Die

Geschichte

der

Kirche

in

Seyda.  

3. Teil:

Der erste und der zweite Brand und der Kirchenneubau (17. und 18. Jahrhundert)

1501 kam unser Gebiet zu Kursachsen, das Amt Seyda entstand und mit ihm Strukturen, die sich über 300 Jahre fast nicht veränderten. Durch die Zugehörigkeit zu Kursachsen hatte Seyda unmittelbar Anteil an den reformatorischen Ereignissen. Martin Luther selbst predigte in Seyda und ordnete die kirchlichen Verhältnisse neu. Davon war im letzten Abschnitt die Rede.

 

Symbol des Amtes Seyda ist bis heute das Amtshaus, was 1605 aus den Steinen der alten Burg erbaut wurde. Hier wohnte und arbeitete der kurfürstlich-sächsische Amtsmann, das Amtshaus war Sitz der Verwaltung für Seyda und die umliegenden Dörfer.

Hören wir noch einmal über seinen Bau:

„1604 erhielt der damalige Amtsschösser Rudolf von Schelinsky, Stallmeister des Kurfürsten, das Vorwerk als Lehen. Da die Wohnverhältnisse auf der Burg immer ungünstiger geworden waren, erbat er vom Kurfürsten Christian II. die Genehmigung, sich ein geeignetes Wohnhaus bauen zu dürfen, das gleichzeitig Verwaltungsräume für das Amt haben sollte So entstand  im Jahre 1605 das Amtshaus. Die Steine dazu lieferten zum Teil die Reste der Burg, das Holz die Glücksburger Heide. Ein Blick in den Dachstuhl zeigt, daß an Holz nicht gespart wurde. Viele Frohndienste höriger Bauern und verarmter Bürger unserer Stadt waren notwendig, um einmal die Stämme zu fällen, dann in die Stadt zu fahren und schließlich bis oben hinaufzutransportieren. Der Entstehungszeit entsprechend, ist das Amtshaus ein Fachwerkbau. Zwei Fachwerkgiebel schauen weit über alle anderen Häuser in Richtung Osten. Der Nordseite ist ein Erker angebaut. Das Erdgeschoß besitzt etwa 1 m starke Wände aus Feldsteinen. Sehr harmonisch fügt sich in die Vorderfront das Renaissance-Portal ein mit den seitlichen Nieschen und Steinsitzen, durch Muschelschmuck verziert. Ursprünglich waren alle Fenster des Erdgeschosses vergittert.

Die Tür krönt ein Bogen mit ausgebildetem Zahnschnitt und Eierstab. Im Aufbau sind zwei Wappen angebracht. Davon weist vermutlich das eine mit 3 Hufeisen auf den Bauherren, den Stallmeister des Kurfürsten, hin. Den Abschluß bildet ein flaches Dreieck, aus dem ein Männerkopf als merkwürdige Verziehrung herausschaut. Er erreicht nicht ganz die Größe eines natürlichen Kopfes, ist mit einem Ritterhelm bedeckt, den in der Mitte eine wallende Feder schmückt. Eigenartig wirken die seelenlosen Augen und der leicht geöffnete Mund. Nach Meinung der Bevölkerung soll hier Rudolf von Schelinsky selbst dargestellt werden. Aber nach Ansicht des bekannten verstorbenen Heimatforschers, Herrn Oskar Brachwitz, handelt es sich um einen "Neidkopf", der nach altem Volksglauben durch seinen starren Blick für die Bewohner des Hauses alle übelgesinnten Luftgeister und Kobolde bannen sollte. Teilweise ist das Amtshaus von einer festen Steinmauer umgeben. Der Flur im Innern des Amtshauses ist mit Steinplatten ausgelegt. Die getäfelte Holzdecke blieb in ihrer ursprünglichen Form  erhalten. Steinerne Treppen führen bis in die erste Etage. In zwei unteren Zimmern ist die Decke mit Kreuzgewölben versehen. Zuerst diente es einem höheren kurfürstlich-sächsischen Beamten, der mit der Verwaltung des Amtes betraut war als Amtswohnung. Im Erdgeschoß befanden sich die Verwaltungsräume. Dort herrschte reges Kommen und Gehen, besonders an den Tagen, an denen Abgaben fällig waren. Namentlich die Bauern Seydas und der zum Amt gehörigen Dörfer waren stark belastet mit Ablieferungen von Naturalien und Geld. Da mußten beispielsweise Ostern Eier, Michaelis Korn, Martini Gänse, Neujahr Brot und Bratwurst aufs Amt gebracht werden.

Dazu kamen noch die vielen Hand- und Spanndienste für die Herrschaft, so dass ihnen oft für persönliche Beschäftigung nicht viel übrig blieb...

Natürlich fehlen auch allerlei Sagen um das Amtshaus nicht.

So heißt es, dass mit dem Neidkopf über der Tür, das Wohl und Wehe des Amtshauses zusammenhängt. Wehe, wenn der Kopf entfernt würde! Dann könnte es vor Spuken, Poltern, Rasseln und Heulen keiner mehr im Hause aushalten. Auch eine weiße Frau geistert um Mitternacht durch das Gebäude, und wer sie erblickt, dem kündet sie Unheil an. Selbstverständlich darf ein geheimer Gang nicht fehlen. Meistens wird berichtet, er münde auf dem Weinberge. Zuweilen bestehen aber auch die Ansichten, er hätte bis Glücksburg bzw. Kloster Zinna geführt. Aufgefunden hat man ihn bisher nicht.“ (Bärbel Schiepel, Über das Amtshaus, 2.000).

 

Das Amt Seyda hatte seit 1501 Bestand, aber bei den Kurfürsten hatte sich etwas geändert:

„Nach der Schlacht bei Mühlberg kam Seyda in den Besitz der albertinischen Herrschaftslinie von Sachsen, deren Residenz nicht Wittenberg, sondern Dresden war. Wie schon im vorhergehenden Band erwähnt, ließ der Kurfürst August von Sachsen in den Jahren 1576 bis 1580 aus den Steinen der ehemaligen Burg acht Kilometer östlich der Stadt Seyda die „Glücksburg“ bauen, ein Jagdschloß mit einem Tier- und Fasanengarten. So sahen die Seyd´schen ihren Landesherren nicht selten. Zu einem Fürstentag im Jahre 1611 beispielsweise kam Kurfürst Christian II. mit einem großen Gefolge und 312 Pferden nach Glücksburg. Damals sollten im nahgelegenen Jüterbog auf einem Fürstentag die Streitigkeiten wegen der Jülich-Clevischen Erbfolge zwischen Brandenburg und Sachsen geschlichtet werden, was nicht gelang.

Im Jahre 1711 kam August der Starke persönlich nach Glücksburg. „Hörnerklang, Hundegebell und Pferdewiehern erfüllten die sonst so stillen Waldwege. Unter einer alten Eiche an dem Weg von Seyda nach Mügeln wurde ein mächtiger Hirsch erlegt, wohl wert, als Jagdbeute besonders gefeiert zu werden. Schnell wurde die Eiche umgesägt, und auf dem Stamm der Eiche frühstückte der Kurfürst selber. Ringsherum lagerte die Jagdgesellschaft: zur Seite des Kurfürsten Heinrich von Erdmannsdorf, hochbestallter Oberjägermeister in Sachsen, der Oberförster von Seyda, daneben Backbusch, der Amtmann (steht auf der Glocke von 1717, T.M.), Leopold Jungfang, der Forstschreiber. Die Namen der andern Teilnehmer wissen wir nicht, denn das Holzdenkmal, das aus der Eiche angefertigt und an der Stelle aufgestellt wurde, ist im Laufe der Jahrhunderte verwittert, die eingebrannte Schrift ist unleserlich, die Wappen sind undeutlich geworden. Aber als Ortsbezeichnung wird die „Schöne Säule“ fortleben auch durch die kommenden Jahrhunderte, genau so wie die Stelle an der alten Straße von Mellnitz nach Schweinitz, da die Kurfürsten bei ihren Jagden eine Pause machten und einen kalten Jagdimbiß verzehrten, noch heute im Volksmunde „Kalte Küche“ genannt wird. Auch dort soll ehemals ein Denkmal gestanden haben.“

(Brachwitz, Geschichtliche Bilder, 11. Fürstenbesuch in Glücksburg, 20f, Bild Seite 22).

 

Von dem Tierreichtum der Glücksburger Heide künden auch einige Flurnamen:

 „Im Erbbuche des Amtes Seyda vom Jahre 1506 wird ein Grenzweg im Süden der „Seydischen Heide“ als „wulwes wegk“ bezeichnet, und noch heute heißen einige Ackerflächen auf Schadewalder Feldmark die „Bärstücken“.“

 „Von den sächsischen Herzögen wurden denn auch Wolfsjagden zur Vertilgung dieser Raubtiere abgehalten, woran der größte Teil der Einwohner von Seyda mit teilnehmen mußte, wie es ausdrücklich in dem Erbbuche von 1506 vermerkt ist.“

(Aus dem Schweinitzer Kreisblatt vom 1. 12. 1912)

Besonders im Dreißigjährigen Krieg nahm die Wolfsplage überhand, so dass man sich der wilden Wölfe kaum erwehren konnte. 1647 fanden im Kurfürstentum vier große Wolfsjagden statt

 

Die Kurfürsten, von denen es in Deutschland sieben gab, hatten das Recht, den Kaiser zu „küren“, also zu wählen. Sie waren deshalb wohl die mächtigsten Männer im „Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation“. Der sächsische Kurfürst war zudem Erzmarschall, das heißt, er trug das Schwert des Kaisers bei dessen feierlichen Einzügen voran.

Der Kurfürst Friedrich der Weise (1525 gestorben) hatte die Reformation unterstützt, die evangelische Kirchenorganisation war mit Hilfe der Landesherren, also bei uns der Kurfürsten, aufgebaut worden.

Auf die sächsischen Kurfürsten weisen die Wappen auf der Empore der Kirche hin: Dort hatten die Kurfürsten bei ihren Besuchen oder ihre Vertreter im Amt ihren Platz. Das Wappen zeigt im Zentrum die sächsischen Schwerter und Farben in der Raute, außen herum aber den Adler für Kleinpolen und den Reiter für Großpolen und Litauen: das Herrschaftsgebiet, was zu Zeiten August des Starken mit Sachsen verbunden war. Ganz deutlich wird es durch die kleine Krone, durch das Zeichen der Kurwürde und ganz oben die polnische Krone. (HG 4/1922).

 

Im Jahre 1677 wurde unweit des Schlosses Glücksburg durch den weltbekannten Alchimisten Johann Kunckel von Löwenstein eine Glasfabrik errichtet. Dieser „war im Auftrag des Kurfürsten Johann Georg II. zunächst auf Schloß Annaburg tätig, um Gold herzustellen. Im Laufe seiner Versuche erkannte Kunckel jedoch die Unmöglichkeit der alchimistischen Lehre von der Metallmutation. 1676 quittierte er deshalb den kursächsischen Dienst und hielt an der Universität Wittenberg Kollegs in Experimentalchemie. Kunckel erkannte als erster die chemischen Zusammenhänge zwischen Salzen, Basen und Säuren, erfand das Rubinglas und einen leistungsfähigen Brennofen“. (Histor. Führer, 325).

Aus der ein Jahr später errichteten Werkstatt bei Glücksburg entstand Anfang des 18. Jahrhunderts eine der ersten sächsischen Glashütten, die Tafel- und Hohlglas lieferte, aber 1751 wieder einging und zu Beginn des Siebenjährigen Krieges 1756 ganz zerstört wurde.

Findige Spaziergänger entdecken noch heute Reste dieser Produktion.

(Ein Glasmacher aus Glücksburg hieß Heinrich Griesbrich. Er heiratete 1738 in Seyda Anna Elisabeth Eichelbaum (Seydaer Trauregister 1738, 10); Johann Gottlieb Heinrich, Glasmacher in Seyda, heiratet am 17.2.1792 Johanna Christiana Schiepe (Seydaer Trauregister 1792, 3). Als „Glaser in Seyda“ werden im Seydaer Kirchenbuch erwähnt: von 1792 bis 1826: Familie Kirsten; von 1834 bis 1839 Familie Henne; von 1844 bis 1896 (bis heute): Familie Freiwald. Vgl. auch das Heimatbuch S. 51 sowie den Historischen Führer S. 327.)

 

Neben diesen Berichten über die Freuden des Jagdglücks und technische Entdeckungen sind uns aus jenen Zeiten jedoch häufig nur schlimme Dinge überliefert. So zum Beispiel die großen Brände, die viele Städte regelmäßig heimsuchten, da die Dächer fast alle mit Stroh gedeckt waren. Bei diesen Bränden wurden auch viele wertvolle Schriftstücke vernichtet, so beispielsweise beim Brand von 1708 das Kirchenarchiv in Seyda, so dass wir die meisten Nachrichten aus dieser Zeit aus anderen Quellen schöpfen müssen.

 

Eine große Brandkatastrophe gab es im Jahre 1605. Wir hören darüber aus einer alten Urkunde:

„Am 30. Mai 1605, zwischen 1 und 2 Uhr nachmittags, ist bei uns als Verhängnis Gottes in einem großen Winde plötzlich ein Feuer aufgegangen. Es hat so überhand genommen, daß in einer Viertelstunde zwölf Häuser in Flammen standen. Durch Gottes großen Zorn über unsere Sünden hat die Brunst so gewütet, daß wir trotz allen Fleißes und aller Hilfe ihr nicht konnten wehren. Das Feuer ist von einer Gasse zur andern gesprungen. In zwei Stunden hat es 43 wohlerbaute bürgerliche Häuser samt der Schule, den Wohnungen des Diakonus und Lehrers, dem gemeinen Brauhause und der Badstube, dazu viele Scheunen und Ställe vernichtet. Eines Bürgers Kind ist verbrannt, drei Frauen hat das Feuer so beschädigt, daß eine am folgenden Tage gestorben, die anderen beiden noch große Schmerzen leiden.“

(alte Urkunde, HG 12/1924).

Bemerkenswert dabei ist das Bewußtsein, durch eigenes böses Tun den Zorn Gottes hervorgerufen zu haben. Und ebenso wichtig ist die Feststellung, dass das Band christlicher Nächstenliebe ganz praktisch wirksam wurde:

Die Gemeinde Seyda erfuhr die Hilfe anderer Gemeinden: Die durch diese Heimsuchung verarmte Bürgerschaft konnte die geistlichen Gebäude aus eigenen Mitteln nicht wieder aufbauen. Am 5. August erging deswegen eine Verfügung wegen einer Liebessteuer an die Konsistorien in Wittenberg, Leipzig, Meißen. Weitere Unterstützung fand Seyda, als es 1661 seine ruinierte Kirche, Pfarre und Schule wieder herstellen wollte. Die Armut des Städtchens war indessen zu groß, der Zuschuß, den der Kurkreis zu geben vermochte, zu gering, als daß es damals die Bauten hätte ausführen können. Erst 1689 schreibt der Chronist: „Die hohe Not hat es erfordert, daß wir ein neues Häuschen für den Superintendenten zu bauen angefangen. Mit Kummer und Not haben wir es unter Dach und Fach gebracht. Bei unserer bekannten und durch den diesjährigen Mißwachs noch vergrößerten Armut ist es uns aber unmöglich, Decken, Türen und Fenster bei den Handwerkern einzulösen und das Haus diesen Winter wohnhaft zu machen, und doch müßte es geschehen, sofern der Herr Superintendent seines Studierens abwarten und sein Bleiben haben soll...“ Torgau, Grimma und Wittenberg brachten der armen Stadt in dieser Not ein Liebesopfer.“ (alte Urkunde, HG 12/1924).

 

Auch im Jahre 1616 gab es einen verheerenden Brand, jedenfalls berichtet davon eine Eintragung in der Mitte des ältesten Seydaer Kirchenbuches von Superintendent Hilliger 150 Jahre später: „1616 ist das Städtlein Seyda abgebrandt, laut Steuren Register 1617“.  (HG 9/1926).

 

Aus dieser Zeit haben wir auch ein Bild unserer Stadt, einen Stich von Dillich, 1626.

Auf diesem Bild kann man viel entdecken. Zum Beispiel steht auf dem Kirchenschiff ein kleines Türmchen mit einer Vesperglocke. Sie wurde an jedem Nachmittag geläutet und rief zum Vespergebet in der Kirche und auf den Feldern, freilich danach auch zum Vesperbrot, zu einer kleinen Pause.

Mächtig ragt auch der Turm hervor, der 1629 noch einmal verändert wurde, mit einem unten viereckigem, oben achteckigem Turm „mit welcher Haube und Laterne“.

Die Einnahmen der Kirchengemeinde bestanden, wie schon erwähnt, hauptsächlich aus landwirtschaftlichen Abgaben, auch in Naturalien. Hin und wieder aber gab es auch Erbschaften. So kann man im Kirchenarchiv vom „Schelinskyschen Legat“ lesen, ein Testament vom 2. Mai 1627 betreffend: Maria Salome Schelinsky geb. Schierin vermacht der Kirche und Schule zu Seyda "200 Gulden baares Geldes zu Christliches Gedechtnis".

Scheinbar ist der Geldbetrag vom "Forwerge zinßbar behalten worden", um eine Schuldforderung zu begleichen.

(Seydaer Kirchenarchiv, Findbuch 165, 3).

Immer wieder haben Menschen beigetragen, die Kirche zu erhalten, sind sie angesprochen worden durch das Evangelium und haben es für wichtig für sich und die nachfolgenden Generationen gehalten: deshalb steht die Kirche bis heute. So war sie immer da und konnte Kraft und Orientierung geben, auch in schweren Zeiten.

