben sich langsam die Mauern wieder zur alten Höhe, die Fenster
wurden ausgemauert. Zwei Jahre stand ein hässliches Gerüst um den Turm herum.
Während dieser Zeit wurde der Gottesdienst in der Kirche abgehalten. Die
Sakristei mit der zerschlagenen Tür war der Eingang. Auf einem Glockenstuhl
neben der Kirche hing ein geborgtes Bimmelglöckchen.“ (Wittkopp, Hermann aaO).
Am 10. Oktober 1937 konnte das Richtfest des
Turmes gefeiert werden, davon gibt es ein Foto. „Nach Pfarrer Wittkopps Angaben
wurde der Turm „schöner, auch etwas höher als er war“, wieder aufgebaut. Leider
finden sich darüber im Archiv keine Angaben.“ schreibt Pfarrer Schulze in den
Elsteraner Nachrichten am 22.10.1992.
Am 5.12.1941 können wir bei Hermann Wittkopp
lesen: „Während ich dies schreibe, werden die Glocken vom Turm geholt, auf den
Wagen gesetzt und in die Gießerei gefahren. Es ist nun das dritte Mal in kurzer
Zeit, dass wir sie verlieren. Zum erstem Mal im Weltkrieg, dann bei dem Brand
1936 und nun jetzt! Eine Glocke, die kleine, will man uns wie im Weltkrieg
lassen. Die Arbeiter haben ein Schallfenster zerschlagen und nun wird erst die
mittlere, dann die große hinabgesenkt. Hoffentlich kriegen wir sie
wieder!“ - 12.12. „Nun sind schon eine
Woche die Glocken fort. Im Dorf geht das Gerücht um, sie kämen in die besetzten
russischen Gebiete, weil da keine Glocken sind. Das ist eine komische Sache.“
„Die Orgel hatte durch das Feuer nicht gelitten,
aber durch das Wasser! … Hatte doch das Wasser auf der Empore 20 cm hoch blank
gestanden, und man hatte ein Loch durch den Bretterbelag bohren müssen, um
einen Abfluss zu schaffen.
Darauf wurde die Orgel vollständig abgebaut. Nur
das leere Gerüst blieb stehen. Alles, was noch verwendbar war, wurde in die
Orgelfabrik Gustav Hammer, Hannover, gebracht und dort eine neue Orgel
zusammengestellt. Das dauerte ungefähr zwei Jahre.
In dieser Zeit musste sich Elster mit einem scheußlich
klingenden Harmonium behelfen, das wir uns aus Dietrichsdorf geborgt hatten.
Vater bemühte sich in dieser Zeit um einen Organisten, weil er die Lehrer aus
der Kirche heraus haben wollte.
Endlich, im April (19)39 war es soweit, dass die
Orgel hier wieder aufgebaut wurde. Vier Orgelbauer… arbeiteten monatelang, bis
kurz vor dem Kriege alles beendet war.
Es ist ein großes Werk, mit zwei Manualen und
Pedal. 24 Register. Alles ist aufs modernste eingerichtet. Auch ein neuer
Elektromotor war angeschafft worden.
Als erste hat darauf gespielt unsere erste
Organistin, Frl. Fleischmann. Eine Pfarrerstochter aus Warnemünde/Ostsee, …
verlobt mit einem Vikar Mundt… Sie blieb ein Jahr bei uns, als der Krieg
ausbrach, ging sie zu ihrer Mutter zurück.
Die zweite Organistin war Rose – Renate Gielen,
eine uns befreundete Pfarrerstochter, zwei Jahre blieb sie bei uns… Sie war
Familienmitglied bei uns. Im Herbst 41 heiratete sie den jungen Berliner Pastor
Zarnekow…
Jetzt leisten den Orgeldienst 1. Frl. Schäfer,
2. die Gemeindeschwester Schwester Emmi, 3. meine Mutter….“
Mutter leitet daneben noch den Chor: „Der
besteht noch aus sechs bis acht Frauen. Man kann das nicht genau bestimmen,
denn die Frauen kommen äußerst unregelmäßig, wann es ihnen passt. Meistens
kommen nur zwei oder drei, einmal kam nur eine, Frau Hörig, die dritte Stimme,
die einzige, die immer da ist…
1930 war der „Singekreis“ auf allgemeinen Wunsch
begründet worden. Er fand bald so viel Zulauf, dass unsere größte Wohnstube
kaum noch ausreichte, die Zahl der Sänger zu fassen. Selbst einige Männer
fanden sich dazu. (19)33 wurde der Singekreis, der ja doch zumeist ein
kirchliches Unternehmen war, natürlich sofort bekämpft, das Wasser abgegraben
usw. Einer nach dem anderen der Mitglieder blieb fort, uns so schrumpfte der
Chor zu dem kärglichen Rest allmählich zusammen.
Im ersten Jahre nach dem Brande führte Mutter in
der Kirche ein kleines Krippenspiel auf, das sie sich nach ihren Erfahrungen
selbst zusammengestellt hatte. Sie tat es gerne, obwohl es sehr anstrengend
ist, mit 200 unruhigen Kindern in der kalten Kirche zu üben, denn auch den
Kindern machte es Spaß. Die erste Aufführung, vom allgemeinen Feuer der
Begeisterung getragen, wurde auch sehr schön, wenn auch selbst da der
Kirchenbesuch sehr, sehr spärlich blieb. Den Hausfrauen war und ist leider noch
die Kirche ein bequemer Ort, wo man die Kinder während der Vorbereitungen zur
Weihnachts-Bescherung hintun kann. So waren nur sehr wenige da.
Trotzdem, sagt Mutter, würde sie diese Arbeit
auch weiterhin tun, und sei es nur um der Kinder willen, die doch da wenigstens
die Weihnachtslieder und Sprüche lernen. Aber sie fürchtet, dass es den Kindern
in der Hitlerjugend und der Schule lächerlich gemacht wird, dass sie verhetzt
werden, und Mutter schließlich im Stich gelassen wird. Voreinander hat die
Jugend ja die größte Angst. So haben wir es denn in den letzten Jahren lassen
müssen. Welcher Geist unter den Kinder herrscht, sieht man daran, dass in
Wittenberg ein Schüler von seiner achtzehnköpfigen Klasse verprügelt wurde,
weil er am Sonntagvormittag in die Kirche und nicht in den „Dienst“ gegangen
war. Es war dies natürlich ein katholischer Junge, also ein Evakuierter, denn
die Evangelischen haben doch dazu keinen Mut.
Der sonntägliche Gottesdienst ist nur sehr schwach
besucht.
Durchschnittlich sind es 30-40 Menschen… An
Festtagen sind es mehr, letzte Weihnachten mussten die Leute auf den Gängen
stehen. An gewöhnlichen Sonntagen benutzt Vater eine kurze Liturgie, damit das
Singen nicht so dünn kling und die Leute sie nicht über bekommen. Da hier ein
regelmäßiger Abendmahlsgang fast völlig eingeschlafen war, hat Vater es
eingeführt, dass an den Sonntagen nach den vier Hauptfesten der Kirche Ostern,
Pfingsten, Erntedankfest und Weihnachten, nur Beichte und Feier des hl.
Abendmahls stattfindet…“ (Wittkopp,
Hermann aaO).
