Amtshaus und Amtshof:

Lebens- und Glaubensgeschichten aus Seyda.

Von Thomas Meinhof.

 

Das Amtshaus

Mit diesem Haus lässt sich eine Beschreibung der Häuser Seydas mit den Lebens- und Glaubensgeschichten, die sich in und um sie herum zugetragen haben, gut beginnen. Es ist das älteste Haus in Seyda, 1605 gebaut, und es hat sogar den großen Stadtbrand von 1708 überdauert.

Ein typisches Renaissancehaus, in diesen Tagen erhielt es seine wohl ursprüngliche Farbe wieder: silbergraue Balken, mit einem schwarzen Strich abgesetzt, weiße Felder. Das Silbergrau war kurfürstlichen bzw. königlichen Häusern vorbehalten; ein solches war es; Seyda und 15 Orte dazu hatte ja der sächsische Kurfürst Friedrich der Weise einmal 1501 für 20.000 Meißner Gulden erworben und daraus das „Amt Seyda“ gemacht. Es sollte zur Versorgung der kursächsischen Frauen auf der Lichtenburg dienen: Im Amtshaus wurde also überwacht und registriert, dass dorthin ausreichend Eier, Hühnchen und Feuerholz sowie andere Leistungen erfolgten. Mit dem Amt begann ja die ordentliche schriftliche Geschichtsschreibung für unser Städtchen, ganz genau mit dem Landbuch von 1506.

Das Amtshaus soll aus Steinen der alten Burg Sydow gebaut worden sein, in deren Vorbereich; das Portal – was sich übrigens in Coswig an einem Haus ganz ähnlich findet – weist mit seinem Buchstaben auf die ersten Amtsmänner hin. In der Seydaer Kirche steht ein alter Grabstein eines Amtsmannes, der auf Latein kundgibt, er habe 10 Jahrfünfte, also 50 Jahre, dieses Amt inne gehabt; man solle ihm das erst einmal nachmachen, dann könne man sich wieder sprechen... Auch die alte Glocke von 1717 trägt die Inschrift eines Amtsmannes: er war der Vertreter der staatlichen Gewalt.

Im Amtshaus fand sich noch zur Jahrtausendwende ein Stück Wand mit Renaissancetapete: ein Zeichen der Sparsamkeit in unserer Gegend; das alte Portal (2005 erneuert) hatte ein schönes Schlüsselloch, in Form einer Figur. (Sie ist noch einmal aufgetaucht auf einer CVJM-Zeitung von 2003.) Vor dem Amtshaus stand eine Sonnenuhr, die jetzt auf dem Markt ihren Platz hat.

Es wird berichtet, dass in der Zeit, in der Seyda keine Kirche hatte, weil sie beim Stadtbrand ein Raub der Flammen wurde, der Gottesdienst auch im Amtshaus abgehalten worden ist.

Bemerkenswert ist die große steinerne Treppe, an deren ausgetretenen Stufen man ermessen kann, wie viele Menschen hier in Freud und Leid ihren Weg gegangen sind. Im südwestlichen Raum findet sich ein Kreuzrippengewölbe, ebenso in den Kellerräumen; und ein unterirdischer Gang durfte nicht fehlen: im Notfall konnte man sich dort flüchten und ein paar Meter weiter in einem benachbarten Haus wieder auftauchen. Die älteren Seydaer berichten, dass ihr Lehrer Schmalz ihnen damals sogar zwei solche Gänge zeigte, vor denen sie mit Ehrfurcht standen.

Das sächsische Amt Seyda bestand bis 1815; Sachsen hatte sich mit Napoleon verbündet, war dadurch zum Königreich aufgestiegen, hatte aber dann mit Napoleon verloren: Die Preußen bekamen deshalb im Wiener Kongress einen großen Teil des sächsischen Landes zugesprochen, der fortan die preußische Provinz Sachsen bildete, mit den Regierungsbezirken Erfurt, Magdeburg und Merseburg; Seyda gehörte zum letzteren.

Das Amt wurde eine preußische Domäne und kam später in Privatbesitz des Kaufmanns Lüdecke. Eine Tante der Familie, Frau Hermine Globig, lebte dort noch im 20. Jahrhundert. „Globigs Garten“ nannte man den Amtshausgarten, der sich hinter den Grundstücken Amtshof 4 und 5 am Fließ hin erstreckt und nun in mehrere Gartenparzellen geteilt ist. Von Frau Globig, der letzten Amtshausbesitzerin also, wird erzählt, dass sie einen weißen Spitz hatte, den sie im Sommer glatt rasieren ließ.

