„Etliche
haben
Engel
beherbergt.“
Wie die Christusstatue wieder nach Mellnitz
kommt.
Eine Adventsgeschichte 2016.
Die kleine Feldsteinkirche in Mellnitz gehört
zu den ältesten unserer Gegend. Vor 850 Jahren, als die Flamen kamen, bauten
sie solche Kirchen. Sie waren oft nur wenige Leute in einer unwirtlichen, ihnen
oft feindlich gesinnten Umwelt. Da war ihnen wichtig: Unser Gott ist doch bei
uns, in unserer Mitte. Seine Liebe trägt uns. Die Kirche war als einziger
massiver Steinbau Zufluchtsort nicht nur geistlicher Art, sondern ganz handfest
auch, wenn Feinde kamen, wilde Tiere oder Unwetter. Die Fenster waren klein und
zu verschließen – eines davon ist über dem Altar der Mellnitzer Kirche bis
heute erhalten.
Die alten Mauern erzählen auf ihre Weise
Geschichte. Auf der Südseite sind noch deutlich Priesterpforte und Gemeindepforte
erkennbar: Mellnitz hatte einen eigenen Pastor – der aber, das ist schon an der
schmalen Tür zu sehen, wohl aufgrund der Kleinheit des Ortes „weder leben noch
sterben“ konnte. Bei der ersten evangelischen Kirchenvisitation 1528 wurde
jedenfalls verfügt, die Pfarrstelle einzustellen und dafür in Seyda einen 2.
Pfarrer – neben dem neuen Superintendentenamt – speziell für die Orte Seyda,
Morxdorf und Mellnitz anzustellen.
Furchtbares
hat der Ort im Dreißigjährigen Krieg erlebt, davon ist ein Bericht in der
Turmkugel erhalten. Viele Jahre war die Kirche nicht zu benutzen, der ganze Ort
lag am Boden. Aber dann, im 18. Jahrhundert, erholte er sich langsam. Der
Kirchturm kam als Dachreiter dazu, mit der Glocke aus jener Zeit, die dort bis
heute hängt und ihren Dienst tut.
Jede
Generation hat das Ihre beigetragen, die Kirche zu erhalten. Im Barock kamen
die großen Fenster, das Licht, in die Kirche. Man brauchte es, denn seit der
Reformation sang der Pastor nicht mehr allein, und es gab Gesangbücher, die man
so besser erkennen konnte.
Im
Jahre 1880 schaffte der Kirchenrat eine Christusstatue an, 133 cm hoch. Sie
wurde auf den Altar gestellt und entsprach ganz dem Stil dieser Zeit. Ein
dänischer Künstler, Thorvaldsen, hatte in Kopenhagen eine solche Figur
geschaffen. Sie zeigt Christus, der mit
ausgebreiteten Armen auf uns zu kommt, nach dem „Heilandsruf“ Jesus: „Kommt her
zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid: Ich will euch erquicken!“ (Mt
11,28)
Die Figur ist weltbekannt. Auch auf
Friedhöfen begegnet sie oft, so auf dem alten Naundorfer Friedhof (gegenüber
der Kirchtür). Der alte Pastor Voigt aus Gadegast hatte eine solche Figur (35
cm hoch) auf seinem Klavier stehen, heute ist sie auf dem Altar in der
Zemnicker Kirche zu finden.
Jesus
mit ausgebreiteten Armen: Gott kommt mit seiner ganzen Freundlichkeit auf uns
zu, wendet sich uns zu. Diese Gute Nachricht, das Evangelium, sollte im
Mittelpunkt stehen. Der Gekreuzigte begegnet uns als der Auferstandene, der auf
uns zu geht.
Etlichen
Generationen von Mellnitzern stand diese Figur vor Augen, wenn sie in der
Kirche Freude und Leid vor Gott brachten. 1901, so kündet die Jahreszahl über
der Kirchtür heute, wurde der Eingang auf die Westseite gelegt, so konnte man
auch bei Hochzeiten gerade hineinschreiten, auf den Altar mit der Christusfigur
zu. Die Weltkriege kamen und mit ihnen sehr viel Leid: Der Christus mit den
ausgebreiteten Armen hat getröstet und Frieden in die Herzen gebracht.