 

Eine der schwersten Katastrophen in unserem Land war der Dreißigjährige Krieg. Die Zeitgenossen sahen ihn durch Zeichen des Himmels angekündigt:

 „Der vorzüglichste Komet, welcher fast die Hälfte des Himmels erleuchtete und als wichtige Vorbedeutung galt, war der im Jahre 1618, kurz vor dem Anfang des 30jährigen Krieges. Sein weit und hell strahlender Schweif begann anfangs November und leuchtete 30 Nächte hindurch mit gleichem Glanze am nördlichen Himmel.“

In diesem dreißig Jahre andauernden Krieg sind viele Dörfer ganz von der Landkarte verschwunden. 1625 traf es unsere Gegend erstmals besonders hart, als die kaiserlichen Truppen Wallensteins durch unser Gebiet zogen:

„Was sich nicht in unwegsame Sümpfe und Wälder flüchten konnte, das ging verloren; und was von der Geisel des Krieges und den wilden Lüsten entmenschter Kriegshorden verschont geblieben war, das fiel der Hungersnot und der Pest zum Opfer.“

In den Jahren 1635 und 1636 müssen die Kriegsnöte nach den Schilderungen eines Augenzeugen, des damaligen Superintendenten Mühlig, die furchtbarste Höhe erreicht haben. Er berichtet in einem Schriftstück, was der Turmkugel in Mellnitz anvertraut wurde:

„Heerhaufen um Herrhaufen zogen kreuz und quer von Ort zu Ort, und jeder stellte seine unerfüllbaren Forderungen. Die Leute, die doch nichts mehr hatten und herbeischaffen konnten, wurden gemißhandelt und zu Tode gequält und gefoltert. Frauenschändung war an der Tagesordnung. Keine wurde geschont, der man habhaft werden konnte, auch Kinder und Greisinnen nicht. Den Männern reichte man den Schwedentrunk und füllte ihnen Mistjauche ein, bis sie starben, nur weil die Menschen kein Geld mehr hatten und keine Lebensmittel und Vieh, das man von ihnen haben wollte. Alles, was noch fliehen konnte, floh.“

 

Der Pfarrer von Leetza, Fridericus Müller, schreibt über das Schreckensjahr 1637: „Als ich 1638 die Pfarre bezogen, habe ich von dem Inventario nicht das geringste empfangen. Denn weil 1637 die schwedische Armee lange Zeit in und vor Torgau im Feldlager gelegen, die kaiserliche und kursächsische Armee zu Pretzsch und Klöden ihr Feldlager gehabt, ist alles Getreide vom Felde abgehauen und nach Klöden ins Lager geführt, auch was sonst in der Pfarre ihnen dienlich, mitgenommen worden. Was man nach Zahna gerettet hat, ist daselbst auch, nachdem es die Schweden in Brand gesteckt haben, drauf gegangen. Und hat wenig Acker also bestellet werden können... Von den Pfarrkindern habe ich zur Saat nicht eine Metze Getreide erhalten, und demnach von dem meinigen besät und zu Brotbedarf teuer bei erstandener großer Teuerung kaufen müssen den Scheffel Wittenbergisch Maß anfangs für 2, hernach für 3 Reichstaler gutes Geld. Wenn ehrliche Leute mir nicht Vorschub getan, hätte ich das liebe Brot nicht gehabt, mußt ich´s also mit meinem lieben Weib nach dem Gewicht essen und mit Kofend (Bier) oder Most und Wasser verhelfen müssen, darüber ich letztlich in eine große Krankheit geraten. Es war solches Jahr eine Hungernot, daß die Leute die Eckern und Leinknotten gemahlen oder rieben und gebacken und gegessen, und sich an das verstorbene Vieh und Aas gemacht. Die Soldaten haben Menschen, Hunde und Katzen gefressen. Gott behüte uns vor solcher Hungernot weiter in Gnaden.“ (Brachwitz, Geschichtliche Bilder, 25. Das Schreckensjahr in Leetza, 41f; nach Pallas, Die Registr. der Kirchenvis. 2. Abt. 1. Teil, 490).

 

Auch in Elster lagen 1648, zum Kriegsende, Pfarrhaus und Schule in Asche, die Kirche war baufällig; Listerfehrda war vom Erdboden verschwunden, in Gentha sollen nur noch ein Witwer und eine Witwe gewohnt haben. (Brachwitz, Geschichtliche Bilder, 26. Kriegsnöte in Elster, 41; später zwei Witwen und zwei Witwer, 44).

Viele Bittbriefe werden an den Kurfürsten gesandt, dass er um der Liebe Christi willen helfen möge; Aufbauwilligen werden großzügige Bedingungen eingeräumt. Dennoch entschließen sich nur wenige, es fehlt wohl auch der Mut nach so langer Kriegszeit. Die Chronik berichtet: „Nur hin und wieder findet sich in den nächsten Jahren jemand, der in Gentha ein wüstes Gut übernehmen will. Der Seydaer Küster und Glöckner Caspar Lüppert entfernt sich sogar heimlicher Weise von Seyda, nachdem er die ihm anvertrauten Kirchenschlüssel bei dem Schulmeister hinterlegt hat, und wendet sich nach Gentha, wahrscheinlich, weil er dort durch Bebauung wüster Felder ein besseres Einkommen erhoffte.“ (Brachwitz, Geschichtliche Bilder, 27. Wiederaufbau nach dem Dreißigjährigen Krieg, 46). Eine Begebenheit, die darauf schließen läßt, dass dieser kirchliche Mitarbeiter sehr schlecht bezahlt wurde!

Das Pfarrarchiv Seyda gibt Auskunft über den Wiederaufbau von Gentha nach dem Dreißigjährigen Krieg: „Specification dererjenigen Puncte, so die Kirchfarth gerne unterricht seyn will und wißen, wo vor sie Eingenommen und ausgegeben worden, alß: 1. 200 Gulden von Gentha

Rs. ad. 1.

Ad 1657 hat der Churf. Georg I. den wüsten Dorff-Platz Genthe dem von Camenz geschencket, u. dieser eine Schäferey hingeschlagen. Da nun die Kirch zu Seyda daselbst Sechs ß genante Gs Güther zum Lehn Corporis Christi genannt, und davon 24 Scheffel Korn, 6 Scheffel Hafer, 30 Taler Erbzins jährlich zu fordern hatte, und solche Pächte biß 1698 zurückblieben und fast gar in Vergeßenheit gestellet wurden, habe ich mit großer Mühe mit Frau Obristin Kufferin in Dreßden mit dem Herrn Geh. R. H. D. Alemann und dero Vormund Hof R. Bey von capituliret u. Sie 200 Taler zu geben versprochen, wie davon der Contract unterm 5. Julii 1699 aus weißl. diesem nach hat gedachte Fr. Obriste Kufferin Ad. 1702 d. 28 Inl. 100 Gulden ... mir durch ... Ambergen , Past. in Gohlsdorf ausgezahlet, und ich solche in Empfang genommen, und in kirchliche Einnahme gewöhnl. gebracht, davon würde die Rechnung zeugen, wenn nicht alles A. 1708 in Feuer aufgegangen wäre. Die andern 100 Gulden sind mir von dem Wittenberger Consistorio unter 30. Sept. 1711 außen restirende Besoldung assigniret worden.“ (Superintendent Andreas Gormann im Seydaer Kirchenarchiv,  Findbuch 165,  29).

 

Und wie sah es nun direkt in Seyda aus?

„Seyda wurde, wie die meisten Ortschaften unserer Heimat, während der furchtbaren Kriegsjahre verwüstet und verbrannt. Besonders schlimm war das Jahr 1637, da die Schweden plünderten und raubten, wo sie erschienen. Viele Einwohner flohen. Der Superintendent war mit seiner Familie nach Wittenberg geflohen. Dort starb er mit seiner Frau, zwei Söhnen und zwei Töchtern an der Pest.“ (Schweinitzer Kreisblatt, 2.8.1943).

 

Das Diakonat, also die Stelle des zweiten Geistlichen in Seyda, der auch die Dörfer Morxdorf und Mellnitz zu versorgen hatte, wurde im Dreißigjährigen Krieg, im Jahre 1637, eingezogen, und erst im Jahre 1719 wieder besetzt. (HG 4/1914). Die Kirchen in Morxdorf und Mellnitz lagen wüst, in Morxdorf wurde sie erst 1720 wieder eingeweiht, also fast 80 Jahre später.

Im Jahre 1637 wurde auch ein Lehrer eingespart, so dass seitdem nur einer für die Kinder und Jugendlichen in Seyda sorgte. Erst 1661 sind wieder zwei Lehrer in der Schule tätig.

 

Der Chronist berichtet weiter:

„Wegen des durchmarschierenden Kriegsvolkes begaben sich auch mehrfach Paare aus Seyda nach Jessen, um sich dort trauen zu lassen. Aus Gadegast, Ruhlsdorf und Zemnick und aus anderen Dörfern hielten sich viele Flüchtlinge in Jessen auf. Das rohe Beispiel der fremden Soldaten übertrug sich in Einzelfällen auf die Einwohner. Da war z.B. ein Verwalter aus Seyda, mit Namen Samuel Hennigk, nach Jessen geflohen, der ermordete die Frau des Bürgermeisters Fischer in Jessen. Doch der Täter entrann der Strafe nicht; auf offenem Markte in Jessen wurde er geköpft.“ (Schweinitzer Kreisblatt, 2.8.1943; mitten im Zweiten Weltkrieg geschrieben). „In Jessen starben 1.310 Menschen, von ihnen waren 538 aus der Stadt, die übrigen aus den benachbarten Dörfern. An manchen Tagen mußte man 20 Pestleichen begraben. Auf dem Landtage 1640 klagte die Stadt, daß sie seit 1631 ein Viertel ihrer Bürger verloren habe.“  (Schweinitzer Kreisblatt, Die Kriegsfackel im eigenen Land. Von A. Voegler, Herzberg, 16.6.42. Berichte aus dem Dreißigjährigen Krieg kann man auch zahlreich in der „Geschichte der Kirche in Linda“ finden.).

Noch 1671 lagen in Schadewalde von den 8 Gütern noch 5 wüst.

 

Die Bevölkerung versuchte sich zu retten, in dem sie sich in den Sümpfen versteckte. Was man hatte, wurde vergraben. Noch 1998 fand eine Frau in Gadegast in ihrem Garten eine schöne Silbermünze aus dem Dreißigjährigen Krieg!

Eine Geschichte aus dem Amtshaus:

„Im Keller wurde ein geheimer Raum entdeckt, der nur durch eine Falltür in der Decke erreichbar war. Mündlichen Berichten zufolge sollen im 30jährigen Krieg mißbillige schwedische Offiziere, nachdem sie trunken gemacht worden waren, dort hinabgestürzt worden sein. Der seitliche Eingang vom Keller her in die Geheimkammer wurde erst später durchbrochen. Wahrscheinlich diente dieser Raum als Versteck für Wertsachen in unruhigen Zeiten.“ (Bärbel Schiepel; Über das Amtshaus, 2.000).

 

An die Bedrückung im Dreißigjährigen Krieg erinnert auch die Bezeichnung „Schwedenschanze“ bei Schadewalde.

„Sie befindet sich in der Nähe des Kreuzungspunktes der Wege von Gadegast nach Leetza und von Schadewalde nach Zallmsdorf.  In der Nähe befindet sich die Dorfmark Grube, die nachweislich schon vor dem Dreißigjährigen Kriege als wüst bezeichnet wird. Dieses Dorf lag demnach an dem Fuße des Grubenberges, während auf der andern Seite sich Moor und Sumpf ausdehnten. Verfolgt man den Weg in der Richtung auf Schadewalde, so trifft man nach kurzer Zeit an der Stelle, wo Moor und Sumpf aufhören, verschiedene Hügel von nur geringer Höhe, die man zusammen die Schwedenschanzen nennt. Ein Heimatforscher schreibt darüber: „Es liegt die Vermutung nahe, daß im dreißigjährigen Kriege irgend ein schwedischer Feldherr hier längere Zeit mit seinem Heere lagerte, und um es vor plötzlichen feindlichen Überfällen zu schützen, so sicher wie möglich anlegte. Die ganze Örtlichkeit ist dementsprechend günstig gewählt. Nach Norden und Westen war das Lager vom Sumpfe geschützt. Im Süden sind noch zwei künstlich ausgeworfene Gräben sehr gut erhalten, während im Osten die Hügel am höchsten sind und somit genug Sicherheit gewährten. Besonders hatten natürlich die anliegenden Dörfer: Schadewalde, Gadegast, Zemnick und Leetza unter den Plünderungen zu leiden.

Noch ist es bis jetzt nicht gelungen, in Urkunden und anderen Schriftstücken Andeutungen über jenes Schwedenlager zu finden, für die Richtigkeit der Annahme sprechen jedoch auch andere Schwedenschanzen, so bei Bernburg, dicht an der Saale auf den Dröberwiesen und die Schwedenschanzen zwischen den Dörfern Paupitzsch und Benndorf in der Nähe von Delitzsch, von wo aus die Stadt Delitzsch von den Schweden beschossen worden sein soll.“ („Die Schwedenschanzen bei Schadewalde“. Aus dem Schweinitzer Kreisblatt vom 1. Dezember 1912).

Ein anderer Heimatforscher sieht es so:

„Es ist aber wohl kaum anzunehmen, daß die schwedischen Kriegshorden sich abgemüht haben, hier inmitten von Sumpf Hügel aufzuwerfen und Gräben anzulegen.

Diese sogenannten Schwedenschanzen sind in der Mehrzahl vorgeschichtliche Ringwälle, alte Wendenbefestigungen, die nach ihrer Zerstörung bei der Wiedereindeutschung unserer Landschaft von den Deutschen befestigt wurden und als Signalstation dienten, um wendische Einfälle und Raubzüge den nächsten Burgwarden zu melden.

Betrachten wir uns die Lage dieser Schwedenschanzen näher, so sehen wir, daß sie im Norden und Westen von Sumpf umgeben, mithin von hier unangreifbar sind, im Osten fallen die Hügel etwas steiler ab. Besonders gut aber ist die künstliche Anlage nach Süden hin zu beobachten. Zwar breite, vormals auch sicher tiefe Doppelgräben sind ausgeworfen, die Erde wieder zu einem Wall erhöht, der wahrscheinlich noch zu Holzpallisaden verstärkt worden ist. Es wäre zu viel gesagt, die Bedeutung einer solchen kleineren Anlage mit geringer Besatzung genau zu bestimmen, zwischen welchen Burgen sie als Verbindung gedient hat. Viel hat die Annahme für sich, daß es eine Signalstation zwischen der Burg zu Zahna und der zu Seyda (Sydow) gewesen ist, deren Name mit dem Verfall verschwunden ist. Vielleicht hat er im Zusammenhange gestanden mit der jetzigen Flurbezeichnungen „die Grube“ (Befestigung „in der Grube“).

Als das Land zur Ruhe gekommen war und die Wenden vollständig unterworfen, teilweise auch von der deutschen Bevölkerung aufgesogen worden waren, wurden natürlich diese kleineren Befestigungen, die bei der Verteidigung nur minderwertige Bedeutung hatten, von der Besatzung verlassen, so daß sie unbewohnt liegen blieben. Nur lichtscheues Gesindel nistete sich wieder in Kriegszeiten ein und machte die Umgegend unsicher. Die furchtsame Bevölkerung, die in der Schreckenszeit des Dreißigjährigen Krieges, besonders in und nach dem unheilvollen Jahre 1637 unsäglich unter den Schwedenplünderungen zu leiden hatte, brachte alle entlegenen Orte, die etwas Unheimliches an sich hatten, mit den Schweden in Verbindung, und so bekam die alte Befestigungsanlage am Abhange des Grubenberges den Namen Schwedenschanzen.“ (Dr. Hey: Siedlungen in Anhalt).

 

Die Folgen des Dreißigjährigen Krieges für Seyda und die umliegenden Ortschaften waren also verheerend: viele Menschen kamen um, zahllose Kulturwerte wurden zerstört, dazu kam die Verrohung und Verelendung derer, die die Barbarei überlebt hatten. (Das Rauchen kam im Dreißigjährigen Krieg auf!).

 

Politisch hat sich Sachsen im Dreißigjährigen Krieg vergrößern können. Zunächst, im Kampf um Böhmen, stand es auf der Seite der katholischen Liga des Kaisers gegen den pfälzischen Kurfürsten calvinistischen Bekenntnisses, Friedrich V.; hielt sich im niedersächsisch-dänischen Krieg (1623-1629) abseits und wurde erst 1629 durch das Restitutionsedikt des Kaisers an die Seite des calvinistischen Kurfürsten von Brandenburg und schließlich zum Bündnis mit Schweden gedrängt. Der Grund: In dem Edikt vom März 1629 bestimmte der Kaiser Ferdinand II. die Rückgabe aller von den Protestanten seit 1552 eingezogenen geistlichen Güter.

Die kaiserlichen Truppen unter Tilly bestürmten Magdeburg, die Stadt ging in Flammen auf, 20.000 Menschen kamen in dem Inferno ums Leben: dies war das aufsehenerregendste Ereignis des gesamten Krieges. Die Nachricht darüber wurde in 300 Flugschriften und -blättern im Land verbreitet und löste Angst und Schrecken aus. Im Sommer 1631 marschierten Tillys Truppen in Sachsen ein, was zum Bündnis Sachsens mit Schweden führte. Die Schweden kamen - zunächst als Verbündete - ins Land; am 6. November 1632 fiel der Schwedenkönig Gustav Adolf in Lützen.

Doch bereits 1635 suchte Sachsen wieder einen Separatfrieden mit dem Kaiser. Er wird in Prag geschlossen und hat zur Folge, dass das alte Erzstift Magdeburg aufgeteilt wird. So kommt zum Beispiel das Amt Jüterbog zu Sachsen.

„Der politische Kurs Kursachsens war weniger an religionspolitischen oder bekenntnistheologischen Loyalitäten, als am Reich und dem dessen Einheit verbürgenden Augsburger Religionsfrieden orientiert.“ (Kaufmann, Thomas: Dreißigjähriger Krieg und Westfälischer Friede, 24f. Der Augsburgische Relgionsfrieden wurde 1555 geschlossen und besagte, dass der oberste Landesherr die Konfession der Einwohner eines Landes bestimmt. Damit war es im Reich offiziell möglich, „lutherisch“ zu sein.).

Sachsen ist also ein Beispiel dafür, dass der Dreißigjährige Krieg nicht vorrangig ein „Religionskrieg“ war, wie man aus den wechselnden Koalitionen ablesen kann. Es ging um Macht und Herrschaft, und für die Söldner wohl oft nur noch ums Überleben und ums Plündern.