Hermann Wittkopp berichtet auch von den
Auswirkungen des Krieges (1944):
„Etwa alle vier Wochen findet hier in der Kirche
eine Trauerfeier für die Gefallenen statt. Es ist eine selbständige Feier. Unter
der Empore hängen an der Wand etwa 40 Kränze für die Toten, bis oben hin. Die
Tafeln der Gefallenen von (18)64, (18)66, (18)70 haben wir entfernen müssen, um
mehr Platz für die Kränze zu erhalten. Es sind nur die Toten, nicht die
Vermissten. Am Sonntag um 5 findet eine Trauerfeier für drei meiner Kameraden
statt.“
„Die 600 katholischen nach Elster evakuierten
Aachener schickten eine Deputation an Vater, er möchte ihnen doch für ihren
Gottesdienst die Kirche zur Verfügung stellen. Er tat es auch, und „die
Katholischen“ haben nun schon mehrmals Messe und Hochamt darin gefeiert. Unter
den Bildern! (s.u.
S. 57)…
Auch an den gewöhnlichen Wochentagen versammeln sich die Katholischen in der
Kirche und halten dort Betstunden ab…“
„Gestern abend erhielten wir wieder
Einquartierung, Frau Amtsrichter Vissering aus Königsberg. Die Russen machen
Fortschritte und haben die ostpreußische Grenze erreicht. Frl. Koch, die
Lehrerin, hat uns die evakuierte Dame mit zwei kleinen Kindern vermittelt. Es
ist eine noch junge Frau, 28 Jahre. Gestern Abend in der Dunkelheit also kam
sie an. Das Telegramm, das sie ankündigte, hatte uns nicht erreicht. In ihrer
Stube auf dem Boden war nichts vorbereitet, nicht verdunkelt. So gab es gestern
eine ziemliche Wirtschaft. Nun, alles wird sich schon einrenken. Vier kleine
Kinder sind in unserm bisher so schön ruhigem Haus eine etwas ungewohnte Sache.
Man fühlt sich richtig bedrückt, wenn man die
vielen Fremden auf der Straße sieht, mit nichts in die Fremde geschickt ohne
irgendwelche Bequemlichkeit müssen die feinen Städter auf dem Lande wohnen, beim
Bauern. Oft sind sie schlecht untergebracht, können ihr Zimmer nicht heizen,
sie müssen in der Waschküche kochen usw. Die meisten Quartierwirte sind ja sehr
freundlich und hilfsbereit, aber manche sind sehr hässlich zu den armen
Evakuierten…
Wir haben noch unser großes Haus, wir haben noch
all unsere Möbel, wir wohnen noch bequem! Schließlich können wir ja auch nicht
alles verschenken und in den Keller ziehen. Oder doch? Wer weiß, was uns noch
bevorsteht, es ist eine herrliche Zeit!“
Und so sah es im Kirchengebäude 1944 aus:
„Von ihren kleinen, farbigen Scheiben sind viele
durch Steinwürfe der wohlerzogenen Jugend zertrümmert worden, so dass die
Kirche nicht mehr geheizt werden kann, denn jetzt im Kriege werden keine neuen
Scheiben eingesetzt. Die Väter sind eben nicht da, die manchmal durchgreifen.“
„An den Wänden des Gotteshauses hängen sechs
Bilder von Lukas Cranach d.J., Originale aus der Wittenberger Stadtkirche, die
vor den Bombenangriffen hierher gerettet wurden. Es sind: Geburt, Kreuzigung,
zwei Stifterbilder, ein undefinierbares Bild, wahrscheinlich eine Geschichte
aus dem Alten Testament darstellend, und der berühmte Weinberg Gottes: der
katholische und der evangelische Teil.“
(Eine starke Polemik gegen die katholische
Kirche: In diesem Teil des Weinbergs wird sehr viel falsch gemacht, während im
evangelischen Teil nur Gutes getan wird.)
„Darunter wird jetzt katholischer Gottesdienst
abgehalten…
In einer Ecke steht das Wittenberger Taufbecken,
eine herrliche Arbeit Peter Vischers, Vater. Wir können es leider nicht
benutzen, denn es ist sehr hoch, und man müsste eine besondere Plattform haben,
um heranzukommen. Unser eigenes Taufbecken ist aus Gusseisen… Es wird sehr
traurig für uns sein, wenn wir nach dem Krieg die schönen Sachen wieder
hergeben müssen und uns die nackten, kahlen Wände anstarren. Aber das ist ja
gerade der Unterschied zwischen der katholischen und der evangelischen Kirche,
dass bei den Protestanten nichts ist, was die Leute von der Predigt ablenkt,
die ja die Hauptsache beim evangelischen Gottesdienst ist. Nun, die Leute
schlafen. Eine kleine Ausschmückung der Kirche würde also durchaus nichts
schaden, und Elster hat keinen Patron, der die Kirche mit Bildern und Fahnen
versieht. Mutter stellt immer einen schönen Blumenstrauß auf den Altar.“
Am 9.1.1942 schreibt Hermann Wittkopp: „Am
zweiten Weihnachtstag mussten Vater und Mutter zu Fuß auf die Dörfer gehen.
Schütze, der Vater sonst immer fährt, hatte kein Benzin mehr.“
1942 wurde das Betonwerk gebaut, ein Außenwerk
des Eilenburger Baufabrikanten Joachim Plötner (Elster aaO 6/Zwade aaO). Dies geschah für
Rüstungszwecke, später aber wurde es für viele Elsteraner die Arbeitsstelle.
Durch das Betonwerk konnte später auch in Elster viel gebaut und bewegt werden.
Im Herbst 1944 war Fliegeralarm in Elster, auch
die Pfarrersfamilie muss in den Keller.
Im Pfarrhaus gab es Einquartierungen von
Flüchtlingen. Mit der Bahn kamen in Elster insbesondere ganze Flüchtlingszüge
aus den Sudeten und vielen ehemals von Deutschen bewohnten Gebieten an, auch
nach dem Krieg. Vom November 1946 wird berichtet, wie ein Zug aus
Niederschlesien in Elster eintrifft: Zum Übernachten werden die Familien
getrennt: Frauen und Mädchen in den Ort, alte Männer und Jungen (dazwischen
gabs nichts) auf dem Bahnhof.
Zu Weihnachten 1944 mussten die Kirchenfenster
verdunkelt werden wegen Fliegeralarm. Die ältesten Schüler hatten diese
Aufgabe, manche erinnert sich noch heute an die klammen Finger. Am 13. Februar
1945 war der Himmel hell: Dresden wurde bombardiert, der Lichtschein war noch
von hier aus sichtbar. Schüler des 8. Schuljahres wurden zur Trümmerbeseitigung
nach den Fliegerangriffen nach Wittenberg geschickt und sahen Furchtbares.
Hermann Wittkopp beschreibt auch das tägliche
Leben:
„Unser gegenwärtiger Viehbestand beläuft sich
auf einen Hund, einen schönen schwarzen Spitz mit dem Namen Puck, eine Katze
namens Semiramis und einen Stall voll Kaninchen… Hühner halten wir uns leider
nicht. Bei unserer Verbannung 1934 wurde der Hühnerhof aufgelöst…
Der Stall ist ein langes, rotes Gebäude…
Zunächst die Waschküche mit Herd und Kamin. Dort kocht Mutter auch Pflaumenmus
und unterzieht sich der schrecklichen Arbeit des Zuckerrübenkochens zu Syrup.
