Festschrift

zum Schul- und Heimatfest Seyda 2016

 

Bilder auf der 1. Umschlagseite: Elisabeth Kase, Müller/Luka Lorenz, Harkenmacher.  Elias Schulze, Waschfrau.

 

Vorwort

Handwerk in Seyda – das haben die Grundschüler in diesem Jahr dargestellt: Und dabei zeigt sich eine große Kunst! Angeleitet durch ihre Lehrerin, Frau Anke Fritzsche, sind sehr viele tolle Bildwerke entstanden – fast hätten sie nicht alle hineingepasst, aber schließlich wurde lieber auf andere Beiträge verzichtet, um sie wirklich alle zu zeigen.

So viele Talente gibt es unter uns, so viel ist zu entdecken: Diese Festschrift will wie das ganze Schul- und Heimatfest den Schatz zeigen, den wir mit unserer Heimat und der Gemeinschaft hier haben. Dazu gehört manches Vertraute, aber immer wieder auch Neues.

Vielen Dank für Ihre Spende für das Kinderprogramm zum Fest: Es trägt wesentlich zu dieser Gemeinschaft bei; im letzten Jahr war so drei Stunden lang der „Rummel“ kostenfrei für die Kinder: Wo auf der Welt gibt es das sonst?

Viel Freude beim Lesen und Anschauen der Bilder – und beim Heimatfest wünscht im Namen aller Mitwirkenden:

Paul Kötitz, Ernte

Inhaltsverzeichnis

 

Imkerei früher. Von Alrik Fritzsche. Seite 4

 

Besonderes Handwerk in Seyda:

Die Reparatur von Blechblasinstrumenten.

Gabriel Letz interviewt seinen Uropa Waldemar Boneki.  Seite 6

 

Friseur.

Von Noel Michael. Seite 9

 

In der Landwirtschaft.

Von Fabian Grosser. Seite 10

 

Seydas längste Straße.

Im Gemeindenachmittag in Seyda zusammengetragen. Seite 11

 

Sterne über Mark Zwuschen

Gesehen im Frühjahr 2016. Seite 31

 

Kostbares Glas: Ein bedeutender Produktionsstandort in der Seydaer Heide. Ein Drittel der norddeutschen Glasproduktion kam einmal von hier. Seite 35

 

Eine Entdeckung auf dem Diest-Hof: Ein altes Bild.

                                                                                   Seite 40

Manuel Frenzel, Altes Bauernhaus

 

Elisabeth Kase, Bäuerin

 

Imkerei früher.

Von Alrik Fritzsche aus Seyda.

Hier in Mitteleuropa begann alles mit der Imkerei. Früher hießen die Imker Zeidler. Sie hatten auch Waffen bei sich. Diese waren ein Zeichen für große Beachtung. Die Zeidler hatten damals Bäume ausfindig gemacht, wo Bienen wohnten. In der Nähe bauten sie dann Häuser, die später zu Dörfer wurden.

Zu der Zeit der Zeidler war nicht nur der Honig sehr wertvoll, sondern auch das Wachs, das die Bienen produzierten. Dieses Wachs diente meist für Kerzen in den Kirchen. Die Zeidler holten das Wachs und den Honig mit einem Messer aus den Bäumen. Dabei hatten sie spezielle Sachen an, damit sie nicht gestochen wurden.

Später wurde dann der Bau samt Drumherum abgeschnitten und so hingestellt. Danach machte der Mensch hinten in den Klotz eine Art Tür hinein, so dass er besser an das Wachs mit dem Honig herankam.

Schließlich erfanden die Menschen eine Art Korb, der aus Stroh geflochten wurde. Dieser hatte einen Deckel, der abnehmbar war. Bei ihm war es noch einfacher, das Wachs und den Honig zu bekommen. Später erfanden dann noch die Leute Waben, mit denen man den Honig und das Wachs schnell und leicht aus dem Strohkorb herausholen konnte.

 

Elias Schulze, Müllersfamilie vor der Mühle

 

Niklas Meise, Landarbeiter bei der Ernte

 

Besonderes Handwerk in Seyda:

Die Reparatur von Blech-blasinstrumenten.

Gabriel Letz interviewt seinen Uropa Waldemar Boneki.

G: Opa, wie lange reparierst du schon Trompeten?

O: Schon sehr lange, ich habe 1973 damit begonnen. Es war erst Hobby, dann eine Nebentätigkeit und nach der Wende ein angemeldeter Handwerksbetrieb. Bis Anfang 2012. Auch heute repariere ich noch das eine oder andere Instrument. Allerdings nur für wenige und ausgewählte Kunden.

G: Was ist das Besondere an diesem Handwerk?

O: Es kann nicht jeder. Man braucht ein feines Händchen. Es gibt viele Kleinigkeiten zu bearbeiten.

G: Was sind denn die häufigsten Arbeiten beim Reparieren?

O: Ausbeulen, Ventile reinigen, das Ölen der Rohre und Lötarbeiten.

G: Gibt es Arbeiten, die besonders viel Spaß machen?

O: Ja, Ventile ausbauen und reinigen, das Polieren und Ölen. Freude bereitet die ganze Arbeit, weil vieles ist immer anders. Das Ausbeulen z. B. ist vielseitig. Jedes Instrument ist immer anders kaputt.

G: Was ist schwer bei dieser Arbeit?

O: Tubas sind schwer zu reparieren. Das Instrument ist recht groß, so dass man zu zweit sein muss, wenn man es ausbeulen muss. Einer muss das Instrument dabei festhalten.

G: Welches Werkzeug wird häufig verwendet? Gibt es besonderes Werkzeug?

O: Ein besonderes Werkzeug sind die Ausbeuleier und Ausbeulkugeln. Sie sind aus Eisen und haben verschiedene Größen – je nach der Größe der Rohre, die ausgebeult werden müssen. Die kleinste Kugel hat einen Durchmesser von 10 Millimetern und das geht dann bis zu 15 Zentimeter im Durchmesser. Zum Ausbeulen gibt es außerdem noch kleine Gummihammer und Holzhämmerchen.  Ein weiteres besonderes Werkzeug sind glatte und ovale Eisen. Ich komm jetzt nicht auf den richtigen Namen. Sie sehen aus wie Rundfeilen, sind aber glatt. Damit kann man das Blech glätten. Und für das Polieren gibt es entsprechende Polierbürsten sowie rundes, ganz feines Sandpapier, aber auch Filz und Leder können dafür genommen werden.