Im Amtshaus war zu Beginn des 20. Jahrhunderts bis in seine Mitte das Standesamt untergebracht (links im vorderen Raum), dahinter die Kämmerei. Standesbeamte waren zum Beispiel Erich Kluge und Herr Lück. Auf der rechten Seite ist die Wohnung der Bürgermeister gewesen: Bürgermeister Wienicke wohnte dort, auch Erich Schulze, (der Vater von Frau Renate Freydank); in der ersten Etage wohnte lange Zeit der Tierarzt Krück, ganz oben nach 1945 eine Flüchtlingsfrau mit ihren Töchtern Marianne und Friedel; sie war Schneiderin.

Die Familie Otto Sackwitz hat einige Zeit im Amtshaus gewohnt, und in die Wohnung von Frau Globig kam Frau Witt mit ihrer Schwester. Im August 1993 brachte ich ihr nach der Ordination etwas von dem Kuchen der Kaffeetafel – sie war bettlägerig, alt und krank. „Meinhof?“ fragte sie. „Meinhof? Kenn ich doch. So hieß mein Pastor doch auch, in Pommern!“ Über dem Bett hatte sie ein Bild der Kirche von Barzwitz, an der mein Urgroßvater tätig war, hängen.

Im Mai 1993 zog in das Amtshaus auch Familie Biber ein, ein Ehepaar aus Glückstal (heute Moldawien), Russlanddeutsche mit einer schweren Geschichte. Sie mussten die Heimat verlassen und zogen 1944/1945 mit der Front zurück; Frau Biber war sogar schon in Brandenburg; jedoch wurden sie dann nach Sibirien gebracht; danach kamen sie nach Kirgisien, wo sie dann auch nicht mehr geduldet waren. Sie fanden hier in Seyda ein neues Zuhause, auch durch ihre Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft. Herr Biber baute mitten ins Amtshaus ein Bad ein, mit einer provisorischen Wand. Er hat auch im Jahre 1995 unsere Kirche „gerettet“: Die Rüstung stand im Innenraum, und kein Baubetrieb wollte an die Sanierung des Tonnengewölbes heran; der Kirchenbaurat meinte, wir sollten die Rüstung wieder abbauen. Ein Ingenieur aber wusste Rat, und Herr Biber führte es in wochenlanger Arbeit, auf dem Rücken liegend (es war ein heißer August!), aus: Ein feines Netz mit Schrauben und Draht entstand und hält fortan die Kirchendecke.

In der Zeit von Bürgermeister Benesch in den 90iger Jahren des 20. Jahrhunderts bekam die Stadt das Amthaus übertragen, fortan bemühte er sich sehr um den Erhalt – inzwischen waren alle Mieter ausgezogen. Es war und bleibt sehr schwierig, dieses schöne Gebäude zu erhalten.

Über 120 Jahre lang hatte es eine gelbe Farbe (mit braunen Balken); dies wurde verstärkt, als Bürgermeister Benesch die Beleuchtung von Kirche und Amtshaus veranlasste; mit gelben Birnen, so dass das Amtshaus auch heute noch in der Nacht einen gelben Schimmer hat.

Ein schönes Bild vom Amtshaus hat der Flüchtlingsmaler Bergemann gemalt, es ist im Besitz von Frau Ursula Lehmann (Markt). In den 70iger Jahren führte der Kreisbaubetrieb Jessen eine Sanierung des Amtshauses durch; auf die alten Balken wurden Bretter genagelt, die auch jetzt noch die Fassade bilden.

Im Jahre 2000 gab es nach dem plötzlichen Tod von Bürgermeister Benesch 5 Kandidaten zur Bürgermeisterwahl; alle mit guten Ideen auch zum Amtshaus. Einer nur konnte gewinnen; im Pfarrhaus aber gab es einen „runden Tisch“, wo man beieinander saß und viele gute Ideen bedachte. Schließlich sind in der Zeit von Bürgermeister Motl Jahr für Jahr einige hunderttausend Euro in das Amtshaus geflossen, aus Fördermitteln; so wurden die Balken nach und nach gesichert und schließlich, schon in der Jessener Zeit, eine Heizung eingebaut und der Anstrich im September 2006 angebracht.

Es war ein besonderes Anliegen des Seydaer Stadtrates bei den Übernahmeverhandlungen mit der Stadt Jessen, das Amtshaus zu erhalten.

 

Amtshof 1

In diesem Haus ist eine der ersten Adressen in Seyda und wohl eins der ältesten Häuser: auf dem Amtshof waren die Handwerker angesiedelt, mit Haus und Werkstatt, die für das Amt arbeiteten. So wohnte dort in den letzten Jahrzehnten der Tischlermeister Willy Hirsch mit seiner Familie, die Werkstatt bestand noch bis vor wenigen Jahren. Hoch über den Dächern von Seyda sind die Kirchturmfenster zu sehen: von seiner Hand gemacht; die hintere massive Pfarrhaustür stammt auch von ihm, und viele, viele Türen und Fenster in Seyda und der ganzen Umgebung. Meister Hirsch hat sich persönlich auch für die  Stadt und die Kirchengemeinde eingesetzt: So fuhr er persönlich mit Müllermeister Huth 1954 zum Bischof nach Magdeburg, um eine Wiederbesetzung der Pfarrstelle zu erreichen, was ihm auch gelungen ist.