Wir haben nämlich den Kupferkessel noch. Das nächste ist der alte Ziegen- oder
Hühnerstall. Er ist verschlossen und verriegelt, weil fremde Materialien darin
lagern. Im nächsten Raum sind die Kohlen aufgeschüttet. Auch ist dort der Platz
„Wo das Gartenbaugerät gut verwahrt und trocken steht.“. Im Raum daneben ist
das Holz aufgeschichtet. Dort wird auch alles mögliche Gerümpel abgestellt. Den
Stall beschließt die Garage, wo unser „Braunes Reh“ trübselig steht und auf
bessere Zeiten wartet…“ (Dahinter das Hühnerhaus, 1939 fertiggestellt, aber
nicht benutzt, wo der Schuster Röder Pantoffeln lagerte.) Aus Ermangelung einer
Pumpe muss jeden Abend viel Wasser in Kannen geschleppt werden zur Bewässerung
des Gartens. Am besten gedeihen die Erdbeeren… „Mutter hat sich jetzt einen
großen Granit-Feldstein in den Garten geholt. Es ist der Gedenkstein für meinen
ältesten Bruder Bernhard, der im Osten vermisst ist.“
Am 16. April kam es zu einer großen Explosion
eines Munitionszuges am Bahnhof Elster, der bei einem Luftangriff getroffen
wurde. Die Druckwelle zerstörte sogar die Kirchenfenster im benachbarten
Zemnick. „Die Vögel haben da mehr gezwitschert, als die Orgel pfiff“ zitiert
Pfarrer Schulze 1996 einen Ohrenzeugen. Die Explosion deckte das Kirchendach
ab, zerbrach Dachbalken, zerstörte die Bleiverglasung – auch die Bilder von
1925; die Eingangstür wurde herausgerissen, das Orgelgehäuse beschädigt. (Schulze aaO 1996/1997).
Und
natürlich betrafen die Zerstörungen nicht nur die Kirche, sondern den gesamten
Ort.
Am 23. April marschierte die Rote Armee in Elster
ein. Auf der anderen Seite der Elbe standen die Amerikaner. Der Krieg ging zu
Ende. Furchtbar schlug die Gewalt, die in deutschem Namen in so viele Länder
Europas und der Welt getragen wurde, zurück. Ein unmittelbares Zeugnis davon
gibt ein Fund an der Kirchhofmauer 1992. Die Mitteldeutsche Zeitung schreibt
dazu am 31.10.1992: „Die unter Denkmalschutz stehende Mauer wird in ihrem
Aussehen erhalten, aber ein wenig nach innen verlegt, um den benachbarten
Parkplatz auszugrenzen. Bei den Erdarbeiten entdeckten die ABM-Kräfte nahe der
alten Kapelle kürzlich ein Massengrab. In nur 50 Zentimeter Tiefe wurden
zahlreiche Schädel- und Körperknochen, Uniform- und Stiefelreste gefunden.
Untersuchungen der Kriminalpolizei ergaben, dass es sich um Tote aus der Zeit
des letzten Weltkrieges handelt – kein Fall für die Polizei. Die Gebeine wurden
eingesammelt. Wo sie ihre letzte Ruhestätte finden werden, ist momentan noch
unklar.“
Die Kirchenbücher von Elster berichten von
vielen Sterbefällen in diesen Tagen, Selbstmorden, Erschießungen.
Für die, die die Macht dann übernahmen, lasen
sich die Veränderungen so: „Mai 1945 – Beginn der
antifaschistisch-demokratischen Revolution. Der Unternehmer Plötner und andere
Naziaktivisten werden enteignet. Faschistischer Grund und Boden wird
aufgeteilt, der Kommunist Otto Schugk wird 1. Bürgermeister. Die Spaltung der
Arbeiterklasse wird durch die Gründung der SED überwunden. Der ehemalige
Sozialdemokrat Otto Pieper wird 1. Sekretär der Ortsgruppe der SED in Elster,
die demokratische Schulreform wird durchgeführt.“
Die Pfarrertochter Helgard Wittkopp ist 1950
Lehrerin in der Schule und hat dort keinen leichten Stand. Sie überlegt, ob sie
Katechetin wird. Ihr Bruder schreibt am 11. März 1950:
„Helgard brachte neulich aus der Schule mit,
Lehrer S. wollte gegen Vater „Material sammeln“. Er hat nämlich den Kindern die
kommunistische These vorgebracht, der Mensch stamme vom Affen ab. Da Vater das
nun heftig bestreitet, ist das, durch die Kinder verdreht, „Material“. Dass der
Lehrer Material gegen ihn sammelt, kann Vater nicht mehr erschüttern, denn er
hat es schon zu oft erlebt. Zum Beispiel ging der Lehrer … in Gentha von Haus
zu Haus, er wollte die Leute bewegen, ihm zu bezeugen, der Pastor hätte in der
Predigt das und das gegen Hitler gesagt. Da jedoch die Leute zu einer direkten
Zeugenschaft zu zaghaft sind, wurde er überall abgelehnt. Ja, der Bauer
Matthies höhnte sogar: Wenn ich das täte, müsste ich ja so dumm sein wie ein
Kantor! (Dies Wort hat ihm bei einem späteren Entnazifizierungs-Prozess sehr
genützt…) Der Lehrer ist verschwunden.“
Tatsächlich wurde die Kirche – soweit es nicht
in der Zeit des Nationalsozialismus längst geschehen war, auf staatlichen Druck
aus der Schule herausgedrängt. Zwar gab es noch laut DDR-Verfassung bis 1967
Religionsunterricht in der Schule, aber das war schon zu Beginn der 50iger
Jahre meist nicht mehr praktisch durchführbar. Die Kirche erfand die
„Christenlehre“, also die Unterweisung der Kinder in eigener Regie, und den
„Katechetenstand“. Die Kinder kamen freiwillig nach der Schule, und so geschah
es fortan über Jahrzehnte, manchmal unter sehr schwierigen Bedingungen. Katechetinnen
kamen aus Wittenberg, z.B. „Fräulein Donath“, aber auch die Pfarrfrauen oder
die Pfarrer selbst gaben den Unterricht. Mancher kann sich bis heute an schöne
Christenlehrestunden im „Konfirmandensaal“ unter dem großen Adventsstern oder
im Pfarrhaus im Gemeinderaum erinnern, und auch jetzt wird zur „Christenlehre“
eingeladen, zur Zeit mit Gemeindepädagogin Andrea Fritzsche geb. Hellner aus
Seyda.
Pfarrer Wittkopp ging 1952 in den Ruhestand, mit
70 Jahren, und starb am 29. April 1955. Sein Grab wird bis heute auf dem
Elsteraner Friedhof gepflegt.
1953, in für die Kirche schweren Zeiten, kam Pfarrer
Johannes Hermann Rudolf Fichtner, zunächst als „Anwärter“ auf das Pfarramt,
1955 bis 1969 dann war er Pfarrer in Elster. Er stammte aus Bremen, geb. 1913,
und siedelte nach seiner Emeritierung nach Westdeutschland über.
In seine Zeit fiel der 17. Juni 1953 und die
Folgen: Pastor Hagendorf aus Seyda, der Streikleiter aus Wolfen und Bitterfeld
versteckt hatte und ihnen die Flucht ermöglichte, wurde eingesperrt, der
Amtsbruder aus Klöden konnte sich in einer rasanten Flucht der Verhaftung
entziehen. Viele Menschen verließen das Land in Richtung Westen. Die
„sozialistische Umgestaltung“ der Landwirtschaft begann auch in Elster:
1953 gründen sieben „werktätige
Einzelbauern“ die „LPG Typ III“ „Einheit“. 1959 kommen neun Bauern zur „LPG Typ
I“ „Elbeland“ zusammen, Vorsitzender ist Walter Hagendorf, später ein tüchtiger
Kirchenrat.
Es waren ja die gleichen Menschen, die die
Umwälzungen in der Gesellschaft erlebten – und zum Teil auch die Kirche
besuchten. Für jeden einzelnen war es schwierig.
Im Jahre 1957 wurden zwei Stahlglocken als Ersatz
beschafft, da Bronzeglocken nicht zu bekommen waren, so dass nun wieder drei
Glocken auf dem Kirchturm klingen. (Schulze aaO 1997).
