Die

Geschichte

der

Kirche

in

Gadegast.

 

 

 

 

Im Sommer 1996 gelangte ein Teil des Nachlasses von Pastor Voigt und mit ihm die „Heimatgrüße“ wieder nach Gadegast zurück. Herr Max Herbert Rietdorf aus Sierksdorf, ein alter Gadegaster, stellte sie freundlicherweise zur Verfügung. Damit wurde es möglich, diese Chronik zu schreiben.

 

Allen sei herzlicher Dank gesagt, die durch ihr Erzählen und Zur-Verfügung-Stellen von Material dazu beigetragen haben, besonders aber denen, die auch in schweren Tagen zu ihrer Kirche in Gadegast gestanden haben.

 

Gott schütze Gadegast!

 

6. März 1997

 

Irmgard Grützbach

Thomas Meinhof, Pfarrer für Gadegast

 

2.   Auflage November 1997.

3.   Auflage April 1998.

4.   Auflage Mai 1999.

5.   Auflage November 2000.

6.   Auflage, ergänzt, Dezember 2007.

 

 

 

 

850 Jahre ist die Kirche von Gadegast alt. Damals gab es in unserer Gegend drei Volksgruppen: die Wenden, die Germanen und die Flamen.

Die Wenden waren aus dem Osten hierher gekommen. Etliche Ortsnamen wie „Morxdorf“, „Mellnitz“, „Zemnick“ und auch „Gadegast“ erinnern an sie. Die Ortsbezeichnung „Gadegast“ könnte etwas mit der sumpfigen Gegend zu tun haben, die sie besiedelten. Typisch für die Wenden ist auch die Anlage der Dörfer in Hufeisenform, wie wir es in Morxdorf und Zemnick finden.

Ein germanischer Stamm machte den Wenden das Gebiet streitig. Über viele Jahre und Jahrhunderte dominierten die kriegerischen Auseinandersetzungen, aber es gab auch Zeiten, in denen beide Volksgruppen friedlich nebeneinander lebten. Schließlich setzten sich die Germanen durch, und die Wenden wohnten oft außerhalb auf dem „Kiez“ oder dem „Kanipp“. Solche Bezeichnungen findet man ja auch noch heute in Seehausen und in Mellnitz. Noch im Jahre 1620 werden im Jessener Kirchenbuch drei wendisch sprechende Bewohner verzeichnet. Luther fand bei seinen Visitationen ein wendisches Vater Unser vor:

Wotce nas, kis syw njebjesach / swjec so Twoje mjeno / princ knam Twoje kralestwo / stain so Twoja wola / kaz na njebju tak na zemi / wsedny chleb nas daj / nam dzens a wodaj nam nase winy / jako my tez wodawamy swojim / winikam a njewjedz nas do spytowanja / ale wumoz nas wot zleho / amen.

 

Unsere Gegend kam als Lehn zum Erzbischof von Magdeburg. Dadurch wurde die Ausbreitung des Christentums stark vorangetrieben. Vor allem ein Bischof Norbert, der von 1126 bis 1134 das Land regierte, setzte sich dafür ein.

In dieser Zeit ist wohl auch die Gadegaster Kirche gebaut worden. Man nahm große Feldsteine, Raseneisenstein, und baute im romanischen Stil nach dem Vorbild der großen romanischen Basiliken. Auch in unserer Kirche gibt es die deutliche Einteilung: der östliche Teil ist der Chorraum mit der Apsis, der den Geistlichen vorbehalten war, der westliche war der Raum der Gemeinde. Getrennt werden beide Bereiche durch den großen runden Triumphbogen, in dem vielleicht auch einmal ein Kreuz gehangen hat. Die ursprünglichen Türen sind noch zu erkennen: Sie wurden an der Südseite angelegt, dort, wo das Wetter am freundlichsten war. Es gab eine Gemeindepforte, die heute zugemauert ist, und eine Priesterpforte.

Gadegast wird von Anfang an eine Pfarrstelle gewesen sein, denn die vier Hufen Acker, mit denen jede Pfarrstelle seit Ludwig dem Frommen dotiert war, sind in Gadegast bis auf den heutigen Tag nachweisbar. Das sind ca. 32 Hektar. Der Pfarrer konnte dieses Land entweder selber bewirtschaften oder verpachten und hatte damit die Basis für seinen Unterhalt. Zeitweilig unterhielt der Gadegaster Pfarrer vier Hüfner, sogenannte „Pfarrdotalen“.

 

Bis in unsere Zeit hinein reicht die Verbindung der alten „Muttergemeinde“ Gadegast mit der „Tochtergemeinde“ in Zemnick. Die Konfirmanden und ganz früher sogar alle Schüler mußten nach Gadegast zum Unterricht kommen, die Zemnicker hatten Mitverantwortung für das Pastorhaus in Gadegast: so sollten sie den Zaun gen Zemnick in Ordnung halten; und 1993 wurde Herr Richard Bernholz beerdigt, der den alten Pastor Voigt sonntäglich mit der Kutsche nach Zemnick brachte zum Gottesdienst. Diese Beziehung nach Zemnick ist uralt und wurde nur deshalb unterbrochen, weil sich die Zemnicker Bauern weigerten, die Straße durch ihr Dorf ganz befestigen zu lassen. Ihnen genügte der Anschluss nach Süden, weil sie bei einer Durchgangsstraße befürchteten, das Vieh würde bei dem täglichen Auf- und Abtrieb von den Höfen auf die Weiden gestört werden. Deshalb ist die Verbindung von Zemnick nach Gadegast ein Feldweg geblieben.