G: Wie viele Instrumente hast du so in einem Monat repariert?

O: Also, als ich noch viel damit zu tun hatte, geschätzt waren es zehn bis fünfzehn Instrumente im Monat.

G: Gibt es einen besonderen Reparaturfall, an den du dich gut erinnern kannst?

O: Ja, ein Tenorhorn wurde von einem Auto völlig platt gedrückt. Das war dann schon eine Herausforderung, diesem Instrument dann wieder Töne zu entlocken.

G: Danke Opa, dass du meine Fragen beantwortet hast.

Noel Michael, Bauer und Bäuerin

        

Fabian Grosser, Müller/Lucas Utesch, Landarbeiter

 

Friseur.

Von Noel Michael.

Das erzählte mir Herr Wahle:

-          Es gab Kämme für Herren und Damen, scheren, Lockenwickel, Kaltwickel für Dauerwellen; zum Haaretrocknen Föne und Hauben, dazu Haarwaschmittel zum Haare waschen.

-          Für Farbveränderungen gab es verschiedene Farben.

-          Von 1945 bis 1990 waren die Preise sehr billig, dadurch mussten die Friseure recht schnell arbeiten, um Geld zu verdienen.

-          Dieses war recht anstrengend, und viele Friseurinnen hatten schlimme Hände und Rückenschmerzen.

-          Ab 1. Juli 1990 kam die D-Mark, es stiegen sofort die Preise, dadurch wurde es etwas leichter.

-          Es gab dann auch moderne Geräte, z.B. Föne, Haarschneidemaschinen, Trockenhauben, Klimazonen und das Rückwärtswaschbecken, viel bessere Haarschneidescheren, höhenverstellbare Stühle und Rollhocker für die Beschäftigten.

-          Heute ist die Arbeit leichter. Kundenfreundlich muss man sein!

        

Hans Meinhof, Schmied  -             und Mühle

 

In der Landwirtschaft.

Von Fabian Grosser.

Mein Opa Jensen erlernte den Beruf Mechanisator Agrartechnik bei der LPG Blönsdorf. Heute bezeichnet man diesen Beruf als Mechaniker für Land- und Baumaschinentechnik. Seine Hauptaufgabe bestand darin, landwirtschaftliche Maschinen zu reparieren und zu pflegen. Landwirtschaftliche Maschinen, die er wartete und fuhr:

ZT Traktor, Fortschritt Traktor, Fortschritt E512 Mähdrescher.

Werkzeuge: Hammer, Meißel, Bohrmaschine (Schmalkalda), Nusskästen, eine chinesische Kombizange, Presslufthammer.

Es gab nicht so viele Werkzeuge in DDR-Zeiten. Man machte das Beste daraus.

 

Emily Clemens, Bauernhof

 

Seydas längste Straße.

Im Gemeindenachmittag in Seyda zusammengetragen.

Fast 100 Hausnummern zählt die Jüterboger Straße, also mehr, als viele Dörfer der Umgebung, und sie zieht sich aus dem alten Stadtkern, vom Markt her, bis hinaus in die Vorstadt. Vor einigen Jahrzehnten noch gab es in ihrem vorderen Teil viele Geschäfte und Handwerksbetriebe, deren Familien (meist die Frauen) dazu eine kleine Landwirtschaft betrieben: Eine ganz typische Lebensweise in Seyda, viele hundert Jahre lang.

 

Benjamin Streibing, Ernte

 

Die ersten Häuser zählen noch zum Markt und zur Burg-(Berg-)straße, die Nr. 1 der Jüterboger Straße beginnt auf der linken Seite erst nach dem Eckhaus. Von den Bewohnern der Häuser berichten auch die Kirchenbücher, so hier von einer Einquartierung zu Napoleons Zeiten. Der „Töpfer“ (er war auch Ofensetzer) Gottfried Bey, aus Cöpenik nach Seyda 1771 in die Familie Hentze eingeheiratet, starb am 8. August 1813 mit 64 Jahren an Brustbeschwerden, „ein polnischer Soldat, der bei ihm einquartiert war, hat ihm einen heftigen Stoß auf die Brust gegeben“. Die Jüterboger Straße hat viel Leben, Liebe und Leid gesehen. Hier wurde der letzte auf dem Weinberg Hingerichtete 1796 durch die Straße geschleift, hier marschierten Napoleons Truppen (7000 waren in Seyda einquartiert), hier wurde im April 1945 an der Kreuzung mit der Neuen Straße noch eine Straßensperre gebaut, die aber nur dazu führte, dass die Soldaten dort von ihren Wagen sprangen und zu plündern begannen. Ein Soldatenfriedhof mit russischen Soldaten wurde einmal an der Straßenkreuzung zur heutigen Obstallee angelegt, später erfolgte eine Umbettung nach Jüterbog. Die letzten Soldaten, die auf dieser Straße in den Kampf zogen, waren die russischen Verbände, die 1968 den Aufstand des Prager Frühlings niederschlugen, aber noch bis zur Wende gehörten russische Soldaten zum Straßenbild, die auch schon einmal wegen ihrer kleinen Sehschlitze im Panzer „aus Versehen“ ein Kanonenrohr ins Schlafzimmer an der Ecke der Neuen Straße stießen, manche Mülltonne auf Briefmarkengröße brachten und an der Ecke zur Glücksburger Straße lange Zeit einen festen Posten hatten. All das hat das Pflaster dieser Straße, was in seiner alten Form noch ein Stück vorhanden ist, gesehen.