1958 gab es die erste Kindesweihe in Elster, auch
die erste Jugendweihe: Eine deutliche Kampfansage an die Kirche, die Taufe und
die Konfirmation. Nicht einmal in der großen Sowjetunion gab es die
Jugendweihe, im obligatorischen Russischunterricht musste mühsam übersetzt
werden „graschdanskaja konfirmazija“, „bürgerliche Konfirmation“. Der Druck war
groß, auf Kinder und Eltern. 1960 schrieb der Seydaer Pfarrer in einer
Turmkugel, die Konfirmation könne deshalb keinem Jugendlichen mehr zugemutet
werden. Manche Pfarrer sahen in der Auseinandersetzung eine Fortsetzung des
Kirchenkampfes und forderten Standhaftigkeit. Aber die Konfirmandenzahlen
sprachen eine deutliche Sprache. Erst, als der Konfirmandenunterricht auf die
9. Klasse hin verlängert wurde und die Konfirmation praktisch ein Jahr nach der
Jugendweihe stattfand, kam wieder wenigstens eine kleine Schar von Jugendlichen
zur Konfirmation.
Dennoch erinnern sich die Elsteraner in Bezug auf
die DDR natürlich auch an andere Dinge:
In den sechziger Jahren wurde das Betonwerk
stufenweise ausgebaut, zunächst als Plattenwerk für den Wohnungsbau, dann für
den Bau von Brückenelementen. (Zwade)
1966 gab es den Zusammenschluss von fünf LPGen,
deren Nachfolger der heutige Landwirtschaftsbetrieb „Seydaland“ ist.
Der 1. Karneval wurde 1972 gefeiert.
1969 kam mit 29 Jahren Heinz Wenzel nach Elster,
wieder zunächst als Anwärter. In Elster wurde er am 18. Mai 1970 ordiniert, das
heißt: „Pfarrer“: Mit dem Versprechen, die biblische Botschaft auf der
Grundlage der Bekenntnisschriften treu zu verkündigen, auch das Beichtgeheimnis
zu wahren.
Bis 1975 blieb er in Elster, und er hinterließ
insbesondere bei der Jugend einen bleibenden Eindruck. Ein freies Jugendleben
war im Pfarrhaus möglich, mancher hat die ersten HB-Zigaretten aus dem Westen
hier probiert, und es gab fröhliche Fahrten, zum Beispiel nach Polen. Die
Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Jugendarbeit entwickelte sich mit Pastor
Schlauraff in Seyda, mit dem katholischen Pfarrer Neumann und ganz zuletzt auch
mit Pfarrer Michael Sehmsdorf aus Klöden. Regelmäßig gab es Rüstzeiten auf dem
Diest-Hof in Seyda, und die Kirche war für etliche Jugendliche wieder ein
richtiger Anziehungspunkt geworden. Ein Lied aus diesen Tagen:
Ich mach Station am Weg, auf dem ich geh! Ich
halte an, damit ich Freunde seh / die auf der gleichen Straße wie ich gehn. Ich
halte an und bleibe bei Euch stehn.
Ich frage Dich: Wie geht´s, wo kommst Du her?
Wie heißt Dein Ziel, und Freunde, wer seid Ihr? Laßt mich ein Stück des Weges
mit Euch gehn / und kurze Zeit in Eurem Leben stehn.
Ich suche Gott, bin unterwegs zu ihm. Und wenn
Ihr wollt, könnt Ihr auch mit mir gehn. Gemeinsam finden leichter wir das Ziel.
Gemeinschaft halten ist, was Gott auch will.
(Lied von Hans-Kurt Ebert, zur Gitarre zu singen.)
Elster entwickelte sich weiter. 1975 bekam die
ZBO, die „Zentrale Bauorganisation“ des Kreises Jessen ihren Sitz in Elster.
Von 1969 bis 1985 fand der verstärkte Ausbau der technischen und sozialen
Infrastruktur statt:
- im
Bereich Jugend und Sport (1954 Sportlerheim, 1962 Stadion, 1970 Turnhalle, 1976
Kegelhalle, 1978 Bootslagerhaus, 1984 Turnhallenanbau, 1985 Sauna)
- im Bereich Bildung (1957, 1973, 1975 Anbauten Oberschule, 1965 Kindergarten I,
1972 Kindergarten II, 1973 Schaffung von Horträumen in der Turnhalle)
- im Bereich Gesundheits- und Sozialwesen:
Kreispoliklinik mit Zahnstation, technisches Labor, Arztpraxis; 1959
Kinderkrippe, 1971 Schwesternstation, 1976 Rentnertreff, 1983 Klub der
Volkssolidarität, 1985 Altersgerechtes Wohnen 1. Baustufe
- im Bereich Handel und Versorgung: Konsum und
HO-Kaufhallen, 1984 Verkaufsstelle in Iserbegka, 1985 Verkaufsstelle für Gemüse
und Obst, 1979 Tankstelle, 1978 Totenfeierhalle, 1985 Erweiterung Saal und
Gaststätte „Elsterland“
- im Bereich Wohnungswesen: 1958 bis 1985:
Mehrgeschoßbauweise („AWG“) 102 Wohneinheiten, VEB Gebäudewirtschaft 22
Wohneinheiten, LPG 24 Wohneinheiten, der Bau von Eigenheimen.
- im Bereich Straßenwesen: 5526 Meter
Betonstraße, Befestigung von 6919 m Gehwegen, Verlegung von 3000 m
Abwasserleitung, Kleinwasserwerk AWG, 9 Notwasserbrunnen, 1985 Erneuerung der
Straßenbeleuchtung F 187 (Fernverkehrsstraße, heute Bundesstraße) und Neue
Zahnaer Straße (Zwade,
Geschichtsabriss vermutlich zur 825 Jahrfeier 1986).
„In der Zeit des Sozialismus (DDR) hat der
Gemeindekirchenrat in einer fast zweijährigen Vakanz (Nichtbesetzung der
Pfarrstelle) das Pfarrhaus in sehr beachtenswerten Eigenleistungen umgebaut.
Fenster, Treppe, Schornstein und Heizung eingebaut.“ (Arthur Trabitz ca.
1996).
Das war 1975. Zu Weihnachten 1976 kam Pfarrer
Friedrich Edler auf seine erste Pfarrstelle in Elster, aber bereits 1978 ging
er wieder, nach Sachsen.
Pfarrer Max Müller war sein Nachfolger, 54 Jahre
alt, 1979 bis 1988 Pastor in Elster.
In seiner Zeit gab es zum Beispiel einen
Gesprächskreis, in dem über „Glaube und Naturwissenschaft“ und ähnliche Fragen
intensiv nachgedacht wurde. Ich kenne jemanden, der daraufhin zu einer ganz
starken Bindung zum Glauben und zur Kirche gefunden hat.