In
den 70iger Jahren wurde die Kirche baupolizeilich gesperrt. In dieser Zeit
scheint auch die Statue vom Sockel geholt worden sein. Zuletzt wurde sie – mit
abgeschlagenem Arm – im Nebengelass unter der Treppe zur Empore gesehen. 1985,
zur 600-Jahr-Feier des Ortes, gab es eine große gemeinsame Anstrengung von
Kirchengemeinde (es gibt Fotos, wo der Pastor persönlich rittlings auf dem
Dachgiebel sitzt und mitwirkt), von politischer Gemeinde und von der LPG, dem
großen Landwirtschaftbetrieb, der zu Dach und Kronleuchter das Wesentliche
beitrug. Ein großer Kran hob den Turm vom Dach, es sieht aus wie „Hut ab“ – und
dann auch wieder hinauf. Wie damals üblich – und mit den Möglichkeiten, die es
gab – wurde die Kirche ganz einfach geweißt, ein schlichtes Holzkreuz kam auf
den Altar. Es bleibt bis heute erstaunlich, dass eine solche Kirchenrettung
damals möglich war: Mit den verschiedenen Akteuren. Ein Mosaikstein der
Geschichtsschreibung, was sich gegen ein Schwarz-Weiß-Bild der DDR stellt.
Als
ich 1993 meinen Dienst in Mellnitz begann, war der Weg zum Altar nicht einfach.
Man wusste nicht, ob sich unter dem Teppich gerade eine feste Stelle oder aber
eine lose Fließe verbarg. Die Partnergemeinde aus Hessen schuf Abhilfe mit
einer großzügigen Spende: Fliesen aus Südfrankreich wurden eingebaut, die
wasserdurchlässig sein sollen. Das war notwendig, der Dorfteich war
zugeschüttet worden – und das Wasser suchte sich andere Wege, wohl eine Ursache
für die Zerstörung des Fußbodens.
„Herr
Pfarrer, kommen Sie schnell, Kinder schmeißen mit Steinen auf die Kirche!“ –
ein solcher Telefonanruf ließ mich nach Mellnitz eilen, ich traf auch die
Kinder (es gab da noch welche!), sammelte sie ein: Wir malten Fensterbilder:
die Kleineren den Guten Hirten, die Größeren das Gleichnis vom Vierfachen Acker und die 6 Werke der Barmherzigkeit. Keiner
schmiss mehr einen Stein – auf die eigenen Bilder! Und die Kirche war nun bunt.
Wir machten auch einen Ausflug zur nahegelegenen Glaswerkstatt, und diese
schenkte der Kirchengemeinde dann zu Weihnachten – bei eisiger Kälte wurde es
eingebaut – ein buntes neues Ostfenster: Die Dunkelheit (ein dunkles Rot) wird
aufgerissen durch ein gelbes Kreuz, eine eindrückliche Darstellung. Für mich
war das eine Illustration zu dem Wort des Paulus: „Lass Dich nicht vom Bösen
überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem!“ (Röm 12,21).
Die alte Friedhofsmauer wurde
saniert – ein Russlanddeutscher half dabei wesentlich mit – und auf dem alten
Friedhof im Jahr 2000 zwei Linden gepflanzt: Für 2000 Jahre Kirche.
„Herr,
deine Güte reicht, so weit der Himmel ist, und deine Wahrheit, so weit die
Wolken gehen.“ (Ps 36,6) Natürlich wurde dieser Psalm in Mellnitz gebetet, und
ein wenig direkte Erfahrung war auch schon da: Im Harmonium, was – nach
Inschrift – aus Woodstock in Kanada stammte und vielleicht von einem Auswanderer
gestiftet worden war. Aber das, was dann kam, überstieg alle unsere kühnsten Träume: Eine Gemeindegruppe
aus Seattle vom Pazifischen Ozean kam im Sommer 2005 für zwei Wochen, wohnte in
Mellnitz und Seyda und renovierte mit
uns die Kirche. Eine fröhliche Gesellschaft: Ein Zimmerer mit seiner Frau, ein
Manager von Boeing, eine Ärztin, ein Autoschlosser, eine Krankenschwester, ein
Geschichtsstudent, ein Bankangestellter, eine Lehrerin, eine Schülerin, ein
Pastor, eine Hausfrau, eine Künstlerin, eine Geschäftsfrau… Sie alle packten
mit an. Die Bänke wurden in eine große Scheune des Agrarbetriebes ausgelagert,
und Frau Doktor aus Amerika rückte (mit anderen) mit großen Spritzen dem
Holzwurm zu Leibe. Die Wände wurden
gemalt, auch alle Holzteile inklusive der Bänke, ein alter bunter, fröhlicher
Fries von der Ausstattung um 1900 wieder ergänzt. Das alles unter Anleitung des
Restaurators Markus Schulz aus Dresden, der sich mit Freude auf dieses
Experiment einließ und es ermöglichte, auch innerhalb kürzester Zeit die
denkmalrechtlichen Genehmigungen zu erhalten. So etwas gab es noch nicht! In
den vierzehn Tagen wurden übrigens noch einige Exkursionen unternommen, nicht
nur nach Wittenberg und Jüterbog, sondern auch nach Berlin, Leipzig, Eisenach,
Eisleben, Erfurt, Torgau. Zehn Minuten vor der Einweihungsfeier wurde der
letzte Farbeimer aus der Kirche getragen – und es ist jedenfalls keiner
„angeklebt“, was wohl auch an den heißen Temperaturen lag. Der Spielmannszug
kam, und es wurde dreimal um die Kirche gezogen. Nach dem Festakt traf man sich
auf der Straße zu einem Straßenfest.