 

Wie auch die anderen Kirchen der Umgebung war die Gadegaster Kirche eine Wehrkirche. Oft wird sie zum Schutz gebraucht worden sein, bei den vielen Kriegen und Fehden, die es in unserer Gegend damals gab. Die Fenster waren natürlich sehr viel kleiner, etwa so groß, wie noch ein ursprüngliches Fenster in der Mellnitzer Kirche vorhanden ist. So war es in der Kirche sehr dunkel. Nur am Altar brannten hell die Kerzen. Gesungen wurde auswendig, aber vor der Reformationszeit war der Gemeindegesang allgemein unüblich: dieses aktive Element des Gottesdienstes hat erst Luther eingeführt. Also sangen Pfarrer und auch der Küster, den Gadegast bis in das 18. Jahrhundert hinein hatte, wohl meist allein.

 

Der Markgraf Albrecht der Bär von Brandenburg unterwarf um 1150 die Wenden gänzlich und versuchte zusammen mit seinem Freund, dem Erzbischof Wichmann von Magdeburg, die durch den langen, blutigen Vertilgungskrieg entvölkerte und verwüstete Gegend der Wenden zu kolonisieren und zu kultivieren.

Er rief die Flanderer oder Fläminger ins Land, die aus Holland kamen und wegen gewaltiger Über-schwemmungen ihre Heimat aufgegeben hatten. Die Spuren der niederländischen Ansiedlungen sind zahlreich. Man kann sie sowohl in den Ortsnamen als auch in der Sprache und selbst in den alten Trachten wiederfinden. Gadegast liegt am südlichsten Rand dieses Siedlungsgebietes der Fläminger.

Ein alter Pfarrer hat dazu ein Gedicht geschrieben, auch auf flämisch:

 

 

 

Ein Fläminglied

von Wilhelm Schröter

 

„Von Wittenberg bis Jüterbog,

von Belzig bis nach Seyde,

im Ländchen ohne Bach und Berg,

da wohnen gute Leute.


Das ist der alte Flämingstamm

Die Wüstenei zu bessern,

rief ihn Fürst Albrecht einst beisamm,

auch dürres Land zu wässern.

 

Sie kamen aus der Ferne her

ins Land des Sands, der Fichten

vom großen und gefräßgen Meer,

das Kreuz hier aufzurichten.

 

Noch stehn die alten Kirchen fest,

von Findlingsstein gefüget,

zum Zeichen, daß der Christengott

den „Jutrebog“ besieget...“

 

Die Flamen gründeten Städte und Dörfer, sie betrieben Ackerbau, führten zahlreiche Rodungen und Trockenlegungen durch; sie entwickelten das Handwerk, speziell die Leineweberei und die Tuchmacherei.

 

1385 wird ein „Okercz von Gotegast“ in einer alten Urkunde erwähnt, die man heute im Staatsarchiv Weimar finden kann.

 

Die ordentlich dokumentierte Geschichte für Gadegast beginnt im Jahre 1501. In diesem Jahr kaufte der Kurfürst Friedrich der Weise für 20.000 Meißner Gulden das Land und schuf  ein Amt und Vorwerk Seyda. Gadegast wurde sächsisch. Das Amt Seyda war eines der drei Wittumsämter, welche den zu Lichtenburg wohnenden kurfürstlichen Witwen gehörten. Die Bauern aus Gadegast hatten also mit anderen Dörfern diese Witwen auf der Lichtenburg mit Nahrungsmitteln zu versorgen.

Mit dem Anschluss an Sachsen tauchte Gadegast in das Licht der Weltgeschichte. Am 31. Oktober 1517 nagelte nicht weit von hier der Mönch und Theologieprofessor Martin Luther seine 95 Thesen an die Schlosskirche in Wittenberg. Das war der Beginn einer grundlegenden Reformation der Kirche. Etwa zehn Jahre später, im Jahre 1528, machte sich Luther mit seinen Freunden auf, im umliegenden Land um Wittenberg die Gemeinden zu besuchen und zu sehen, was von der Erneuerung der Kirche denn hier geschehen sei. Er fand verheerende Zustände vor: Die Leute meinten, jetzt müsse man ja nicht mehr in die Kirche gehen, da der Zwang weg sei, und sie ließen es dann auch meist bleiben. Sie kümmerten sich wenig um Pfarrer und Kirche, so daß viele Pfarrer am Hungertuch nagten und die Kirchen verfielen. In manchen Orten wird in den Akten verzeichnet, der Gottesdienst müsse wegen Baufälligkeit der Kirche „unter einem Baume“ abgehalten werden. Auch waren die Pfarrer schlecht ausgebildet. Mancher konnte nicht einmal das „Vater Unser“ aufsagen. Nun sind ganz direkt für Gadegast solche Meldungen nicht überliefert, bis auf den einen Satz: „Die Bauern kommunizieren nicht.“ (gehen nicht zum Abendmahl).

 

Eine Wende dieser Verhältnisse hat Martin Luther durch sein Predigen persönlich mit herbeigeführt. Im Anschluss an seinen Besuch in Gadegast hat er den Kleinen und den Großen Katechismus geschrieben. Der Kleine Katechismus „für Haus, Schule und Kirche“, der noch heute in jedem evangelischen Gesangbuch zu finden ist, enthält die wichtigsten Stücke des christlichen Glaubens (Zehn Gebote, Glaubensbekenntnis, Vater Unser, Taufe, Abendmahl) mit kurzen Erklärungen, die von nun an in den Häusern und in den Schulen sowie natürlich in den Kirchen in ständigem Gebrauch waren und sind bis in unsere Zeit hinein. Der Große Katechismus war „für die Pfarrherren“ bestimmt, eine prägnante, weiterführende Erklärung zu den Elementarstücken. Die Bauern von Gadegast, ihre Kinder, ihren Lehrer und ihren Pfarrer hatte Martin Luther vor Augen, als er diese großen Werke schrieb!