Im Jahre 1982 konnte Pfarrer Müller von „einem
gewissen Abschluss der Bautätigkeit“ berichten. Darin kann man vieles von der
Wirklichkeit der 80iger Jahre wieder finden. Die Schäden durch die Explosion
1945 konnten bisher nur notdürftig behoben werden. Auch jetzt wurde nur das
Nötigste zur Erhaltung der Kirche getan. Am Anfang bedankt sich der Pfarrer bei
allen, die treu ihre Kirchensteuer bezahlt haben. Sie wurde von der Kirche
selbst eingesammelt – jedes Gemeindeglied schätze also selber ein, wie viel es
zu geben bereit war, und es war ein mühsames Unternehmen. Pfarrer Müller konnte
aber feststellen, dass das Kirchensteueraufkommen in den letzten Jahren gestiegen
war – „dank der Treue der Geber und der Verwalter“, dem Kreiskirchenamt
Wittenberg. „Dadurch entstand ein Fonds, der die Grundlage für diese Arbeiten
bildete. Dazu kamen dann noch freiwillige Spenden.“ so schreibt er. Der
detailierte Bericht lässt ahnen, dass der Pfarrer bis ins kleinste einbezogen
war und auch selbst Hand anlegte, und was es für Schwierigkeiten gab,
Handwerker und Material aufzutreiben. Man kann heute nur den Hut ziehen vor dem
Durchhaltevermögen der Pfarrer und Gemeindeglieder in jener Zeit, die das ihnen
mögliche taten, die Kirche zu erhalten – weshalb wir sie heute haben. „Was
wurde alles an der Kirche gearbeitet? Erst einmal wurde das Kirchenschiffdach
repariert. Größer war dann die Reparatur des Kirchturms. Eine neue Wetterfahne
wurde angefertigt und mit aufgezogen, da die alte nicht mehr zu reparieren war
– die Reste davon sind auf festen Grund aufmontiert in der Kirche zu sehen.
Danach konnte das elektrische Geläut eingebaut werden.“ (Dezember 1982)
„Zwischendurch wurde ein neues Antependium entworfen und angefertigt.“ (Ein
Antependium ist das Tuch vor dem Altar, es hat entsprechend der Zeit im
Kirchenjahr eine besondere Farbe.)
„Ehe dann die Malerarbeiten beginnen konnten,
war einiges an Vorarbeiten nötig: Es musste verputzt werden – in der Kirche
eine ganz große Stelle, dann im Vorraum und in den Nebenräumen… Es musste
„Baufreiheit“ in der Kirche hergestellt werden: Damit die große Hebebühne
hereingebracht werden konnte, musste sämtliches bewegliche Inventar
hinaustransportiert werden. Am schlimmsten war es mit den Bänken, die über 100
Jahre wahrscheinlich fest gestanden hatten. Großer körperlicher Einsatz war
nötig, sie loszumachen und dann hinauszutransportieren. Uns wurde angst und
bang, wie denn die Bänke je wieder in der Kirche festgemacht werden sollten,
denn die Kanthölzer, in denen die Bänke verankert waren, waren nun nach der
Demontage nicht mehr zu brauchen.
Jetzt wurden Berge von Sägespänen zum Schutz des
Fußbodens angefahren. Weit schwieriger war dann, die große Hebebühne in die
Kirche hineinzutransportieren, denn eigentlich war sie zu breit, um durch die
Tür zu gehen. Es musste mit dem Hammer gearbeitet werden und dann mit
Fingerspitzengefühl, um dieses große Gerät in die Kirche zu transportieren. Ein
elektrischer Kraftstromanschluss dafür war auch noch nötig.“
So wissen wir jetzt, warum die Kirche bis heute
einen solchen besitzt.
„Nun konnten die Maler beginnen. Sie verlangten
Anweisung. Dazu fand sich kurzfristig der Restaurator Körber aus Wittenberg
bereit. Er war des öfteren hier… Aber er konnte natürlich nicht immer hier
dabei sein. So entstanden schon Schwierigkeiten zwischen dem Anweisenden und
den Malern, die die Arbeiten ausführen sollten – und ich stand manchmal
dazwischen. Es ging also nicht ganz problemlos ab.
Bei der Malerei zeigten sich dann weitere
Schäden, die beseitigt werden mussten: Zunächst noch Maurerarbeiten, dann waren
es Tischlerarbeiten, an der Decke und am Orgelgehäuse war immer mal wieder noch
etwas zu reparieren nötig.
Ein gewisser Abschnitt war erreicht, als es
hieß, dass die große Hebebühne nicht mehr gebraucht würde. Von ihr aus waren
auch schon die hohen Fenster geputzt worden. Jetzt musste mit noch mehr
Fingerspitzengefühl dieses große Gerät aus der renovierten Kirche vorsichtig
wieder hinausbugsiert werden. Anschließend mussten die abmontierten Teile
wieder angeschweißt werden, damit das Gerät wieder abgeliefert werden konnte.
Für die Frauen gab es jetzt auch den ersten
Großeinsatz, die Sägespäne wieder zu entfernen… Dann hieß es: Nächste Woche
müssen die Bänke wieder stehen. Tatsächlich brachte es Herr Hagendorf
(Gemeindekirchenrat) fertig, von der ZBO die nötigen neuen Kanthölzer zu
besorgen und schließlich auch die Bänke darin wieder zum Stehen zu bringen –
das war wieder eine große Arbeit. Ich war heilfroh, als sie geschafft war. Der
Anblick der vielen Bänke in unserem Pfarrgrundstück hatte mich immer wieder
aufgeregt: Wie werden wir nur die Bänke wieder hineinbringen?
Absichtlich wurden einige Bänke ausgespart: Vorn
wurde der Raum vor dem relativ kleinen Altarraum vergrößert, so dass dort mehr
Platz ist – z.B. für Abendmahlsgäste, Taufen oder auch mal eine Posaunengruppe.
Auch hinten haben wir weniger Bänke aufgestellt, so dass dort auch die
Architektur besser wirkt und man nicht gleich über die vielen leeren Bänke
stolpert.
Natürlich musste unter den aufzustellenden
Bänken erst mal wieder großreinegemacht werden – Frau Trabitz, Frau Kynast
dirigierten wieder die Scheuerbrigade, und dann war nochmals Saubermachen
nötig, ehe die Fußbretter wieder mühsam eingepasst werden konnten (Röder,
Tröger, Schüler). Nachdem die Maler gegangen waren, konnte dann mit dem
endgültigen Reinemachen begonnen werden. Trotz der vielen Sägespäne gab es
unendlich viel an Spritzern mühsam zu entfernen – zum Glück dann teilweise mit
Säure, die es ja eigentlich gar nicht gibt in der DDR, so dass wir die Kirche
mit viel Mühe säubern konnten.“
Hier wird angedeutet, dass viel mit Hilfe der
Partnergemeinde in Euskirchen in Westdeutschland geschehen konnte. Dort hatte
der Bruder des Pfarrers seine Pfarrstelle und unterstützte ihn mit der ganzen
Gemeinde tatkräftig. Es sollte mich nicht wundern, wenn auch die Farben (und
die Reinigungsmittel) aus dem Westen gekommen sind, denn das Material war in
DDR-Zeiten knapp, zumal es in solchen Mengen wie für eine ganze Kirche
gebraucht wurde. Nicht zu unterschätzen waren auch kleine Gaben wie Westkaffee,
Westzigaretten oder Westschokolade, die Menschen in besonderer Weise zur
Mitarbeit motivieren konnten. Man musste für jede geleistete Handwerkerstunde
dankbar sein.
In Notizen von Arthur Trabitz ca. 1996 heißt es:
„Mit Unterstützung der Patengemeinde wurde ein elektrisches Glockengeläut
ermöglicht.“
„Auch der Orgelbauer musste schnellstens kommen,
um die Orgel wieder spielbar zu machen, da die Maler aus Versehen mit ihrem
Gerüst, das hinter der Orgel gebaut werden musste, den Windkanal demoliert
hatten. Es ging natürlich nicht ohne neuen Schmutz ab.
In der letzten Woche wurde dann noch ein Plan
der Denkmalschützer verwirklicht: Die alten Grabsteine, die außerhalb der
Kirche der Verwitterung und auch der Zerstörung ausgesetzt waren, wurden mit
Hilfe eines Gabelstaplers und vieler MS (nicht PS = Pferdestärken, sondern
Menschenstärken – MS) in der Kirche aufgestellt.