Eine großartige Erfahrung: Was
wir doch für einen Schatz haben mit unserer alten Kirche – und was für ein
Schatz die Gemeinschaft der Christen ist. Gott hat seine Leute, und sie sind zu
uns gekommen, um uns zu helfen, buchstäblich „vom Ende der Welt“.
Das war im Jahr 2005, und über 10
Jahre lang gibt es nun immer wieder herzliche Begegnungen hier und dort.
Die
Aktion hat viel Mut gemacht: Wir können ja gemeinsam viel erreichen! Es lohnt
sich, anzupacken. „Die Freude am Herrn ist unsere Stärke.“ (Neh 8,10) Mit
dieser Erfahrung wurde auch in der Folgezeit oft Resignation überwunden und
Neues entstand: So die Kapelle in Mark Zwuschen (2008-2012) und in Listerfehrda
(2016). Auch andere Gemeinden folgten dem Beispiel und malten – unter Anleitung
des Restaurators – ihre Kirche selbst: Ruhlsdorf, Gentha, Naundorf…
Manches
war bei dieser Sanierung in Eigenleistung nicht möglich. Ganz sichtbar: Die
Ostwand, hinter dem Altar. Dazu gab es keine denkmalrechtliche Genehmigung. Das
sollte den Restauratoren vorbehalten sein – und viel Geld kosten, was lange
Zeit nicht aufgebracht werden konnte. Ebenso natürlich Arbeiten an Balken und
Dachkonstruktion.
Goldene Rettungsplanen über die
ganze Ostwand waren an einem Weihnachtsfest eine Zwischenlösung. Was für ein
Leuchten! Doch da eröffnete sich eine Möglichkeit, 2013. Das europäische
Leader-Programm und die Koförderung des Kirchenkreises Wittenbergs machten es
möglich, große Summen für die Kirchensanierung zu erhalten. Aber mit einer
großen Hürde: 10% des Geldes waren in Eigenleistung aufzubringen! Und das von
einer Gemeinde mit 23 Gemeindegliedern, die zwar in der Statistik des
Kirchenkreises unter den ganz wenigen war, die gewachsen ist (von 22 auf 23 durch
einen Wiedereintritt), aber die doch im Ganzen wohl eine der kleinsten in der
Landeskirche ist.
Zunächst sollten knapp 10.000
Euro aufgebracht werden. In kurzer Zeit! Und die Nachbargemeinden konnten nicht
helfen, denn sie standen vor der selben Aufgabe.