 

Doch die meisten Zeiten waren Friedenszeiten. Und da gibt es von vielen fleißigen Leuten zu berichten. Von „Ackerbauer und Töpfermeister Bey“ im ersten Haus war schon die Rede, später wohnte dort ein Stellmacher und Pumpenbauer Lootz, der vor 120 Jahren Holzpumpen baute, die die alten Brunnen (mit Eimer und Stange) ablösten. Mit ihm im Haus lebte Franz Lenz. Er war oberschenkelamputiert durch einen Unfall, ein 1,85 m großer Mann, sehr fleißig: Bis 11 Uhr gab er die Magermilch in der Molkerei aus, danach hat er bei Fromms (Nr. 8) in der Landwirtschaft geholfen, in Winter Fingerhandschuhe für Schneider Letz gestrickt. 1941 starb er mit 66 Jahren. Meister Horst Hirsch, mit den Frauen des Gemeindenachmittags einer von denen, die viel über die Jüterboger Straße erzählen können, war einer der sieben Singejungen, mit denen der Kantor Schmalz bei Beerdigungen sang: Die Trauerfeier begann jeweils im Haus, dann wurde zum Friedhof gezogen.

 

Lucas Utesch, Müller/Fabian Schulze, Schuhmacher

 

Der Fleischermeister Rösler aus der Nr. 3 wird noch vielen bekannt sein, sein Sohn lebte noch bis vor kurzem im Diest-Hof; er stammte aus Treuenbrietzen und hatte die Stellmacherstochter Eichelbaum geheiratet: Stellmacher – das waren die Kfz-Mechatroniker der Vergangenheit, Wagen brauchte man zum Transport der Waren und in der Landwirtschaft.

  

Hanna Lange, Müller vor Bockwindmühle

und Schmied

 

Seyda hatte früher eine große Vielfalt an Gaststätten, in der Nr. 5 befand sich die Gaststätte Wucke, auch mit Pensionsbetrieb. Gleich daneben war in den 30iger Jahren eine Drogerie, Friedrich – sie zog später nach Elster um; der Drogist war auch praktischerweise gleich Friseur, vorher wohnte dort ein Schneider, Angermann, und seine Vorfahren waren Schuhmacher – das Handwerk konnte also durchaus einmal wechseln, meist wurde es jedoch – wie hier – über viele Generationen mit dem Haus weitergegeben, bis in das 18. Jahrhundert, also über 10 Generationen, in den Kirchenbüchern zurückverfolgbar. Eine nur kurze Episode für das Haus war der Einzug der Sparkasse, als das Gebäude auf dem Markt umgebaut wurde – und die schlimme Erinnerung an einen Raubüberfall dort in den 90iger Jahren.

Manuel Frenzel, Sattlermeister/Alrik Fritzsche,

                                                                        Waschfrau

Am Haus Nr. 9, dem Eckhaus zur Alten Schulstraße (früher: Kirchstraße), kann man noch erkennen, wie Wohnung und Ladengeschäft in einem Haus untergebracht waren: Die Bäckerei Röder. Hermann Röder baute das Haus, wie man am Giebel nach Osten lesen kann. Dr. Alexander Bauer ist mit der Urururururenkelin von „Johann Jakob, Weißbäcker in Seyda, geb. ca. 1692“, verheiratet, so lange lässt sich hier die Reihe der Bäckermeister zurückverfolgen, und sie geht gewiss noch weiter, nur sind die älteren Kirchenbücher 1708 beim Stadtbrand verloren gegangen.

 

Am Heiligen Abend 1986 brannte die Gaststätte Letz, das gegenüberliegende Eckhaus, ab, die Feuerwehr war gerade zum 50. Geburtstag bei einem Kameraden geladen; es war nicht mehr viel zu retten. So entstand hier noch ein typischer DDR-Neubau, „4 WE“, vier Wohneinheiten, inzwischen ist auch das Dach ausgebaut.

 

Jannik Grießig, Landarbeiter/Oskar Leupold,    

                                                                Harkenmacher

Auf der Südseite der Straße ist das erste Haus die Nr. 2. Hier wohnte einmal die bisher älteste Einwohnerin Seydas, Frau Maria Brill. Sie wurde 101 Jahr alt und war als Flüchtling nach Seyda gekommen, besuchte auch regelmäßig den Gemeindenachmittag, obwohl sie katholisch war. Das Haus hat 1898 der Maurermeister Carl Franz Kirsten gebaut, er heiratete 1901 die Gastwirtstochter Alma Bertha Wucke von gegenüber, und nachdem er gestorben war, heiratete sie den Berliner Klempner Franz Höhne, der aber aus Seyda stammte. Der Klempner Höhne (gestorben im Februar 1947) hat zum Beispiel Wurstbüchsen nach dem Schlachten verschlossen und Töpfe geflickt (später ist man dazu zu Nitzschkes ein paar Häuser weiter  gegangen); auch Dachrinnen hat er gebaut und repariert, eine Bauklempnerei.

Dominic Loche, Landarbeiter

 

Martin Gerhardt und seine Frau Lene, eine Jüdin aus Berlin, hatten ein Ladengeschäft in Seyda; zuerst war es in Hannemanns Brauerei (wo das heutige Arzthaus steht), dann in dem Haus Nr. 4 in der Jüterboger Straße, und dann noch vor dem Krieg im Stadthaus, wo es von den Russen zerstört wurde. In dem Laden gab es Manchesterhosen, Mützen, Schürzen, Stoffe; es war ein Textilgeschäft; unten war der Laden, der weit nach hinten ging, und oben die Wohnung. Erstaunlicherweise wurde Frau Gerhardt als Jüdin in der Nazizeit nicht „abgeholt“,  Martin Gerhardt musste ins Internierungslager nach dem „Zusammenbruch“ 1945.

Theils waren schon vor dem Krieg aus Ostpreußen gekommen und arbeiteten in Treuenbrietzen in der Munitionsfabrik; sie wohnten zunächst bei Schlawigs, dann haben sie das Haus von Gerhardts gekauft. Herr Theil war Pumpenbauer, er baute auch Wasserleitungen. Zum Ende der 30iger Jahre und im Krieg fuhr jeden Morgen ein Bus in die „Muni“ nach Treuenbrietzen. Auch aus Österreich und der Slowakei waren junge Mädchen dafür angeworben worden, in der „Schokoladenfabrik“ (so hieß es zur Tarnung) zu arbeiten.

Fabian Schulze, Waschfrau

 

Eine Bauernwirtschaft war in der Nr. 8 zu Hause: Fromms. Seydaland, der große Agrarbetrieb mit über 8000 Hektar Ackerland, hat seinen Sitz am Ortsausgang Richtung Morxdorf: Nr. 85.