Trotzdem ist noch nicht alles fertig. Es fehlt
noch das elektrische Licht und auch der Wiedereinbau der Fußheizung. Wir
hoffen, dass Meister Drewes das recht bald schafft, damit wir nicht im Dunkeln
sitzen – und außerdem ist es an den Füßen ja sonst zu kalt.
Damit wir auf den vorderen Bänken aber schon
etwas wärmer sitzen, wurden nebenher Schaumgummikissen gekauft,
zurechtgeschnitten und mit Stoff bezogen (Röder, Kautzsch) – auch eine große
Arbeit.
Es fehlen auch noch die Konsolen an der linken
Seite der Kirche. Das sie fehlen, ist noch eine Kriegsfolge, als am Bahngleis
in Elster ein Güterzug mit Sprengstoff 1945“ (hier setzte Pfarrer Müller ein
Fragezeichen, offensichtlich war er sich nicht sicher) „explodierte und die
Konsolen lockerte, so dass sie nach und nach abfielen. Sie sind in Auftrag zur
Nacharbeit gegeben.
So haben wir jetzt die Kirche: hell, sauber –
wie es der Restaurator für diesen Raum und Baustil anordnete. Dabei kommt
einmal die Architektur besser als zuvor zu Geltung: der große Rundbogen, die
Simse, die Fenster – und dann vor allem das bunte Glasfenster in der Mitte der
Apsis, das besser wirkt, und auch der Altar mit dem restaurierten Christus.“
Das war der Stil der Zeit: einfach, weiß – der
Sternhimmel, die Ornamentik verschwanden. Außerdem war es technisch und finanziell
nicht möglich, sie wiederherzustellen. Aber sie befinden sich noch unter der
weißen Farbschicht, bei der nächsten Renovierung werden sie gewiss wieder zu
sehen sein, und die Gemeinde wird sich in Abstimmung mit der Denkmalpflege
entscheiden müssen, welche Farbfassung sie wählen wird.
Am Rande des Berichts von Pfarrer Müller hat er
handschriftlich viele Namen vermerkt, offensichtlich von Menschen, die
tatkräftig angepackt haben. Nicht alle sind lesbar, aber einige sollen hier
genannt sein: Weber, Böttger, Knobel, Hagendorf, Röder, Gallin, M. Röder,
Drews, PGH Circke, Wöhlte, Schröter, Hagendorf, Trabitz, (Orgelbauer) Voigt.
In dieser Zeit gab es relativ wenig Konfirmanden
– gemessen an den Jahren nach dem Krieg - aber es gab Jubelkonfirmationen. 1979
konnten 27 Goldene Konfirmanden ihr Jubiläum feiern.
Und ein alter Elsteraner, Hilmar Vehse, kehrte besuchsweise
nach Elster zurück. Er war nach dem Westen gegangen, dort als Sänger entdeckt
worden und sang auf den Bühnen dieser Welt. Aber nun zog es ihn in die Heimat,
nach Elster. Er organisierte Adventskonzerte in der Kirche, die viele anzogen.
Auch in Zemnick, wo er Verwandtschaft hatte, tat er das noch in den 90iger
Jahren, und ersang damit den Kronleuchter dort, der an die 10 Gebote als
Lichter fürs Leben erinnern, und das Kirchendach.
Pfarrer Müller ging mit 63 Jahren am 1. September
1988 in den Ruhestand. Er wollte in den Westen, wo sein Bruder wohnte,
ausreisen. Das wurde lange Zeit nicht ermöglicht. Pfarrer Schulze erwähnt 1992
in der Botschaft der Turmkugel noch die „Schikanen“, denen er ausgesetzt war.
Am 1. August 1989 kam Pfarrer Peter Schulze, geb.
1942, nach Elster – kurz vor der Wende. Keiner konnte ahnen, dass in wenigen
Monaten umwälzende Ereignisse stattfinden würden. Am 9. Oktober fand die erste
große Massendemonstration mit über 70.000 Menschen in Leipzig statt. Die
Staatsmacht griff wider Erwarten nicht ein. Am 18. Oktober trat Erich Honecker,
der Staatsratsvorsitzende, zurück. Am 9. November fiel die Mauer. Es war für
viele nicht zu fassen, dass die DDR zusammenbrach. Die Macht, die sich so
sicher auf der Seite des Fortschritts wähnte und das sogar „wissenschaftlich“
nachweisen konnte, fiel plötzlich in sich zusammen. Für viele wurde es ein
Wendepunkt in ihrer persönlichen Biographie. Vieles, was vorher geglaubt wurde,
war nun ganz deutlich nichts mehr wert. Viele mussten ihr Leben ganz neu
ausrichten, eine neue Lebensperspektive finden, eine neue Arbeitsstelle suchen.
Für die Kirche bedeutete das neue Möglichkeiten.
Viele Suchende kamen auch. Die Konfirmandenjahrgänge waren plötzlich wieder
voll, und die Jugendweihe – ganz kurze Zeit – verschwindend gering. Aber die
Kirchengemeinden waren gar nicht recht vorbereitet, das alles zu fassen und
konnten unmöglich alle Erwartungen erfüllen. Über lange Zeit hatten sie sich in
eine Nische zurückziehen müssen und nur das Nötigste tun können.
Es war schwer, plötzlich die alten Gräben zu
überwinden. Man konnte ja nicht so tun, als ob nichts gewesen wäre. Und bald
wendete sich auch das Blatt: Kritische Töne gegen die Kirche wurden laut,
kritische Töne auch über die neue Gesellschaft mit ihren Freiheiten – und ein
manchmal verklärtes Bild auf die alten Zeiten. Viele konnten neue, bisher
ungeahnte Möglichkeiten nutzen. Anderen gelang das nicht.
Genutzt wurden die neuen Zeiten jedenfalls für
umfangreiche Sanierungsarbeiten, die von 1992 bis 1996 an der Kirche erfolgten.
Die Stimmung der Kirchengemeinde und des
Pfarrers ist gut aus dem Bericht von Pfarrer Schulze in der Turmkugel 1992
abzulesen. Er findet zur DDR-Zeit drastische Worte, man merkt, wie sehr er und
viele andere auch darunter gelitten hatten.
„In der
DDR waren Instandsetzungs- und Bauarbeiten kaum noch möglich. Die
sozialistische Planwirtschaft war eine totale Mangelwirtschaft. Schon ein Brett
war nur mit Beziehungen erhältlich. Alles war, so hieß das, „bilanziert“. Nur
wenn man Bilanzen zugewiesen bekam, konnte man größere Baudinge realisieren. Im
Normalfall aber erhielt man diese Zuweisungen nicht, die Kirche schon gar nicht
oder höchsten gegen Deutsche Mark.“ (Währung Westdeutschlands) „So wurde der
Erhaltungszustand vieler Gebäude immer problematischer. Nach der Wende sieht
das nun ganz anders aus. Jetzt ist das Problem, das nötige Geld zu bekommen;
dafür kann man dann freilich alles kaufen. Jetzt ist es keine Schwierigkeit
mehr, Gerüst gestellt zu bekommen, Baufirmen und alle Materialien. Ja, wir
können sogar wieder Kostenangebote einholen. Das kannten wir gar nicht mehr. Um
die marode Wirtschaft wieder in Gang zu bringen, stellen Bund und Land
Geldmittel für Bauaufgaben im Rahmen des Aufschwungs Ost zur Verfügung.
Für die Sanierung unseres Kirchturms erhalten
wir vom Bund in diesem Jahr 98000 DM, vom Land 60000 DM, 92000 DM werden wir
selber aufbringen müssen, davon 20000 DM übernimmt die Kommune. Wie wir unseren
Anteil aufbringen können, ist heute am 29. Oktober freilich noch unklar.