Da kam uns etwas zu Hilfe: In
einem Magazin des Vereins „Andere Zeiten“, das zum Kirchentag in Hamburg
erschien, standen zwei Seiten über
unseren Pfarrbereich. Auslöser war die Kapelle in Mark Zwuschen, die der Verein
auch unterstützt hatte. Nun kam eine jugendliche Reporterin und ein Fotograf
und dokumentierte einen Tag im Pfarrbereich. Schöne Bilder entstanden – in
Mellnitz war zufällig gerade eine Baubesprechung – und dann stand mittendrin
der Satz: „Da gibt es viele Ideen, aber manchmal fehlt das Geld.“ Das brachte
eine hochbetagte Rentnerin aus Kassel dazu, sich durchzufragen, im Pfarramt
anzurufen – und 2000 Euro zu spenden. Just an diesem Abend sollte im Mellnitzer
Gemeindekirchenrat die Entscheidung fallen, ob wir es wagen wollten, eine Spendensammlung
zu beginnen. Eigentlich eine aussichtlose Sache (das jährliche Spendenaufkommen
lag sonst bei 1000 Euro), aber nun war ja schon einmal ein Anfang gemacht. Es
wurde dann mit Gottvertrauen fröhlich begonnen. Am Ende war die Summe durch
vielerlei Hilfe aus Nah und Fern erreicht: An 5 Kirchen im Pfarrbereich konnte
mit dem Bauen begonnen werden. Mellnitz war natürlich die kleinste Kirche – die
am Ende aber am längsten und am teuersten wurde. Der Betrag verdoppelte sich,
zum Schluss waren es 188.000 Euro. Balken, die seit dem Dreißigjährigen Krieg
nicht mehr gewechselt worden waren, wurden saniert. Der Kirchturm zum Halten
gebracht, schließlich sogar das Dach gedeckt – und die Ostwand wieder in der
Fassung hergestellt, wie sie um die Jahrhundertwende aussah: Mit einer Pforte
zum Himmel!
Einen
großen Dankgottesdienst gab es 2015 nach der Sanierung, mit Besuch aus Nah und
Fern. Die Freude war groß. Sogar die Kanzel war wieder an ihre alte, erhöhte
Stelle gekommen, schon zu Heilig Abend 2014 wurde sie durch den
Verkündigungsengel beim Krippenspiel „eingeweiht“.
Der
Triumphbogen war da, und irgendwie war deutlich: Die Mitte fehlt. Da stand doch
einmal etwas! Ein ganz altes Foto zeigte es deutlich. Viel war darauf nicht zu
erkennen, aber doch die Christusfigur, leuchtend weiß. Sie war die Mitte.
Nun
begann die Suche nach einer solchen Figur. Dass sie von Thorvaldsen war, war
leicht zu erkennen. Und heutzutage, da scheint doch alles zu bekommen zu sein –
im Internet. So begann die Suche. Aber tatsächlich war auf der ganzen weiten
Welt keine solche Figur zu ersteigern oder zu bekommen. Nur in kleinerer Größe,
bis 40 cm. Aber nicht 133 cm oder ähnlich, wie wir sie brauchten.
Nun
haben wir ja Kontakte in die weite Welt. Auch nach Amerika. Was gibt es nicht in
Amerika? Aber es war nichts zu machen.
Beziehungen nach Dänemark ergaben
sich über die Kirchengemeinde in Gentha. Thorvaldsen kam ja von dort. Aber auch
die Bischöfin, uns sehr wohlgesonnen, konnte uns da nicht helfen.
Die
Restauratoren? Ja, es muss doch ein Fundus geben… Aber es war nichts da – nicht
so eine Figur, wie wir sie brauchten. Restaurator Körber, der in Elster tätig war, sagte auf Anfrage: „Ja, ich
arbeite gerade in Coswig. Da habe ich doch so etwas gesehen!“ Also: Auf nach
Coswig! In einem Nebengelass fand sich dort genau so eine Statue, wie wir sie
haben wollten. Aber sie war kaputt, die Hand fehlte. Und sie stand über viele Jahrzehnte an der
Straße, der Witterung ausgesetzt: Das sah man ihr an. Eine einfache
Restaurierung hätte über 6000 Euro gekostet – also wie gesagt nicht so einfach
darzustellen für die kleine Gemeinde. Es wurde jedenfalls angefangen, zu
verhandeln. Eine andere Landeskirche! Anhalt! Es gab die Genehmigungen, von
ganz oben und von ganz unten. Eine Leihgabe… Aber dann kam es ganz anders.
Im
Dezember 2015 bekam ich einen Anruf von einem polnischen Pastor aus den
Masuren. Er – ein Lutheraner – wollte mit einer kleinen Gruppe seiner aktivsten
Gemeindeglieder eine Reise nach Wittenberg unternehmen und fragte mich, ob wir
sie nicht unterbringen könnten. Eben so
als Gemeinde. Wir kannten uns überhaupt nicht! „Herberget gerne!“ sagt der
Apostel… Das haben wir dann auch gemacht. In Mellnitz kamen sie unter, in der kleinsten Gemeinde. Eine herzliche
Begegnung! Einen geschnitzten Storch brachten sie mit („Befiehl du deine
Wege…“) – und sie zeigten uns Bilder von ihrer Kirche und ihrem Kirchgarten.