 

Was wurde auf der Kanzel in Seyda in dieser Zeit gepredigt? Gewiß waren patriotische Klänge dabei, aber es „erscholl auch der dumpfe Donnerhall lutherischer Bußredigt, der eigentliche Grundton, auf den die theologische Umgangsweise mit der geschichtlichen Erfahrungsvielfalt gestimmt war und im wesentlichen auch gestimmt blieb“ (wie man ja schon bei der Deutung des Stadtbrandes in Seyda 1605 erkennen konnte; Kaufmann, 67). „Gebet und Buße ... erschienen als angemessene Umgangsweisen mit dem als nahe bevorstehend geglaubten Weltende.“ (Kaufmann, 70). Auch solche Predigten gab es: „So weiß man ja wol / das D. Luther seliger den Confessoribus primis niemals zum Krieg rathen hat wollen. Mich wundert das sich etliche Theologen und Feldprediger haben lassen so bald abwenden vom Evangelio Jesu Christi / welches ja ein Evangelium des friedens ist...“ (Trewhertzige BußPosaune, in: Kaufmann, 74). „Eine Deutungsperspektive, die den Anteil der konfessionellen Religion lediglich auf der Seite der kriegsfördernden Momente verbucht, den Frieden hingegen als Emanzipation der politischen Vernunft gegen die Logik des Konfessionellen wertet, simplifiziert die Sachlage und unterschätzt die insbesondere im Luthertum im Horizont der Fundamentaldistinktion von Gesetz und Evangelium ausgebildete Fähigkeit, zwischen Politik und Religion zu unterscheiden.“ (Kaufmann,  77).

Im Seydaer Pfarrhaus wird es Hausandachten gegeben haben, etwa wie die hier beschriebene: „In meinem Hause lasse ich alle Tage etlich mal Weib / Kind / uund Gesind / mit unnd neben mir / zum Beschluß deß Geistreichen Gesanges / Erhalt uns Herr bey deinem Wort / unnd stewr des Papsts unnd Türcken Mord / also laut und deutlich beten: Gib unserm Keyer / Churfürsten / unnd aller Obrigkeit / fried und gut Regiment / daß wir unter Ihnen / ein geruhiges und stilles Leben führen mögen / in aller Gottseligkeit und Erbarkeit / Amen.“ (Hoe, Leipziger Schluß-Predigt; In: Kaufmann, 52). Den in dieser Zeit wohl besonders beliebten Lutherchoral kann man in veränderter Fassung in unserem Gesangbuch unter der Nr. 193 nachlesen.

 

Der Dreißigjährige Krieg wandelte auch das Pfarrerbild. „Der Pfarrer hört jetzt auf, einseitig nur der Zuchtmeister seiner Gemeinde zu sein; er lernt es unter den Nöten des Krieges allmählich, auch ihr Helfer, Berater, Tröster und Freund zu werden. Der Seelsorger rückt langsam in den Vordergrund.“ (Drews, Paul: Der evangelische Geistliche in der deutschen Vergangenheit, Jena 1905, Seite 72; In: Kaufmann, 102). Ein bekannter Religionsphilosoph, Ernst Troeltsch, stellt fest: „Die Nöte des Dreißigjährigen Krieges brachten dann eine Vertiefung der seelsorgerlichen Aufgaben und Gesinnungen, und der geistliche Stand erwies sich hier im ganzen als das Rückgrat der ganzen lutherischen Kultur.“ (Troeltsch, Ernst: Protestantisches Christentum und Kirche in der Neuzeit. In: Paul Hinneberg (Hg.), Die Kultur der Gegenwart I, Abt. IV, 1: Geschichte der christlichen Religion, Berlin und Leipzig, 2. Auflage 1909, 450.) Das zu ermöglichen, dazu trug auch der um 1600 weitgehend abgeschlossene Akademisierungsprozeß der evangelischen Geistlichkeit bei: Pfarrer konnte man nun nur nach einem ausführlichen, gründlichen Studium der Theologie werden. (vgl. Kaufmann 103).

„Daß Kirchen, Pfarrhäuser und Grabstätten als die ersten Ziele soldatischer Übergriffe angesehen wurden, kann im allgemeinen als sicher gelten.“ (Kaufmann 105).

 

Die lutherische Frömmigkeit wurde in der Praxis vielfach durch das Lied ausgedrückt, und dieses wandelt sich in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges. Neuartige Motive werden dominant, zum Beispiel das Motiv des sich Ergebens in den Willen Gottes, des Gottvertrauens und des Vorsehungsglaubens, auch des Vanitas-Motivs. Die persönliche Leiderfahrung wird mit der Passion Christi in Verbindung gebracht, das Bedürfnis nach persönlichem Trost, nach Erbauung und Bewältigung des Erlebten ist spürbar. („vanitas“ lat. Vergänglichkeit; vgl. Kaufmann, 101).

Ein Lied aus reformatorischer Zeit „Wenn wir in höchsten Nöten sein“ soll die Herzen schwedischer Offiziere mehrfach erweicht und sie zur Ermäßigung ihrer Geldforderungen oder zum Einstellen der Kampfhandlungen veranlaßt haben. (Clemen, Otto: Volksfrömmigkeit im Dreißigjährigen Krieg, Leipzig 1939, Seite 14; In: Kaufmann, 102.; in unserem Gesangbuch Nr. 366.)

 

Ein Zeitgenosse des Dreißigjährigen Krieges war Paul Gerhardt. Viele bekannte Lieder von ihm stehen noch heute in unserem Gesangbuch: „Befiehl Du Deine Wege“, „O Haupt voll Blut und Wunden“, „Die güldne Sonne“, „Geh aus, mein Herz, und suche Freud“. Er wurde in Gräfenhainichen geboren, war lange Zeit als Hauslehrer in Wittenberg und später Pfarrer in Berlin und in Lübben. Seine Lieder berichten vielfach davon, wie großes menschliches Leid, was er auch persönlich erlebt hat, vor Gott gebracht und bei ihm Trost gesucht und gefunden wurde. Sie wurden recht getragen gesungen, oftmals entsprach der Grundschlag mehr als einer Sekunde!

 

„Ich bin ein Gast auf Erden und hab hier keinen Stand.

Der Himmel soll mir werden, da ist mein Vaterland.

Hier reis ich bis zum Grabe; dort in der ewgen Ruh

ist Gottes Gnadengabe, die schließt all Arbeit zu.

 

Was ist mein ganzes Wesen von meiner Jugend an

als Müh und Not gewesen? Solang ich denken kann,

hab ich so manchen Morgen, so manche liebe Nacht

mit Kummer und mit Sorgen des Herzens zugebracht.

 

Die Herberg ist zu böse, der Trübsal ist zu viel.

Ach komm, mein Gott, und löse mein Herz, wenn dein Herz will;

komm, mach ein seligs Ende an meiner Wanderschaft, und was mich kränkt, das wende durch deinen Arm und Kraft.

 

Du aber, meine Freude, du meines Lebens Licht,

du ziehst mich, wenn ich scheide, hin vor dein Angesicht

ins Haus der ewgen Wonne, da ich stets freudenvoll

gleich wie die helle Sonne mit andern leuchten soll.

 

Da will ich immer wohnen - und nicht nur als ein Gast -

bei denen, die mit Kronen du ausgeschmücket hast.

Da will ich herrlich singen von deinem großen Tun

und frei von schnöden Dingen in meinem Erbteil ruhn.“

 

Das auch heute recht bekannte und beliebte Lied „Nun danket alle Gott“ (Evangelisches Gesangbuch Nr. 321) wurde der große Dankchoral für den Friedensschluß 1648. Martin Rinckart, Pfarrer („Archidiakonus“) in Eilenburg, der den Krieg miterleben mußte, hat ihn geschrieben. (Evangelisches Gesangbuch Nr. 957, Rinckart. Strophe 2:).

 

Der ewigreiche Gott / woll uns bei unserm Leben /

ein immer fröhlich Herz /und edlen Frieden geben /

und uns in seiner Gnad / erhalten fort und fort /

und uns aus aller Not / erlösen hier und dort.

 

Von den Aufräumarbeiten nach dem Dreißigjährigen Krieg berichtet das Kirchenarchiv auch, zum Beispiel vom Damm- und Grabenbau:

 „Ambtts Seyda Acta

Die Aufräumung der Feldtwaßergraben und Thämme alß Wege Beßerung belangende

Anno 1639“

darin: Aufräumung Wassergräben 1639 - 1695; - darin Amtsschreiben vom 2. August 1639:

Ein Stück Damm müssen die Bürger in Ordnung halten bei den großen Vorwerkswiesen, 120 Schritt lang, damit sie selbst und die Reisenden ohne Plagen durchkommen können:

"... welcher aber bey izigen Kriegsanvörungen dermaßen eingangen, und durchtrieben, das fast darüber sonderlichen mit geladenen Wagen zu fahren unmögliche, habe vorige Wochen was Heue von den Forwergswiesen vor die noch vorhandenen Schoffe einbringen laßen Wollen, aber Weile sonst Kein weg umbhin, in ein tage 4 fuder uf bemelten bösen thamb ausgeworffen, und da durch alles Wagengeschirr Zerbrochen und Verderbet Worden, das ich das mit alle mühe und im Kasten uf gemachte heue uf den Wiesen eins theils habe liegen und Verderben laßen müßen, Habe zwar zu unterschiedenen mahlen bey den noch Vorhandenen Einwohnern angehalten, das sie angeführten Thamb soviel müglichen in beßerung bringen und größer schaden dadurch verhütet bleiben möchte, inbetracht , Sie ..., da sie nur den Schutt von den Brand städten darauf brachten...."

Einige Leute kamen, aber sind dann weggeblieben, weil der größte Teil der Bürger nicht kam, um den Weg zu reparieren. Es wird den "wiedersetzigen" eine Strafe von 5 bzw. 10 Thalern angedroht.

„Dämme und Wege zu bessern“, darum geht es auch am 20. Oktober 1653: 13 Gemeinden sind aufgezählt, wieviel Schritt von ihnen zu bessern und wieviel Personen gestellt werden müssen; danach sind die Bürger jeder Gemeinde aufgeführt, die zum Dienst verpflichtet sind. Das ist auch deshalb interessant, weil die Auflistung nach dem Dreißigjährigen Kriege erfolgte und die Kirchenbuchführung  für Seyda, Mellnitz, Morxdorf, Schadewalde und Lüttchenseyda erst 1709 beginnt:

„Ambts Seyda 20 October 1653

Vorzeichnüß

Der Unterthanen, So den Morekischen ? Thamb zubeßern schuldig sein Wirden

    Seyda

Peter Dannebergk ?, Rudolph Krenzendorff, Peter Matthies, Hans Eichelbaum, Hans Hoffmann, Andres Schmidt, Hans Lisch, Christoph Bödichen, Joachim Rennert, Michael Lehmann, Bastin Weilandt, M Matthaus Krumann ?, Melchior Kirsten, Christoph Eichelbaum, Maj. Bernhardt Winzer, Joachim Von Arnsdorff,

      Cossatens

Wilhelm Berlien, Egilius Lehmann, Peter Loche, Christoph Henning, Lorenz Liebe, Georg Lehman, Jacob Naumann, Paul Prieskers Witwe, Hans Flemig, Hans Rummert ?, Hans Lehmann,

Hans Bresthnurm ?, Georg Schulzen Witwe, Martin Krüger, Christoph Röhrich, Grase ? Brandt, Anton Vogel, Georg Horning, Georg Beller, Andres Moritz, Christoph Peisker,

    Seyda

Joachim Schlüter, Peter Fischer, Andres Lehmann, Hans Schultze, Martin Ziehmann, Hans Lisch ?, Hans Pürisch ?, Christoph Ruese, Peter Richter          40 Leute / 220 Schritt

    Gadagast

der Richter, Georg Michel, Andres Clemen, Christoph Danneberg, Martin Löser, Hans Cunze, Martin Flemig, Hans Dannebergk/   Halbhüfner

    Coßaten

Georg Flemig, Philip Peißker, Georg Löser, Andres Tiepenau, Curt Rettich, Peter Clemen, Stephan Schlüter, Martin Pfuell ?, Martin Matthies      17 Leute / 85 Schritt

    Melniz

der Richter

    Cossat

Hans Voigt

    Zemnigk

der Richter, Jacob Wägner, Hans Kelner, Andreas Ruese ?, Georg Grempel, Valtin Thiele,

    Cossate

 Valtin Richter

    Lütgenseyda

der Richter, Barthol Richter

    Schadawalda

Georg Schade

    Cossat

Georg Fuhrmann“

 

Auch dem Kurfürsten wird vom Amtmann Bericht erstattet: ein Schreiben vom 15. Oktober 1655:

„Churfürst. Durchl. sollen wir unterthänigst nicht verhalten, wie das bey hiesigen Städtlein Seyda und denen angelegenen Dörffern, die feldtwaßergraben, in dem solche, Zeit lang geweseter Kriegsunsicherheit, nicht geraumet werden können, dermaßen mit Schilff und Holze bewachsen, das sie fast gänzlich verschlammet und eingegangen, dahero, das bey bißherigen, naßen iahren, sonderlich aber der iüngsten großen waßerfluth und iziger näße zu lauffende gewäßer ganz keinen abfall hat, sondern uff die felder und wießen austritt, das getreydicht und graß ersäuffet, und allenthalben großen schaden Verursachet, wie denn vom E. Churf. Forwergsäckern, eine feldtart meistentheils Verderbet ist, das sie nicht wohl zur helffte mehr gepflüget und beseet werden kan, ingleichen auch die forwergswiesen also mit waßer angelauffen, das das gemeihete graß anders wohin geführet und getrocknet werden muß; In maßen ich der Inspector unlängst solches alles mit angesehen und bey so gestalten sachen zu befürchten, es möchte solch verschlammetes Heue  e. Churf. Durchl. Vorwergs wiese nicht allerdings zuträglich sein, und ob man gleich obberührte Feldtwaßer graben durch hiesiges Ambtts einige unterthanen, dieser orten zu räumen einen anfang machen wolte, So würde doch unsers wenigen erachtens, solche arbeit Vergablich sein, Irofern nicht dieselbe von unten herauff, als bey dem dorff Lüsterförda/: Welches Hartmann Ludwigen von Wizleben zu Warttenburgk gehöret:/ alwosonsten daß waßer seinen ablauff in den Elsterstrom genommen, ingleichen förder durch des dorrfs Gentda Felder und wiesen. so izo Bernhardt Ludolph von Camen zu Clöden zuständig, für allen dingen, auch Vor die Fandt genommen werden solte, Wann denn gnedigster Churfürst und Herr E. Churf. Durchl. diese beschaffenheit unterthenigst zu hinterbringen, Wie unserer pflichtschuldigkeit erachtet. Als sollen zu dero selben gnädigsten gefallen, ob sie izt gedechten, beeden von Adell in gnaden befehlen wollen, daß Sie mehr besagen Waßergraben durch ihr territorium Lüsterförda und Gendta, gegen künfftigen Frühling/ Geliebts Gott/ in Zeiten/ beständiger weise reumen lassen sollen, damit mann förder in hiesigem Ambtt ungehindert nachfolgen und fernerer schade, an E. Churf. Durchl. Forwergs Äckern und Wiesen verhütet werden möge. Was nun E. Churf. Durchl. Uns hirinnengnädigst anbefahlen werden, denen erstatten Wir in allen unterthenigste und möglichste folge, Sintemahl deroselben wir uns zu gehorsambsten treuen diensten pflichtschuldigst erkennen.

Datum Seyda am 15. Octobris Anno 1655

E. Churf. Durchl.

unterthenigste und

pflichtschuldigste

                diener

                                             Unterschrift

                                             Johannes ...

                                             M Kirsten

 

Einige Verpflichtete weigern sich, die Auflagen zu erfüllen, so im Schreiben vom 22. Juni 1656. Die Witwe Winzer beschwert sich beim Amtsschösser, dass sie nicht wie eine Adlige, sondern wie eine aus dem gemeinen Volk vom Landsknecht behandelt ("tractiret") wurde. Sie hatte auch die Dienste verweigert.

Die es aber gemacht haben, werden auch gemeldet:

„An Amtsschösser zu Seyda gerichtete Mitteilung

 Ambtts Seyda

unterthanen

haben die bereumung des waßer grabens an großer wiesen den 6. & 30. Juli Anno 1656 auß bracht  Alß:

                 Seyda

Christoph Eichelbaum, Martin Köhke, Wilhelm Berlien, Egidius Lehmann, Peter Loche, Christoph Hennig, Lorenz Liebe, Sebastian Weiland, Rudolph Kerzendorff, Jacob Naumann, Peter Matthies, Georg Schneider, Hans Flemig, Hans Eichelbaum, Hans Hoffmann, Joachim Von Arnsdorff, Andres Schmidichen, Hans Liepsch, Hans Rummert ?, Hans Brethausers witwe, Georg Schulzen witwe, Christoph Schleusing, Michael Thielo, Christoph Gödichen, Joachim Rennert, Michael Lehmann, Brose Brandt, Christoph Rörich, Anthon Vogell, Michael Kunze, Adam Böhme, Georg Hornig, Georg Beller, Andreas Moritz, Christoph Peiscker

Joachim Schlüter, Peter Fischer, Andres Lehmann, H. M. Matthaeus Naumann, Hr.: Majour Winzer, Hans Schulze, Martin Zeihmann, Hans Liesch, Hans Jurisch, Christoph Knese, Christian Richter, Hans Kerzendorff, H. Melchior Kirsten,                

                    Gadagast

Andres Clemen, Georg Flemig, Hans Dannebergk, Philipp Peiscker, Christoph Dannebergk, Georg Löser, Andreas Thiepenau, Stephan Schlüter, Martin Pfuel, Martin Matthies, Hans Cunze, Stephan Müller, Georg Michel, Hans Matthies,

         Melniz

Hans Voigt

         Schadawalda

Georg Fuhrmann, Georg Schade, der Richter

       Zemnigk

Jacob Wägner, Hans Kellner, Valtin Richter Witwe, Andres Knese, Georg Grempels Witwe, Hans Eule, Christoph Elling,

       Lütgenseyda

Barthol Richter, Georg Lehmann, Georg Henze“

(Seydaer Kirchenarchiv, Findbuch Nr. 221).

 

Vom Amt gab es nicht nur Hilfe und Unterstützung, sondern eben insbesondere viele Auflagen und auch Strafen. So steht in einem Schreiben vom 3. Juni 1680 aus Dresden - Johann Georg der Andere, Herzog zu Sachsen, Jülich, Cleve und Berge, Churfürst - an den Amtmann in Seyda: Die Untertanen, die verbotene Brücken über die Gräben gebaut haben und Vieh in die Gräben getrieben haben, sollen besonders dazu angehalten werden, Frondienste zu tun.

