Katholisch
in
Luthers Land.
Ökumenische Begegnungen in und um Seyda.
Meinem Schulfreund Wigbert Scholle zu seiner Einführung als katholischer
Stadtpfarrer von Gotha am 21. August 2016 und allen, die für die Einheit der
Christen beten.
Bild: Nach der Erstkommunion vor dem Pfarrhaus Seyda, ca.
1956, mit Pfarrer Koch.
Jesus Christus
spricht:
„Ich bin der gute
Hirte
und kenne die Meinen
und die Meinen
kennen mich.
Und ich habe noch
andere Schafe,
die sind nicht aus
diesem Stall:
Auch sie muss ich
herführen,
und sie hören meine
Stimme.
Und es wird eine
Herde
und ein Hirte
werden.“
Joh 10,14 und 16
„Gehen Sie da nicht ran, der gehört
den Katholiken!“ Erst wenige Tage war ich in Seyda, und wir reinigten die Kirche
für den Einführungsgottesdienst, ich stand in der Sakristei vor einem alten
Schrank – und der Ruf hallte quer durch die Kirche von der Empore herunter.
Meine Neugier war geweckt. Ich fand in dem Schrank die Spuren katholischer
Gottesdienste. Messformulare und Gesangbücher in Latein – also noch vor dem
Konzil in den 60iger Jahren, wo auch in der katholischen Kirche auf die
„Landessprache“, also bei uns Deutsch, umgestellt wurde; Bitten für die
Caritassammlung von 1956, ein silbernes Marienbild, was offensichtlich an einen
kleinen Holzaltar (1 Meter x 0,50 Meter) hinten angeschraubt wurde, den
passenden Schraubenzieher, Weihrauch – und eine Pfeife mit Tabak, vielleicht
vom Priester. All die Dinge verstaute ich sorgfältig in Kisten und brachte sie
der alten katholischen Ordensschwester der „Kuratie Elster“, Schwester
Dietgarda, die ich damit kennenlernte. Eine fruchtbare Zusammenarbeit entstand:
Mit Firmlingen und Konfirmanden gestalteten wir ein Martinsstück und feierten
den ersten großen Martinstag in Seyda, der seitdem jedes Jahr stattfindet. Aus
der „RKW“, der Religiösen Kinderwoche, wurden die „Kinderkirchenferientage“:
Sie steuerte das Programm bei, wir die Logistik mit Kochen und Zelten. In
diesem Jahr, 2016, fanden die 23. „Kinderkirchenferientage“ auf diese Weise
statt – obwohl Schwester Dietgarda längst im Ruhestand im Mutterkloster in
Friedrichroda ist.
“Credo
in … sanctam ecclesiam catholicam…”
“Ich glaube an
die heilige katholische Kirche” – so heißt das lateinische Original des
Glaubensbekenntnisses, was in der Kirche in Seyda Sonntag für Sonntag
(natürlich auf Deutsch) gemeinsam von der Gemeinde gesprochen wird.
„Katholisch“ heißt übersetzt eigentlich „allumfassend“, aber da es bei uns auch
eine Konfessionsbezeichnung ist, sagen wir „Ich glaube an… die heilige christliche
Kirche“. Schließlich ist die Seydaer
Kirchengemeinde nicht „römisch-katholisch“, sondern evangelisch, nach der
Reformation Martin Luthers.
„Christen sind wie eine große
Familie, es gibt Schwestern und Brüder, die sich mal mehr, mal weniger
vertragen: Und die römisch-katholische Kirche ist unsere große Schwester.“ So
ähnlich wird es in der Christenlehre erklärt. Katholiken gibt es in unserer
Gegend kaum, deshalb weiß mancher hier nicht, was das überhaupt ist. Ja, im
alten Fläming-Platt hieß das Wort „katholsch“ soviel wie „verkehrt“, deutlich
warnend gesagt. War etwas „katholsch“, dann war es fremd und suspekt und besser
ein Bogen darum zu machen. Über viele Jahrhunderte gab es bei uns kaum
Berührung mit katholischen Christen, man hörte von ihnen höchstens in der
Polemik zur Reformationsgeschichte oder aus der Ferne. Der Augsburger
Religionsfriede von 1555 „Wessen Macht, dessen Glaube“ bedeutete für die
Sachsen, dass sie alle wie der Landesherr lutherisch, also evangelisch wurden –
oder das Land verlassen mussten. Als allerdings dann der Kurfürst August der
Starke selbst zum katholischen Glauben übertrat, um auch König von Polen werden zu können, war
der evangelische Glaube so stark verankert, dass er erhalten blieb. Das war ja
auch schon viele Jahre später, im September 1697.