 

Trotz dieser Erneuerung der Kirche haben sich etliche Bräuche, die wir heute als „katholisch“ bezeichnen würden, weil sie heute meist in katholisch geprägten Gebieten gepflegt werden, noch weiter gehalten. So sollen die Pfarrer bis zum Beginn unseres Jahrhunderts zum Segnen der Felder hinausgegangen sein, um für eine gute Ernte zu bitten. Einmal, so erzählte ein alter Mann noch 1995, sei der Pfarrer von einem Bauern auf ein Feld geführt worden, was sehr schlecht bestellt worden war. Der Pfarrer weigerte sich, den Segen dazuzugeben, und rief entrüstet: „Hier hilft nur Mist!“

 

Bis in unser Jahrhundert hinein gab es in Gadegast Abendmahlsfeiern mit vorangehender „Beichte für die Jugend“, die vielleicht sogar in dem kleinen Häuschen hinter dem Altar durchgeführt worden sein könnten. So war es auf einem alten Abkündigungszettel von 1927, der beim Kirchenputz gefunden wurde, zu lesen.

An die vorreformatorische Zeit erinnert auch noch die kleine Nische in der Apsis der Kirche: dort hat gewiss einmal eine Heiligenfigur gestanden. Vor der Restaurierung im Jahre 1996 war auch noch eines der zwölf Weihekreuze zu sehen, mit der die Kirche einmal geweiht worden ist: rechts hinter der rechten Altartür in Augenhöhe. „Auf den Grund der Apostel will ich meine Kirche bauen“ hat Christus gesagt: es waren zwölf, und deshalb setzte man zwölf solcher Weihekreuze in die Kirche.

Vor der Renovierung im Jahre 1908 ist am Altar eine alte Marienstatue aufgetaucht. Der Gemeindekirchenrat überlegte daraufhin, ob sich eine Reparatur derselben lohne wegen der Kosten. Im Heimatmuseum in Seyda, was jetzt teilweise auf der Lichtenburg ausgelagert ist, findet sich eine Marienstatue. Ob es wohl dieselbe ist?

 

Lange Zeit hielten sich auch noch die alten Gewänder mit Albe und Kasel, wie die Rechnungen belegen: 1555 wurde eine Kasel und zwei Alben angeschafft, 1617 beim Abendmahl ein Messgewand benutzt; 1671 gab es ein neues Messgewand. Der Pfarrer hatte also ein weißes Kleid an, darüber einen farbigen Umhang.

 

Im Jahre 1529 standen die Türken vor Wien und bedrohten das christliche Abendland. Auch in Gadegast wurde eine „Türkensteuer“ zur Abwehr der Feinde erhoben, für die Jahre 1531 und 1542 ist das belegt. Dabei werden 1542 in Gadegast neben dem Richter  31 Personen erwähnt, wovon sechs als Gärtner bezeichnet werden.

 

Von den Kriegen und Katastrophen ist eine der schwersten wohl der Dreißigjährige Krieg gewesen. Ganze Dörfer sind damals ausgestorben. 

Im Jahre 1625 zog Wallenstein mit seinen Truppen durch unser Gebiet.

 „Was sich nicht in unwegsame Sümpfe und Wälder flüchten konnte, das ging verloren; und was von der Geisel des Krieges und den wilden Lüsten entmenschter Kriegshorden verschont geblieben war, das fiel der Hungersnot und der Pest zum Opfer.

In den Jahren 1635 und 1636 müssen die Kriegsnöte nach den Schilderungen eines Augenzeugen, des damaligen Superintendenten Mühlig, die furchtbarste Höhe erreicht haben. Heerhaufen um Heerhaufen zogen kreuz und quer von Ort zu Ort, und jeder stellte seine unerfüllbaren Forderungen. Die Leute, die doch nichts mehr hatten und herbeischaffen konnten, wurden gemisshandelt und zu Tode gequält und gefoltert. Frauenschändung war an der Tagesordnung. Keine wurde geschont, der man habhaft werden konnte, auch Kinder und Greisinnen nicht. Den Männern reichte man den Schwedentrunk und füllte ihnen Mistjauche ein, bis sie starben, nur weil die Menschen kein Geld mehr hatten und keine Lebensmittel und Vieh, das man von ihnen haben wollte. Alles, was noch fliehen konnte, floh.“ - so schreiben es die „Heimatgrüße“ nach den Aufzeichnungen des Superintendenten Mühlig in der Turmkugel zu Mellnitz.

 

Die Kirchen in Morxdorf und Mellnitz lagen nach dem Dreißigjährigen Krieg brach, von der Kirche in Morxdorf ist bekannt, dass sie erst 1720 wieder aufgebaut worden ist. Über Gadegast existieren keine genauen Nachrichten. Aber sicher wird auch dieses Dorf in große Not geraten sein. 18 Häuser waren am Ende des Krieges übrig geblieben.

Ein Bauer Müller aus Gadegast soll später die letzten Bewohner von Rogösen aufgenommen haben und bekam dafür ein großes Stück Land von den 13 Hufen (ca. 52 ha), die Rogösen umfasste, dazu.

Ein Augenzeuge und Leidensgenosse dieser Zeit ist Paul Gerhardt gewesen. Er ist in Gräfenhainichen geboren, wurde dann Hauslehrer und Pfarrer in Berlin und später in Lübben. Vier Kinder hat er verloren. Seine Lieder gehören noch heute zu den beliebtesten in unseren Kirchen: „Geh aus mein Herz und suche Freud“, „Wenn ich einmal soll scheiden“, „Ich bin ein Gast auf Erden“:

 

„Ich bin ein Gast auf Erden

und hab hier keinen Stand;

der Himmel soll mir werden,

da ist mein Vaterland.

Hier reis ich bis zum Grabe;

dort in der ewgen Ruh

ist Gottes Gnadengabe,

die schließt all Arbeit zu.

 

Was ist mein ganzes Wesen

von meiner Jugend an

als Müh und Not gewesen?
Solang ich denken kann,

hab ich so manchen Morgen,

so manche liebe Nacht

mit Kummer und mit Sorgen

des Herzens zugebracht.

 

Mich hat auf meinen Wegen

manch harter Sturm erschreckt;

Blitz, Donner, Wind und Regen

hat mir manch Angst erweckt;

Verfolgung, Hass und Neiden,

ob ich´s gleich nicht verschuld´t,

hab ich doch müssen leiden

und tragen mit Geduld.