Und was haben wir da gesehen? Genau so eine Statue, wie wir suchten! Ganz neu,
im Jahr 2000 aufgestellt. Nun war schnell gefragt, woher sie kam.
Und
an einem Tag in der Osterwoche, als mal kein Geburtstag und auch sonst keine
wichtige Veranstaltung anstand, machte ich mich in Begleitung von Andreas
Kirsten früh um 7 Uhr Richtung Polen auf. Ich wollte doch wissen, ob das
wirklich ein richtiger Künstler ist – und dass die Statue dann hoffentlich doch
nicht am Ende aus Plaste gefertigt ist.
Halb drei Uhr nachmittags trafen
wir in Bielitz ein, hinter Katowice. Der Künstler war – Gott sei Dank! – zu
Hause, nämlich in seinem Garten und an einem Kunstwerk beschäftigt. Also: Alles
echt! Denn er wusste ja nicht, dass wir kommen. Ein wenig schwierig war es
natürlich, weil ich nicht Polnisch und er nicht Deutsch konnte. Aber ich bekam
bald heraus, dass er schon drei solcher Statuen angefertigt hatte, und er
verstand, was wir wollten. Zur Bestätigung gingen wir dann noch ins Nachbarhaus
– da wohnte der evangelische Pastor, und der übersetzte uns noch einmal das,
was wir schon mit Händen, Füßen und
Zeichnungen verhandelt hatten. Der Künstler lud uns dann zu einem Gang auf den
Markt ein. Dort steht eine Statue, die er im Auftrag der Stadt vor einigen
Jahren angefertigt hat. Ein feines Kunstwerk, wie wir feststellten. (Ein Bild
auf unserem Kalender 2017 zeigt den Künstler mit Andreas Kirsten vor dieser Statue.)
Beim Stadtgang trafen wir auf
große Transparente: „500 lat reformacija“ – „500 Jahre Reformation – wir
feiern!“ Ich dachte: Irgendwie muss das doch eine Sinnestäuschung sein: Du bist
doch mitten in Polen, und die Polen sind doch meistens katholisch. Aber nein!
Der Pastor klärte uns auf: Bei der Rekatholisierung weigerten sich die
Bielitzer, katholisch zu werden, sondern gingen lieber zum evangelischen
Gottesdienst in den Wald zu ihrem alten lutherischen Pastor. Nach ein paar
Monaten sagte der Kaiser in Wien, zu dem Bielitz damals gehörte (noch heute
sagt man „das kleine Wien“!): „Eine Ausnahme können wir uns leisten!“ Und so
konnten die Bewohner der Stadt lutherisch bleiben. Sie haben auch ein feines
Lutherdenkmal, ähnlich dem in Wittenberg. In Bielitz aber streckt der Luther
einem die Bibel entgegen!
Fröhlich
kehrten wir heim! Und nun hieß es: Das Geld zusammenbekommen. Inzwischen kam
ein Angebot – nach vielem Nachfragen – von einem Restaurator: Er würde uns eine
solche Statue – egal aus welchem Material – computergestützt anfertigen, Kosten
über 48.000 Euro. Nun – in Polen war es ein wenig billiger und vor allem: Es
ist eine richtige Steinmetzarbeit!
In
Listerfehrda sollte nun in diesem Sommer eine Kapelle entstehen. Eigentlich war
das Geld dafür zusammen. Aber die größte
zugesagte Summe fiel plötzlich weg. Das brachte auf Ideen, zum Beispiel
auf eine Sammlung im Ort selbst mit dem kleinen Trompetenchor. So viele 50
Euro-Scheine habe ich noch bei keiner Sammlung erlebt – eine schöne
Bestätigung, dass viele Listerfehrdaer das Projekt wirklich wollten. Aber es
fehlte noch etwas. So schrieb ich, ein wenig zögerlich, wieder an „Andere Zeiten“. Aber – diesmal kam keine Antwort.