Nach Seyda kamen danach einige Katholiken, die sich im
Kirchenbuch wiederfinden: Meistens Spezialisten, also zum Beispiel ein
Glasbläsermeister aus der Glashütte Glücksburg, im 19. Jahrhundert ein preußischer
Regierungsrat oder Kaufleute. Aber bis zum Ersten Weltkrieg kann man sie fast
an einer Hand abzählen. Ein wenig mehr werden es dann durch Erntearbeiter aus
dem Osten, die auf den Gütern in Mark Zwuschen und in Mark Friedersdorf
arbeiten. Aber es bleiben wenige.
Dennoch
gibt es Spuren von Bräuchen, die wir heute als „katholisch“ bezeichnen würden,
weil sie jetzt meist in katholisch geprägten Gebieten gepflegt werden.
So sollen die Pfarrer bis zum Beginn des letzten
Jahrhunderts auch in Mellnitz zum Segnen der Felder hinausgegangen sein, um für
eine gute Ernte zu bitten. Einmal, so erzählte ein alter Mann noch 1995, sei
der Pfarrer von einem Bauern auf ein Feld geführt worden, was sehr schlecht
bestellt worden war. Der Pfarrer weigerte sich, den Segen dazuzugeben, und rief
entrüstet: „Hier hilft nur Mist!“
An
die vorreformatorische Zeit erinnert noch die kleine Nische, die in den alten
Altären hinten eingebaut ist. Dort war einmal der Platz der Reliquien. Meistens
waren das Überreste von Märtyrern, also Menschen, die um ihres Zeugnisses für
Christus willen umgebracht worden sind. In Seyda stand eine Kirche „Zum
Heiligen Kreuz“, vermutlich mit einem Reliquienstück vom Kreuz Christi – wie in
Klöden und Zahna hielten sich die ersten
Sachsen, die hier über die Elbe in für sie unsicheres, wildes Land vorstießen,
daran fest: Es machte ihnen deutlich, das der Herr Jesus Christus doch sichtbar
und spürbar bei ihnen war.
Diese Reliquien sollten ausdrücken, dass die Kirchen mit
der großen Weltkirche, der „Gemeinschaft der Heiligen“, verbunden, eben
„katholisch“ sind. In Mellnsdorf ist noch das Signum des Bischofs auf der
Altarplatte zu sehen, der die Kirche einmal (vor 850 Jahren) geweiht hat, und
in vielen Kirchen haben wir unter den Farbschichten dazu die alten Weihekreuze
gefunden, die mit ihrer Zwölfzahl daran erinnern, dass die Kirchen „auf den
Grund der Apostel“ gebaut worden sind.
In
der Reformationszeit hatte sich ein Pfarrer aus dem Brandenburgischen an Luther
gewandt, er hätte eine große Not: Er dürfe zwar evangelisch predigen, aber der
Fürst verlange, dass er die alten Gewänder anziehe. Aber das könne er doch
nicht machen! Luther redet ihm gut zu und macht ihm deutlich, das sei doch
wirklich ganz nebensächlich, notfalls würde er auch in Unterhose auf die Kanzel
gehen: Hauptsache, er könne das Evangelium verkündigen.
So wurden die alten Messgewänder noch viele Jahre
weiterverwendet und auch erneuert. Alte Rechnungen aus der Gadegaster
Kirchenkasse belegen, wie der Pfarrer damals gekleidet war: er hatte ein weißes
Gewand an, darüber einen farbigen Umhang. Die Gewänder mussten lange halten, im
Abstand von 60 bis 70 Jahren wurden jeweils neue angeschafft. Erst 1817 führte
der preußische König den schwarzen Talar mit Beffchen ein, wie wir ihn heute
kennen.