 

So ging´s den lieben Alten,

an deren Fuß und Pfad

wir uns noch täglich halten,

wenn´s fehlt am guten Rat;

sie zogen hin und wieder,

ihr Kreuz war immer groß,

bis dass der Tod sie nieder

legt in des Grabes Schoß.

 

Ich habe mich ergeben

in gleiches Glück und Leid,

was will ich besser leben

als solche großen Leut?

Es muss ja durchgedrungen,

es muss gelitten sein;

wer nicht hat wohl gerungen,

geht nicht zur Freud hinein.

 

So will ich zwar nun treiben

mein Leben durch die Welt,

doch denk ich nicht zu bleiben

in diesem fremden Zelt.

Ich wandre meine Straße,

die zu der Heimat führt,

da mich ohn alle Maße

mein Vater trösten wird.“

 

Im 18. Jahrhundert gab es ein Kirchensiegel für Gadegast, was die Worte des Psalms aufnahm: „Ich bin ein Gast auf Erden!“ und damit auf den Ortsnamen „Gadegast“ anspielte.

 

Neben den Katastrophen durch Menschenhand gab es auch viele Naturereignisse, Krankheiten und Feuer, die den Gadegastern zu schaffen machten. So ist es nicht selten, dass die Hälfte der geborenen Kinder noch im zarten Alter wieder starb. Oft brannte es, und durch die vielen strohgedeckten Häuser und Scheunen konnte sich das Feuer dann „wie ein Lauffeuer“ ausbreiten. Bis in unser Jahrhundert hinein gab es die Strohdächer, die letzten waren noch bis zum Zweiten Weltkrieg auf den Häusern bei Schulzes und Müllers (Dorfstraße 61 und 63) zu finden.

 

Im Jahre 1708 brannte das Städtchen Seyda zu großen Teilen nieder. Die Chronik berichtet, dass damals die Kirche von Gadegast bisweilen die Gottesdienstbesucher aus Seyda aufgenommen hat, bis 1711 die neue Kirche in Seyda erbaut war.

Aus dieser alten Zeit gibt es freilich auch gute Nachrichten:

Das alte Pastorhaus in Gadegast wurde 1718 gebaut, wie man noch heute über dem Eingang lesen kann. Der Dachstuhl ist wohl von einem anderen Haus übernommen worden: er passt nicht ganz. Die Spuren an großen Dachbalken weisen ferner daraufhin, dass der westliche Teil auch als Getreidespeicher genutzt worden ist: Der Pastor betrieb also selbst auch Landwirtschaft oder bekam wenigstens sein Gehalt auch in Form von Naturalien.

Am 30. Oktober 1732 wurden in Gadegast Drillinge geboren. Der Vater war Andreas Matthies. Dasselbe geschah im April 1831 wieder bei der Familie Clemens: drei Mädchen wurden ihnen geschenkt. In diesem Jahrhundert steht das Ereignis noch aus...

Im Jahre 1763 starb Herr Bartholomäus Rettler aus Gadegast im Alter von 103 Jahren!

Aus dem Jahr 1780 kommt die Nachricht, dass in Gadegast eifrig Maulbeerbäume angebaut worden sind.

 

Im Jahre 1806 wurde das Land durch die Franzosen besetzt. Napoleon eroberte fast ganz Europa. Auch die Gadegaster hatten darunter zu leiden. Eine alte Frau erzählt davon:

„Kinder, es waren schlimme Zeiten, so lange Napoleon im Lande war. Es waren aber nicht die Franzosen allein, die nahmen, was sie finden konnten, sondern auch die Preußen und die Russen. Da mussten die Pferde am Tage versteckt werden, und trotzdem wurden die meisten gefunden und mitgenommen. Am schlimmsten waren die Marodeure, die nicht mehr laufen wollten, sie nahmen sich einfach Pferde und ritten darauf davon. Die Kühe und Ochsen wurden zur Verpflegung der Soldaten weggetrieben, so dass im ganzen Dorfe fast keine Kuh mehr war...“ „Da haben die Bauern immer des Nachts geackert...“.

 

Am schlimmsten war der September 1813: Sechs- bis siebentausend Preußen rückten in Seyda ein. Am 5. September 1813 fand ein schweres Gefecht zwischen Zahna und Gadegast statt. 300 Soldaten kamen ums Leben, 15 Unteroffiziere und fünf Offiziere. Eine 84 Jahre alte Witwe starb wenige Tage darauf an den Folgen einer Schusswunde. Sie hatte sich wohl nicht wie die anderen im Sumpf versteckt. Dieser Sumpf war in den Kriegen schon oft der Zufluchtsort der Bauern gewesen, die sogenannte „Nachthainigte“ zwischen Gadegast und Schadewalde, in die sie mit Vieh und Habseligkeiten flohen. Dort hausten sie tagelang unter freiem Himmel und tranken das in den Pferdetrappen sich sammelnde Schmutzwasser. Das war wohl ein Grund dafür, dass danach viele Krankheiten ausbrachen: Stickfluss, Ruhr, Nervenfieber und Blattern. Für das Jahr 1813 sind im Kirchenbuch 29 Sterbefälle verzeichnet, das sind etwa 10% der Einwohner, davon allein im Dezember elf. Auch  der Pfarrer starb infolge Nervenschwäche im Februar 1814. Der Pfarrer von Seehausen, dessen Pfarrhaus mit dem halben Dorf abgebrannt war, nahm zum 1. Januar 1815 in Gadegast Quartier und blieb bis 1827.

 

Bei jenem Gefecht zwischen Zahna und Gadegast kam auch die Kirchenkasse abhanden. Etwas mehr als 47 Taler in bar hatte der Kirchenvorsteher Christian Flemig bei sich zu Hause. Er wohnte in dem Gehöft, was heute der Familie Arnold und Dietmar Clemens gehört. Durch Brand und Plünderung wurde sein Anwesen zerstört und auch die Kirchenkasse verschwand.