 

Allgemein interessant ist vielleicht auch der Briefwechsel des Matthias Reimann mit dem Amt um eine Brauberechtigung in den Jahren 1648 und 1649:

„Gottes Gnade und alle wolfart ...!

Ehrenweh... großgünstiger Herr Gevatter, demselben ist wißend welcher maßig die brauer alhier, ohnangesehen die braugerechtigkeit in dem mir eingehändigten Kauffbriefe klar Verfaßet, mich nicht annehmen wollen, Ob inz zwar ich verschienen  Sommer über eines andern beginnens von ihnen gehoffet, So bleibet es doch noch bei der widersetzigkeit, in daher Sie bey Ansehung des neuen brauens und losung, mich nicht allein ausgesetzet, also daß männiglich mir vorgebr.... sondern auch da ich jetzo fast fertig und diese nacht nach Zahna fahren und morgen will es Gott, unterlegen werde, unterstehet sich Hans Eichelbaum und Kertzendorff mich vorsetzlich zu hindern, alß welche gegen abend oder morgens früh im brauhauß begießen wollen, und dahero mich ferner weit zu schimpfieren beliebung tragen, ... aber ich solche plantereyen gantz überdrüßig, auch gäntzlich entschlossen, So der herr Gevatter mich bey der gerechtigkeit in dem Kauffbriefe verfaßet, nicht schützen könnte, daß ich solche plankereyen fort für fort müßte unterworffen bleiben, wenn die versprochen Zins gelder Zulagen, noch sonsten beym Hause zu bleiben,sondern vielmehr selbiges, so ich das wenn ich albereit darein verbauet, und aufgewendet, wiederum erstattet bekomme, ..., da im gegentheil, wenn ich bey dem Kauffbriefe schutz habe ich erbürtig, nicht allein die Zinßen zu rechter Zeit meinem Versprechen nach zur legen, sondern auch wills Gott, die gantze kaufsumme abzutragen. denn mich solcher kauff noch neimals gereuet, allhier ist auch billich, daß ich vor widersetzlichkeit und Verhinderung bey meinem Kauffbrief ...lich geschütze werde. Alß ist hierauf mein fleißiges bitten, der Herr Gevatter wolle meine notturft behertzigen, und großmüthig geruhen, mich nicht allein wider jetziges Vornehmen der obenbenannten beeden personen, sondern auch nur gemein wider alle beiden zu schützen, wie ich dem zugleich umb ein nochmahligen Vorbescheid eines billichen Vertrages halber inständig ansuchung thun wollen, hiernach dem Herrn Gefatter die sittliche obacht empfohlen.

Datum Seyda 12. Oktober 1648

Dem H. Gevatter

gebothen und ...

M. Matth. Reimann“

 

Antwortschreiben vom 13. Oktober 1648

 „den 13. Oktober 1648

den brau... bey Vermeidung Wülkürlicher bestraffung euferleget den Superintendenten billich versichern abtrag in gemeinem brau hauße zum brauen einzunehmen und inhalts Churf. Sächs. Vorebung darran nicht zu hindern, oder sie gewiß in schwerer Verantwortung als Straffe gerathen würden, hat abermalen keine güte helffen wollen, besonderen Vorgebens das brau hauß sei ihre, wolten sehen wenn ihnen eini... darein thun solte, Alß hat den Superintendenten wiedermals zum ... die Ampts hülfe ertheilet werden müßen.

Actum its:

Ambtt Seyda“ (Seydaer Kirchenarchiv, Findbuch Nr. 1033).

 

Für das Jahr 1662 wird eine Kirchenrenovierung berichtet: Eine schön gemalte Decke kommt in die Kirche, von der „Glorwürdigesten Churfürstin und in Gott ruhenden Frau Hedwig mit dem Königl(ich) Dähn(ischen) Wap(p)en verfertigt“. So haben die Seydaer also nicht nur über Jahrhunderte die Witwen der Kurfürsten auf der Lichtenburg versorgt, sondern auch bisweilen etwas Gutes von ihnen gehabt. Auch die Kirche in Gentha wurde auf Geheiß der Kurfürstin  Hedwig gebaut. (Superintendent Gormann im ältesten Kirchenbuch, HG 9/1926).

 

Nach fast einhundert Jahren können endlich auch wieder neue Meßgewänder gekauft werden, 1671, nämlich eine grüne Samtkasel mit einem Perlenkreuz. Eine Albe ist neu gestickt worden. Der Amtmann beantragt 1671, dass die wertvollen Perlen auf der alten Kasel verkauft und für den Erlös eine neue Kasel beschafft werde. (HG).

 

Über die Lebens- und Denkart der Menschen am Ende des 17. Jahrhunderts, auch über die Predigten, gibt der Bericht über ein astronomisches Ereignis im Jahre 1680 Auskunft:

„Im Jahre 1680 wurde ganz Deutschland durch das völlig unvermutete Erscheinen eines gewaltigen Kometen erschreckt, wie einen solchen noch niemand gesehen; und als man glaubte, er sei verschwunden, trat er nach wenigen Nebeltagen mit noch größerer Helligkeit hervor; sein Schweif erfüllte ein Drittel des ganzen Horizontes.

In vielen Orten läutete man Sturm, weil man im Nebel ein großes Feuer vermutet hatte, bis sich das erhöhte Wiederaufleuchten des Sternes herausstellte. Es sind nun eine ganze Reihe Predigten und Gutachten über die Bedeutung dieses Kometen vorhanden. Sie enthalten im Einzelnen manches Wunderliche. Nach der Richtung, die er genommen, nach den Ländern, über denen er gestanden, nach den Sternbildern, die er durchlaufen, werden Vermutungen über allerlei Möglichkeiten der nächsten Zukunft ausgesprochen.

Indes diese sämtliche Ausführungen werden nur als ein sehr ungewisses Vielleicht gegeben, der Grundton aller Predigten und Gutachten ist dagegen erfreulicherweise der: Ja, der Stern kann all das Unheil bedeuten, was das Volk davon fürchtet, wer aber Gott fürchtet, der wird doch nicht verlassen werden; und je mehr das Volk überzeugt ist, daß dieser Stern Unglück bedeute, um so mehr sollt man fragen, wofür uns wohl ein solch Unglück mit Recht treffen würde, und sollte da die bessernde Hand anlegen, so würde Gott auch gnädig dreinsehen. So heißt es z.B. in einer Predigt: Die Sterne wirken vielleicht auf Krankheiten, Wachstum und ähnliche natürliche Dinge, aber die Sterne wirken gewiß nicht auf diejenigen Dinge, in denen ein jeder selbst seines Glückes Schmied ist und selbst seine Schuld zu verantworten hat.

Wenn man daher fragt, was der neue Stern bedeute, so ist´s für einen Christen am schwersten, er hält sich an den alten Stern, der den Weisen aus dem Morgenlande geleuchtet hat. Die ließen sich durch den Stern leiten, daß sie kamen, Jesu anzubeten, und so sollen wir uns durch dies neue Naturereignis leiten lassen, daß wir Gott desto besser suchen und ehren, so wird es uns auch nichts Böses bedeuten.“

(HK 5/1997, 7, aus: Heimatbote von 1927).

 

Selbstverständlich in diesen Zeiten war das Schulgebet, mit der Bibel wurde lesen gelernt, und man lernte den Kleinen Katechismus auswendig, dazu viele Lieder und Sprüche. So hat der christliche Glaube das Leben und Denken unserer Vorfahren geprägt, von der Wiege bis zur Bahre wurden sie von der Kirche begleitet. Nach und nach kam das städtische und auch das kirchliche Leben wieder in Gang, aber das Trauma des Großen Krieges blieb noch lange im Bewußtsein. So kann man im Pfarrarchiv über die kirchliche Betreuung der zugehörigen Dörfer lesen:

„... die beyden Dörffer Mellniz und Morxdorff, welche nebst denen nacher Seyda gehörigen Filial- Kirchen im Schwedischen Kriegswesen totaliter eingeäschert worden, so viel der Einwohner Güter betrifft nach und nach wieder angebauet die Kirche an beyden Orten aber noch wüste und nur die bloßen alten Mauern noch vorhanden seynd. Welche beyde Kirchen vorm Kriege dergestalt versorget worden, daß der damalige Diaconus alhier zu Seyda, Sontags frühe wechsels weise zu Mellniz und Morxdorff predigen, umb 8. Uhr wieder zu Seyda seyn und das Ambt Beten zu Mittage der Diacony und Cantor sich theilen, auf die andern beyden Dörfer, wie es die Ordnung gegeben, gehen der Diacony auf einen Dorffe eine predigt thun auf den andern Dorffe aber Cantor den Catechismum beten, weill aber die beyden Dorffer Littichen Seyda und Schadewalde keine eigene Kirchen haben, müßen sie sich alles Pfarr Rechts zu Seyda in der Pfarr Kirchen erholen, und sind diese 4 Dörfer den Winter über also besucht worden, des Donnerstages der Diacony, entweder zu Melniz oder Morxdorff wechsels weise Vormittage prediget nach Mittage aber entweder in Littichen Seyda oder Schadewalde, wie es die Ordnung bringet, wo ferne nun Melniz in 8. Hüfner und 1. Cosseten und Morxdorff in 6. Hüfnern und 1. Häußler bestehend so vermögent daß sie wie jene Vorhaben die Kirche wieder anrichten könten, auch der Gottesdienst so bald ein Diacony ernennt und des Diacony Wohnung erbauet were.

Substitut wird Ch. M. Lossy

Amtmann derzeit ist Johann Christoph Trebiz

Superintendent ist Andreas Gormann“

 

Zum Gemeindeleben gehörte es, dass Sonntagvormittag über das Evangelium gepredigt wurde, nachmittags über den Katechismus (die Glaubenslehre), also am Sonntag zweimal Gottesdienst gefeiert wurde. In der Woche gab es ein bis zwei Wochengottesdienste, ebenfalls mit Katechismuspredigten (zum Beispiel über die Zehn Gebote). „Man stand zeitiger auf und saß nicht so lange in die Nacht hinein. Infolgedessen begannen die Gottesdienste auch wesentlich früher. So wurde z.B. in Wittenberg 1609 für den Morgengottesdienst im Sommer in der Pfarrkirche die Zeit von 5-6 festgesetzt... Im Winter fing man ½ Stunde später an.“

Die Predigten dauerten im 17. Jahrhundert eine bis 2 ½ Stunden. Nicht nur über Glaubensdinge wurde da gesprochen, sondern es war die Informationsveranstaltung der Woche, in der man je nach Gabe des Predigers alles auch über Politik, Kultur, Medizin und Wirtschaft erfahren konnte.

Die Taufen fanden nach einer Verfügung aus dem Jahre 1624 nicht später als zwei Tage nach der Geburt statt, um bei der hohen Kindersterblichkeit jedem Kind das Geschenk des ewigen Lebens zuteilwerden zu lassen.

Das Abendmahl wurde in dieser Zeit noch in der Regel an jedem Sonntag gefeiert, aber teilnehmen durfte nur, wer am Nachmittag vorher zu Beichte und Absolution (Lossprechung) gekommen war.

Zur Trauung hatten die Brautleute vor der Kirchtür zunächst ein (kurzes) katechetisches Examen abzulegen, bevor drinnen die Feier begann.

Bei einer Beerdigung ging der Trauerzug bei Glockengeläut und dem Gesang der Schulkinder vom Trauerhaus durch den Ort zum Friedhof. Es gab verschiedene Arten der Beerdigung, die sich auch nach Geldbeutel richteten: Standrede, Leichenpredigt mit Abdankung oder einfach Abdankung mit Segen. (Zeitschrift für Kirchengeschichte 1939, 24-29).

 

Im Jahre 1697 zählte die Stadt 70 Häuser, davon waren 67 bewohnt, drei unbewohnt, und 300 Einwohner waren hier zuhause. (HG 4/1914).

Doch kaum hatte man sich von den Folgen des Krieges erholt, kam die nächste schwere Katastrophe: Der große Stadtbrand im Jahre 1708. Durch den Schuß eines Jägers entzündete sich ein Strohdach, und das Feuer konnte sich blitzschnell ausbreiten, da die Menschen auf den Feldern bei der Ernte waren. Viele Häuser und auch die Kirche brannten nieder. In drei bis vier Stunden lagen 22 Häuser in Schutt und Asche, ein Drittel der Stadt war zerstört, auch die gerade neuerbaute Diakonats- und Schulwohnung (Letztere wird oben bei Gormann als notwendig zu bauen erwähnt; Heimatbuch 52).

 

Einen ausführlichen Bericht über den Brand bringt das älteste Seydaer Kirchenbuch auf seinen ersten Seiten. Superintendent Gormann schreibt die Ereignisse am 13. September 1712 für die Turmkugel nieder:

„Im Namen des dreieinigen Gottes, des Vaters, Sohnes und Heiligen Geistes: Der Posterität (den Nachkommen) zur dienlichen Nachricht.

Anno Eintausend Siebenhundert und Acht am 28sten Tage des Monates Augusti gab Theodorus Eberwein, ein Jagdpürschgen, Herrn Theodori Eberweins Oberforst und Wildmeisters der Ämbter Annaburg, Seyda und Schlieben Sohn in des Georg Eichelbaums Bürgers und Schneiders gegen Morgen liegendes Häuschen nach einer Schwalbe ein Büchsen-Schuß und weil derselbe in ein lochfüllendes Strohbund verfiel, entstand dadurch schnell eine Flamme, welche, sintemal in solchem Hause Niemand einheimisch, dabei große Hitze war, fraß Feuer schnell wütend umb sich, nahm die herumstehenden Häuser...

und noch nicht ausgebauten Diaconat- und Schulwohnung weg, ging fort und legete das schöne Brauhaus samt den übrigen Häusern der Nöthischen Witwe und Ambtsrichters Herrn Christoph Eichelbaums in Flammen; da man nun m einte, es möge dabei bleiben, hat die Glut ein Brod oder wie andere meinen ein Stück Speck aus solchem Feuer genommen, über die Schule, Kirche, Superintendentur und Scheuer des Bergs ins Landknechts Haus geführt, angezündet, die benachbarten Häuser niedergelegt, dann einige Fünklein auf die Superintendentur hineingefallen, dergleichen auf die Ställe gegen Morgen und Abend gelegenes und  weil solches Strohdächer, alles war dürr und keine Seele ohne mein armes Weib vorhanden war, ging alles auch nebest Herrn Melchior Buxbaums Häuser, Scheune und Ställe in Feuer au f, daß innerhalb drei Stunden vor Mittag nebst 22 der bürgerlichen auch meine Wohnung samt der ganzen nicht numerierten, doch viel seltener Bücher 46 Jahrgänge meiner Predigten, Vocationes, Kaufbriefe und das ganze Kirchen-Archiv, alle Mobilien, welche in so vielen Jahren angeschaffen, Silber, Gold und Ketten, die Scheunen voll Getreid, weil wir mit den Falmmen umbzingelt waren, um das Leben zu retten, durch das bereits brennende Kirchtor ich und meine Frau, drei Töchter hatten sich retiriert, von Herrn Oberförster Nefe und Herrn Pfarrer von Gadegast Jungnickel geführt worden durch die Flammen verzehrt.

Das liebe Gotteshaus hielt sich am längsten und weil keine menschlich Hand zu Hilfe kam und von der Hitze die obersten Säulchen der kleinen Haube anfingen zu glimmen, auch durch das auswendig an der Kirchmauer gegen Mittag angebaute Kirstensche Begräbnis die Flammen zum Fenster eingedrungen, ist endlich derselbe mit allem Ornat, schöner Orgel dazu..., zusammenstimmenden Glocken mit der Seynes Schälle angegangen, insamt unfallen und grund aus alles anbrennen;

auswendig hat es keine Flammen berührt, sogar, daß von denen ringsherum stehenden Monumenten der Gräber nichts verzehrt worden.

Das Ambtshaus weil abgelegen alleinigstehn geblieben daher alle Häuser und Gemächer angefüllt waren...

aber meine arme Kirche und Ich wurden von solchem Unglück verlaßen, ohne daß mich und die Meinigen mein liebe Tochter Frau Elisabeth Nefe kindlich aufnahmen, ich aber durch den horrenden Winter mein Ambt zu verrichten auf die...

ausführen zu lassen, mußte viel erdulden und mein Gesundheit in die Schanze schlagen.

Nachdem nun besagtermaßen auch die Kirche in der Asche lag, ist dieselbe nach des großen Gottes Gnade und eingebrachten Almosen auch Besserung der sämtlichen Kirchenfahrth am 7. July anno 1710 wiederaufgerichtet und am ersten Adventssonntag ann0 1711 in Gottes Namen wieder bezogen und eingeweiht worden.

Im selben Jahr im September wurde der Turm aufgerichtet und anno 1712 im September der Knopf aufgesetzt und dieses Memoriale hineingetan worden.“

 

Die halbe Stadt und die Kirche abgebrannt! Wie konnte Gott das zulassen? Diese Frage beschäftigte nicht nur den Pfarrer. Er schrieb dazu im Kirchenbuch, aber vorsichtig - auf Lateinisch, denn er sah in dem Brand eine Strafe Gottes für die Gottlosigkeit und den sittlichen Verfall in Seyda.

 „Venit hora ruina Ecclesia Magdeburgensis Seydensis ac profecto cum inventi fragore simul cum religeris adificiis S. collapsa est; Iustus est Dominus, & rectum iudicium ejus. Cricaureos mores, incredibiles blasphemias, virulentissima mendacia, superbam hypocrysia Magdeburgensiam Seydenisu. satis diu cum magna patientia tulit Deus. Nunc ei placuit sacrilegum larvam pietatis ipsis detrahere, et turpitudinem hactenus velatam proferre. Und solches that Gott an unß anno 1708, den 28. August von 11 Uhr Vorm(ittags) bis gegen zwei Uhr Nachm(ittags)...“

 

Übersetzung:

„Die Stunde des Unglücks kam über die im Magdeburger Bereich liegende Kirche in Seyda! Gleichzeitig mit dem innerlichen Zerfall ist auch das heilige Gebäude in Seyda eingestürzt. Gerecht ist der Herr, und gerecht ist sein Gericht. Unsittlicher Lebenswandel, unglaubliche Gotteslästerungen, giftigste Täuschungen, höchste Heuchelei hat Gott in Seyda lange genug mit großer Geduld ertragen. Jetzt aber hat er

beschlossen, dem Frevel die Maske der Frömmigkeit zu entreißen und diese Schlechtigkeit aufzudecken. Und solches that Gott an unß anno 1708, den 28. August von 11 Uhr Vorm(ittags) bis gegen zwei Uhr Nachm(ittags)...“

Pastor Heinecke, der große Heimatfreund zu Beginn des 20. Jahrhunderts, vermutet dahinter ein Zitat, das sich auf die Zerstörung und den Brand Magdeburgs unter Tilly am 10. Mai 1630 bezieht, hier aber auf den Brand von Seyda angewendet wird. (HG 9/1926).