Die
Kniebänke sind heute oft ein Unterscheidungsmerkmal von katholischen und
evangelischen Kirchen. In Seyda wurden sie erst bei der Kirchenrenovierung im
Jahr 1894 entfernt. Es heißt 30 Jahre später, dass sich die alten Leute auch da
noch im Gottesdienst hinknieten.
Bei
einer Kirchenreinigung in Gadegast fand ich einen Zettel mit Abkündigungen aus
den 20iger Jahren des 20. Jahrhunderts. Darauf vermerkt war „Beichte für die
Jugend“. Tatsächlich findet sich hinter dem Altar dort ein Beichtstuhl. Auch in
der Wittenberger Schlosskirche wurden bei der Renovierung 1817 die Beichtstühle
erneuert. Luther hat diese heilsame Sache ja nicht abgeschafft, nur den Zwang
zur Beichte hatte er abgelehnt und die Vorstellung, dass man alles jemals
vollständig „erzählen“ könnte.
Der
behutsame Umgang der Reformation mit den alten Traditionen führte dazu, dass
manche Schnitzwerke erhalten blieben. Bisweilen wurden sie aus dem Zentrum
gerückt, wie in Arnsdorf der heilige Sebastian, der einer Kanzel weichen
musste: Das Wort Gottes gehört in die Mitte! Aber die Darstellung des Heiligen
wurde an der Seite angebracht.
In der Ruhlsdorfer Kirche findet sich eine
vorreformatorische Darstellung der heiligen Familie: Anna Selbdritt, also zu
Maria, der Mutter von Jesus, noch die Mutter seiner Mutter: Anna; dazu ihre
drei Männer (nach der Legende ein Hinweis auf die Erscheinung des dreieinigen
Gottes) und Marias Mann: Josef. Auch das ist noch gut erhalten: Am Rand.
Im Seydaer Heimatmuseum wurde 1960 eine Marienstatue
verzeichnet, die aus der Gadegaster Kirche stammen sollte. Sie ist bisher nicht
wieder aufgetaucht.
Eine
große Anzahl katholischer Christen kam mit den Flüchtlingen des Zweiten
Weltkrieges nach Seyda. Viele waren es, die alle Habe verloren hatten. Manchmal
wurden über 100 an einem Tag in den Baracken am Schützenhaus registriert. Ein
Stück Heimat und Kraftquelle war ihnen ihr Glaube: Da konnten sie „zu Hause“
sein. Katholische Gemeinden entstanden in Seyda und in Elster, sie waren mit
ihren Gottesdiensten zu Gast in den evangelischen Kirchen. Der Pfarrerssohn aus
Elster beobachtet in diesen Tagen, wie die Messe unter dem alten Kampfbild aus
der Reformationszeit von den zwei Weinbergen (der eine, evangelische Teil gut
gepflegt, der andere verwüstet) gefeiert wird. Einige Bilder waren im Krieg aus
der Stadtkirche Wittenberg dahin ausgelagert worden. Ob sie wohl bemerkten, dass im hinteren Teil
des Bildes von der katholischen Seite her eine Schubkarre voll Mist (als
Dünger) auf die evangelische Seite gefahren wird? Konfessionsschranken wurden
jedenfalls angesichts des großen Leides, das alle betraf, unwichtiger.
Es war für die katholischen Christen nicht einfach. Oft
brachten sie einen eigenen Altartisch mit, denn nach katholischem Ritus muss
auch er geweiht sein. Auf den Altar wurde zur Messe ein Tabernakel
gestellt, zur Aufbewahrung der Hostien,
des „Leibes Christi“, der nach katholischer Lehre auch Leib Christi bleibt,
wenn die Feier beendet ist.