Immerhin soll das preußische Regiment einen zehntägigen Kriegssold für die anliegenden Dörfer der Kriegshandlungen bei Gadegast geopfert haben, das waren 2.500 Taler, zur Linderung der Not.

Am Morgen des 6. Septembers zog das XII. Korps des französischen Generals Qudinot durch Seyda, die Schlacht bei Dennewitz begann. Die Franzosen wurden vernichtend geschlagen und zogen sich zurück. Am 12. September nahm Graf Bernadotte, Oberbefehlshaber der siegreichen preußischen Truppen, in Seyda sein Hauptquartier.

 

Der Sieg der Preußen wurde noch 100 Jahre später durch das Errichten des Denkmals vor der Kirche und das Pflanzen von Linden zu Ehren der damaligen preußischen Königin Luise gefeiert - dabei war Gadegast zu dieser Zeit sächsisch gewesen. Sachsen war mit den Franzosen verbündet und hatte die Schlacht verloren!

 

Aus diesem Grund kam ein großer Teil Sachsens nach Preußen. Das wurde 1815 auf dem Wiener Kongress bestimmt, und Gadegast zählte nun zur neuen preußischen „Provinz Sachsen“, deren Grenzen im Wesentlichen noch heute mit der „Kirchenprovinz Sachsen“ übereinstimmen, zu der unsere Kirchengemeinde gehört.

 

Der preußische König Friedrich Wilhelm III., der das Land übernahm, war ein frommer Mann. Zum Reformationsjubiläum 1817 versuchte er, die Kirche in seinem Land zu erneuern. Er schrieb selbst eine Gottesdienstordnung, und von nun an sollten alle Pfarrer in Preußen mit dem schwarzen Talar und dem weißen Beffchen den Gottesdienst feiern, was ursprünglich als Schutz des Stoffes vor dem Bart gedacht war. Das ist die Kleidung, die Luther als Professor in Wittenberg getragen hat.

Der preußische König übernahm auch die Patronatsrechte für die Kirche. Das heißt, er sorgte zu einem großen Teil für die bauliche Unterhaltung. 1996 haben wir diese alten Rechte neu beim Land anmelden können.

 

Den Beschluss, die Pfarrstellen Seehausen und Gadegast vorerst zu vereinigen, hatte noch das Dresdner Konsistorium gefasst, auf sechs Jahre war es gedacht. Das neue Konsistorium in Magdeburg ließ diesen Zustand bis zum Jahr 1827 bestehen.

 

Ein Lexikon aus dem Jahre 1816 berichtet uns, dass es in Gadegast neben Kirche und Schule eine Windmühle und 38 Häuser gab, die von 14 Hüfnern, 18 Kossäten und vier Häuslern nebst ihren Familien und dem Gesinde bewohnt wurden. Zusammen hatten sie 48 Hufen Land (ca. 200 ha). Zum Dorf zählte auch die wüste Mark Rogösen mit 13 Hufen (ca. 50 ha).

Ein anderes Lexikon von 1818 zählt 40 Häuser und 235 Seelen, darunter als Besonderheit ein Schmied.

Noch heute zu sehen ist die alte „Großbauernreihe“, in deren Mitte das Pfarrhaus steht. Östlich des Pfarrhauses wohnte „Pastor Wegener“, der von den anderen Wegeners dadurch unterschieden war, dass er neben dem Pastor wohnte. Aus dieser Familie wurden viele Jahre die Bürgermeister gestellt. Vielleicht ist das auch der Grund, warum sie ein Stück vor bis an die Straße bauen durften, während die anderen Häuser alle ein Stück zurückstehen. Diese Wirtschaft war lange Zeit die „Nr. 1“ in Gadegast.

 

Über die Zeit in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gibt es einen Bericht von dem achtzigjährigen Georg Lange, der 1899 dem alten Pfarrer Schreyer davon erzählte.

Er berichtet, wie die Schule vormittags von den Älteren, im Sommer von sechs bis neun Uhr, im Winter eine Stunde später, besucht wurde. Nachmittags wurden die Jüngeren unterrichtet. „Der Hütejunge, der die Schweine des Dorfes hüten musste, ging von früh 5 bis ½ 7 Uhr in die Schule... Wir lasen in der Schule aus dem biblischen Historienbuch...“ .

„Die Lebensweise war eine sehr einfache. Kaffee gab es nur an Festtagen, selten am Sonntag. In der Regel gab es früh Mehlsuppe mit Mohn oder Milch vermengt, aber ohne Butter daran. Butter gab es überhaupt zu der Zeit nicht viel, denn die Bauern hatten nur zwei bis drei Kühe im Stalle stehen und wenig Futter. Das Vieh wurde auf die Weide hinter den Gärten getrieben, wo Sumpf und Wiese und Ellerndickicht sich bis Schadewalde und Zemnick hin ausbreiteten. Die Mehlsuppe aß man zu Hause, nachdem die Leute schon von 4 bis 9 Uhr geackert hatten. Im Herbst wurde kein Mittag gehalten, sondern es wurde in der Bestellzeit bis um 3 Uhr gepflügt, dann erst gab es Mittagbrot. In dieser Zeit, wo es galt, das Saatkorn zu gewinnen, wurde von früh um 3 bis 9 Uhr mit dem Flegel gedroschen, Tag für Tag. Dann gab es das erste Frühstück, Suppe mit Brot und Butter oder Quark. Zweimal in der Woche wurde Fleisch gegessen. Im ganzen Jahre schlachtete der Bauer ein Schwein. Nur ganz selten wurde auch ein Rind geschlachtet.  Außerdem wurden noch ein paar Gänse, Tauben und Hühner zur Mahlzeit geschlachtet... Tagelohn gab es 25 Pfg. und Essen und Trinken. Abends wurde Brot in Milch eingebrockt, und dann aß man noch hinterher seine „Bamme“. Im Winter gab es statt der Mehlsuppe abends mitunter auch mal Kartoffeln, aber nicht so oft wie jetzt. Wenn die Abendmahlzeit vorüber war, dann gingen die Knechte oft zum Kuhhirten, statt in die Spinnstuben. Eine Schenke gab es derzeit nicht, als ich junger Bursche war. Die erste Schenke kam 1844 auf, ein Häusler mit Namen Wolrath hat sie im Garten des Kuhhirten gebaut und war der erste Gastwirt hier in Gadegast. Der Kuhhirte war damals eine wichtige Persönlichkeit. Er selber hütete die Kühe, ein von ihm gemieteter Knecht die Schafe und ein Junge die Schweine. Die Schäfer strickten Handschuhe, das Paar für 25 Pfg. und Strümpfe, das Paar für 75 Pfg. Die Kunst des Strickens übten auch andere Männer, die Knaben lernten sie schon beim Hüten. Die Frauen konnten nicht stricken... In Gadegast und Mellnitz wurde in meiner Kindheit Schnaps gebrannt von einem Häusler Thiele, aus Roggen... In Gadegast machte man sich Dünnbier (Kovent) aus geröstetem Gerstenbrot und warmen Wasser, mit Hefe und mit Hopfen gewürzt... Die Hundewagen sind erst seit 28 Jahren (nach dem Kriege 1870/71) aufgekommen...“