 

Die Kirchengemeinde mußte mit ihren Gottesdiensten, auch mit Taufen und Hochzeiten, in die Kapelle des Amtshauses ausweichen. Zeitweise feierte man auch in der Kirche in Gadegast oder „in Stuben“. So ging es drei Jahre lang.

Solche schlimmen Brände waren freilich nicht selten. 1719 gab es zum Beispiel einen großen Brand in Zahna. Durch die Strohdächer breitete sich das Feuer „wie ein Lauffeuer“ aus, man hatte wenig Möglichkeiten, dem entgegenzutreten.

Der Kurfürst selbst erließ ein Dekret, wovon wir einen sehr schönen Abdruck im Pfarrarchiv haben. Er rief alle Gemeinden zu einer Kollektensammlung für Seyda auf. Wieder griff das Prinzip der christlichen Nächstenliebe.

 

So konnte der Superintendent Jacobi vom Kirchenneubau 1854 rückwirkend berichten: „durch Kollekten und Geschenke aus der Churfürstlichen Bank wurde unter Gottes gnädigem Beistand dasselbe wieder hergestellt...“

Am 26. Mai 1711 berichtete der Superintendent Gormann von einem Besuch, dass zu diesem Bau die Kommune 121, milde Herzen 248 Thaler gespendet hätten. Gleichwohl habe man das Gotteshaus noch nicht wieder herstellen können. In einem Saale und etlichen Stuben predige er nun schon drei Jahre. Seine Gesundheit sei dadurch merklich geschwächt. Ein stets Zittern seiner rechten Hand und seines rechten Fußes führe er auf das Amtieren in den kleinen Räumen mit ihrer schnell verbrauchten Luft zurück. Als eines Tages etliche 80 Mann Landmiliz in Seyda einquartiert worden seien, habe er aus dem Raume weichen und seine Gemeinde die Predigt entbehren müssen.

 

Freilich war das Spendensammeln auch damals ein mühsames Geschäft, was den damaligen Superintendenten sehr aufrieb. Er war aber sehr rührig und schreibt im ältesten Kirchenbuch:

 „auf mein allerunterthänigstes Vorstellen erlangte ich 250 Stämme Bauholtz, Mein Vielfeltiges Reißen nach Dreßden und unabläßiges Suppliciren wirckte durch des Höchsten Beystand überauß reichliche Allmosen auß, daß die Gemüther überall zum kräfftigen Mittleiden bewegt worden, und diese große Superintendentur mit Scheuer und Ställen von lauter Allmosen an 819 Thaler in andern Jahr drauf erbauet, auch folgendes Jahres drauf die Kirche unter Dach und nach und nach nothdürfftig außgebauet worden, theils mit Allmosen, theils mit Beytrag der Kirchfarth. Wie wir denn mit herzl(ichen) Freuden anno 1711 Dom. 1. Advent Christi unsere bißherige Vice-Kirche auf dem Churf. Amthauße allhier quittierten und nach gehaltenem AbschiedsSermon nach unser Gotteshauße mit Frohlocken und Dancken eilten und die Einweihung verrichteten. Ob nun wol deß Höchsten Güte hier wir und unsere Nachkommen zu rühmen nicht aufhören werden, die unß bey dießen betrübten schwehren und recht eisernen Zeiten so nachdrücklich mit reichem Segen und Erbarmen Secundirt, so spühren wir doch noch einen großen Mangel an Glocken, davon noch keine vorhanden sondern wir unß nur mit einer entlehnten auß Mellnitz so bey dasiger Kirchen Verwüstung in unser Sacrystey gesatanden und unbeschädigt blieben, behelfen müßen, und der unvolkommenen Decke, Thurme und sonst gewöhnlichen KirchenOrnat. Der Gott aber, der da bißher so großes an Unß zu sorgen, deßen Segen und reiche Vergeltung nicht weniger ich auß Gnaden erwarte, der ich mein baares Geld und noch übriges Vermögen zur Beförderung des Baues dahin gegeben und nicht weiß, ob, wie und wann ich dazu wieder gelangen möchte. Urheber aber solches unglückl(ichen) Brandes hat auf allerhöchst(en) Befehl 300 Thaler hierzu geben müßen...“

 

Der Superintendent (?) bezahlte auch aus eigener Tasche:

„Darnach habe ich viel vorgeschoßen gehabt: Alß

3. a. dem Maurer das Kirchen- und Thurmdach zu besteigen

b. dem Tischer, Hanß Jänichen, vor Arbeit in der Kirche, á 65 Gulden

c. das vorige Kirch-Thor, so mit abgebrandt, zu bauen, á 16 Gulden

d. dem Uhrmacher in Jüterbog, Laurentio, den K-Seiger zu reparierenund den Hammer auf die ... Glocke zu bringen, á 16 Gulden...“

Viele Reisen waren nötig und Briefe, um die Vermögensverhältnisse zu klären (alle Akten waren vernichtet):

„Da denn bey diesen und vielen andern Proceß-Sachen, ich Consulenten halten, viele Reisen darüber thun, Viel Geld bald nach Beltzig, bald in Consistorium baar Zahlen müssen. Nicht zu gedenken, Was ich meinem Agenten in Dreßden, Georg Zacharias, Discretion und Verlag schicken müßen. Auch des vielfältigen Verlags bey der alten Superintendentur  Wohnung zugeschweigen.

4. Ist die Sache in Dreßden und Wittenberg vorgestellet, genau untersuchet und auf Mein und des sel. Herrn Amtmanns Vorschlag placidiret, und uns darauf anbefohnen worden, die Rechnung bestmöglichst wieder in Stand zu bringen a) Mandatum Regis, den 5. Sept. 1710 und der Wittenberger Consistorial-Verordnung, sub dato den 15. Oktober 1710

Welches von Unß expediret und die K. Rechnung at Anno 1707 et. sepp. verfertiget, auch dem Hochlöbl. Ober-Consistorio Ein Exemplar nach Dreßden eingeschickt worden.“ (Seydaer Kirchenarchiv, Findbuch 165,3).

Schreiben vom 27.Januar 1710: Andreas Gormann, Superintendent

an  Hochwolgebohrner, ..., Großachtbare und Rechtswolgelehrte, Hoch und Vielgeehrende Herren...“

Der Superintendent Gormann schreibt über ihm zustehende Ellernholzkabbeln, angegeben sind Matrikel von 1517, 1617. 1689 bei seinem Dienstantritt wurde ihm die Nutzung zugesagt. "...und mit dreißig kurze Klaftern mich allergnädigst ...., ...Weib und Kinderchen in ihrer Wohnstube sich erwärmen, auch dem Vieh sein Winterfutter können zubereitet werden, Und ich werde solche hohe Gnade mit solcher Demut erkennen, Gott es vergüten und ich bis ins Grab vergelten."

 

Da brachten endlich laut Verordnung vom 1. Juni 1711 Pirna und Meißen eine Spende und zwei Jahre später Freiberg und Zwickau. Der Superintendent hat abermals um Hilfe gefleht, und sie wurde ihm zuteil. „Kirche und Turm habe man erbaut, dazu vier Glocken, einen Seiger und eine Orgel beschafft, auch ein Haus für ihn errichtet, aber aus Mangel an Mitteln könne man es nicht fertigstellen. Uneingedeckt stehe das Gesparr bereits über ein Jahr und leide unter Regen und Schnee.“

Das Diakonat lag noch 1740 in Asche. Zu einem Aufbau steuerten 1740 und 1742 viele Diözesen (Kirchenbezirke) bei. Dagegen hatte eine bereits 1734 veröffentlichte Bitte um eine Beihilfe zur Reparatur der unbrauchbar gewordenen Orgel keinen Erfolg. (HG 12/1924). Der Prospekt, das heißt die Hülle der jetzigen Orgel, ist älter als ihr Inhalt, der Form nach könnte er vom Ende des 18. Jahrhunderts stammen, als die Seydaer Gemeinde wieder wohlhabender geworden war.

 

Aber zunächst mußte nicht nur die Kirche aufgebaut werden, sondern auch die vielen zerstörten Häuser. Die Betroffenen bekamen dazu „Brand-Bittbriefe“, die von allerhöchster Stelle beglaubigten, dass sie solchen Schaden genommen hatten, und mit denen sie nun im Lande umherziehen konnten, um um Spenden zu bitten. Die Situation der Bevölkerung war in dieser Zeit aber auch sonst sehr schwierig. Der Superintendent berichtet 1712: „Die Auflagen des Bauers sind ungemein groß und die Thür der Barmherzigkeit fast gar verschlossen. Daß anno 1702 die Accise eingeführt war, geschah mit der Versicherung, daß die anderen Gaben und Gefälle ermäßigt werden sollten.“ Diese starke Besteuerung hat ihre Ursache in der „großen Politik“: 1702 stand Sachsen unter schwedischer Bedrückung, die Steuern aus Sachsen an Schweden waren damals größer als die eigenen schwedischen Einnahmen.

 

Man muß staunen, dass die Kirchengemeinde trotz dieser Bedrückungen die Kraft hatte, eine solche schöne Kirche zu bauen, wie wir sie noch heute vorfinden.

Auf die Grundmauern des alten Feldsteinbaus wurden die neuen Mauern gesetzt. Übrigens sind sie zwar dick, aber nicht massiv, sondern man mauerte zwei kleine Mauern parallel zueinander hoch und verfüllte den Zwischenraum. Ganz deutlich wurde das 1993, als sich die Südwand wölbte, aber innen nichts zu sehen war, weil sich eben nur die eine der kleinen Mauern bewegte. Eine Spezialfirma paßte kleine Streben ein und verpresste den Zwischenraum neu.

Bei diesem Kirchenbau werden gleich auch die neuen, größeren Fenster eingebaut worden sein. Die brauchte man, denn die evangelische Gemeinde war eine singende Gemeinde, und man brauchte Licht, um in den Gesangbüchern die Lieder gut zu erkennen.

Eine segmentbogige Holztonne, die noch heute manche Fachleute in Erstaunen versetzt (jedenfalls fand sich 1995 keine Firma, der diese Tonne sanieren wollte), wurde auf die Mauern aufgesetzt. Die umlaufende Empore ist typisch für evangelische Kirchen dieser Zeit: alle sollten in der Kirche Platz finden und das Wort Gottes hören. Schaut man genau hin, kann man sehen, dass unsere  Empore aus zwei verschiedenen Teilen zusammengesetzt ist: mit kantigen Säulen und mit runden.

 

Der vorläufige Abschluß der Bauarbeiten an der Kirche war das Aufhängen der neuen Glocken zum 200. Reformationsjubiläum 1717. Statt vier oder gar fünf Glocken wie vorher waren es nun nur noch drei, eine „geborgte“ aus Mellnitz und zwei neugegossene.

Eine davon klingt noch heute jeden Tag über unsere Stadt und ruft zum Gottesdienst und zum Gebet.

Ihre Inschrift berichtet vom Stadtbrand und beschreibt auch schön den Zweck der Glocke:

 

Jahr und Tag

Da Dir Dein Schall durch das Feuer benommen

war das 1708 der 28. August und also ein Unglück

daß Du das große Jubelfest A(nno) 1717 D(omini) 31. Oktober in Seyda

nicht intimiren konntest.

Doch ist das Glück noch größer -

daß Du in eben dießen Jahr D(omini) 28. November Deinen Thon wieder bekommen und

den Freudenthon Evangelischer Christen ins Künftige zu vermehren

Deine Stelle bewahre Gott vor Feuer und übrigen Unglück

die Dir aufs Neue wiederum verschaffet

Herr ANDREAS GORMANN P(astor) und SUPTERINT(endent) Wiauch

Herr GUSTAV Friedrich PACKBUSCH Ambtmann alda

 

Diese Glocke wurde 1717 aus Bronze gegossen, sie ist 540 kg schwer und hat einen Durchmesser von 95 cm.

Zur gleichen Zeit wurde noch eine andere Glocke in den Turm gehängt, die jedoch 1917 für Rüstungszwecke abgeliefert werden mußte. Auch sie hatte eine Inschrift:

 

 1708  SOLI DEO GLORIA 1717

Gott lasse niemals uns zum Schrecken hören summen,

erhalte rein sein Wort, stürz aller Feinde Brummen,

Wend ab Pest, Krieg und Feuer, so geht’s mit gutem Klang,

Und du Mensch, bringest Gott mit Freuden Lobgesang.

 

(„Soli deo gloria“ heißt „Gott allein die Ehre“).

 

Die Einrichtung der Kirche wird nach und nach gefertigt worden sein. Besonders wertvoll und kunstvoll gestaltet ist der geschnitzte Kanzelaltar. Nach lutherischer Lehre sind Gottes Wort (Bibel und Predigt), was von der Kanzel verkündet wird, und die Sakramente (vom Altar aus wird das Abendmahl ausgeteilt) die wichtigsten Heilsmittel, die die Liebe Gottes zu uns Menschen bringen. Aus diesem Grunde hat man diese beiden Dinge (Kanzel und Altar) zusammen in die Mitte gestellt. Der erste Kanzelaltar steht in der Schloßkirche in Torgau und wurde 1545 gebaut.

Der Altar ist wohl in Wittenberg gefertigt. Peter Wollschläger aus Wittenberg ist ein Bildhauer, der der Künstler unseres Altares sein könnte. Der Altar ist ein Werk des Hochbarock oder „Akanthusbarock“, erkennbar an dem reichen Akanthusschnitzwerk an den Seiten, was nicht nur zweidimensional, sondern sogar dreidimensional gestaltet ist.

(Akanthus ist ein Bärlauchgewächs, diese Art Verzierung war schon in der Antike bekannt, seit der Renaissance ist das wieder aufgegriffen worden.).

 

In der Mitte, zwischen Kanzel und Altar, ist das Abendmahl Christi dargestellt. So hat es Martin Luther vorgeschlagen: Wenn ein Bild auf dem Altar, dann ein solches. Es ist hier fein geschnitzt! Jesus sitzt mit seinen zwölf Jüngern am Tisch. In der Mitte steht die Schale für das Passalamm, was sie gemeinsam gegessen haben, dazu Brot und Wein. Der vordere Rand des Tisches ist freigelassen, aber das Brot liegt schon bereit: Der Künstler will damit ausdrücken, dass der, der zum Altar kommt, auch an den Tisch Jesu eingeladen ist.

Man kann sehen, wer schon so am Tisch sitzt. Alle haben auf diesem Bild einen Bart: nur Johannes nicht, der Jüngste, der ganz nahe bei Jesus ist und auch „Lieblingsjünger“ genannt wird. Judas, der Verräter, ist ganz links zu sehen, wie üblich in gelb gemalt: im Mittelalter die Farbe für die Menschen mit „unedlen“ Berufen wie Henker und Prostituierte, und mit roten Haaren. Er ist mit seinem Beutel schon zum Gehen gewandt. Übrigens soll er die 30 Silberlinge, die etwa einem Monatslohn entsprechen, erst hinterher erhalten haben, aber er war schon immer der Verwalter der „Kasse“ des Jüngerkreises.

Dieses Mahl feiern wir auch im Gottesdienst. Jesus hat versprochen, dass er dabei „in, mit und unter Brot und Wein“ gegenwärtig ist, uns stärkt auf unserem Weg und uns Anteil gibt an seinem ewigen Leben.

 

Ein kleines schönes Detail am Altar ist die kleine Sonnenblume im oberen Teil, eine typische Darstellung im Barock: Wie die Sonnenblume sich zum Licht wendet, so sollen auch wir unser Angesicht von der Liebe Gottes bescheinen lassen und uns zu ihm hinwenden.

Die gemalte Taube über dem Kopf des Predigers auf der Kanzel weist auf den Heiligen Geist, die Kraft Gottes, die in und durch den Prediger wirken soll.

Die großen Figuren zeigen Petrus und Paulus, nach denen die Kirche auch benannt ist. Vielleicht hat sie diesen Namen sogar erst durch den Altar erhalten, eine Verehrung des Petrus gab es jedenfalls schon vorher, wie bereits erwähnt. In früherer Zeit aber trug die Kirche den Namen „Zum Heiligen Kreuz“, was darauf schließen läßt, daß eine Reliquie des Kreuzes Christi in der Kirche aufbewahrt worden ist bzw. in den Altar eingemauert war.

Die Figuren schauen beide recht ernst, Petrus trägt den Schlüssel nach dem Satz von Jesus: „Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Gemeinde bauen, und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen. Ich will Dir die Schlüssel des Himmelreichs geben; alles, was Du auf Erden binden wirst, soll auch im Himmel gebunden sein, und alles, was Du auf Erden lösen wirst, soll auch im Himmel gelöst sein.“ (Mt 16,18f). Petrus war einer der ersten, der das Evangelium von Jesus weitergesagt hat, und damit hat er den Schlüssel in der Hand, dass ein Mensch „in den Himmel kommt“, zu Gott findet.

Paulus trägt das Bibelbuch: Er ist der, der die Gute Nachricht über Länder und Meer bis nach Europa gebracht hat; wie Petrus ist er barfüßig dargestellt. Er zeigt mit seinem Finger nach oben, auf das Kreuz, wie er in seinem 1. Brief nach Korinth schreibt: „Als ich zu Euch kam, kam ich nicht mit hohen Worten und hoher Weisheit, Euch das Geheimnis Gottes zu verkündigen. Denn ich hielt es für richtig, unter Euch nichts zu wissen als allein Jesus Christus, den Gekreuzigten.“ (1 Kor 2,1f).