Die Zahl der Gottesdienstbesucher war nicht gering. Es
wurden auch Erstkommunionen, Firmungen und andere große Feste gefeiert, es gab
Messdiener, Weihrauch und alles, was zu einem katholischen Gottesdienst gehört.
„Ihnen kann ich ihn geben!“ – mit
diesen Worten überreichte mir eine katholische Frau, Frau Kosa, den Seydaer
Kirchenschlüssel, nachdem ich ein Jahr hier war. Die katholische Gemeinde hatte
ihn nach dem Krieg bekommen. Er ist heute unser einziger originaler
Kirchenschlüssel, alle anderen waren verloren gegangen, so dass bis dahin nur
noch „Nachgemachte“ da waren.
1955
wurde die Kirche neu ausgemalt. Am Werk war noch als Lehrling der Maler Stiehl
aus Leipa. Noch einmal war er 1993 am Pfarrhaus tätig. Ich bat ihn, doch
nebenbei auch die Kirchtür mit neuer Farbe zu versehen. Dafür kam er jeden
Morgen eine Stunde früher zur Arbeit, 4 Uhr 30 – eine gewisse Umstellung für
mich, der ich das Studentenleben gewöhnt war. Er erzählte mir, dass er in
unserer Kirche einmal gefirmt worden ist.
In
den ersten Dienstjahren hat ein Pfarrer einen „Aufbaukurs“ im Predigerseminar
zu absolvieren. Dort begegnete mir ein Dozent
der, als er hörte, dass ich aus Seyda kam, sich sehr genau und mit
Ortskenntnis erkundigte. Es war der ehemalige katholische Pfarrer Neumann, der
in den 60iger und zu Beginn der 70iger Jahre in Elster wohnte und gemeinsam mit
den evangelischen Pfarrern aus Klöden und Seyda eine sehr rege kirchliche
Jugendarbeit aufgebaut hatte.
Erst zur Wende – lange nach dem Bau etwa einer
„Neuapostolischen Kirche“ – konnte Schwester Dietgarda eine kleine katholische
Kapelle in Elster bauen. Bis dahin waren die katholischen Christen weiter in
evangelischen Gotteshäusern zu Gast –
oder in den neu erbauten katholischen Kirchen in Jessen und Zahna. Ihre Zahl nahm freilich sehr ab: In
den 50iger Jahren gingen viele Menschen unserer Region in den Westen
Deutschlands, besonders die, die „Flüchtlinge“ waren und dafür hier eben kein
Grundstück zurücklassen mussten. Viele heirateten auch evangelische Partner und
wurden dabei oft evangelisch, am häufigsten aber dann die Kinder, wenn sie denn
überhaupt am christlichen Glauben fest hielten.
Nach
der Jahrtausendwende waren etwa 10 übrig, aber – wie es schon einmal ganz
früher war – eben oft ganz besondere. Die älteste Frau, die bisher in Seyda
gewohnt hat, Maria Brill (101 Jahr wurde sie alt); der Leiter vom Diest-Hof,
der aus Österreich kam. Auch der Doktor und die Bürgermeister unseres
Städtchens nach der Wende hatten katholische Wurzeln. Dass sie etwas „mit der
Kirche“ anfangen konnten, hat sich vielfältig fruchtbar auch für unsere
Kirchengemeinde und die Stadt ausgewirkt. Bürgermeister Benesch, bei dem ich
gleich in den ersten Tagen einen Antrittsbesuch machte, lud mich sofort ein, im
Stadtrat eine kleine Rede über das Verhältnis von Kirche und Stadt zu halten;
und zum Schulanfang in Seyda (wo ich zum ersten Mal neben meiner künftigen Frau
saß) und in Elster in der Sekundarschule, die an diesem Tag zur gemeinsamen
Schule von Seyda und Elster wurde. Unvermittelt wurde ich – alle hatten ein
Glas Sekt in der Hand – um ein paar Worte gebeten. Zufälligerweise hatten wir
vorher im Predigerseminar eine kleine Übung gemacht: „Spontanreden“. Jeder
musste dort einen Zettel ziehen und loslegen. Ich hatte gezogen:
„Schule-Schulanfang“, so konnte ich gleich anfangen…
Bürgermeister Benesch war es auch, der dann 20 ABM, also
Menschen, die im zweiten Arbeitsmarkt
für die Stadt tätig waren (ABM - „Arbeitsbeschaffnungsmaßnahme“), für die
Kirche und ihr Umfeld einsetzte, so dass vieles repariert und erneuert und
verschönert werden konnte. Eine fruchtbare Zusammenarbeit zwischen Kirche und
Stadt entwickelte sich, die dann auch nach dem plötzlichen Tod von
Bürgermeister Benesch 1999 mit seinem Nachfolger, Herrn Motl, fortgesetzt
wurde.