Fabian Schulze, Bäuerin oder Magd als Erntehelferin

 

Dass nach der „Lücke“, in der Nr. 14, einmal eine alte Schmiede zu Hause war, kann man noch heute an dem mächtigen Schornstein erkennen. Hier war vor 300 Jahren einmal die Stadtgrenze, hier stand das Haus, auf dessen Strohdach sich durch den Schuss eines Jägerburschen (des Sohnes vom Oberförster) ein Brand entzündete, der 23 Bürgerhäuser und die Kirche vernichtete.

Der große  Seydaer Heimatforscher Oskar Brachwitz ist im Haus Nr. 14 geboren worden.

Sarah Krieg, Schmied

 

Die Schilder an der ehemaligen Gaststätte „Zur Heide“ sind abmontiert, so dass man die darunterliegenden Schriften erkennen kann: Konsum, das K mit Sichel und Schornstein gestaltet für das Zusammenspiel von Industriearbeitern und Landwirtschaft: Hier war ein Einkaufsladen für Lebensmittel und den täglichen Bedarf. Der letzte  größere Laden dieser Art in Seyda war Ferchs Einkaufsquelle in der Mitte der Jüterboger Straße.

Nach der Wende gab es zwei Blumenläden in der Stadt: Das Floristikfachgeschäft Freyer, was im letzten Jahr geschlossen hat, und der Blumenladen Schuster an der Ecke zur Neuen Straße; in einem alten Kolonialwarenladen, früher Nitzschke.

         

Jannik Schreiber, Mühle    -    und Schuhmacher

 

Schuhmacher gab es früher gleich mehrere in der Jüterboger Straße, so bei Steindorfs (Nr. 17), bei Bergholz´(Nr. 33), und auch ein Schuhmacher Bergholz dort, wo jetzt das neue Haus Nr. 6 steht.

Das alte Haus stand mit dem Giebel zur Straße und hatte in der Mitte eine Toreinfahrt. Links war die Schumacherwerkstatt des Meister Bergholz. Bergholz stammten aus Jessen. Seine Mutter wohnte hinter der kleinen Werkstatt in einer noch kleineren Stube. Rechts vom Torbogen war zur Straße hin das Wohnzimmer, dahinter die Küche und das Schlafzimmer.

 

 

Larissa Kralisch und Noel Michael, Schuhmacher

 

 

Alrik Fritzsche, Schuhmacher /Emily Clemens,

                                                                               Bauer

 

Eines der schönsten Häuser in der Jüterboger Straße ist das Haus Nr. 39: Mit Herzchen und Stern. Hermann Schulze, der einmal dort wohnte, hatte die neusten Nachrichten auszurufen. Mit einer Glocke besorgte er sich die nötige Aufmerksamkeit. Er wurde auch „Ferner“ genannt, weil er immer ansetzte: „Und ferner ist bekanntzugeben…“ Er war bekannt für sein „Haste enen do?“

Ausgerufen wurde zum Beispiel der Dank für die Hochzeitsgeschenke bei Edda und Walter Dalichow.

Bei Feiern kam er immer zum Trinken, auch am nächsten Morgen, um die Reste aufzubrauchen.

     

Hans Meinhof, Werkstatt des Sattlers/

        Lara Sophie Heidemüller, Müller vor der Mühle

 

Die Tischler wohnen eng nebeneinander: Schuddes und Freiwalds.

 

Emily Rybarczyk, Tischlerei

Die „Villa“, Nr. 32, hat ein Chefarzt gebaut, der später seine Familie und auch Seyda verließ. Viele Menschen haben dort schon gewohnt. Zum Beispiel ein Herr Schulze, der aus Oehna stammte. 1963 starb seine Mutter in Westdeutschland, und er bekam keine Erlaubnis, bei der Beerdigung dabei zu sein. Seinen Unmut darüber konnte er nicht verbergen: Sofort wurde er deshalb abgeholt und nach einem „kurzen Prozess“ eingesperrt. Die Strafe waren „8 Monate Bautzen“. Nach 7 Monaten kam er frei. So funktioniert Diktatur! Jeder in Seyda wusste davon und hielt nun sich selbst und seine Kinder an, nichts Staatskritisches öffentlich zu sagen. – Um die vielen Schulzes in Seyda zu unterscheiden, hatten sie Beinamen; dieser hieß „DDR-Schulze“.

Lisa-Marie Dominick, Müller

Ein Steinsetzer war im Haus Nr. 36 zu Hause, noch heute kann man auf dem Hof die verschieden gelegten Pflasterarten bestaunen, die er seinen Kunden anbot. Heute ist dort die Tierarztpraxis.

Cedric Grempel, Werkstatt eines Sattlermeisters

                                                                                             

Die alte Sattlerei und der spätere Polsterer und Raumausstatterbetrieb Grempel hatte lange Zeit seinen Sitz in der Nr. 38.

Benjamin Striebing, Polsterei

In der Jüterboger Straße gab es noch viel mehr Berufe, alle sind hier gar nicht aufzuzählen: Es gab Friseure, ein Brauhaus (1894 abgebrannt, an der NO-Ecke zur Neuen Straße), eine Schwangeren- und Mütterberatung (Nr. 27; 1948-1959). Harkenmacher war der alte Bürgermeister Dalichow Sein Haus Nr. 29 ist ein Beispiel für schnelles, gutes Bauen schon früher: Karfreitag (zum Feiertag!) 1930 wurde es abgerissen, Ende August schon in das neue Haus eingezogen. 1916 bis 1919 in russischer Kriegsgefangenschaft hatte er Russisch gelernt, was ihm nach 1945 viel half. Bei der (bis 1990) einzigen freien Wahl 1946 wurde er zum Bürgermeister gewählt. Die CDU hatte ihn vorgeschlagen. Auf den Plakaten stand damals: „Vater, Mutter, Tochter, Sohn: Alle wählen die Union!“ - Auch die Nachbarn in der Nr. 31 waren Harkenmacher.

Hans Meinhof, Harkenmacher

Die Produktion von Sensenbäumen und Harken, „Bock“ und „Zicke“ (zum Getreidemähen) kam durch die technische Entwicklung in der Landwirtschaft zum erliegen, 1960 wurde der Betrieb Dalichow abgemeldet. Die Harken waren nicht aus Eisen, sondern mit Holzstiften gefertigt. Im November und Dezember wurden Weiden geschnitten, zum Beispiel am Weinbergsweg, dann in der Pfanne gekocht und gepellt. - Harken waren früher sogar Hochzeitsgeschenke!