An den Gesten kann man erkennen, dass die beiden Figuren einmal vertauscht worden sind, denn der Finger des Paulus würde dann genau zum Kreuz zeigen, und die Einladung durch die Hand des Petrus würde zum Abendmahlstisch weisen, und nicht wie jetzt am Altar vorbei. Vermutlich sind sie bei der Kirchenrenovierung 1896 vertauscht worden, als um die Kanzel ein Saumbezug kam, welcher es unmöglich macht, die Figuren nun in der richtigen Weise zu stellen. Stilistisch bemerkenswert sind die sehr langgezogenen Köpfe und die Ausführung der Zähne!

Der Altar folgt im Aufbau dem eines üblichen Portikus-Kanzelaltars, der an die Pforte des Himmels (porta coeli)  erinnern soll, aber die Säulen fehlen. Dafür gibt es reichlich Pilaster, Muscheln und Fruchtgehänge zu sehen: für die Früchte des Glaubens oder schon als Hinweis auf das Paradies.

In der Bekrönung finden sich noch weitere Figuren: Links oben steht Mose. Er hat zwei Hörner auf dem Kopf: Das ist sein Erkennungszeichen, was aber eigentlich auf einem Übersetzungsfehler in der lateinischen Bibel beruht. Im 2. Buch Mose im 34. Kapitel heißt es: „Als nun Mose vom Berge Sinai herabstieg, hatte er die zwei Tafeln des Gesetzes in seiner Hand und wußte nicht, dass die Haut seines Angesichts glänzte, weil er mit Gott geredet hatte.“ Hieronymus übersetzte: „quod cornuta esset facies sua“ statt „quod coronata esset facies sua“, also „dass die Haut seines Angesichts gehörnt war“: daher die Hörner bei Mose durch die Verbreitung dieser Bibelübersetzung, der Vulgata. (2 Mose 34,29).

In seiner Hand hält Mose den Stab, den er mehrmals in seinem Leben brauchte. Zuerst sollte er damit dem Pharao Eindruck machen bei seinem ersten Besuch: „Da gingen Mose und Aaron hinein zum Pharao und taten, wie ihnen der HERR geboten hatte. Und Aaron warf seinen Stab hin vor dem Pharao und vor seinen Großen, und er ward zur Schlange. Da ließ der Pharao die Weisen und Zauberer rufen, und die ägyptischen Zauberer taten ebenso mit ihren Künsten: Ein jeder war seinen Stab hin, da wurden Schlangen daraus; aber Aarons Stab verschlang ihre Stäbe. Aber das Herz des Pharao wurde verstockt, und er hörte nicht auf sie, wie der HERR gesagt hatte.“ (2 Mose 7,10-13).

Nach den Zehn Plagen - auch dabei brauchte Mose den Stab (2 Mose 7,20) konnte Mose dann doch das Volk Israel aus der Sklaverei in Ägypten führen. Aber der Pharao überlegte es sich schnell anders und eilte ihnen hinterher. Die Israeliten standen vor dem Schilfmeer „und sie fürchteten sich sehr und schrien zu dem HERRN und sprachen zu Mose: „Waren nicht Gräber in Ägypten, daß Du uns wegführen mußtest, damit wir in der Wüste sterben? Warum hast Du uns das angetan, daß Du uns aus Ägypten geführt hast? Haben wir´s Dir nicht schon in Ägypten gesagt: Laß uns in Ruhe, wir wollen den Ägyptern dienen? Es wäre besser für uns, den Ägyptern zu dienen, als in der Wüste zu sterben.“ Da sprach Mose zum Volk: „Fürchtet Euch nicht, stehet fest und sehet zu, was für ein Heil der HERR heute an Euch tun wird. Denn wie Ihr die Ägypter heute seht, werdet Ihr sie niemals wiedersehen. Der HERR wird für Euch streiten, und Ihr werdet stille sein.“ Und der HERR sprach zu Mose: Was schreist Du zu mir? Sage den Israeliten, dass sie weiterziehen! Du aber hebe Deinen Stab auf und recke Deine Hand über das Meer und teile es mitten durch, so dass die Israeliten auf dem Trockenen mitten durch das Meer gehen...“ (2 Mose 14,10-16).

So geschah es: das Volk Israel zog trockenen Fußes durch das Schilfmeer, und ihre Feinde wurden hinter ihnen durch die Fluten vernichtet. Diese Befreiungstat hat das Volk Gottes nie vergessen.

Das nächste Mal brauchte Mose den Stab am Gottesberg, dem Horeb. Weit waren sie durch die Wüste gezogen, und wieder murrte das Volk sehr: „Als aber dort das Volk nach Wasser dürstete, murrten sie wider Mose und sprachen: „Warum hast Du uns aus Ägypten ziehen lassen, daß Du uns, unsere Kinder und unser Vieh vor Durst sterben läßt?“ Mose schrie zum HERRN und sprach: „Was soll ich mit dem Volk tun? Es fehlt nicht viel, so werden sie mich noch steinigen.“ Der HERR sprach zu ihm: „Tritt hin vor das Volk und nimm einige von den Ältesten Israels mit Dir und nimm Deinen Stab in Deine Hand, mit dem Du den Nil schlugst, und geh hin. Siehe, ich will dort vor Dir stehen auf dem Fels am Horeb. Da sollst Du an den Fels schlagen, so wird Wasser herauslaufen, daß das Volk trinke.“ Und Mose tat so vor den Ältesten von Israel. Da nannte er den Ort Massa und Meriba, weil die Israeliten dort gehadert und den Herrn versucht und gesagt hatten: „Ist der HERR unter uns oder nicht?“

Allein mit diesem Stab ist also eine ganze Glaubensgeschichte erzählt, die Juden und Christen aller Generationen beschäftigt hat.

Mose bekam dann den Auftrag, dem Volk die Zehn Gebote zu bringen. Das war neben der Befreiungstat seine wichtigste Aufgabe, ja, sie gehört sogar dazu: Niemals wieder soll das Volk unfrei werden, anderen Göttern und Mächten dienen. So trägt Mose auch bei uns hier die beiden Gebotstafeln.  Wie in Luthers Einteilung stehen auf der ersten Tafel die Gebote der Liebe zu Gott (eins bis drei) und auf der anderen Tafel die Gebote der Nächstenliebe (vier bis zehn).

 

Auf der gegenüberliegenden Seite des Altares steht Johannes, bartlos - das ist eines seiner Erkennungszeichen -, und mit Feder und Buch. Es ist der Johannes aus dem Neuen Testament, der in einem seiner Briefe schreibt: „Ihr Lieben, laßt uns einander liebhaben; denn die Liebe ist von Gott, und wer liebt, der ist von Gott geboren und kennt Gott. Wer nicht liebt, der kennt Gott nicht; denn Gott ist die Liebe. Darin ist erschienen die Liebe Gottes unter uns, daß Gott seinen eingebornen Sohn gesandt hat in die Welt, damit wir durch ihn leben sollen. Darin besteht die Liebe: nicht, daß wir Gott geliebt haben, sondern daß er uns geliebt hat und gesandt seinen Sohn zur Versöhnung für unsre Sünden... Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm.“ (1 Joh 4,7-10.16b).

 

Mose und Johannes weisen auf Jesus hin, der am Kreuz hängt und über allem steht: Mose mit dem „Gesetz“, den Geboten, den Ordnungen für das Leben; und Johannes mit dem „Evangelium“, mit der Botschaft von der Liebe Gottes. Beides ist dort am Kreuz erfüllt: Jesus erfüllt das Gesetz, er stirbt für unsere Schuld am Kreuz, aus Liebe; und wer sich an ihn hält, der wird leben in Ewigkeit, weil Gott ihm alle Schuld vergibt.

 

So kann man sich in unseren Altar recht vertiefen, und das haben Generationen vor uns getan, die ihre Freude und ihr Leid hier vor Gott gebracht haben; die versucht haben, das Wort Gottes für ihren Lebensweg zu hören. In der Mitte ist es festgehalten: „Das Wort Gottes bleibet in Ewigkeit.“

 

Die beiden Türen rechts und links vom Altar hatten ihre ursprüngliche Funktion in der Abendmahlsfeier: an der linken Seite des Altars empfing man das Abendmahlsbrot, den Leib Christi, dann ging man durch die Tür, um den Altar herum (gab eine Spende) und kam durch die andere Tür wieder heraus, wo der Pfarrer den Kelch reichte. So war es nach den Berichten alter Leute noch bis 1920, wo zwei Pfarrer Dienst taten: einer links, einer rechts. Der „Zaun“ vorm Altar war damals behängt, schwarz und rot (je nach Kirchenjahreszeit), und mit weißen Spitzendeckchen belegt.

 

Bis in das Jahr 1708, dem Jahr des Brandes, reichen also die lückenlosen Aufzeichnungen im Pfarrarchiv zurück. Alle Taufen, Trauungen und Beerdigungen wurden dort verzeichnet, zusammen sind das über 30.000 Eintragungen, die jetzt auch mittels Computer erfaßt sind. Die Kirchenbuch-Vorrede, die die Ereignisse des Brandes und den Wiederaufbau beschreibt, schließt mit den Worten:

 „Kurtz, keiner müße in diesem buche eingeschrieben stehen, deßen Name nicht im Himmel angeschrieben sey! Amen. Dieß wünscht von Hertzen der bei Seiner Seyd. und Eingepfarrten Gemeine biß ins Grab getreue Seelsorger Andreas Gormann, Sup. minist. (Dienstjahre) 49 aet.(Alter) 73.“

 

Neben den vielen Namen und Daten sind auch manche geschichtlichen Ereignisse in diesen Büchern festgehalten.

So schreibt der Superintendent Gormann 1708 über die Preise der Naturalien und stellt die kirchenpolitische Lage dar:

 „In dem Kirchenstaat steht es also: die drei Konsistoria zu Dreßden, Wittenberg, Leipzig sind mit guten Männern versehen, mögen aber fast nicht verstehen, daß der Pietismus, Rationalismus und in Sonderheit der grobe Papismus im Lande einreißet. Gott erhalte das evangelische Häuflein.“

Tatsächlich wirkten diese Zeitströmungen stark und bedrohten den Zusammenhalt der Kirche. Der Pietismus wollte die „Frommen“ sammeln und war in der Gefahr, sich in kleine Kreise auf den Boden der Innerlichkeit und der privaten Frömmigkeit zurückzuziehen; der Rationalismus hielt die Vernunft des Menschen für das Größte („Warum sollen wir in der Kirche Kerzen anmachen? Es ist doch hell genug!“). Mit dem „Papismus“ war der Einfluß der römischen Kirche gemeint: Um die polnische Krone zu erlangen, war der König von Sachsen katholisch geworden; darin sah man damals nicht nur eine Bedrohung der Rechtgläubigkeit, sondern auch eine politische Gefahr, daß andere Mächte über Sachsen Einfluß bekämen.

 

Der Superintendent zählt alle Orte auf, für die er verantwortlich ist: Die Pfarre in Gadegast mit Zemnick, in Seehausen, in Kurzlipsdorf mit Naundorf, in Öhna, Göhlsdorf und Zellendorf, in Mügeln mit Lindwerder, in Niedergörsdorf. Er selbst hatte „Paul Koch Past(or). Substit(us) bei mir in Seyda“ als Unterstützung im pfarramtlichen Dienst. Auch die Kirchenvorsteher werden genannt:

Meister Michael Schlawig, Wilhelm Berlin, beide Schneidermeister.

Johann David Eichelbaum, Radmacher.

Christoph Eichelbaum, Abrichter und der geistlichen Gebäude Bauherr.

„Dieses Wenige entwarf ich untenbenannt als Hl. Johann Christoph Drebitz Amtmann war, den 13. September anno Christi 1712

Andreas Gormann Superintendent...

Der Herr erlöse die Seele seines Knechts von allem Übel.“

 

Im Jahr 1712 gehörten zur Superintendentur Seyda folgende Orte:

Seyda,  Gadegast mit Zemnick,  Seehausen,  Kurzlipsdorf, Mellnitz, Morxdorf, Lüttchenseyda, Schadewalde, Öhna, Gölsdorf, Zellendorf, Niederseefeld, Mügeln, Seefeld, Labetz, Gentha. (Seydaer Kirchenarchiv, Findbuch 165, 6).

 

Dieser Superintendent, der Großes für unsere Stadt und unsere Kirchengemeinde getan hat, starb am 12. Februar 1719 mit 80 Jahren.

Seine Tüchtigkeit wird auch von Amts wegen bestätigt:

„Dieweilen aber auch durch Übelgesinnete und Verführerische Leuthe viel Verläumbdungen wegen Kirchlicher Administration und genossener Kaplans-Besoldung über den Herrn Superintendenten sind ausgestoßen worden, Welche Er zu vindiciren Fug und Macht gehabt hätte: Alß erklähren wir unß dahin, daß wir solche Aufflage hierdurch wiederrufen haben wollen, von Grund des Herzens und ohne Falschheit und Heucheley bekennende, daß offgemeldter Herr Superintendens, alß lange Er dreyßig Jahr hier gestanden, Seinem Amte in der Kirche, außer der Kirche und unter unß dermaßen traulich und fleißig vorgestanden, daß wir Ihn Alß unsern Vater zu nennen, Ursache haben, auch vor die Schuld-Erlaßung. Soferne aber die Kirchfarth nicht darbey acquieheiren; sonder unnöthige Eurbas epcitiren wolte! Will ich den erwehnten Contract über die Eranzigisty 200... hiermit auffgehoben, und meine ganze Schuldforderung á 168 ... bei ihnen cum Interesse rechtl. aufzusuchen wißen.“ (Seydaer Kirchenarchiv, Findbuch 165, 29).

An seiner Seite stand, wie er schreibt, der Pastor Substitut Peter Paul Koch. Aufgrund der Stellensituation war es üblich, dass die Theologiestudenten lange Zeit warten mußten, bis sie ins Amt kam. Paul Gerhardt, unser bekannter Liederdichter, mußte sich beispielsweise bis zu seinem 44. Lebensjahr gedulden. Ältere Pfarrer wie der Superintendent Gormann hielten sich deshalb einen „Substituten“, einen „Ersatzmann“, den sie entlohnten und der ihnen einen Teil der Arbeit abnahm. Ein solcher war jener Peter Paul Koch. Er heiratete, wie es auch üblich war, die Tochter des Superintendenten Esther Adelgunde Gormann am 5. November 1709. Die Trauung mußte in Ermangelung einer Kirche in Seyda in Jessen stattfinden. Im April 1711 starb die Frau bei der Geburt der Tochter Erdmuth Elisabeth, und der Substitut heiratete 1712 Johanne Salome Wichmann. Im Jahre 1715 verlieren sich die Spuren dieser Familie Koch im Kirchenbuch.

 

Über diesen großen Aufgabenbereich hinaus hatte der Superintendent zum Beispiel auch manchen Streit zu schlichten, so wird von Gormanns Nachfolger unter „Actum den 9. Dec. 1720“ von dem Streit zweier Eheleute und übler Nachrede berichtet. Der Superintendent lädt die Parteien einige Male vor sich, zuletzt wird der Streit geschlichtet und der Ehemann verspricht "nichts als alles Gutes von seiner Frau zu reden, sie nach Gottes Wort als einen Ehegatten allemal zu lieben und künfftig hin einträchtig mit ihr allemal zu leben".

Auch innerkirchlich gab es manche Ungereimtheit zu klären:

Schreiben vom 23. May 1729 an Superintendent Hilliger, Absender: M. Schreiber

betrifft: Beschwerde über den Diakon, der den Lehrer Schreiber nach dem Gottesdienst beleidigte:

"... mich auf eine injuriense art mit hefftigem Ungestüm bey seinem Ausgehen aus der Kirchen ohne gegebene Ursache öffentl. auf dem Kirchhoffe angefallen alß werden bey gleicher gelegenheit ... Hochehrwürden die hohe Mühwaltung über sich gütigst nehmen, und Ihm den Diaconum zu einem beßere, stillere sittsamere und bescheidenere Lebens art anzurathen, und von aller Zanksucht, die nur Ärgernis bei der gemeine anrichtet, abzurathen geruhen.“

Schreiben an Superintendenten vom 23. Mai 1729, Absender: M. Schreiber; betrifft: Beschwerde über den Kaplan Christoph Scherer, der den Lehrer wohl mit Worten beleidigte:

"...mit seiner notorischen Schwachheit, absonderlich, da die hitzig ausgeworfenen Unwahrheiten ..."

Der Kaplan gehöre nicht in die Schule und solle sofort ausziehen.

Auch aus diesen Gründen also wurde dann das Diakonat 1740 gebaut.

(Seydaer Kirchenarchiv, Findbuch 165,  28; inliegend bei 25).

Einen weiteren Streit löste der Substitut des Schulmeisters von Gadegast, Balthasar Christoph Meinhof, aus. Sein Vater war Schneider gewesen, und er versuchte nun, sein kärgliches Gehalt etwas aufzubessern, um seine Familie zu ernähren. Dies rief die Schneiderzunft von Seyda auf den Plan: Er verderbe die Preise! Eine Beschwerde beim Superintendenten folgte. Balthasar Christoph Meinhof war von 1710 bis 1720 Subistitut in Gadegast, er änderte dort seinen Namen Meinhöfer in Meinhof. Seine Aufgabe war es, den Kindern in der Kirche „Beten und Singen“ beizubringen. Er war mein Ururururgroßvater.

 

Viele solcher Lebensgeschichten lassen sich in dem alten Kirchenbuch finden.

Eine besonders bemerkenswerte Geschichte ist der Tod des Theodorus Eberwein im Jahre 1728. Er hatte 1708 den Schuß ausgelöst, der zur großen Brandkatastrophe führte. Sein Sterben war tragisch, wie der Superintendent Hilliger berichtet, ist aber auch ein Zeugnis für den christlichen Trost. „Den ... Januar 1728 hat gedachter Theodorus Eberwein, welcher bey Großenhayn Oberförster worden, auf Befehl des Herrn Oberforstmeisters von Ende, der einen Hirsch angeschossen, solchen noch stellen (?) wollen, fällt aber und da seine Kugelbüchse loß gehet, gehet der Schuß in seine Hertz-Kammer, Er thut noch viele Jägerzeichen mit seinem Horn und da etliche herzu kommen, spricht er, daß sie mit ihm beten. (unleserliches Wort) Jesus ich sterbe (unleserliche Worte) ¾ Stunde darrauf (unleserliche Worte) seinen Geist aufgegeben. So muß wie vorher in seiner Jugend ein unglücklicher Schuß bey seinem angehenden Alter ihn selbst treffen, Gott aber wird seiner Seelen gnädig gewesen seyn.“

Diese Zeilen finden sich auf einem Blatt in der Mitte des ältesten Seydaer Kirchenbuches von 1708, zwei sehr schwer zu lesende, augenscheinlich von der Hand des Superintendenten  Hilliger herrührende Notizen. Die andere berichtet von dem Brand 1616.  (Vgl. HG 9/1926).