Sonst dauerte es immer nur wenige Tage… Aber diesmal war es nicht so. Doch mir
war klar: Das Zeitfenster war sehr
klein, eine solche Kapelle zu bauen. Alles war vorbereitet, jetzt musste es
losgehen. Jeden Tag konnte etwas dazwischenkommen, und die Sache wäre vorbei
gewesen. Also schrieb ich noch einmal an „Andere Zeiten“: Dass wir jetzt anfangen müssten,
dass ich ein wenig für mich gespart hätte für eine gewisse Statue in Mellnitz,
aber dass ich dieses Geld jetzt einsetzen würde – wenn sie aber hören würden,
dass jetzt der Kapellenbau beginne, sollten sie nicht meinen, wir würden nicht
noch einen Zuschuss brauchen und uns
sehr darüber freuen… Nach einer Woche kam eine kurze Antwort: Mit einer Zusage
für die Restfinanzierung der Kapelle – und für die Statue dazu. Halleluja! Wer
denkt da nicht an das Wunder, wo da am Anfang fast nichts da war (5 Brote und 2
Fische), und am Ende so viele satt wurden – und 12 Körbe mit Brocken
übrigblieben? In diesem Falle waren sie 350 kg schwer: Die Statue.
Der
Künstler meinte, er brauche einen Monat für das Aussuchen des Steins im
Riesengebirge, was man von Bielitz aus in malerischer Kulisse sieht – und dann
drei Monate für die Ausarbeitung. Das könnte also bis Weihnachten klappen!
Imposante Bilder gab es: Von dem
großen weißen Quader, der Anzeichnung, den ersten Konturen – bis hin zur fast
fertigen Christusstatue.
Ach
ja, eine denkmalrechtliche Genehmigung wollten wir natürlich auch haben…
Eigentlich vielleicht ja nicht notwendig, bei „mobilen“ Gegenständen, aber
immerhin ist die Statue ganz schön schwer. Die Antwort war: Ja, wir dürfen das
machen. Aber nur mit dem alten Podest darunter. Also setzte ich mich hin, um
aus dem alten Foto das Podest zu erkennen. Ich erinnerte mich an meine
Schulbildung – wir hatten „Technisches Zeichnen“, also 45 Grad und die Strecken
nach hinten um die Hälfte verkürzt… es sah dennoch wie eine Schülerzeichnung
aus. Aber ich kopierte es einfach einmal. Jetzt schien es schon fast aus dem
Baubüro zu stammen! Ich fragte einen ortsansässigen Tischler, der mir schon als
Konfirmand ringsherum alle kaputten Kirchenfenster repariert hatte. Der sagte:
„Das ist prima! Ich habe für den Mellnitzer Spielplatz gestiftet und dafür ein
Stück Mellnitzer Eiche bekommen. Das machen wir!“ Die Denkmalpflege war sofort
begeistert: Mellnitzer Eiche! So haben wir die Genehmigung.
Den
Spielplatz vor der Kirche konnten wir ziemlich zeitgleich mit der (fast)
abgeschlossenen Kirchensanierung einweihen. Richtig mit Glockengeläut,
Bürgermeister und Bläsern, Gebet und Segen. Es gibt wieder Kinder in Mellnitz!
Vor 15 Jahren stand in der Bildzeitung eine ganze Seite über den Ort: „Heile
Welt! Das Dorf der glücklichen Leute! Keine Arbeitslosen.“ Im kleinen Text
darunter neben vielen großen Bildern konnte man dann lesen: „Nur Rentner.“ Und
„Pfarrer Meinhof hat über 20 Gemeindeglieder.“ Dennoch haben die Mellnitzer
auch mit Gottvertrauen angepackt und ihr Dorf – und ihre Kirche – schön
hergerichtet: Für die Zukunft. Und nun
sind wieder junge Familien da. Bald kann in Mellnitz eine eigene
Christenlehregruppe aufgemacht werden!
Die Statue ist also in besonderer
Weise für die alten Leute, die sich freuen, dass etwas wieder „heil“ ist, mit
dem sie aufgewachsen sind – und für die Kinder, dass sie anschaulich Jesus vor
Augen haben als den, der freundlich auf uns zu kommt. Und natürlich für uns
alle, zur freundlichen Erinnerung: Er kommt, der „Heil und Leben mit sich
bringt“, der „alle Not zum Ende bringt“. Wir warten auf Christus in diesem
Advent. Und am 9. Dezember dürfen wir die Statue abholen.
„Bleibt fest in der brüderlichen Liebe. Gastfrei zu
sein vergesst nicht; denn dadurch haben etliche ohne ihr Wissen Engel
beherbergt.“
Hebr 13,1f
Um 1900.
Mitteldeutsche Zeitung Juli 2016.
Wieslaw Arminiajtis. Das fast fertige Werk.
P.S.
Am Sonnabend vor dem 3. Advent
wurde die Statue unter Glockengeläut und mit Gesang dem Gesang eines
Adventsliedes in der Kirche in Mellnitz aufgestellt.