Prost Seyda!

Über das Bierbrauen und Biertrinken in unserem Städtchen.

Es ist durchaus anzunehmen, dass Dr. Martin Luther bei seiner Visitation in Seyda das Seydaer Bier gekostet hat – war es doch in dieser Zeit neben dem Wein das einzige Getränk, was länger haltbar war. Immerhin ist das berühmte deutsche Reinheitsgebot für Bier gerade ein paar Monate älter als das Reformationsjubiläum. Es stammt aus dem Jahre 1516.

Vor der Einführung der Kartoffel, die bekanntlich aus Amerika zu uns kam, war Getreide der Hauptgrundstoff für Nahrungsmittel, und das Bier gehörte zu den Dingen, die aus Getreide produziert werden konnten. Neben den Getreide- und Weizenfeldern für den einen Grundstoff des Bieres gab es in unserer Gegend auch ausgedehnte Hopfenfelder. Sie verschwanden erst im Jahre 1813, als die Biwaks der Napoleonischen Truppen rücksichtslos die Hopfenstangen für Lagerfeuer und zu anderen Zwecken gebrauchten und damit die Hopfenkulturen fast vollständig zerstörten. Es gab später Versuche, damit wieder zu beginnen, aber mit mäßigem Erfolg. So berichtet das Schweinitzer Kreisblatt am 25. Oktober 1887 über die kurz vorher von Gustav von Diest gegründete Arbeiterkolonie Seyda: „Dieser Tage war der königliche Hegemeister Bosek aus Elsterwerda hier anwesend und hat auf Befehl der Königlichen Regierung zu Merseburg die hiesigen Colonisten in dem Anbau und der Zucht des Hopfens unterwiesen, nachdem die Erd-Vorarbeiten hierzu bereits vorher fertiggestellt waren.“ Aber auch die ältesten Bürger können sich nicht mehr an Hopfenfelder bei Seyda erinnern.

Aus den alten Kirchenbüchern ist ersichtlich, dass es nur wenige waren, die in unserem Städtchen das Recht zu Brauen besaßen. Und dieses Recht war wohl auch an die Stadt gebunden, denn auf den Dörfern im Umfeld findet sich kein einziger, der mit diesem Beruf erwähnt wäre. 1715 ist ein „Brauer“ Jacob Hermann erwähnt, 1715 und 1723 der „Brauberechtigte“ Anton Gödicke, 1716 und 1718 Martin Grempel sen., „Brauberechtigter“, 1718 Johann Friedrich Kirbach als „Brauberechtigter und Fleischer in Seyda“. Der Brauer Martin Liebe, 1718 erwähnt, ist 1724 „Braumeister“.

Durchaus wird untereinander geheiratet, 1722 heiratet Gottfried Klauß, Brauberechtigter in Seyda, Maria Dorothea Mechel, deren Vater Zacharias Huf- und Waffenschmied und auch Brauberechtigter war. Die Verbindung mit einer Gastwirtschaft liegt nahe, so bei der Familie Kierbach (1725). 1734 ist ein David Eichelbaum sowohl Stellmacher als auch Brauberechtigter in Seyda. Von den uns heute bekannten Namen tauchen 1757 ein Gottlieb Richter, 1771 Johann Gottlieb Matthies, 1779 Michael Schlawig, 1786 Johann Christian Brumme und 1792 Gottlob Flemming in dem Gewerbe auf. Ein ganzes Jahrhundert hat die Erwähnung der Familie Grempel als „brauberechtigt“ Bestand.

Im Jahre 1790 wurde in Kursachsen verfügt, Stadtbrauereien zu eröffnen, um die Qualität zu sichern. So taucht auch in Seyda 1795 der erste „Stadtbraumeister“ auf, Bildner mit Namen; sein Tod ist vermerkt, und 1796 heiratet sein Sohn, auch Brauereimeister in Seyda, und dieser stirbt 1835 mit 71 Jahren als Stadtbrauer in Seyda, also schon weit in preußischer Zeit.

Eine Besonderheit ist 1812 der „Brandweinbrauer auf dem Amt Seyda“ Johann Gottlieb Friedrich, kurz vor Einstellung des Amtes Seyda. Im 19. Jahrhundert begegnen dann die Namen Bey, Hirsch, Faulstich und Naumann. Ein Braumeister Gottlob Ferdinand Fischer war auch Mitglied im Gemeindekirchenrat und hatte 13 Kinder.