 

Im 18. Jahrhundert geschah es oft, dass Beerdigungen auch in und unter der Kirche stattfanden. So wird 1723 die Stadtschreiberfrau Joß bei der Kirche beigesetzt. Im Jahre 1737 stirbt eine Adlige, Maria Gertraud von Zerbst, die Witwe des Erb-, Lehn- und Gerichtsamtsmannes von Seyda. Sie wird beim Altar der Kirche beerdigt. Die Tochter des Superintendenten Hilliger Johanna Elisabeth wird 1751 mit 21 Jahren in der Kirche beerdigt, ebenso wie eine Pastorenfrau 1780.

Und auch eine Kirchengruft gibt es in Seyda. Im Jahre 1771 verzeichnet das Kirchenbuch, dass die Frau des Superintendenten Medicke, die zehn Kinder hatte, dort beerdigt wird; und im Jahr 1785 wird der Hofjäger und Oberförster Carl Heinrich Müller „in der Gruft der Kirche“ beigesetzt.

1997 riß zwei Meter neben der Nordostecke der Kirche die Erdoberfläche auf, und es trat ein Loch zutage. Etwa einen halben Meter unter der Erde erblickte man einen Türbogen, hinter dem ein Raum sichtbar wurde. Leuchtete man mit Lampe und Spiegel hinein, so konnte man erkennen, dass die Decke dieses Raumes kunstvoll gemalt war: Das ist eine solche Gruft, von der hier die Rede ist, allerdings noch neben der Kirche.

In dieselbe Grabanlage sind auch Schüler um 1960 beim Graben unerwarteterweise eingebrochen. Einer kroch hinein und brachte einen Schädel heraus, der lange in der Schule aufbewahrt wurde.

1965 öffnete sich ein Loch etwa 8 Meter vor dem Kirchenportal, auch dort holte man einen Schädel heraus. Die Bestattung in großen Grabanlagen, die auch unter die Erde reichten, war damals üblich. Genaue Pläne davon fehlen uns aber.

1993 wurde der nördliche Anbau der Kirche entrümpelt. Er war kurze Zeit vor dem Krieg als Heizungsraum genutzt worden. Nach dem Entfernen von etlichen Metern Unrat fand sich eine alte Treppe, die ein paar Stufen hinabführt und vor einer zugemauerten Tür endet...

 

Natürlich lag den Leuten damals auch an geschmückten Grabmalen über der Erde, die die Bedeutung der Verstorbenen der Nachwelt zeigen sollten. Ein solches kunstvolles Epitaph steht auf der Südempore. Das ist gewiß nicht sein ursprünglicher Platz, denn der war gewiß am eigentlichen Grab.

Die Inschrift des Grabes ist in lateinischer Sprache verfaßt:

„MONUMENTUM MEMORIAE. S. PARENTUM. DESIDERATISS. VIRI NOBILISS. AC ICTISS. CHRISTIANI. FRIDERICI. REINHARDTI SEREN. PR. ELECTORI SAXONIAE A CONSIL COMMISSION. ET QUAESTURAE SEYDENS. PER LII. ANNOS PRAEFECTI. NAT. COLBERG. D. IV FEBR. MDCCIII. DEN. SEYDAE D. V. OCTOBR. MDCCLXXVII

ET

MATRONAE. NOBILISSIMAE. SOPHIAE. CONCORDIAE. LOECKELLIAE. NAT. BEROLIN. D. XXIIX. OCT. MDCCX. DEN. SEYDAE D. XIV. IUL. MDCCLXXIIX.

HOC EGO REINHARDTUS TUMULO CUM CONIUGE CARA LOECKELIA CONDOR: MORS, TUA PRAEDA BREVIS. LONGA SATIS DOCUIT NOS EXPERIENTIA, QUAM SIT OPTIMA VITA NIHIL NI LABOR ASSIDUUS. QUAM SIT CURA DOLOR LACHRYMAE MORS DENIQUE CERTA ADVERAM VITAM NIL NISI CURTA VIA. VIVIMUS HIC VITAM, MINIMA QUASI PARTE BEATAM: MORTE TRIUMPHATA VERA BEATA SUBIT. TENDIMUS HUC LAETI PER. TOT DISCRIMINA. SALVE EX OPERATA QUIES: HOSPITA TERRA VALE! ET, CUI SEDULITAS IMITABILE NOSTRA PRAEIVIT LUSTRA DECEM EXEMPLUM, TU QUOQUE SAYDA VALE

L. L. POS. PIETAS

FILIAE. GENERI. ET NEPOTUM.“

 

„Gedenkstein für die Eltern, die sehr vermißt werden: Dem edelsten und trefflichsten Mann Christian Friedrich Reinhardt, Durchlaucht Kurfürstlich-Sächsischer Rat und Gesandter und Amtmann für Seyda, 52 Jahre hindurch im Amt gewesen. Er wurde in Kolberg am 4. Februar 1703 geboren und starb in Seyda am 5. Oktober 1777

und

der hochachtbaren Ehefrau Sophia Concordia geb. Loeckellius, geboren in Berlin am 28. Oktober 1710, gestorben in Seyda am 14. Juli 1778.

Dieses habe ich, Reinhardt, mit meiner teuren Ehefrau Loeckelia für den Grabstein verfaßt:

„Tod, Deine Beute ist gering. Lange Erfahrung hat uns ausreichend gelehrt, dass das beste Leben nichts ist, wenn es nicht mit Arbeit/Leiden verbunden ist; daß der vorherbestimmte Kummer - Betrübnis, Tränen, zuletzt der Tod - gegen das Leben nichts als ein kurzer Weg ist. Wir leben hier ein Leben, weil es angeblich in einem geringen Teil glücklich ist. Durch den Triumph des Todes geht das wahre Glück unter. Wir wollen uns strecken nach der Freude nach so vielen Gefahren! Gegrüßt seist Du, der Du wunschgemäß kommst! Gastliche Erde, mach´s gut! Und wer sich vornimmt, unserer Geschäftigkeit nachzueifern, der hat fünf Jahrzehnte als Beispiel! Auch Du, Seyda, mach´s auch gut!“

Dieses Grabmahl ließ aufstellen die verehrende Liebe der Tochter, des Schwiegersohns und der Enkel.“

 

Der Grabstein für einen Superintendenten und seine Frau steht an der Nordostecke der Kirche. Auf ihn soll später eingegangen werden, wenn auch das Leben dieses Mannes näher Beleuchtung gefunden hat.

 

Doch zum Leben der Kirche gehörten nicht nur die Bauarbeiten und das Beerdigen, sondern natürlich die Gottesdienste und in dieser Zeit die Verantwortung für das gesamte Schulwesen.

So kann man in den Kirchenakten lesen, dass 1719 der erste Mädchenlehrer für Seyda berufen wurde, der auch Küster war. Dem Superintendenten wird regelmäßig Bericht erstattet, wie es um die Schule steht. So in einem Schreiben vom 8. September 1726 an Superintendent Hilliger (der auf einem großen Ölbild in der Kirche zu sehen ist).

„Höchstehrwürdiger, hochstgelehrter Herr... ...gebe zur ergebensten Antwort, daß die Schularbeit hier, nach der mir übersendeten neuen Schulverassung eingerichtet sey, außer daß ich wöchentlich 3 Stunden auf orthographie, ebensoviel auf Rechnen wenden werde, auch am Morgen von 8 bis 9 wird der cathismo gelernt, um die Kinder, so wenige Zeit in die Schule hier gehen in ihrem Geistertum firm zu setzen. Der Numerus beläuft sich auf 8 bis 10, wird auch nach gewöhnlicher hiesiger Art  vor May nicht viel förder werden. Schlechter kann es auch auf dem ... Dorffe nicht seyn. Keine latinitael kann hier recht getrieben werden, weil Subjecta mangeln, und wol sie es auf das gerichte hin sagen lassen: wer unter denen bürgern seinen Kinde wollte laßen latein lernen, solte sich bey mir melden, würde ichs mit Dank erkennen. Nur schade, daß hier ein Literatur leben sol. Übrigens recomendiere ich dero ..., verharrend.

Euer hochehrwürdiger

.........

gehorsamst

M. Schreiber

 

GRAVAMINA

1. den Gottesdienst und Schule betr.

1.) daß die Jugend auch Knechte und Mägde, nicht fleißig bey denen Catechismus-Examinity sich einstellen, dahero durch Bestrafung angehalten werden müßen, wie zu Seehausen und anderen Kirchspielen desgl. geschehen und in die Kirch Rechnung eingeführet worden

2.) daß der Rector und Collaborator, wie es ehemahls geschehen, ihr Schul Kinder des Freytags auß der Schule in die Kirche, und nach der Predigt wieder in die Schule führen, und aus der Predigt examiniziren, sich auch sonsten, nach  der ausgestellten Schul-Ordnung richten und Sonntags vor der Mittagspredigt ein Paar Knaben oder Mägdlein, Wechsels weise, ein Stück auß dem Catechismo mit denen darzu gehörigen Fragen, nebst einem Palm, clora noce A tarde bethen lassen sollen. Der Rector alla Mittage von 12 biß 1 Uhr eine Singe- und Schreibe Stunde halten, und einen Selectum pue rorum machen, auch die Schrifften der Kinder fleißig corrigiren soll. Und werden die Eltern das Heyl ihrer Kinder besorgen und fleißig zur Schule schicken.“

(Seydaer Kirchenarchiv, Findbuch 165,  27 und 29.).

 

Aus den alten Kirchenbüchern läßt sich auch ablesen, dass die Pastoren damals Angestellte hatten. Im Jahre 1723 wird eine „Kinderfrau beim Pastor“ erwähnt, auch ein „Dienstknecht“.

1778 hatte der Superintendent einen eigenen Kutscher.

Als „Kirchenbauern“ (1717), „Kirchendotal“ (1836), „Pfarrbauer“ (1838 und 1839) bezeichnete man die, die auf dem Kirchenland arbeiteten. Oft waren die Pfarrer - bis in die 50iger Jahre des 20. Jahrhunderts hinein, auch Selbstversorger: sie bewirtschafteten in eigener Verantwortung das Kirchenland. Die große alte Pfarrscheune (eine zweite wurde erst Mitte des 20. Jahrhunderts abgerissen) und das reichliche Nebengelaß künden von jener Zeit.

 

Beachtenswert sind auch die Malereien, die uns aus dem 18. Jahrhundert erhalten sind:

Von einem der bedeutendsten Künstler dieser Zeit, dem Wittenberger Meister Michael Adolf Siebenhaar, stammt die Ausmalung der kurfürstlichen Wappen auf der Empore wie auch eine Kopie der Cranach-Porträts von Luther und Melanchthon (1740). Siebenhaar war an der Universität in Wittenberg beschäftigt und war als Porträtmaler weit bekannt, auch hat er die Ausmalungen der Kirchen in Rackitz, Bergwitz, Globig und Seegrehna vorgenommen. Da unsere Kirche seit einigen Jahren tagsüber geöffnet ist, haben wir dieses kleinere Ölbild an einem anderen Ort sichergestellt.

 

Das große Porträt in Öl auf der Südseite, was vor dem ehemaligen Seiteneingang steht (der Zugang über eine Treppe von außen wurde in den 80iger Jahren abgerissen), zeigt Johannes Zacharias Hilliger, der ab 1740 Superintendent und Pastor in Seyda war, bis 1770. Die Bildunterschrift rechts unten gibt den Maler an: Pinxit Lindner 1772.

„S. P. M.

IOANNIS ZACHARIAE HILLIGERI TH. DOCT. ET HUJ. AED. PASTORIS ...RORUMQ SEYD. ANTIST. MERENT. N(ATUS) E(ST) CHEMNITII VII ID. IAN. A(NNO) MDCXCIII  PROTEST. P. MUNERE VITEBERG. EYDAM EVOC. A(NNO) MDCCXXV  MORTE PLACID DEF. XVI CAL. JUL. A(NNO) MDCCLXX  MARITO INCOMPAR. PATRI INDULGENT. CONIUX Q. VIX SINE QUARELA A(NNO) XLV IBER. SUPERST. L.M.Q.A.P.P.  S.E.T.L.“

„Dieses Bild ist eine Erinnerung an Johannes Zacharias Hilliger, Doktor der Theologie und an diesem Bauwerk Pastor wie auch verdienstvoller Vorgesetzter (Superintendent). Er wurde geboren in Chemnitz am 7. Januar des Jahres 1693. Nach der Verpflichtung zum protestantischen Pfarrer ist er hierher berufen worden im Jahre 1725, ist friedrlich entschlafen am 16. Juli des Jahres 1770, seiner Ehefrau ein gütiger Mann, ein unvergleichlicher Vater...“

Der Superintendent hat hier schon wieder ein Doppelkinn, seine reiche Bibliothek im Hintergrund und seine gute Bildung zeugen von einigem Wohlstand. In den Sprachen der Bibel, hebräisch und griechisch, ist geschrieben: „Vertrau dem Herrn Deine Wege an („Commenda Domino vias tuas“), auch in der (Zwischen-)Zeit („interim“), wenn es Dir schlecht geht (kakwpaqhson): Der Herr sieht es („JHWH jirae“).“

Allerdings wurden in der damaligen Zeit die Menschen immer dick dargestellt. Wer gut ernährt war und also satt zu essen hatte, galt etwas.

 

Auch aus dem 18. Jahrhundert wird uns von sehr harten Wintern und manchen Unbilden der Natur berichtet, denen unsere Vorfahren viel schutzloser ausgesetzt waren als wir:

„Besonders hart und lang war der Winter 1709, welcher alle vorigen übertrag, so daß die Vögel tot zur Erde niederfielen und viele Menschen erfroren. Jedoch folgte darauf ein fruchtbares Jahr.“ (Geschichte der Kreisstadt Belzig von Dr. Brandt, Jüterbog 1837, in: HG 1/1920). Das war das Jahr, nachdem in Seyda die Kirche und viele Gebäude abgebrannt waren: Schwer wird es die getroffen haben, die in Notunterkünften hausen mußten.

„Aber bei weitem härter und länger andauernd war der Winter 1740. Er fing schon zu Michaelis an und dauerte bis Pfingsten mit gleicher Heftigkeit. Alle Brunnen, Bäche und Flüsse erstarrten, und viele Menschen und Tiere kamen um. Im Juni fingen erst die Bäume an zu blühen und die Ernte erfolgte erst Ende August. Die größte nur denkbare Kälte mit schneidenden Nordostwinden verbunden war am 18. Januar. Infolge dieses heftigen Winters galt ein Schock Stroh 15 Taler, 1 Fuder Heu 14 Taler, der Scheffel Weizen 2 Taler 8 Groschen, Roggen 1 Taler 12 Groschen, Gerste 1 Taler, Hafer 20 Groschen...

Auf den äußerst harten Winter 1740 folgte ein Jahr darauf ein sehr heißer Sommer, welchem mehrere in der Luft sich zeigende Feuerkugeln (Kugelblitze) vorangingen. Die Hitze dauerte bis zum 20. November.“ (HG 1/1920).

 

Neben den Naturkatastrophen gab es auch immer wieder Kriege. Bemerkenswert ist im 18. Jahrhundert der Siebenjährige Krieg: 1756 bis 1763 zwischen Preußen mit Friedrich dem Großen und Sachsen, von dem Seyda als Grenzgebiet natürlich betroffen war. Auch über diesen Krieg ließe sich noch viel berichten.

(Bild im Heimatkalender: Belagerung von Wittenberg 1760; Artikel von Brachwitz im Heimatboten am 25. Juni 1940: „Seyda gehörte zur Zeit des Siebenjährigen Krieges zu Kursachsen, das an der Seite Oesterreichs gegen Preußen kämpfte. In raschem Anlauf hatte Friedrich der Große Sachsen besetzt. Aus einem Brief an seinen Bruder Ferdinand ersehen wird, welche Ortschaften in den ersten Marschtagen erreicht werden müssen. In drei Heeresgruppen sollte sich der Einmarsch vollziehen, alle sollten am dritten Tag vor der Elster an der Elbe erscheinen, um die Schiffsbrücke zu benutzen. Der König selbst wollte über Jüterbog marschieren. Zweilfellos ist bei diesem Vormarsch der preußischen Truppen auch Seyda mit berührt worden, wenn auch keine Nachrichten darüber erhalten sind. Es ist durchaus nicht unmöglich, daß selbst Friedrich der Große auf dem Weg von Jüterbog nach Elster über Seyda gekommen ist. Doch wissen wir auch darüber nichts Genaues. - Erst das Jahr 1760 brachte wieder Truppen in unsere Stadt. Eine preußische Truppe unter dem General Hülsen war bei Wittenberg zurückgedrängt worden, und Oesterreicher besetzten die Umgegend, so auch Seyda. Im Jahre 1760 stand hier in Seyda vorübergehend ein kaiserliches Kommando, das von der Stadt 100 Haferrationen forderte. Da nun die einzelnen Bürger solche nicht sogleich aufbringen konnten, so ging der Amtsrichter Clauß zusammen mit dem Amtmann Johann Christoph Tänzer und dem österreichischen Rittmeister zu dem Bürger Christoph Friedrich Bölcke. Sie baten Bölcke, doch den Hafer vorzuschießen. Derselbe ließ sich auch dazu bewegen, das geforderte Quantum in Höhe von 16 ½ Scheffeln Wittenbergisch Maß herzugeben. Doch soviel Hafer hatte er auch nicht vorrätig, darum ließ er sich den Hafer von seinen damaligen Pächtern holen, denen er aber nach dem Kriege für jeden Scheffel 15 Groschen bezahlen mußte. Doch nach Beendigung des Krieges konnte Bölcke seinen Vorschuß von Seiten der Bürgerschaft nicht zurückerhalten. Er wurde von einer Zeit zur andern getröstet, bis er endlich 20 Jahre später die Stadt verklagte. Nicht besser erging es dem Bürger Johann Adam Hecht. Ende 1762 und Anfang 1763 mußte die Stadt für die preußische Armee neun Rekruten und drei „Stück-Knechte“ (Fahrer für Geschütze) stellen. Dazu wurden 100 Taler benötigt, die Johann Adam Hecht der Stadt vorschoß. Er zahlte das Geld in Leipziger Dritteltalern zu je 8 Groschen. Nun sollte durch eine Umlage in der Stadt das Geld aufgebracht werden und zwar von jedem Großerben 16 Groschen, von jedem Anspänner 12 Groschen und von einem Kleinerben 8 Groschen. Aber erst 1766 gelang es Adam Hecht, durch eine Klage zu seinem Gelde zu kommen.“).