Zu
den katholischen Christen gehörte auch eine Gruppe älterer Frauen, die treu die
Gemeindenachmittage und auch die
Gottesdienste unserer Gemeinden besuchten – und eben einmal im Monat von der
katholischen Gemeinde mit einem kleinen Bus zur Messe nach Zahna abgeholt wurden.
Weil ich im Eichsfeld – „da, wo die DDR katholisch war“ – aufgewachsen bin,
kannte ich die katholischen Traditionen
und konnte sie immer wieder auch mit einbringen, so dass sie sich
hoffentlich auch deshalb bei uns ein Stück „zu Hause“ fühlten. Aus
Heiligenstadt vertraut war mir der Ökumenischen Jugendkreuzweg, der im Freien
an sieben Stationen gehalten wird. Seit 1994 findet er jedes Jahr hier statt,
er beginnt in der Kirche in Gadegast, die zweite Station ist an einer Kreuzung
dort, wo jemand bei einem Autounfall sein Leben verlor; die dritte ist auf dem
Seydaer Friedhof, die vierte an der Kirche in Seyda, die fünfte am
Schützenhaus, die sechste auf dem Sportplatz des Diest-Hofes, wo ein Kreuz
steht; und die letzte im Andachtsraum des Diest-Hofes. Ein großes Kreuz wird
vornweg getragen, meistens von vier Jugendlichen. Und an diesem Kreuz im
Andachtsraum des Diest-Hofes beginnt dann eine Woche später das Osterfest für
unsere Region, mit einer Osterfeier und dem Osterfeuer. Auch die Bibelwoche und
die Friedensdekade (zehn Tage im
November, wo täglich für den Frieden gebetet wird und nachgedacht wird, wie man
Frieden machen kann) sind ökumenisch. Allerdings gibt es nun kaum noch
Katholiken bei uns, und es ist auch schwer, einen katholischen Pfarrer zu
finden, der Zeit und Kraft hat, mitzuwirken. In den letzten Jahren tat dies
Pfarrer Schreiber aus Elster, der vor einigen Jahrzehnten schon einmal hier
wirkte und nun im Ruhestand ist, mit
Bibelwochenabenden. Auch Pfarrer Lorek aus Wittenberg war in diesem Jahr zu
Gast.
Seit
10 Jahren gibt es Anfang Mai eine „Wallfahrt“ nach Seyda. Seyda ist
Wallfahrtsort geworden! Die katholische Gemeinde aus Wittenberg-Jessen kommt
mit Fahrrädern und Autos, feiert um 11
Uhr eine Messe und grillt danach
im Pfarrgarten. Bis vor 3 Jahren haben wir ein Lied, meistens „Wir wollen alle
fröhlich sein in dieser österlichen Zeit, denn unser Heil hat Gott bereit.
Halleluja, Halleluja, Halleluja, Halleluja – gelobt sei Christus, Marien Sohn!“
gemeinsam gesungen (Gesangbuch Nr. 100) – es war das letzte Lied im evangelischen
Gottesdienst, der damals noch um 10 Uhr (jetzt: 9.30 Uhr) begann, und das erste
Lied dann vor der Messe. Ein gemeinsamer Gottesdienst war leider nicht möglich,
da zu einer Wallfahrt und überhaupt zur Sonntagsmesse die Kommunion gehört, an der ein katholischer Priester uns
Nicht-Katholiken nicht teilnehmen lassen darf. Dennoch ist es eine gute Sache,
das, was möglich ist, zu tun: Auch mit diesem Fest.