Die Handwerker waren meistens Männer, an dieser Stelle aber sei einmal ein besonderes Rezept der alten Frau Dalichow erwähnt: Karpfen mit Malzbiersoße und Schokolade…

 

 

Janis Busch, Müller/Jannik Grießig, Sattlermeister

 

Den Ofensetzer Heinitz in der Jüterboger Straße 45 nannte man früher auch „Töpfer“, und zur Produktpalette gehörten auch Krüge, etwa zum Einlegen von Gurken.

Liam Spiegeler, Sattlermeister

 

Wer genau hinschaut, kann aus der Bauweise mancher Häuser das spezifische Handwerk ableiten. So hat das Haus Nr. 48 nach hinten heraus, also nach Südosten hin, besonders große Fenster: Die Schneiderstube Schlawig: Zwei Schneidertische standen nach Osten und nach Süden, auf denen der Schneidermeister saß – und so gut sehen konnte.

   

Mia Bergholz, Schmied / Dominic Loche,  

                                                              Harkenmacher

 

Zwei der sieben Mühlen Seydas standen in der Jüterboger Straße: Nr. 49 die Mühle Thiele, und ein wenig weiter herauf – noch sichtbar – die Mühle Rühlicke. Der Zimmermann Thiele hat u.a. die Schule mit gerichtet!

 

Gabriel Letz, Müller / Lisa Dominick, Landarbeiter

 

Waldemar Boneki ist Reparateur von Blechblasinstrumenten: Sein Urenkel Gabriel hat ihn für diese Festschrift interviewt.

     

Alrik Fritzsch, Ernte /  Elisabeth Kase, Landarbeiter

 

Ein besonderes Haus trägt die Nr. 53: Ein Modellhaus aus den 30iger Jahren, aus Holz.

Noch vieles ließe sich von der Jüterboger Straße berichten, aber dafür reicht hier der Platz nicht aus. Am besten: Einmal selber schauen – und nachfragen!

Erwähnt werden muss natürlich, dass auch der Festumzug über diese lange Straße führt – und es sehr schön ist, wenn viele Häuser festlich geschmückt sind. Dazu hat Dr. Bauer, der auch in der Straße wohnt, viele Jahre aufgerufen. Und das soll für dieses Jahr hiermit geschehen!

Niklas Meise, Schmied Krüger aus Seyda beim Hufbeschlag

 

 

 

 

Sterne über Mark Zwuschen

Gesehen im Frühjahr 2016.

In einer „Sternstunde“ wurde Anfang April der Sternhimmel betrachtet und fachkundig von Thomas Felber – diesmal in der Funktion als Astronomielehrer – und dem Hobbyastronomen Burkhard Hündorf erläutert. Am Beginn stand die Faszination über die Dimensionen, die ein Blick an den Himmel uns eröffnet: 13,8 Milliarden Lichtjahre sind die bisher am weitesten entfernt entdeckten Objekte, nicht viel älter wird der „Urknall“ datiert. Schon der Durchmesser der Sonne und die Temperaturen auf und in ihr sind unvorstellbar groß im Vergleich zu den Entfernungen, die wir an einem Tag oder gar in unserem ganzen Leben zurücklegen; die Energiemenge, die auf der Sonne in einer Sekunde freigesetzt wird, wird auf der Erde in einem ganzen Jahr nicht verbraucht. Alles, was wir am Himmel sehen, ist bereits geschehen: Nur das Licht ist noch zu uns hin unterwegs, manchen Stern gibt es schon Ewigkeiten nicht mehr, obwohl er für uns noch hell leuchtet.

In einem technisch schon sehr komfortabel ausgestatteten Fernrohr konnte dann der Jupiter betrachtet werden, ganz deutlich waren die farbigen Wolkenbänder auf ihm zu sehen, dazu vier der 28 Monde, die ihn umkreisen. Das Firmament erscheint wie eine große Glocke, an der die Sterne geheftet sind: In Wirklichkeit aber sind sie, obwohl sie für uns nebeneinander stehen, oft Lichtjahre voneinander entfernt. Galileo war es, der mit seinen noch einfachen Fernrohren entdeckte, dass die Monde hinter dem Jupiter verschwanden: Also konnten sie nicht „angeheftet“ sein.

Eigentlich ist der Sternhimmel in unseren Orten sehr gut zu beobachten, weil es wenig „Streulicht“ gibt. Aber auch uns können natürlich Wolken oder wie in diesen Tagen Anfang April der „Saharasturm“, der feine Staubkörner in die Atmosphäre trieb, die Aussicht einschränken. Am interessantesten ist es, mit dem Fernrohr Planeten oder den Mond zu beobachten. Da sind auf einer Fläche Landschaften, „Meere“ oder eben Wolkenbänder zu sehen. Sterne senden ein punktartiges Licht, was einfach vergrößert wird.

Die Plejaden waren ein anderes dankbares Beobachtungsobjekt an diesem Abend, in feinem bläulichen Licht.

Natürlich wurde der Große Wagen gefunden. Der zweite Lichtpunkt an der Deichsel besteht eigentlich aus zwei Sternen: Wer das erkennen konnte, war geeignet, ein Segelschiff zu navigieren.

Das Publikum an diesem Abend war zahlreich und interessiert. Jemand brachte das von ihm selbst gerade beobachtete Polarlicht am Nordkap ein, was er auf seinem Smartphone zum Staunen vieler herumreichte. Die Referenten informierten über weitere einfache Mittel, sich am Sternenhimmel zurechtzufinden: Von der einfachen Schul-Sternkarte bis hin zu „google sky“, einem Programm für Handy und  Computer, das den aktuellen Sternhimmel deuten hilft.

Ein „Laserschwert“, also eine Taschenlampe mit Laserlicht, half die erläuterten Himmelskörper zu finden. Ein Strahl bis in den Himmel, erstaunlicherweise! Jedoch nicht ungefährlich, Flugobjekte durften nicht damit getroffen werden, manches Flugzeug sei schon abgestürzt, weil der Pilot plötzlich eine lichtdurchflutete Kabine hatte.