Nicht vergessen werden soll aber, dass Friedrich der Große die Kartoffel in seinen Ländern eingeführt hat, was dann auch bis zu uns Ausstrahlung gefunden hat. Doch der Boden war nicht besonders gut hier, was immer wieder dazu nötigte, sein Brot durch ein Handwerk zu verdienen.

“Im Jahre 1777 schrieb Kurfürst Friedrich August III., daß sich Seyda unter allen Städten des Kurkreises in der Seidenkultur am meisten hervorgetan und dadurch auch ihren ohnehin wegen der Unfruchtbarkeit des dortigen Bodens sehr nahrlosen Ort ein ganz nützliches Gewerbe verschafft hat. Um 1800 finden sich in Seyda blühender Flachsbau, Bierbrauerei, Branntweinbrennerei und Leineweberei (20 Meister).“ (Heimatbuch 52).

 

Eine wirtschaftliche Grundlage war die Viehzucht. Alles war geordnet, wie eine „Vieh- und Hutungsordnung für Seyda“ aus dem Jahre 1787 zeigt:

„Capitel I. Von der Anzahl des jedem Einwohner zu halten erlaubten Viehes... (siehe oben, Band 2). Capitel II. Von der in Ansehnung der Hut und Weide zu beobachtenden Ordnung... Capitel III. Von den Hirten, ihren Knechten oder Jungen, auch Beiboten...“

 

Erstaunlich bleibt, dass die alten Ordnungen, die mit der Einführung des Amtes Seyda am Beginn des 16. Jahrhunderts eingerichtet worden sind, über Jahrhunderte hinweg Bestand hatten. Das Leben lief ruhig dahin, und der Enkel tat die gleiche Arbeit, wie sie schon der Großvater verrichtet hatte. Unterbrochen wurde dies nur durch außergewöhnliche Ereignisse und Katastrophen.

Die Rechtsordnung wurde auch durch harte Strafen durchgesetzt.

 

Im Jahre 1795 fand die letzte Hinrichtung in Seyda statt.

„Der Schmied Weßlau in Seyda hatte in der Seydaer Heide in der Nähe des Schweinitzer Dammes einen alten Mann erschlagen, beraubt und dann den Leichnam verscharrt. Er wurde ergriffen, zum Tode verurteilt und auf dem Weinberg gerädert. Die Herren Gerhardt-Seyda und Gülich-Zahna haben auf Grund mündlicher Überlieferung den Vorgang nacherzählt und veröffentlichen lassen. Es steht fest, dass das Aktenstück mit allen Einzelheiten des Totschlags bei der Auflösung des Seydaer Amtsgerichts verloren gegangen ist. Im Seydaer Pfarrarchiv befinden sich nun zwei Schreiben, die Aufschluß geben über die Stellung des Geistlichen zu dieser Hinrichtung und deshalb auch eines allgemeinen kulturgeschichtlichen Interesses nicht entbehren...

Der Amtmann schreibt an den damaligen Superintendenten Hilliger:
Hochehrwürdiger Herr, hochgeehrter Herr Superintendent! Da ich nunmehr entschlossen bin, den wegen Menschenmordes zur Todesstrafe milles des Rades verurteilten Johann Friedrich Weßlau den 14. August 1795 wirklich mit einer solchen Strafe zu belegen und solche an ihm vollstrecken zu lassen, so ersuche Ew. Hochwürden ich hierdurch ganz ergebenst, den Deliquenten Weßlau nunmehr täglich zu seinem Tode vorzubereiten und mit Gründen aus dem Wort Gottes zur Reue und aufrichtigen Buße zu bringen, auch ihn an seinem Sterbetage mit Ihrem Zuspruch gegen das schuldige Honorarium zu unterstützen, demnächst aber auch dafür gefälligst zu sorgen, daß an den drei letzten Lebenstagen der arme Sünder frühmorgens von dem Herrn Kantor und der Schule besucht, mit zweckmäßigem Gesang erbaut und zu dem vorhabenden wichtigen Schritt vorbereitet, endlich auch am Exekutionstage früh Punkt 8 Uhr das hochnotpeinliche Halsgericht mit der kleinen Glocke eingeläutet werde.

Der ich mit der vollkommensten Hochachtung verharre Ew. Hochwürden ganz ergebenster Christian Andreas Panzer, Amt Seyda, am 20. Juli 1795.

Dem Superintendenten Hilliger stiegen noch mancherlei Zweifel auf über sein Verhalten bei der Hinrichtung. Er wandte sich deswegen nach Wittenberg und erhielt von dort folgende Antwort:

Hochehrwürdiger, hochzuehrender Herr Superintendent! Ich ermangele nicht, Ew. Hochehrwürden auf derogeehrteste Anfragen, die die am 14. August bevorstehende Hinrichtung eines Missetäters betreffen folgendes zu erwidern. - Bei der Wahl der Gesänge, welche lediglich zu Erbauung des Missetäters dienen sollen, kommt alles auf die Bedürfnisse desselben an. In dem gegenwärtigen Falle glaube ich, daß Bußlieder zweckmäßiger sein dürften als Trostlieder. In einer sonst so schwarzen und verwöhnten Seele dürfte die Ehrfurcht vor Gott und seinem heiligen Willen noch wenig Wurzel gefaßt haben. Sie zu erwecken und zu befestigen, ist daher die Hauptfrage. Doch sind solche Sterbelieder, welche diesem Zweck nicht hinderlich sind, ebenfalls mitzunehmen. Bei der öffentlichen Begleitung zum Halsgericht ist nicht sowohl auf den Missetäter als Erbauung der Zuschauer Rücksicht zu nehmen. Auf diese soll die Feierlichkeit warnende Eindrücke machen, daher ich ein Warnungslied, z.B. „Mache dich, mein Geist, bereit“ und andere ähnliche für schicklicher halte als die gewöhnlichen Sterbelieder und als manche Bußlieder. Vor der Hinrichtung pflegt überall geläutet zu werden und immer mit einer kleinen oder kleinsten Glocke. Dies hat also keine Bedenken.

Ob der Missetäter allein oder in Gegenwart anderer beichten solle, das kommt auf die Umstände und sein Bedürfnis an. Sollte das erstere von ihm gewünscht werden oder sonst ratsam sein, so wird ihm gewillfahrt. Gewöhnlich geschieht es in Gegenwart des Kantors und der Schüler.

Da der Missetäter zum Gerichtsplatz auf einer Schleife (zum Verständnis sei noch hinzugefügt, daß Weßlau auf einer Kuhhaut aus der Stadt hinausgeschleift worden sein soll. Die Erinnerung an den Totschlag hat sich tief dem Gedächtnis des Volkes eingeprägt, so daß noch heute viel davon erzählt wird.) abgeführt wird, so halte ich es für unschicklich, wenn die Herren Geistlichen ihn da begleiten. Dies wäre dem Zweck einer solchen Hinführung, welche Abscheu erregen soll, geradezu entgegen. Es ist also genug, wenn Ew. Hochehrwürden absonderlich hinfahren und ihm noch vor der Hinrichtung durch einen kurzen Zuspruch die christliche Gemütsfassung zu erleichtern suchen, mit welcher er sich seiner Strafe unterwerfen soll. - Über die Vorbitte habe ich einige Gedanken in der Beilage eröffnet und hinzugesetzt, der ich mit vorzüglichster Hochachtung unausgesetzt bin Ew. Hochehrwürden ganz ergebenster Diener D. Karl Ludwig Nitzsch, Wittenberg, 6. August 1795.“

(Otto Brachwitz: Von der letzten Hinrichtung in Seyda 1795, HG 10/1929).

 

Tatsächlich ist durch mündliche Überlieferung bekannt, dass der Hingerichtete in einer Ecke des Friedhofs von Seyda begraben wurde. Der Friedhof befand sich damals in der Triftstraße, auf dem heutigen Grundstück Hellner. Voraussetzung für die Beerdigung auf dem Friedhof soll gewesen sein, dass ein Angehöriger den Leichnam berührte.

 

Die schon genannte Erzählung berichtet aus zeitlichem Abstand, ist aber in ihrer Schilderung recht spannend und soll deshalb hier abgedruckt werden:

„Der Raubmord in der Seydaer Heide.

Eine wahre Begebenheit.

Erzählung von Hermann Gülicher aus Zahna.

Ein eisiger Schneesturm tobte. Die Schneeflocken fielen dicht zur Erde nieder. Obgleich am Morgen schöner heller Sonnenschein war, so hatte sich das Wetter nachmittags ins Gegenteil verändert, als ein Greis mit weißen Haaren gegen Abend in einem Gasthof in Seyda einkehrte. Das schöne Wetter am Morgen hatte ihn dazu verlockt eine Reise zu unternehmen, die er innerhalb acht Tagen antreten mußte. Er selbst, ein alter Invalide aus dem siebenjährigen Kriege, in dem er in mancher Schlacht unter den Fahnen Friedrichs des Großen mitgekämpft hatte, war einst in der Schlacht bei Prag verwundet worden. Sein Weib ruhte bereits seit Jahren unter dem grünen Rasen. Nachkommen hatte er nicht. Zu wiederholten Malen hatte er bei den Militärbehörden um eine Unterstützung auf Grund seiner im Feldzuge erhaltenen Verwundung angehalten, auch zugleich auf seine Bedürftigkeit hingewiesen. Jedoch ohne Erfolg. Groß war nun seine Freude, als er den Bescheid erhielt, daß ihm nach langen Jahren eine einmalige Unterstützung von 250 Thalern zuerkannt wäre und er diese persönlich gegen Ausweis seiner Militärpapiere auf dem Landratsamt in Wittenberg in Empfang nehmen könne. Dieses müßte aber noch vor dem Weihnachtsfeste geschehen, was bereits in acht Tagen fällig war.

Die Dämmerung war bereits eingetreten, als er in Seyda eintraf. Den Abend über hatte sich in dem Gasthof, in den er eingekehrt war, weiter kein Gast eingefunden als ein in der Nähe wohnender Schmied. Freudig erzählte er diesem und auch zugleich dem Gastwirt den Grund seiner Reise, betonte auch noch, daß er, wenn es sich tun ließe, morgen Abend wieder hier einkehren würde.

Des nächsten Tages, am Abend, war er dann auch wieder zur Stelle. Auch an diesem Abend war der Schmied wieder anwesend, und fragte den Alten, ob er das Geld erhalten hätte, was dieser vertrauensvoll bejahte. Am andern Morgen trat er die Heimreise wieder durch die Heide an. Kaum war er eine Stunde einsam dahin gewandert, als ihm ein donnerndes Halt! zugerufen wurde. Aber zugleich sauste auch ein schwerer Schmiedehammer auf seinen Kopf nieder, weitere Schläge folgten, und entseelt sank der Greis zur Erde nieder! Dann raubte sein Mörder ihm alle Taschen aus, zuerst das viele Geld, nahm aber auch sämtliche Papiere an sich, die zu einem Ausweis seines Opfers führen konnten, schleifte den Leichnam dann zu einem in der Nähe befindlichen Reisighaufen und bedeckte ihn mit diesem, so daß nichts von ihm zu sehen war.

Der Winter war vergangen; es ist wieder Frühling. Der Schäfer vom Rittergut Gentha hütet am Rande der Seydaer Heide seine Herde. Bald wurde er durch das eigentümliche Benehmen seines alten Hundes aufmerksam. Dieser streckte die Nase in die Höhe und lief dann schnell in den Wald hinein. Bald hörte er, daß dieser kläglich heulte. Gleich darauf kam derselbe zurückgesprungen, und stellte sich laut bellend vor dem Schäfer hin, als wollte er sagen: komm mit, ich habe was gefunden! Dieses war schon einmal der Fall gewesen, als er einmal ein Stück erlegtes Hochwild gefunden hatte. Nun glaubte der Schäfer, daß dieses wieder der Fall wäre, und folgte seinem Hunde, welcher laut bellend vor ihm hersprang. In einiger Entfernung erblickte er nun einen Reisighaufen, vor welchem der Hund stehen blieb, erst die Nase darunter hielt, dann diese in die Höhe streckte und wieder ein klägliches Geheul anstimmte. Als der Hirte in die Nähe des Haufens kam, wurde er starken Leichengeruch gewahr. Er warf schnell die Zacken auseinander und erblickte dann einen alten Mann mit weißen Haaren, die aber größtenteils mit Blut durchtränkt waren. Der Schädel war zertrümmert, auch das Gesicht war mit Blut übergossen. Entsetzt über den grausigen Fund ging er mit seinem Hunde zur Herde zurück, denn es war ihm klar, daß der Alte das Opfer eines Mörders geworden war. Als das Mittagessen ihm von seinem Sohn gebracht wurde, setzte er diesen von seinem Erlebnis in Kenntnis. Die Neugierde trieb diesen auch hin; aber dann eilte er, so schnell er konnte, dem Gutshofe zu und meldete es dem Amtmann von Gentha. Dieser ließ sofort sein Reitpferd satteln und sprengte hinaus zu dem Schäfer, und ging mit diesem zur Mordstelle. Als er den Leichnam eingehend besichtigt hatte, ritt er sofort nach Seyda und meldete die Tat bei dem damals in Seyda befindlichen Amtsgericht an, desgleichen bei dem Magistrat. Bald darauf gingen die Gerichtsbeamten sowie der Magistrat und Stadtverordnetenkollegium, zu denen auch der Gastwirt und jener Schmied gehörten, nach der Heide hinaus, geführt von dem Genthaer Amtmann. Als nun der Gastwirt den Leichnam erblickte, rief er sofort entsetzt aus: „Das ist ja der alte Invalide, der kurz vor Weihnachten zweimal bei mir übernachtet hat!“ Dann trat er aber gleich an den Schmied heran und rief mit bebender Stimme, indem er sich vor die Brust schlug: Mensch! entweder ich oder du, einer von uns beiden hat den alten Mann totgeschlagen, keiner weiter als wir beide wußten es, daß er so viel Geld bei sich hatte. Du hast am andern Morgen aufgepaßt, wie der von uns abreiste, und bist dann hintenrum über die Wiesen ihm nachgelaufen!

Obgleich das Kainszeichen des schuldbelandenen Gewissens sich in dem Gesicht des Schmiedes abspiegelte über die so unerwartete Herausforderung, so hatte er dennoch die Frechheit, dem Gastwirt Beleidigungen ins Gesicht zu werfen, daß dieser den Mord begangen hätte während der Nacht, wo der Alte wieder auf der Rückreise war. Darüber geriet der Gastwirt so in Wut, daß er sich gleich auf den Verleumder stürzen wollte. Aber dieser kam ihm zuvor und lief so schnell er konnte davon. Gleich an Ort und Stelle wurde nun über die Sache beraten und der Beschluß gefaßt, den Schmied zu verhaften. Als aber die Polizeibeamten in dessen Behausung kamen, war dieser nicht mehr zu finden, er hatte den Vorsprung zur Flucht benutzt. Ausgesandte Boten konnten nichts über ihn ermitteln, Eisenbahnen, Telegraphen und Fernrufleitungen gab es damals noch nicht. Es war mithin sehr schwer, einen Verbrecher ausfindig zu machen und zu ergreifen. Eine ganze Anzahl von Jahren war bereits verflossen. Die Macht des großen Korsen Napoleon wurde in der großen Völkerschlacht bei Leipzig gebrochen. Auch die Sachsen, welche mit Napoleon gekämpft hatten, traten zu den verbündeten Preußen, Russen und Oesterreichern bei Leipzig über, und zogen mit allen diesen über den Rhein nach Elsaß-Lothringen hinein. Ein sächsisches Dragoner-Regiment kam in Schlettstatt ins Quartier. Bei diesem dienten auch mehrere, die aus Seyda und den nahe leigenden Ortschaften stammten. Einer von denen mußte sein Pferd neu beschlagen lassen. In der Schmiede traf er einen alten Schmiedegesellen an, in welchem er den Flüchtling aus Seyda zu erkennen glaubte. Vorsichtig ließ er sich mit diesem in ein Gespräch ein. Nach Beendigung desselben hatte er die volle Gewißheit, daß dieser Geselle der steckbrieflich gesuchte Schmied aus Seyda war. Er meldete die Sache ganz ausführlich seinem Vorgesetzten. Dieser wieder meldete es dem Rittmeister. Der Dragoner wurde dann noch einmal ganz ausführlich verhört. Die Folge davon war, daß der Schmiedegeselle ebenfalls verhört wurde. Nach anfänglichem Leugnen mußte er eingestehen, daß er der Gesuchte sei. Darauf wurde er gleich festgenommen und von zwei Dragonern nach der Heimat zurücktransportiert.

In Seyda angelangt wurde dem Mörder der Prozeß gemacht und zum Tode durch den Strang verurteilt. Am Tage seiner Hinrichtung wurde er von den Gehilfen des Scharfrichters aus Schweinitz als Zeichen des Abscheus auf einer Ochsenhaut über das Pflaster von Seyda geschleift. Vor seinem Hause angelangt wurde es ihm gestattet, sich zu erheben und noch einmal hinein zu gehen, um Abschied zu nehmen. Aber die Türen waren verschlossen, die Fenster dicht verhängt. Unversöhnt ist er von den Seinen geschieden. Als das Pflaster aufhörte, ließ man ihn aufstehen und den Weg bis zur Richtstätte zu Fuß zurücklegen. Nach der Hinrichtung hat sein Leichnam noch acht Tage zur Schau am Galgen gehangen. Dies ist die letzte Hinrichtung in Seyda gewesen.“

(HG 7/1920).

 

Ein ausführliches Quellen- und Literaturverzeichnis findet sich am Ende des letzten Bandes. Abkürzungen: G - Geschichte Sachsen-Anhalts; HG - Heimatgrüße; HK - Heimatkurier; SSLB - Seydaer Stadt- und Landbote.