Viele Jahre besuchten unsere Mitarbeiter der
„Kinderkirchenferientage“ die Weiterbildungen der katholischen „RKW“ – wie es
schon erwähnt wurde; in diesem Jahr
konnten wir den großen Fisch für Jona, der im Diest-Hof angefertigt worden ist
und in dem ein „Jona“ sogar Platz hat, für die RKW ausborgen.
Eine
katholische Frau, die segensreich für die Mellnitzer Gemeinde gewirkt hat, ist
Frau Anna Maria Hor, gestorben im Jahr 2004 mit 78 Jahren. Sie kam 1990 in den
Ort und setzte sich sehr für die Kirche ein. Sie sorgte für den Altarschmuck
und besuchte auch den Gemeindenachmittag in Seyda.
Für das Fahren hin und zurück gab sie jedes Mal Geld, ich
nahm es, um neue Leitern für den Kirchturm in Mellnitz anzuschaffen: Wie Jakob,
der auf der Flucht war, war auch Frau Hor oft in Bedrängnis in ihrem Leben und
wurde gestärkt wie Jakob mit einer „Himmelsleiter“. 2003 stiftete sie das
Altartuch mit dem Bild vom Abendmahl Christi, noch heute ist es in Mellnitz zu
sehen: alle an einem Tisch!
Ein
Katholik mit großem Einsatz auf dem Diest-Hof, in unserer Gemeinde und auch für
unsere Stadt ist Werner Srugies, Psychatriediakon. Er ist Mitbegründer des
„Christlichen Vereins Junger Menschen“ (CVJM) in Seyda – und saß auf diese
Weise eine Zeitlang auch als „Jugendvertreter“ in unserem Gemeindekirchenrat! Mit großer Treue
hält er durch die Zeiten
„Sonntagsandachten“, also Gottesdienste in Seyda, auch schon in Naundorf und in
Elster, wenn ich einmal verreist bin. Viele hören ihn gern: Es ist einfach gut,
das Evangelium einmal voneinander zu hören und damit die verschiedenen
Perspektiven zu entdecken. Im Rahmen seines Berufes fertigt er mit Bewohnern
des Diest-Hofes die Osterkerzen für alle Gemeinden in und um Seyda an, die das
ganze Jahr über an die Verbindung mit dem Diest-Hof erinnern. Inzwischen werden
sie auch verschickt: Bis nach Hessen, zur Partnergemeinde.
Er qualifizierte sich als Theaterpädagoge, und so hatten
und haben wir viele eindrückliche Aufführungen. Ein Krippenspiel, in dem
plötzlich eine große goldene Wand heruntergerollt kommt und man richtig
geblendet ist, wenn der Engel zu den Hirten – und zu uns spricht: „Fürchtet
Euch nicht! Siehe, ich verkündige Euch große Freude!“. Oder wo die Wirte einen
„Pogo“ tanzen und Maria und Josef auf der Herbergssuche hin- und hergestoßen
werden. Oder wo die Hirten dann um die Krippe tanzen und solch einen Wind
machen, dass die Liederzettel in der Kirche hochfliegen. Oder wo am Beginn
Herodes sich mit einem Engel über die Macht unterhält: Und am Ende Herodes zwar
auf seinem Thron sitzen bleibt, aber „aus dem Licht“ gerückt wird.
Auch an ganz schwierige Dinge wie „Passionsspiele“ traute sich Herr Srugies und
konnte sie überzeugend umsetzen: Die Perspektive des Judas etwa, und die
Darstellung der Passion hinter einer Leinwand, im Schattenbild. Jedes Jahr gibt
es auf dem Diest-Hof großartige Aufführungen zum Sommerfest, so vom Verlorenen Sohn,
von Jona oder von Noah.