 

Interessant ist auch seine Beschreibung der Feste, die in Gadegast begangen wurden:

„Von den Festzeiten wurden besonders gefeiert:

1.   Der Himmelfahrtstag. An demselben wurde keine Nadel und kein Strumpf angerührt (wie das auch heute noch üblich ist), während sonst die Frauen und Mädchen des Sonntags nähen, die Sachen in Ordnung zu bringen, zu flicken und zu stopfen pflegten. An diesem Tage aber geht man allgemein in großen Gruppen spazieren. Man trifft sich auf dem Kirchhofe, geht gemeinsam aufs Feld, auch nach dem Seydaer Friedhofe. Dort wurden die Denkmäler besehen. Früher waren Grabdenkmäler etwas Seltenes, ärmere Leute konnten und mochten sich den Luxus nicht leisten. Des Abends wurde von der Jugend nach der Ziehharmonika getanzt.

2.   Pfingsten. Da wurden die Häuser alle mit Maien geschmückt (auch heute noch). Der Küster musste die Kirche maien, wofür ihm ein gewisses „Maiengeld“ gezahlt wurde. Auf jeden Frauenstuhl kam ein Zweig. An diesem Feste fand das Reiten statt. Schon vor der Kirche am 2. Feiertag wurde Probe geritten. In der Kirche erschien dann die ganze Jugend zum Festgottesdienst. Um 1 Uhr ging es mit Musik zum Dorfe hinaus. Die Mädchen mit einem großen Kranze vorneweg, an demselben hingen die bunten Tücher und eine Tute als Gewinn für die Reiter, die nachfolgten. Im Hause des ältesten Mädchens versammelten sich die Dorfschönen und wurden von der Musik abgeholt nach der Schenke und dem Dorfplatz, wo die Reiter hielten. Am Nachmittag wurde dann getanzt, wobei die Burschen die Musik bezahlten mit 1,25 Mark die Person. Auch das Bier bezahlten die Burschen. Getanzt wurde bis 1 Uhr. Neumodische Kleider gab es damals noch nicht. Die Mädchen tanzten im bunten Rock mit entblößten Armen. Kurze weiße Battistärmelchen wurden an das kurze weiße Jäckchen angenäht, das man unter dem Mieder trug. Dies nannte man „welsche Joppen“.

3.   Johannistag (24. Juni). Es wurden Zacken und Zweige bis auf die Spitzen von den Elsen abgehauen, welche auf der „Nachtweide“ (die Wiesen hinter dem Pfarrgarten) standen. Auf die Spitzen der Elsen band man dann Sträuße von Feldblumen. Nachmittags wurde vor der Schenke ein seidenes Halstuch ausgekegelt, manchmal auch ein Schaf und andere kleinere Tiere.

4.   (Ernte-)Dankfest wurde noch 1860 mit Tanz gefeiert und nur 1 Kuchen zum Feste gebacken. Damals wurde noch mehr Weizen wie jetzt gebaut (heute fast gar keiner mehr), aber gekauft wurde kein Weizenmehl. Auch Rübsen und viel Mohn wurde gebaut, dessen man zur Suppe bedurfte. Heute benutzt man ihn nur noch zum Kuchenbacken.

5.   Grenze ziehen. Das war ein Fest, welches alle drei Jahre gefeiert wurde, abwechselnd mit den Nachbardörfern, die zu dem Feste herüber kamen. Man zog gemeinsam an der Grenze der Dorfflur entlang (Flurfest), die Gemeinden Gadegast mit Zalmsdorf, Naundorf, Mellnitz und Schadewalde. Die ein Meter breiten Grenzhügel wurden neu aufgefüllt mit Schollen von früh 6 bis 11 Uhr und dann am Nachmittag getanzt. Dazu gab es Kuchen, zwei Tonnen Bier für sechs Taler. Nach drei Jahren wurde das Fest der Reihe nach in einem der andern Dörfer gefeiert.“