Begonnen wurde die Sternstunde mit dem alten Lied „Weißt du, wie viel Sternlein stehen?“ – also einer Frage, die wirklich keiner beantworten kann, und in ähnliche Richtung ging das Schlusslied: „Der Mond ist aufgegangen“, was zur Gitarre in fast allen Strophen gesungen wurde. „Seht Ihr den Mond dort stehen, er ist nur halb zu sehen und ist doch rund und schön. So sind wohl manche Sachen, die wir getrost belachen, weil unsre Augen sie nicht sehn.“

Herr Niendorf griff nun unerwartet zur Gitarre und gab eine musikalische Zugabe mit einem rockigen Lied: Was erwarten lässt, dass es bald wieder eine Sternstunde in Mark Zwuschen geben wird, zunächst mit einer Gitarrenmusik in der Kapelle - dann mit Lagerfeuer und Sternenerklärung.

Auch jetzt war es ein stimmiges Bild: Die Lichtpunkte der leuchtenden Kerzen in der Kapelle und um sie herum – und die Lichtpunkte am Himmel über uns.

Larissa Kralisch, Waschfrau

 

Jannis Busch, Landarbeiter

 

Kostbares Glas: Ein bedeutender Produktionsstandort in der Seydaer Heide. Ein Drittel der norddeutschen Glasproduktion kam einmal von hier.

Ein Anruf mit der Bitte um Einsicht in die alte Kirchenbücher – das kann täglich vorkommen. Der Mann, der sich diesmal aus Münster in Westfalen aufmachte, suchte nach etwas Besonderem: Nach den Spuren der Glasmacher, die in der Heide für den sächsischen Hof tätig waren. Ich hatte schon einmal etwas davon gehört, und als Dr. Dethlefs eintraf, fuhr ich mit ihm direkt in die Heide zu unserem alten Kantor Genterczewsky. Er stieg ins Auto und zeigte uns anhand einer handschriftlichen Skizze den Weg auf eine Lichtung. Ein paar Schritte waren zu Fuß zu gehen, ich schnappte mir einen dicken Stock. „Hier ist es gewesen.“ sagte er, wir standen vor grünen Grasbüscheln. An der Seite aber hatten Wildschweine das Erdreich aufgewühlt, ich half mit meinem Stock noch ein wenig nach: Und schon hatten wir eine ganze Handvoll alte Glasscherben in der Hand. Erkennbar die „Stiehle“ von Gläsern, lauter kleine Stücke. Der Mann aus Westfalen traute seinen Augen nicht. Und er begann, mit Begeisterung zu erzählen: Hier, bei Glücksburg, stand von 1701 bis 1751 eine große Glashütte, die damals ein Drittel der norddeutschen Glasproduktion herstellte, 20000 Taler war zeitweise der Jahresumsatz. Er schaute umher und rief: „Und da, da sind die Öfen!“ Wir sahen nur kleine Erderhebungen, etwas größer als Ameisenhaufen, wie sie im Wald vorkommen: Aber richtig: Sie waren planmäßig angelegt. Er erklärte uns, die Öfen seien 3 Meter hoch gewesen, wie ein Iglu gebaut, etwa 1 ½ Jahre brauchbar, dann durchgebrannt – und neu zu mauern. Und es gab zehn Glasmachermeister, die natürlich viele Helfer an den Öfen hatten – und eine Wachmannschaft in Glücksburg, um vor Industriespionage und Kidnapping der Fachleute zu schützen. 1716, also genau vor 300 Jahren, soll die Produktion so richtig losgegangen sein: Wirklich kaum zu fassen, dass wir so lange Zeit später noch die direkten Spuren davon finden konnten. Zur Hälfte wurde Bruchglas zugesetzt – vielleicht waren wir mit unserem Kratzen auf solche eine alte Lagerstätte dafür gestoßen. Im Jahr 1751 jedenfalls wurde die Glashütte Glücksburg geschlossen, und in einem Schreiben des Kurfürsten heißt es, dass an dieser Stelle auch nie wieder eine bestehen wird, weil kein Holz mehr da war. Tatsächlich gab es immer schon Auseinandersetzungen mit den Oberförstern, die die Brennöfen in der Heide gar nicht gern sahen. Eine peinliche Angelegenheit war es dann, dass der Sohn des Oberförsters, ein „Jägerpürschlein“, durch den Schuss seiner Büchse auf ein Strohdach in Seyda (in der Jüterboger Straße, kurz vor der „Lücke“) verantwortlich war für den großen Stadtbrand im Jahre 1708, der die Kirche und 23 Bürgerhäuser vernichtete.

 Bei 16.000 Euro liegt der Zuschlag für diesen Pokal aus der Glücksburger Hütte (um 1730) beim Auktionshaus Fischer. (www.auctions-fischer.de)

Noch heute werden auf großen Aktionen Gläser aus Glücksburg angeboten – wie man sieht, zu hohen Preisen. Wer Internet hat, kann einmal unter Auktion Fischer Heilbronn nachschauen, es sind feine Stücke mit großartigen geschliffenen Bildwerken darauf. Auch auf Schloss Moritzburg zum Beispiel ist ein Glas mit dem Bild eines orgelspielenden Kantors zu bewundern.

 

 

 

Gabriel Letz, Leben auf dem Land

Das Leben in der Arbeiterkolonie (heute Diest-Hof) vor 120 Jahren: Brotlose Landarbeiter fanden eine Unterkunft und legten die sumpfigen Wiesen trocken. Gefunden von Bernhard Dümichen in: Die Provinz Sachsen im Bild.

Schulgarten Gentha, aus dem Heimatkalender Jessen 1958, S. 72, herausgesucht von Bärbel Schiepel.

Eine Entdeckung auf dem Diest-Hof.

Ein altes Bild.

Es tut sich etwas auf dem Diest-Hof: Am von der Straße aus vierten älteren Gebäude der alten Arbeiterkolonie sind Dachdecker tätig, und beim Beräumen des alten Dachbodens fand Hausmeister Hentschel ein altes Bild. Es ist der Steindruck eines berühmten Bildes, „Abendmahl in einer hessischen Dorfkirche“, von Carl Bantzer 1890-1892 gemalt.