Im Rahmen eines Gemeinschaftsprojekts von Schule,
Diest-Hof und Kirchengemeinde wurde in der Schule unter seiner Leitung
„Don Quichotte“ aufgeführt: Einer, der
so anders ist als alle anderen, der mit Windmühlen kämpft – und wo schließlich
die Polizei kommt, ihn festzunehmen. Wo sich aber dann die Dorfbewohner um ihn
stellen und sagen: Der bleibt hier, der
gehört zu uns. Der macht uns Freude.
Schließlich gab es in diesem Jahr zum 10. Mal „Rock im
Tierpark“, ein großes Open Air Konzert mit vielen Bands zum Heimatfest,
maßgeblich organisiert von ihm, seinen Söhnen und deren Freunden.
Immer wieder hat Herr Srugies den Finger auf wunde Punkte
im Zusammenleben gelegt, so in Beiträgen
im Gemeindebrief und bei Versammlungen in Stadt und Kirchengemeinde. „Ihr seid
das Salz der Erde!“ sagt Jesus. „Ihr seid das Licht der Welt!“ Schön, wenn das
auch bei uns immer wieder spürbar ist.
Eine
Frau engagiert sich beim Gemeindenachmittag in Elster, kocht den Kaffee, deckt
den Tisch. Irgendwann denke ich: Sie muss doch auch einmal Geburtstag haben,
und suche in der Gemeindeliste: Aber da ist sie nicht zu finden. Sie ist
katholisch! Gefreut hat sie sich doch, als ich dann kam.
Ein
ökumenisches Projekt war der Bau der Kapelle in Mark Zwuschen 2009 - 2012. Ein
orthodoxer Christ, der aus Mazedonien stammt, hat das Land gestiftet. Und eine
junge Frau aus Seyda, Elisabeth, katholisch, lernte die Schnitzkunst in
Oberammergau und fertigte die 12 Bilder an den Türen mit biblischen Geschichten
zu Glauben, Liebe und Hoffnung an, in 187 Stunden ehrenamtlicher Arbeit, einen
Sommer lang. Im Moment ist sie in ähnlicher Weise für die Kapelle in
Listerfehrda tätig. Ein Steinmetzlehrling aus Seyda, David, erklärte sich
bereit, den Altar herzustellen. Wir fuhren
zu seinem Steinmetzmeister nach Dessau, Herrn Wotzlaff, und fragten ihn
nach einem Stein. Es ist eine teure Angelegenheit, wie man von Grabsteinen
weiß. Er fragte, wofür wir ihn bräuchten, und als er hörte: Für die Kapelle, da
sagte er einfach: „Den schenke ich Ihnen: Ich bin katholisch.“
Eine katholische Männerschola aus Heiligenstadt schmiedete
den großen Leuchter und sang auch zur Einweihung, - es war Lichtmess - , das
Lied, dessen Anfang an ihm zu lesen ist:
„Wo werd´ ich sein“ (wenn die Posaune erschallt).
Es
bleibt erstaunlich, was in unseren kleinen Gemeinden und Orten doch geschieht
und möglich ist. Zwei Lieder von Menschen, die in Seyda geboren sind, gibt es
im Gesangbuch, eins zur Hochzeit (240) und eins
zum Erntedankfest (418); das letztere ist mit einem „ö“ („ökumenisch“)
versehen, findet sich also auch im katholischen Gesangbuch. Wie es überhaupt
bemerkenswert ist: 111 solche Lieder stehen im Evangelischen Kirchengesangbuch,
was 1994 eingeführt wurde. Im neuen „Gotteslob“, dem Gesangbuch der Katholiken
in Deutschland, stehen schon 223, also 2 x 111 + 1 ökumenische Lieder, und der
am häufigsten zu zählende Liederdichter ist: Martin Luther.
Seit 1994 singen wir dafür so bekannte Lieder wie „Lobe
den Herrn“ und „Großer Gott wir loben Dich“ mit gemeinsamem Text und gleicher
Melodie – manchmal fällt es auf, wenn die Fassung nicht mit dem übereinstimmt,
was Ältere in ihrer Konfirmandenstunde gelernt haben. Auch das Vater Unser
wurde angepasst, wohl in den 70iger Jahren, „Erlöse uns von dem Übel“ hieß es
früher; jetzt: „Erlöse uns von dem Bösen.“
Nur im Glaubensbekenntnis sagen die einen eben: Ich glaube an die
heilige christliche Kirche – und die anderen: Ich glaube an die heilige
katholische Kirche. Aber alle anderen Worte des Glaubensbekenntnisses sind
gleich!