Wenn ich mich an Frau Hirsch erinnere, so muss ich an das alte Lied „So nimm denn meine Hände“ denken, was sie sich immer gewünscht hat, wenn ich sie besucht habe. Dieses Lied stand über 40 Jahre nicht im Gesangbuch, es wurde aber dennoch weiter getragen, so dass es in unserem Buch wieder Einzug gefunden hat, Nr. 376. Es wurde früher immer zur Trauung gesungen:

 

So nimm denn meine Hände und führe mich

bis an mein selig Ende und ewiglich.

Ich mag allein nicht gehen, nicht einen Schritt!

Wo du wirst geh´n und stehen, da nimm mich mit.

 

In dein Erbarmen hülle mein armes Herz

und mach es gänzlich stille in Freud und Schmerz.

Lass ruhn zu deinen Füßen dein armes Kind:

Es will die Augen schließen und glauben blind.

 

Wenn ich auch gleich nichts fühle von deiner Macht:

Du führst mich doch zum Ziele auch durch die Nacht!

So nimm denn meine Hände und führe mich

 

bis an mein selig Ende und ewiglich.

 

Das Ehepaar Hirsch konnte sogar die Diamantene Hochzeit feiern.

Frau Hirsch war eine geborene Mechel, ihr Vater malte 1896 einen „Sternenhimmel“ in die Kirche: also an die Decke ein blaues Himmelszelt mit Sternchen, bis 1935 war das zu sehen. Dann malte ihr Cousin, Meister Richard Mechel, der gegenüber im Amtshof 5 wohnte, die Kirche aus: sein Namenszug ist hinten am Kreuz ganz oben auf dem Altar zu sehen.

So haben aus diesem Haus Generationen von Menschen zum Wohle der Stadt und der Kirche beigetragen. Die Handwerkerfamilie Mechel kann man über viele Generationen aus den Kirchenbüchern nachweisen, schon Johann Gottlieb Mechel, geb. 1733, war Tischlermeister in Seyda. Heute ist Herr Pustolla, der zusammen mit Frau Dieck das Haus grundlegend saniert hat, ein großer Förderer unseres CVJM.

Am Grundstück Amtshof 1 entlang führte einmal der „Kirchweg“, durch den die Bewohner der Zahnaer Straße und der Brauhausgasse schnell zur Kirche kommen konnten. In der Brauhausgasse kann man noch den Eingang erkennen.

 

Amtshof 2

In diesem Haus ist über Jahrhunderte die Familie Gallin zu Hause. Es gibt das Bild des Böttchermeisters August Gallin mit seiner Frau Friederike vor ihrem Haus, was den Eingang wie fast alle Häuser in der Mitte nach vorn zur Straße hatte. „Als Meisterstück musste er 1845 ein Weinfass anfertigen. Die Böttcherei betrieb er in den Wintermonaten und im Sommer die Landwirtschaft. Damals ist er mit seinem Hundewagen durch die Glücksburger Heide bis Mügeln und Linda gelaufen, um seine Tröge und Bottiche zu verkaufen. Die Herstellung von Eimern, Waschwannen und Fässern wurde auch in der Familie Gallin über mehrere Generationen weitergeführt. Werner Gallin sowie die Brüder Max und Dieter Müller sind die Letzten in Seyda, die dieses selten gewordene Handwerk erlernt haben.“ (Schiepel, Heimatgeschichte(n), 97).

Frau Gallin war über 25 Jahre Postfrau in Seyda. Die Filiale war auf dem Markt Nr. 18.

Frau Käßner geb. Gallin ist Standesbeamtin und hat in den letzten Monaten das Standesamt, was nun wieder im Amtshaus ist, mit alten Möbeln sehr fein eingerichtet. Das macht richtig Lust auf´s  Heiraten! Die nächste Hochzeit in Seyda ist am 7. 7. 07!