Carl Bantzer - Abendmahlsfeier in Hessen (1892).jpg

Von Carl Bantzer - Bildindex der Kunst und Architektur: Objekt 00001042 – Aufnahmenummer C 414.902 – Bilddatei fmc414902a.jpg, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=35566187

Carl Bantzer ist 1857 in Hessen geboren und gehörte zur Willingshäuser Malerkolonie, der ältesten Künstlervereinigung Europas überhaupt. Die Künstler wollten Wesentliches festhalten, was durch den Einbruch moderner Zeiten bedroht schien: Und sie fanden vieles davon in dieser hessischen Landschaft mit ihren kleinen Dörfern. Die Freiluft- und Landschaftsmalerei in Deutschland wurde dort entwickelt, Carl Bantzer hatte wesentlichen Anteil daran. Sein Vater war Tierarzt: Er kannte also das Leben der Bauern in Freud und Leid. Der Vater starb jedoch schon, als er 6 war, die Mutter zog mit 4 Kindern in die Stadt, nach Marburg. Nachdem er dreimal die gleiche Klasse wiederholen musste, brach er mit 18 Jahren die Schule ab und ging nach Berlin an die Kunstakademie. Mutter und Bruder zogen nach Dresden um, dorthin kam er mit 23, und nach einjährigem freiwilligen Militärdienst wurde er 1881 Meisterschüler in Dresden und war kurze Zeit später in Paris. 1884 kehrte er zurück in die alte hessische Heimat, seit 1887 ist er regelmäßig in Willingshausen zu Besuch.

 

Im Winter von 1889/90 besuchte er eine Abendmahlsfeier in Willingshausen, die ihn nachhaltig beeindruckte und künstlerisch anregte.

Er konnte dann sein erstes berühmtes Bild („Wallfahrer am Grab der heiligen Elisabeth“) für 6000 Mark an die Dresdener Gemäldegalerie verkaufen (da ist es heute noch) und leistete sich damit eine Reise nach Paris, wo er mit dem Impressionismus in Berührung kam. Im Kopf aber hatte er diese Abendmahlsfeier, schon in Paris arbeitete er daran, insgesamt über zwei Jahre lang.

Ernst liegt über den Bildern Bantzers, auch das hat biographische Gründe: Hatte er doch seine erste Ehefrau im ersten Ehejahr im Kindbett verloren, und auch der frühe Tod seines Bruders Wilhelm beschäftigte ihn. Er war auf der Suche nach dem, was bleibt, und wollte es durch genaue Beobachtung festhalten. Immer wieder besuchte er nun Abendmahlsfeiern in den Dorfkirchen, und für dieses Bild ließ er sich extra die naturgetreue Nachbildung einer Kirche (von Wenkbach, 1: 1) bauen, einen Sommer und einen Winter saßen Menschen Modell, und er erarbeitete viele Studien: Ölskizzen, Zeichnungen, Aquarelle und Fotostudien gehen dem Bild voraus. (hnawiki)

Studie (Wikipedia Carl Bantzer)

Man kann es gar nicht glauben, wie viel Zeit und Mühe er sich zu diesem Bild genommen hat.  Aber seine Ausdruckskraft machte ihn dann berühmt. 1892 wird in München, Berlin, Wien, Dresden, Leipzig, Hamburg, Breslau, und Frankfurt am Main das Bild Hessische Abendmahlsfeier ausgestellt. Er

erhält noch im selben Jahr auf der internationalen Kunstausstellung in München die Goldmedaille 2. Klasse, in Dresden dann eine große Goldmedaille. Gekauft wird das Bild für 9000 Mark von der Berliner Königlichen Nationalgalerie, was ihm große finanzielle Freiheit schafft, und er ist nun ein anerkannter Künstler: 1893 wird er Gründungsvorsitzender des Vereins bildender Künstler in Dresden, 1896 Lehrer an der Königlichen Kunstakademie dort, 1897 Professor. 1896 erhält er auf der Internationalen Kunstausstellung in Berlin eine kleine Goldmedaille, 1903 auf der Großen Berliner Kunstausstellung eine große. 1908 hat er ein Meisteratelier in der Kunstakademie in Dresden, 1913 ist er Geheimer Hofrat. „Er gehörte zu den einflussreichsten Modernisierern der akademischen Kunstausbildung. Zu seinen wichtigsten Arbeiten in Dresden zählten Beiträge zur künstlerischen Ausgestaltung des Neuen Rathauses. Im Jahr 1921 hatte er noch seine Arbeitsräume an der Kunstakademie Brühlscher Garten 2b.“ (Stadtwiki Dresden)

1918 ist er dann Direktor der Königlich-Preußischen Kunstakademie Kassel. Nach Willinghausen, wohin er immer wieder zurückkehrte, brachte er Hunderte von Schülern, und hier fand er viele seiner Motive: „Hochzeitsschmaus“, „Der Erntearbeiter“, „Die Bauernbraut“, „Die Vespermahlzeit“. Mit seiner Teilnahme an der Weltausstellung 1904 in St. Louis wurden die Arbeiten der Willingshäuser Künstler in den Vereinigten Staaten von Amerika bekannt und zahlreiche Arbeiten der verschiedensten Künstler fanden als begehrte Sammelobjekte Aufnahme in amerikanischen Kunstsammlungen.

Als sein schönstes Bild bezeichnete Bantzer die „Abendruhe“ (drei Jahrzehnte hat er sich mit dem Motiv beschäftigt, es gibt vier große Fassungen, von 1909 – 1916, die 4. Fassung heute in Dresden). Es zeigt Landarbeiter zum Feierabend. Das bäuerliche Leben, die Trachten, die Natur – und dazu viele Portraits – das waren seine Themen. Abendruhe Carl Bantzer 1912 -  Abendruhe, bildindex.de

Zum Nationalsozialismus hatte er ein schwieriges Verhältnis. Es heißt, er sei „1933 bei den Versuchen, einige Mädchen im Bild zu malen sowie ein Schnitterbild anzufertigen, durch die Wirren der Zeit gestört“ worden und er „konnte keines der beiden Bilder zur Ausführung bringen. 1934 wurde sein Bild Hessische Abendmahlsfeier aus der Berliner Nationalgalerie entfernt und nach langwierigen Verhandlungen dem Marburger Universitätsmuseum übergeben. Dennoch malte Carl Bantzer an einer zweiten Fassung des Erntearbeiters Rupp, die als persönliches Geschenk an Adolf Hitler gedacht war. Zu einer Übergabe kam es jedoch nicht.“ (Wikipedia, Carl Bantzer) „Im Nationalsozialismus erfährt er, wie sein Werk für die Ideologie der Machthaber missbraucht wird. Man hat dazu öffentlich leisen Protest gehört, in zahlreichen Briefen wird seine eindeutige Haltung gegen den Nationalsozialismus deutlicher.“ (Ausstellungskatalog Marburg)

Mit 84 Jahren starb er 1941 in Marburg.