„Von der Kleidung ließe sich noch etliches erzählen. Wenn der Bauer nach Wittenberg reiste, dann zog er über seine Leinewand oder Tuchsachen einen großen Kragen mit Mantel oder auch den Pelz. Über der Zipfelmütze trug er einen hohen Filzhut mit einer vier Finger breiten Krempe. Die Fußbekleidung bestand zu Hause aus Strümpfen und Holzpantoffeln, die sich jeder selbst anfertigte aus dem Elsenholz. Jeder ging ¾ Jahr lang barfuss. Im Winter trugen die Männer einfache Leinwandhosen, sonntags Lederhosen. Die Knaben trugen sonntags weiße Leinwandhosen. Die Männer gingen zur Kirche in langen dunkelblauen Tuchröcken oder im Pelz, im Sommer in Tuchjacken. Die Frauen trugen wollene Röcke, zu denen sie die Wolle selber spannen. In Seyda gab es viele Weber... Zum Abendmahl trugen die Frauen schwarze Tuchkleider mit weißen Schürzen und weißen Kopftüchern mit breiten Bändern, die von den Ohren herunterhingen. Bei Trauer wurde ein weißes Leinwandtuch um den Kopf gewunden. Alle Frauen und Mädchen hatten schwarze Muffen aus Hunde- oder Katzenfellen, dazu Lederpantoffeln, von denen das Paar eine Mark kostete. Auch die Männer trugen solche Pantoffeln am Sonntag. Ein Paar Stiefel kostete 1 ½ Taler (4,50 Mark). Regenschirme gab es nicht, dafür hatte man den Mantel. Die Frauen trugen keine großen Wolltücher, sondern nur Halstücher und gegen den Regen weiße Leintücher.“

 

Die Kirche erhielt um 1820 eine neue Ausstattung: die Kanzel, die Emporen und das Gestühl. In der Mitte des 19. Jahrhunderts wurde der Turm angebaut und auch die Türen verändert: der Haupteingang war nun nicht mehr die „Gemeindepforte“ im Süden, sondern durch den Turm im Westen.

1859 wurde die Kirche gemalt, vermutlich mit einer ornamentalen Malerei in Ocker- und Gelbfarbtönen, die 1996 bei der Restaurierung wieder zu sehen waren.

Die älteste Farbschicht ist wohl aus dem 13. Jahrhundert, Reste einer Figur an der Nordwand waren zutage getreten. Danach, im Zeitalter des Barock, wurden die Fenster vergrößert, und Bibelsprüche waren mit großen lateinischen Buchstaben angemalt.

 

Kirche und Schule waren eng verbunden, der Superintendent war die Kreisschulaufsicht, der Ortspastor die örtliche Schulaufsicht. Aus dem Protokollbuch kann man lesen, wie der Gemeindekirchenrat die Schulferien für Gadegast festgelegt hat: Zu Beginn der Ernte, sechs Wochen.

1885 gab es in Gadegast 90 Schulkinder, die ein Lehrer unterrichtete. Die Schulchronik beginnt im Jahre 1884. Jeder Lehrer musste nun Jahr für Jahr aufschreiben, was in Gadegast geschah. Bis zum Jahr 1936 reichen die Aufzeichnungen.

 

Im Protokollbuch des Gemeindekirchenrates kann man von einer Orgelreparatur im Jahre 1876 lesen, die Orgel muss also älter sein. 1889 reparierte sie erneut die Firma Friedrich aus Wittenberg, die ihren Namen auf einem Schild an der Orgel hinterließ, aber schon 1897 zu einer weiteren Reparatur wiederkam.

 

1879 wurden neue Friedhofstüren angeschafft, die unsere heutigen sein könnten.

1882 fand eine der ersten Diamantenen Hochzeiten in Gadegast statt, von dem Ehepaar Eichelbaum.

 

Bis 1883 sind alle Sonn- und Feiertage am Vortag um drei Uhr nachmittags eingeläutet worden: dann zum Sonnenuntergang. Noch zu Beginn dieses Jahrhunderts war es üblich, dass die Glocke am Morgen zum Schulbeginn läutete. Am Mittag rief sie die Bauern vom Feld heim zum Essen, und um 18 Uhr, im Sommer um 19 Uhr zum Feierabend. Zu den großen Festtagen wurde - mit Unterbrechungen - eine Stunde lang nach Mitternacht geläutet. Die Glocke läutete der Nachtwächter, der zuerst in dem kleinen Haus nordöstlich des Pfarrhauses wohnte, später in dem Haus in Richtung Zahna, wo heute Kirschmanns Grundstück ist.

Der Nachtwächter hatte zwei Wege abzulaufen: In einer Nacht musste er einmal im Dorf herumgehen, und einmal auf dem Weg, der um alle Grundstücke führte, außen herum.

 

Im August 1883 konnte die Kirche neu gereinigt und innen geweißt werden. Dies geschah nach 24 Jahren und kostete 85 Reichsmark. In diesem Jahr kam auch - für 300 Reichsmark - ein neuer Altaraufsatz in die Kirche:
mit dem Bild, auf dem Christus mit offenen Armen auf uns zu kommt, was bis heute allen vor Augen ist und 1997 neu restauriert wurde, weil der Herr Christus durch Wurmfraß auf dem Bild nur noch auf einem Bein stand.

 

Gesangbücher waren damals bereits üblich, 1884 gab es ein neues Provinzialgesangbuch für die Provinz Sachsen, was auch in Gadegast eingeführt wurde.

Auch in der „guten alten Zeit“ gab es manche Widrigkeiten. So verzeichnet das Protokollbuch im Jahre 1886 die Weigerung des Kirchenrates, den Pfarrer weiterhin sonntags nach Zemnick zu fahren. Es wird erzählt, dass er sich dann zwei fette Ziegen anspannte und selbst nach Zemnick fuhr.

 

Auch um die Jugend war die Gemeinde bemüht. 1892 wird für die konfirmierte Jugend eine Abend- oder Nachmittagsunterhaltung angeregt, das Schulzimmer steht dafür zur Verfügung.

 

Bis in unsere Zeit hat sich in der Gadegaster Kirche die alte Sitzordnung erhalten: die Frauen sitzen unten in der Mitte, die Männer außen herum am Rand, und die Jugend auf der Empore. 1996 noch setzte sich ein alter Kirchenältester (Herr Arnold Clemens, Ehrenvorsitzender seit 1993) zu einer großen Feier auf den alten Platz des Gemeindekirchenrates links im Altarraum, „wie es doch eigentlich sein muss“. Rechts saß wohl der Pastor mit seiner Familie.

Im Jahre 1899 wurde einige neue Sitze dazugebaut und an Erben weitergegeben, die damals pro Sitz eine Mark in die Kirchenkasse zu zahlen hatten.