Die Brauerei Matthies an der Ecke Jüterboger Str./Neue Str. (etwa die heutigen Nummern 25 bis 29), die bis nach Neuerstadt lieferte, brannte 1890 ab.

1897 bis 1921 ist in den Kirchenbüchern dann Carl August Lehmann als Brauereibesitzer geführt. Er betrieb seine Brauerei in der Brauhausgasse, auf dem Grundstück  Nr. 5, wo heute das Haus der Familie Krück steht. Die ältesten Seydaer Bürger können sich noch daran erinnern! Er heiratete 1897 mit 23 Jahren Wilhelmine Helene Anna Hecht, 1898 wurde die Tochter Wilhelmine Adeline geboren, die 1931 den Seydaer Arzt Dr. Bäumel heiratete. Mitte der 30iger Jahre wurde die alte Brauerei abgerissen und das Wohnhaus gebaut, was heute noch zu sehen ist. Die starke Konkurrenz, die ihre Ware von ferne mit LKW´s anlieferte, ließ Brauer Lehmann aufgeben.

Karl Wilhelm Nauck, dessen Name in Seyda noch als „Bier-Nauck“ bekannt ist, und von dessen altem Haus es ein schönes Hochzeitsbild von 1953 gibt (Otto und Erika Dümichen), baute seine „Brauerei“ dort, wo heute das Arzthaus steht, auf. Sein Vater war noch „Handarbeiter“ gewesen, also nicht sehr vermögend, und sein Großvater war an der Trunksucht gestorben. Zum ersten Mal heiratete er als Maurer mit 23 Jahren, und 1989, bei der Geburt und dem Tod des 7. Kindes, war er immer noch „Maurer“. 1910 starb seine 1. Frau, 1911 heiratete er noch einmal als „Mineralwasserfabrikant in Seyda“ und starb 1930 als „Bierverleger“ und „Hausbesitzer“. Er war also eigentlich kein echter Braumeister mehr, sondern kaufte seine Ware aus Jüterbog, Treuenbrietzen, Wittenberg und zuletzt aus Zahna.

Immer wurde jedoch auch,  - privat - , gebraut. So fragte der Pastor Schreyer aus Gadegast 1899 einen alten Mann über die alten Zeiten aus, und er erzählte: „In Gadegast machte man sich Dünnbier (Kovent) aus geröstetem Gerstenbrot und warmem Wasser, mit Hefe und mit Hopfen gewürzt...“

Sonst gehörten bis in die Mitte des letzten Jahrhunderts die Bierwagen in das Bild unserer Stadt und der Dörfer, die das frisch Gebraute in die Häuser brachten. Im Heimatmuseum kann man noch alte Flaschen mit entsprechenden Aufdrucken finden, die an die alte Seydaer Brauereigeschichte erinnern. Beliebt war das Malz- oder Braunbier, die „Bupe“. Auf den Bierwagen standen Fässer, es wurde geklingelt und gerufen: „Braunbier“, und dann kamen die Leute aus den Häusern mit Eimern oder Töpfen und füllten das Bier ab. Mit einem Holzhammer wurde in entsprechende Flaschen der Korken eingeschlagen. Braunbier hatte wenig Alkohol, beliebt war es als Getränk in der Ernte oder auch bei der Biersuppe. Hier wurde das Bier mit Ei, Milch und Mehl gekocht, geröstete Semmelbrösel oder Weißbrotwürfel kamen hinein; das schmeckte gut und gab Kraft. In der warmen Jahreszeit wurde es viel gegessen.

7 Gaststätten hat es einmal in Seyda gegeben: Eule („Zur Herberge“, hier fanden insbesondere Handwerksburschen Übernachtung, Markt 5), Lüdecke („Deutsches Haus“, Markt 17), Pätz („Roter Hirsch“, Markt 19), Frenkels (früher Merten, ehemaliges HO-Kaufhaus, Markt 20), Wuckes (Jüterboger Straße 7), Letzes (Jüterboger Straße 11), Borschts (vorher Schulze, nachher Hecht, Wittenberger Straße 6), das Schützenhaus (Inhaber: Hähner, Arndt), Gerhardts („Zum Deutschen Kaiser“, Bergstraße 1). In Seyda wurde (und wird!) fröhlich gefeiert.