Portrait Portrait  www.lagis-hessen.de

„Carl Bantzer war ein Zweifler und Grübler. Er verabscheute Moden und Oberflächlichkeit. Deswegen ist seine Malerei auch keiner gängigen Stilrichtung zuzuordnen. Er integrierte Volkskunst, Realismus, Naturalismus und Impressionismus mit Elementen des Jugendstils. Bei alledem verstand er sich als Vermittler zwischen Tradition und Moderne.“ (Marburger Ausstellungskatalog 2002)

Das Originalgemälde ist auf Öl gemalt – zwei Jahre lang - , eine Tafelmalerei, 160 x 249 cm groß, mit der Signatur C(arl) N(oah) Bantzer Willingshsn., heute im Universitätsmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Marburg.

Auf dem Diest-Hof haben wir einen farbigen Steindruck (69 x 99 cm). „Diese Version ist gegenüber dem Original leicht verändert, z. B. sind die Totenkränze dort oben links. Unten der Schriftzug: Das ist mein Leib, der für euch gegeben wird. Dieser Kelch ist das neue Testament in meinem Blute, das für euch vergossen wird zur Vergebung der Sünden." (bildindex.de) Steindruck oder „Lithographie“ war im 19. Jahrhundert die einzige Form, ein Bild in größerer Auflage zu vervielfältigen. Im Internet konnte ich nur ein einziges weiteres solches Bild finden, in Schwalmstadt, es ist aber anzunehmen, dass es – insbesondere in kirchlichen Einrichtungen – öfter gehangen hat. (Bildindex.de, Universitätsmuseum Marburg, Rohne, 2009.10.27)

Bantzer wollte also mit seinen Bildern etwas Wertvolles bewahren, ähnlich wie die Brüder Grimm „ehe das letzte Blatt verfliegt“. (hnawiki)       Das unmittelbare Erleben der Abendmahlsfeier hat ihn tief beeindruckt. Ganz sicher die vertrauten, großen Worte: „Unser Herr Jesus Christus, in der Nacht, als er verraten wurde, nahm er das Brot, dankte und brach´s und gab´s seinen Jüngern und sprach: Das ist mein Leib. Tut dies zu meinem Gedächtnis. Ebenso nahm er den Kelch nach dem Abendmahl, dankte und gab ihnen den und sprach: Nehmet hin und trinket alle daraus: Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut, das für euch vergossen wird zur Vergebung der Sünden.“ Jesus selbst begegnet uns, der Himmel berührt die Erde – und das hat Auswirkungen: Vergebung! Versöhnung! Frieden! Gewiss hat Bantzer auch die Frömmigkeit der Menschen bewegt, die das Mahl empfangen. Ihr Stillehalten, ihre Ruhe: Wo sie sonst immer tätig sein mussten. Ihre Andacht und ihre Ehrfurcht vor der Begegnung mit dem Heiligen. Ihre Vorbereitung auf den Empfang. Wir sehen sie in ihrer traditionellen Kleidung, die Frauen in Trachten. Verschieden sind sie – und gehören doch zusammen. Viele sind da – aber es ist auch noch ein Platz frei: Man kann dazu kommen. Trotz des Ernstes und der Ordnungen der Tradition – erst gehen die Männer, dann die Frauen – ist bei aller Vertrautheit diese Offenheit da.

Auf dem Diest-Hof wird auch das Abendmahl gefeiert. Zweimal im Jahr in großer Runde: Zur Osterfeier und zum Erntedankfest. Und auch da sind wir uns bewusst, dass etwas Großes geschieht: Gott nimmt uns an, wie wir sind. Wir dürfen einen Platz haben an seinem Tisch, in Zeit und Ewigkeit. Alle sind eingeladen! Neben diesem großen Ernst aber steht auch die Freude – nicht nur die stille, innere Freude, Geborgenheit und Gewissheit – sondern dazu die äußere. „Die Freude am Herrn ist unsere Stärke.“ (nach Neh 8,10).Quellen: www.malerkolonie.de; Wikipedia (Willingshauser Malerkolonie, Carl Bantzer); bildindex.de; Hnawiki; Stadtwiki Dresden; Ausstellungskatalog Marburg: Carl Bantzer – Aufbruch und Tradition, 2002.

Liam Spiegeler, Bauer

Letzte Umschlagseite: Lydia Marta Mende, Harkenmacher. Anni Hesse, Müller. Sarah Krieg, Bäuerin. Anni Hesse, Landarbeiter.

Festschrift, hrsg. von Heimatverein und Kirchengemeinde, 600 Stk., V.i.S.d.P. Thomas Meinhof, Kirchbogen 1, 06917 Jessen OT Seyda.

                    

Mitwirkende an der Festschrift: Mia Bergholz, Janis Busch, Emily Clemens,  Lisa-Marie Dominick, Bernhard Dümichen, Manuel Frenzel, Alrik Fritzsche, Anke Fritzsche, Cedric Grempel, Jannik Grießig, Fabian Grosser, Lara Sophie Heidemüller,  Anni Hesse, Elisabeth Kase, Paul Kötitz, Larissa Kralisch, Sarah Krieg, Hanna Lange, Gabriel Letz, Oskar Leupold, Dominic Loche, Luka Lorenz, Hans Meinhof, Thomas Meinhof, Niklas Meise, Lydia Marta Mende, Noel Michael, Emily Rybarczyk, Bärbel Schiepel, Jannik Schreiber, Elias Schulze, Fabian Schulze, Liam Spiegeler, Benjamin Streibing, Lucas Utesch, - und die fleißigen Näher des Heimatvereins!