Bei den Bauarbeiten wurden wir betreut von
Christoph Fahlberg, vom Kirchlichen
Bauamt. Die Projektierung hatte übernommen Gerhard Delater aus Elster. Die
Rüst- und Maurerarbeiten leistet Gerüstbau und Fassadensanierung GmbH Elster.
Von dieser Firma haben mitgearbeitet: Dietmar Stanitz, Erhard Stanitz, Ingolf
Stanitz, Detlef Richter. H.-Ullrich Jänicke, Gerald Pienitz, Dirk Zimmer,
Silvio Ache, Uwe Kott, Jürgen Goldmann, Peter Seume, Torsten Müller und Karsten
Hahn. Das Ausbessern des Dachstuhls und die neue Schalung wurde übernommen
durch den Zimmereibetrieb Otto Werner, Gadegast. Mitarbeiter dieser Firma waren
Andreas Werner, Dirk Horn, Olaf Hempel und Maik Gerhardt. Die
Dachdeckerarbeiten führte die Horst Elm GmbH, Elster aus. Die wesentlichen
Mitarbeiter dabei waren Horst und Wolfgang Elm, Michael Brüggert, Mirko Neumann
und Harald Hallmann. Kupferschmiedemeister Ernst Paditz und Sohn aus Lommatzsch
fertigte die Turmbekrönung. Sie besteht aus der alten Kugel von 1938 und einer
neugefertigten Wetterfahne, die der Fahne von 1790 nachgestaltet wurde. Die
Blitzschutzmontage oblag der Firma Karl Bittner, Elster.
BOTSCHAFT AN UNSERE NACHFAHREN!!! Heute, am 30.
Oktober 1992 bringen wir die neue Turmbekrönung auf. Wir legen viele
Zeitdokumente aus unserer sehr bewegten Zeit ein. Wir möchten Euch Nachfahren
eine ähnliche Enttäuschung ersparen, wie wir sie bei der Abnahme der alten
Bekrönung im September diesen Jahres erlebten: Sie war leer. Viel mehr aber
wünschen wir Euch Kommenden, dass Ihr ein schönes, friedvolles Elster und eine
gerechte, lebenswerte Welt und eine möglichst intakte und bewundernswerte
Schöpfung übernehmen dürft. Gott segne und vergebe uns! Er segne und bewahre
seine Schöpfung und Euch. Amen.
Der Gemeindekirchenrat Elster
Ursula Binder geb. Schüler, Gabriele Bothe geb.
Kettmann, Rudolf Gallien, Walter Hagendorf, Britta Hoffmann geb. Müller, Helmut
Neumann, Martin Röder, Reinhold Schröter, Reinhold Schüler, Reiner Tröger,
Pfarrer Peter Schulze (als Nachfolger von Pfarrer Max Müller, der hier von 1979
bis 1989 segensreich wirkte, dann vorzeitig aus Gesundheitsgründen in den
Ruhestand ging und unter sehr viel Schikanen der DDR-Behörden in die damalige Bundesrepublik
nach Göttingen übersiedelte.)“
Pfarrer Schulze sprach bei der Befüllung der
Kugel den Dank aus „an die Projektierung und Baubegleitung und die Handwerker“,
„an jene, die die Wende herbeigeführt haben“, „an die Steuerzahler, von deren
Geld die Aufschwungmittel kommen“, „an die Einwohner, die (noch) spenden
werden“, „an den Herrgott, der alles so gefügt hat“. In die neue Turmkugel
wurde eingelegt u.a.: Diese Botschaft, alte Texte und Kopien (z.B. Hermann
Wittkopp, „Heimatglocken“; alte Bilder: Stich und Radierung von Elster, Turm
vor und nach dem Brand, Elbebrücke (1945, von den Russen gebaut), Hochwasser;
neue Bilder: Panorama, Fähre, neue Schule, Kirche, Handwerker; Festschrift 40
Jahre DDR 1989; Schriftstücke und Zeitungen: aus der Zeit der Wende, von der
Maueröffnung und Einigung, Zeitungsausschnitte über Elster; Geld: von der
Inflation, der DDR, Deutsche Mark. Ein Bronzekreuz: „Ich bin bei euch!“
Neu nach der Wende war die Möglichkeit, die
Öffentlichkeit direkt zu erreichen. So schreibt Pfarrer Schulze am 22. Oktober
1992 in den „Elsteraner Nachrichten der Gemeindeverwaltung Elster (Elbe)“ auf
Seite 1 u.a.: „Ein überwältigender Erfolg war die Reinigung des Mauerwerkes.
Der Schmutz von über einhundert Jahren ist fast überall herunter. Inzwischen
sind viele schadhafte Steine heraus, die für unseren Turm neu in der Nähe
Calaus speziell angefertigt werden müssen.“
Die Mitteldeutsche Zeitung lässt alle Leser
ausführlich Anteil am Geschehen der Kirchturmbekrönung nehmen: Der 42 Meter hohe Kirchturm wird neu bekrönt,
die Wetterfahne der von 1790 nachgestaltet mit Schiff und Fisch. „Seit 1938
hatte zwar eine andere Wetterfahne, die nur ein Schiff darstellte, an der
Turmspitze „geweht“. Doch man entschied sich für das ältere Original.“ (Mitteldeutsche Zeitung
31.10.92, Detlef Mayer).
1995 wird das Kirchenschiff für 172000 Mark gedeckt,
100000 Mark kommen davon von Lotto. Man könnte meinen, die Kirche „schwimme“ im
Geld. Doch nun greifen auch die realen Preise. Es ist nicht mehr möglich, dem
Pfarrer wenige hundert Mark Gehalt zu zahlen, wie in DDR-Zeiten, wo die
Grundnahrungsmittel sowie Strom und Wasser sehr billig waren. Es fällt auf,
dass in Sachsen-Anhalt und auch in Elster nur noch ein Bruchteil der
Bevölkerung der Kirche angehören – die Pfarrstellen aber noch fast die gleichen
sind wie 1950, als 95% Kirchenmitgliedschaft bestand. Dazu kommt die
Abwanderung und Überalterung, die Bevölkerungsschwund bedeuten. Die Angleichung
führt zur Streichung von Stellen. Als Pfarrer Schulze 2001 in den Ruhestand
geht, werden die Gemeinden Gentha und Ruhlsdorf dem Pfarrbereich Seyda
zugeordnet, Elster wird Schulpfarrstelle mit einem Gemeindeanteil. An mehreren
Schulen im Kirchenkreis ist Kreisschulpfarrerin Viola Hendgen von 2003 an 10
Jahre lang tätig gewesen. Weil der Stellenumfang 50% einer Lehrerstelle
überstieg, bezahlte der Staat den Stellenanteil. Im November 2013 wurde die
Schulpfarrstelle aufgelöst und auch die Kirchengemeinde Elster dem Pfarrbereich
Seyda zugeordnet.
Doch davor lagen noch viele gute Jahre, von
denen einiges berichtet werden kann:
Das 125. Jubiläum der Kircheneinweihung wurde
1996 gefeiert, mit einem Festwochenende vom 6. bis 9. Juni und einer
Ausstellung in der Kirche.
Auch die Glasmalereien in der Kirche wurden nach
und nach wieder hergestellt. Pfarrer Schulze schreibt in einem Weihnachtsbrief:
„Die Elstersche Kirche hatte einst drei
Glasmalereien: Geburt, Kreuzigung und Auferstehung Christi. 1925 waren sie von
den Brüdern Büttner aus Halberstadt gestiftet worden. Leider wurden das Weihnachts-
und das Osterfenster im Krieg zerstört. Der Künstler Sergej Grizyna aus Weißrussland
hat nun Entwürfe für neue Fenster erarbeitet. Eine Spezialwerkstatt setzt zur
Zeit das Weihnachtsbild in eine Glasmalerei um.