Nie
gedacht hätte ich, was nun im Juni dieses Jahres passierte: Ich wurde zu einer
Sonderaudienz bei Papst Franziskus eingeladen. Das geschah so: In Seyda gibt es
viele Schausteller und Artisten, und der Papst hat im von ihm ausgerufenen „Jahr
der Barmherzigkeit“ auch Menschen aus dieser Berufsgruppe eingeladen. Vernado
Hein aus Seyda sagte: „Ich fahre nur mit
meinem Pfarrer!“ Als dann gemerkt wurde, dass der ja evangelisch ist, gab es
wohl zunächst eine Ablehnung, aber Verni Hein fragte zurück: Ob das ihrem Chef,
dem Papst, denn recht wäre, wenn sie mich nicht mitnehmen könnten? Da klappte
es dann doch. Und ich flog das erste Mal nach Rom, war zu Gast in einem
Gästehaus des Vatikan und stand beeindruckt aber auch ein wenig befremdet in
St. Peter in Rom. Viele Päpste haben sich dort mit Kunstwerken und Statuen
verewigt, manche sind auch mumifiziert zu sehen. Aber die große Freundlichkeit
des Papstes Franziskus, die er „uns Zirkusleuten“ entgegenbrachte, machte viel
davon wett. Natürlich waren wir nicht die einzigen, sondern es waren noch viele
andere Schausteller aus ganz Europa da. Immerhin saßen wir in der zweiten
Reihe. Vorn, ein paar Treppenstufen erhöht, saß der Papst auf einem weißen
Stuhl, hinter ihm Kardinäle in schwarz. Ihm war die Freude richtig anzusehen
über die „Vorstellung“, die ihm nun von den Artisten geboten wurde. Schließlich
wurde ein sibirischer Tiger am Strick hereingeführt, nur wenige Meter von mir…
Aber der Papst hatte keine Angst, das muss man ihm lassen. Er stand auf und
ging von hinten (!) an das große Tier heran, das seine Kunststücke zeigte. Als
er es berührte, bekam es einen großen Schreck: der Tiger sprang in meine
Richtung, der Papst in die andere. Große Aufregung! Zuhause wurde mir dann ein
Bild aus der Zeitung gezeigt, wie er den Tiger (von vorn) streichelt – das war
dann 5 Minuten später. Die Barmherzigkeit ist ihm wichtig, das hat er in Wort
und Tat deutlich gemacht, die „Barmherzigkeit des Vaters“. Im Umfeld und bei der Stadtführung hörten wir auch
manches dazu, zum Beispiel, dass er mit
einer Gästewohnung im Vatikan wohnt (45 qm) und seine Kardinäle gebeten hat,
doch ihren Wohnraum auch auf 100 qm Wohnfläche zu begrenzen und lieber noch
Flüchtlinge aufzunehmen.
Der Rummel um die Person des Papstes, wie er dort in Rom
heute noch stattfindet, wird uns fremd bleiben (obwohl wir es aus anderen
Bereichen durchaus kennen), aber gerade beim Papst Franziskus wird deutlich,
dass wir in dieselbe Richtung unterwegs sind. Bei einer ökumenischen Hochzeit
in Seyda im Juli überreichte ich deshalb auch die Jugendbibel mit seinem
Vorwort: „Ein Buch wie Feuer! Ein Buch, durch das Gott spricht.“ Martin Luther
hätte sich ganz sicher gefreut über einen Papst, der einlädt, Gottes Wort zu
lesen und auf Jesus Christus zu
vertrauen.
Wir
gehören miteinander zur großen, weltweiten Christenheit, der „allumfassenden“
Kirche Jesu Christi – und sind gemeinsam mit den Christen anderer Konfessionen
zu Gottes Reich hin unterwegs.