Dass der Genuss des Alkohols auch eine Rückseite hat, war schon früher bekannt. Eine besondere Anekdote aus Seyda war am 16. Oktober 1900 dazu zu lesen: „Dass der Bräutigam sich zu Polterabend activ am Poltern beteiligt, ist auch bei uns sonst nicht landesüblich, doch ein hiesiger Arbeiter machte dieser Tage eine Ausnahme. In trunkenem Zustand fing er an, sämmtliche erreichbaren Gegenstände zu zerschlagen, stieß die brennende Lampe um und warf mit Tellern, Schüsseln usw. nach der Braut und den Gästen, die eiligst die Flucht ergreifen mussten, um vor dem ungalanten Bräutigam sicher zu sein. Die Braut lief selbst zur Polizei und ließ den Unhold festnehmen. Am Hochzeitsmorgen machte sie die Hochzeit noch rückgängig, so dass die Gäste, die sich am Nachmittag einstellten, mit langen Gesichtern abziehen mussten.“ (Schweinitzer Kreisblatt, 20.10.1900).

Immer wieder findet sich, besonders im 19. Jahrhundert, die Bemerkung im Sterberegister: „gestorben an Folge von Trunksucht“, bei Männern und Frauen. Das Gemeinwesen versuchte, dem entgegenzuwirken, wie man in der Zeitung, dem „Schweinitzer Kreisblatt“, im November 1889 lesen kann:

„Bekanntmachung

Der schon seit längerer Zeit dem Trunke ergebene Böttchermeister Heinrich Schulze wird hiermit als öffentlicher Trunkenbold erklärt.

Wir bringen dies hierdurch mit dem Bemerken zur öffentlichen Kenntiß, dass diejenigen Gast- und Schankwirthe, welche dem Schulze fernerhin geistige Getränke verabreichen, oder denselben auch nur den Aufenthalt in ihren Gaststuben gestatten, mit Geldstrafe von 6 bis 15 Mark bestraft werden.

Seyda, den 12. November 1889

Die Polizeiverwaltung            Ganzert

Wir wissen heute, dass es sich bei der „Trunksucht“ nicht um eine moralische Verfehlung, sondern um eine schlimme Krankheit handelt, der nur durch vollständige Abstinenz wirksam begegnet werden kann. Diese Erkenntnis setzte sich erst in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts langsam durch. Das „Blaue Kreuz“, in der Schweiz von Pastor Louis-Lucien Rochat gegründet, basierte auf dem Grundsatz, dass chronische Alkoholiker durch lebendigen Glauben an Jesus Christus in Verbindung mit lebenslänglicher Enthaltsamkeit von allen alkoholischen Getränken von ihrer Sucht befreit werden können. Vor 120 Jahren, 1888, begann diese Arbeit auch in Berlin. Der erste gerettete Trinker in Deutschland hieß „Schluckebier“.  Auch in unserem Städtchen ist vielen auf diese Weise zu einem neuen Leben verholfen worden. Seit 1993 gibt es eine segensreiche Einrichtung für Alkoholkranke in Zemnick, das Heporö-Übergangsheim. Pastor Bodelschwingh, ein Verwandter Gustav von Diests, hat folgende Zeilen geschrieben: „Wenn du einem geretteten Trinker begegnest, dann begegnest du einem Helden. Es lauert in ihm schlafend der Todfeind, er bleibt behaftet mit seiner Schwäche und setzt seinen Weg fort durch die Welt der Trinkunsitten, in einer Umgebung, die ihn nicht versteht, in einer Gesellschaft, die sich berechtigt hält, in jämmerlicher Weise auf ihn herabzuschauen, als wäre er ein Mensch zweiter Klasse, weil er es wagt, gegen den Alkoholstrom zu schwimmen. Du sollst wissen: Er ist ein Mensch erster Klasse!“

So wollen wir auch in diesem Jahr fröhlich das Heimatfest miteinander feiern, in der Freude an den guten Gaben Gottes, zu denen auch das Gerstengetränk gehört, und in Rücksicht und Respekt vor Mitmenschen, die jene teuflische Seite des Alkohols überwunden und besiegt haben.