Das Bild zeigt das Kind in der Krippe. Die
Weisen, die Sterndeuter sind vom Stern zur Krippe geführt worden. Ungewöhnlich:
Der Stern ist ein Doppelstern! – Dahinter steht die bis heute überzeugendste
Erklärung des Sterns von Bethlehem: Ein Doppelstern, eine Konjunktion (extreme
Annäherung) von Jupiter und Saturn im Sternbild der Fische (so schon Kepler).
Jupiter war der Königsstern, Saturn war der Stern des jüdischen Volkes, die
Fische waren das Sternbild der Heilszeit.
Die Weisen aus dem Morgenland, also die
babylonischen Astronomen wussten die Zeichen der Zeit zu deuten: Im jüdischen
Volk ist der Weltheiland geboren. Und wir heute? Verstehen wir die Zeichen
unserer Zeit? Ein gesegnetes Christfest wünscht Ihnen Pfarrer Schulze.“
1997 schreibt er:
„In den letzten Jahren haben wir uns um die Instandsetzung
der Kirche gemüht, so dass sie äußerlich schon wieder sehr ansehnlich ist. Aber
wichtiger sind bei einer Kirche eigentlich die Menschen, die sie nutzen zur
Stille, zum Hören auf Gottes Wort, zum Beten, Singen und Loben. Eine Kirche ist
nicht Denkmal, sondern sie will uns anregen und einladen: Du, Menschenkind,
denke einmal! Denke einmal nach über dich, über dein Leben und deine Zukunft!
Denke einmal nach über die anderen, über Gott und die Welt!“
Regelmäßig wurde ein Sommerfest gefeiert. Der Kirchenchor
brachte gute Gemeinschaft und schöne Erlebnisse, unter Leitung von Frank Ende.
Zu einer festen Tradition entwickelte sich
wieder der Volkstrauertag. Die Elsteraner Nachrichten berichten am 22.10.1992: „Das
Kriegerdenkmal wird noch in diesem Jahr vollkommen restauriert… und eine neue
Krone aufgesetzt.“ Es soll beraten werden, ob Namenstafeln angebracht werden
sollen. „Kurz nach der Wende begann man, es aus dem dichten Gestrüpp
„herauszuschälen“. (Mitteldeutsche
Zeitung 9.11.93).
1993 wurden zum Volkstrauertag die Namenstafeln angebracht. „Ein Verzeichnis
mit den Namen der im 1. Weltkrieg gefallenen Elsteranern war noch vorhanden. Es
zählte zu den Raritäten, die in der Scheune des Pfarrgrundstückes lange im
Verborgenen schlummerten. Desweiteren stehen dort hölzerne Tafeln mit den Namen
der Gefallenen von 1812-1815, 1848, 1864, 1866 und 1870-71. Sie sind stark
angegriffen und müssten, sollen sie nicht für immer verloren gehen, restauriert
werden.“ (Mitteldeutsche
Zeitung 9.11.93, Detlef Mayer). Sie standen 1932 (nach einer Nachricht des Wittenberger
Tageblattes) in der Kirche. „Ein besonderer Schmuck sind die bei den Namen
hängenden Ehrenzeichen.“ wurde damals festgestellt.
Zur Kirchengeschichte gehört, dass in
unmittelbarer Nachbarschaft eine Neuapostolische Kirche gebaut wurde, auch eine
katholische Kapelle – nach der Wende, und im Ort auch eine Johannische Kirche.
Pfarrerin Hendgen war auch in der
Notfallseelsorge tätig und schlug u.a. neue Brücken zur Feuerwehr in Elster. Beim
schlimmen Hochwasser 2013 war sie in Elster. Danach bekamen die
Kirchengemeinden Elster und Seyda große Spenden, die sie an betroffene
Einwohner weitergeben konnten.
In den letzten Jahren wurden die Kontakte zu den
ortsansässigen Chören intensiviert, das Chorkonzert zum 1. Advent wird vom
Gemischten Chor, Frau Petra Richter, organisiert – und es bleibt kein Platz
dabei frei.
Am Heiligen Abend wird der „Friesenbaum“ wieder
die Kinder erfreuen, den Pfarrerin Hendgen einführte.
Die alte Botschaft ist wieder zu hören, die
durch die Zeiten klingt und unsere Herzen erreichen will: „Fürchtet Euch nicht!
Siehe, ich verkündige Euch große Freude, die allem Volk widerfahren soll! Denn
Euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr.“ (Lk 2).
Quellen:
Elster (Elbe). Bilder aus vergangener Zeit.
Hrsg. durch die Gemeinde Elster (Elbe), Geiger-Verlag, Horb am Neckar, 1.
Auflage 1999.
Elster (Elbe). Bilder aus vergangener Zeit. 50er
und 60er Jahre. Hrsg. durch die Gemeinde Elster (Elbe), Geiger-Verlag, Horb
am Neckar, 1. Auflage 2001.
Heimatglocken für das Kirchspiel Elster an der
Elbe. Hrsg. von Pfarrer
Wittkopp, monatlich erschienen von Juni 1917 bis
1932.
Kleine Geschichte von Meltendorf, 2014.
Mitteldeutsche Zeitung 1992 u.a.
Pfarrarchive Elster und Seyda, u.a.: Kirchenbücher,
Chronikmaterial.
Pfarrerbuch der Kirchenprovinz Sachsen. Mit
herzlichem Dank an meinen Vater für das Heraussuchen.
Schulze, Peter: Aufzeichnungen 1996 und 1997,
Pfarrarchiv Elster.
Wittenberger Tageblatt 1920, 1932 u.a.
Wittkopp, Hermann (Pfarrerssohn): Maschinenschriftliche
Aufzeichnungen, Herbst 1944 u.a.
Zwade, Eckard: Maschinenschriftliche
Zusammenstellung der Geschichte von Elster, ca. 1986.
Macht hoch die Tür, die Tor
macht weit!
Es kommt der Herr der
Herrlichkeit.
Ein König aller Königreich,
ein Heiland aller Welt
zugleich.
Der Heil und Leben mit sich
bringt,
derhalben jauchzt, mit
Freuden singt:
Gelobet sei mein Gott, mein
Schöpfer reich von Rat.
Er ist gerecht, ein Helfer
wert,
Sanftmütigkeit ist sein
Gefährt,
sein Königskron ist
Heiligkeit,
sein Zepter ist
Barmherzigkeit:
All unsre Not zum End er bringt,
derhalben jauchzt, mit
Freuden singt:
Gelobet sei mein Gott, mein
Heiland groß von Tat.
O wohl dem Land, o wohl der
Stadt,
so diesen König bei sich hat.
Wohl allen Herzen insgemein,
da dieser König ziehet ein.
Er ist die rechte
Freudensonn,
bringt mit sich lauter Freud
und Wonn:
Gelobet sei mein Gott, mein
Tröster früh und spat.
Macht hoch die Tür, die Tor
macht weit,
eu´r Herz zum Tempel
zubereit.
Die Zweiglein der
Gottseligkeit
steckt auf mit Andacht, Lust
und Freud:
So kommt der König auch zu
Euch,
ja, Heil und Leben mit
zugleich:
Gelobet sei mein Gott,
voll Rat, voll Tat, voll
Gnad.
Komm, o mein Heiland Jesu
Christ,
meins Herzens Tür dir offen
ist!
Ach zieh mit deiner Gnaden
ein,
dein Freundlichkeit auch uns
erschein.
Dein heiliger Geist uns
führ´und leit´
den Weg zur ew´gen Seligkeit!
Dem Namen dein, o Herr, sei
ewig Preis und Ehr.