Herr Käßner hat mit seinen Gaben als Maurer das Haus Kirchplatz 2 „gerettet“. In ehrenamtlicher Arbeit hat er in vielen Stunden dazu beigetragen, es wieder herzurichten und der Gemeinde und damit der Stadt zu erhalten. Er schuf die Voraussetzung, dass ein Restaurator aus Dresden es auch von außen malen konnte: Wie Schloss Moritzburg in den Farben, mit „Licht“ und „Schatten“ an den Fenstern. Durch die Sanierung, die nur durch viele Eigenleistung – eben auch mit Herrn Käßner – gelingen konnte ist es möglich, dass wir in Seyda wieder eine Tierärztin haben, die seit 2003 dort praktiziert. Die Mieteinnahme trägt zum einen zur Erhaltung des Hauses, zum anderen aber zur Finanzierung der Christenlehre der Kirchengemeinde bei!

 

Amtshof 3

Im Haus Amtshof 3 wohnt Frau Dümichen, Haus und Grundstück sind in den letzten Jahren fein hergerichtet worden. Früher, in den 70iger Jahren noch, wurde im hinteren Gebäude Schulunterricht erteilt: Das Schulgebäude von 1881 in der Schulstraße reichte nicht mehr aus, alle Kinder zu fassen, deshalb waren Klassen ausgelagert. Der Schulneubau 1981 schaffte neue Verhältnisse.

In dem Haus starb 1958 mit 73 Jahren Herr Richard Schirmer aus Birkbruch Kreis Friedeberg in Ostpreußen – eine Erinnerung daran, dass nach dem Krieg in den Straßen und Häusern unserer Stadt auch viele Menschen, die ihre Heimat verloren hatten, wohnten – und hier neue Heimat fanden.

Ganz früher gehörten die beiden Häuser Nr. 2 und Nr. 3 einmal zu einem Grundstück.

 

Beatrice Bosse, Klappers Haus am Markt

    

Amtshof 4

Hier ist die Familie Bosse zu Hause, das Haus erwarb einmal der Arzt Dr. Bosse. Früher gehörte es der Familie Brumme, und die allseits bekannte Hebamme, Frau Göricke, war hier zu Hause. „Hasche-Mutti“ wurde sie genannt, und sie trug die Kinder bei der Tauffeier dann auch in die Kirche hinein. Etliche leckere Hörnchen zum Martinstag in Seyda kommen nun auch aus diesem Haus, und die ganze Familie unterstützt unsere Seydaer Trachtengruppe.

 

 

Leon Scharfenort, Amtshausportal

 

 

 

 

 

 

 

 

Amtshof 5

Heute wohnt hier die Familie Scharfenort, erst vor wenigen Jahren wurde der alte Eingang zur Straße zu gemauert. Frau Scharfenort hat zum Beispiel die schönen Kissen im Gemeinderaum genäht, mit samtrotem Bezug.

Früher lebte hier der Malermeister Mechel mit seiner Familie, verwandt mit Familie Hirsch vom Amtshof 1. Meister Richard Mechel malte die Kirche 1936, hinter dem Kreuz und unter dem linken Turmaufgang ist sein Namenszug verewigt.

 

Amtshof 6

Hier, wo heute Meister Schwerdt mit seiner Familie sein Zuhause hat, lebte einmal eine Schneidermeisterfamilie Fischer, deren Nachfahren jetzt in Mellnitz sind. Ganz alte Leute können sich noch daran erinnern, wie der Schneider Fischer im Schneidersitz auf seinem Tisch saß...

Frau Emma Martha Fischer starb als „Schneidermeistersfrau“, geb. 1895, am 30.11.1961. Im Kirchenbuch kann man lesen: „Lukas 12,35. Sie gehörte zu den treuesten Gottesdienst- und Bibelstundenbesuchern. Auch in ihrer schweren langen Krankheit stärkte sie sich durch Gottes Wort. Sie feierte mit ihrem Ehemann auf dem Strebebett das Heilige Abendmahl. Wir sangen an ihrem Grabe in der Woche vor dem 1. Advent viele Adventslieder.“ Auch bei ihrem Mann findet sich eine – sonst eher seltene – Bemerkung beim Sterbeeintrag: „Herr Ernst Fischer, Amtshof 6, geb. 1893, gest. 1971: Jes 63,16. Langjähriger Sänger im ehemaligen Gesangverein und später im Kirchenchor.“

Frau Heidelind Schwerdt war viele Jahre als Rendantin für die Kirchengemeinde tätig – das heißt, sie hat die Kasse geführt; von ihrer Hand sind auch leckere Martinshörnchen zum Martinsfest in Seyda am 11. November gebacken worden. Man bekommt sie mit der Aufforderung überreicht, sie doch mit jemandem zu teilen – wie Martin es im Sinne Jesu vorgemacht hat.

 

Der Amtshof – nur ein kleiner Teil unseres Städtchens, aber mit großer Geschichte. Noch viele kleine und große Begebenheiten ließen sich davon erzählen, wie Menschen hier ihr Leben bestanden und sichtbare Zeichen der Liebe und des Glaubens hinterlassen haben.