 

1875 hatte Gadegast 363 Einwohner, 1880 381, 1885 377 und am 1. Januar 1900 340 Einwohner.

1924 331 Einwohner, 1940 311 Einwohner.

 

Der letzte Pastor, der in Gadegast wohnte, war der Pfarrer Theodor Voigt - der letzte einer langen Reihe, die bis in die Frühzeit der Christianisierung zurückreicht. Zu Weihnachten 1902 trat er hier seine erste Stelle an. Er war damals noch ein junger Mann, frisch verliebt, wie ein unter der Dielung des Dachbodens 1996 gefundener Brief an seine Liebste es zeigt.

Pfarrer Voigt begann, im Taufbuch eine Chronik der Jahre zu verzeichnen. 1903 rechnete er darin aus, dass in Gadegast jedes 4. Kind unehelich sei, nämlich 30%, während es in Berlin doch nur 15% gewesen wären...

 

1904 schrieb er: „Wieder ein Jahr der Gnade ins Meer der Ewigkeit verrauscht!... Es ist gelungen, bei den Taufen eine größere Feierlichkeit zu erreichen, wie sie der Bedeutung dieses Sakraments entspricht. Es wird jetzt ein Tauflied mit Orgel gesungen, zu dessen Begleitung die Konfirmanden bei jeder Taufe anwesend sein müssen. Auf diese Weise werden dieselben gleich mit dem heiligen Sakrament vertraut. Während früher nur die Paten und eventuell noch die Frauen der Verwandten mitgingen, kommt jetzt die ganze Taufgesellschaft unter Führung des Vaters zur Kirche, und falls die Mutter wieder kräftig ist, geht auch sie mit, hält Kirchgang und wird mit ihrem Kinde eingesegnet. Das Konsistorium hat in seinem Visitationsurteil seine Freude darüber ausgesprochen. Ein Fall der Weigerung ist freilich vorgekommen, aber bisher nicht wiederholt worden.

 

Die Teilnahme der letzten drei Jahrgänge der Neukonfirmierten an den biblischen Unterredungen geschah fast regelmäßig, nur wenige blieben fern. Deo sit Gloria! (Gott sei die Ehre!).“

Pastor Voigt richtete seine Wohnung im Jugendstil ein. Sein Amtszimmer war im Pfarrhaus, links neben der Eingangstür, dahinter das Archiv. Kam jemand am Pfarrhaus vorbei, ohne den Hut zu ziehen, so konnte es vorkommen, dass er herauskam und ihn zur Rede stellte.

Im Garten hatte er eine kleine Laube.

 

In Zemnick ist der Name des Pastors auf dem bunten Kirchenfenster zu lesen, das die Ostergeschichte mit Maria Magdalena und Jesus am leeren Grab darstellt. Wohl hat er sich sehr dafür eingesetzt.

In Gadegast engagierte er sich auch besonders für die Heimatgeschichte, er wurde nach Pfarrer Heinecke der Vorsitzende des Heimatvereins für Seyda und Umgebung und gab die „Heimatgrüße“ heraus, jenes Monatsblatt, was ab 1912 erschien und zunächst für den Kirchenkreis Zahna bestimmt war, dann aber nach Auflösung desselben 1928 durch ihn noch weiter fortgeführt wurde bis 1936. Diese Heimatgrüße enthalten neben Andachten, Nachrichten und Gedanken zum Zeitgeschehen viel Interessantes aus der Geschichte. Sie sollten die Heimatliebe fördern und auch das Band zu denen knüpfen, die das Land verlassen hatten und in die Welt, vor allem in die aufstrebenden Städte, gezogen waren.

Ein Denkmal gesetzt hat sich Pastor Voigt auch mit dem Bau des Denkmals vor der Kirche, von dem er Postkarten drucken ließ, wo man ihn selbst auch sehen kann, und die er bis an sein Lebensende verteilte. Doch davon soll später noch die Rede sein.

 

Eine neue Glocke kam 1906 in die Kirche, wie die Schulchronik berichtet. Sie wurde von der Firma Schilling aus Apolda gegossen und sollte eine alte ersetzen, die bei einer Kirchenvisitation bemängelt worden war. Doch die Glocke war zunächst zu klein, und das „Bimmeln“ störte die Gadegaster, so dass sie sich alsbald um Ersatz bemühten. Bis zum Ersten Weltkrieg hatte Gadegast drei Glocken, wie man noch heute auf dem Turm erkennen kann.

 

Eine große Kirchenrenovierung fand 1908 statt. Davon berichtet der Lehrer in der Schulchronik:

 „In der Zeit zwischen Ostern und Pfingsten wurde unsere Kirche im Inneren, in Bezug auf den Anstrich, vollständig erneuert. Die Arbeiten wurden von der Königlichen Regierung dem Malermeister Niemeyer in Halle/Saale übertragen für den hohen Preis von über 1.000 Reichsmark. Von einem Malermeister aus hiesiger Gegend war die selbe Arbeit für den halben Preis angeboten.

Nachdem das Dach umgedeckt war und die Decke neu beschalt, zogen die Maler auf einige Wochen ein.

Der Gottesdienst wurde solange in der Schule abgehalten. Beim Abputzen der Wände wurde unter dem Kalkanstrich eine mehrfache Farbschicht gefunden. Die Kirche ist also in früherer Zeit schon mehrmals gemalt worden und erst das letzte Mal geweißt.

Am großen Bogen wurden Spuren einer Inschrift entdeckt, die nicht entziffert werden konnte, jedenfalls waren es Bibelsprüche.

Die neue Bemalung hat, soweit es den Altarraum und die Decke betrifft, wohl Anerkennung gefunden, mit der sonstigen malerischen Ausschmückung ist man im allgemeinen nicht zufrieden in Anbetracht des Preises. Verschiedenes ist dann nach der Abnahme auf Veranlassung des Königlichen Baurats nachgeholt worden. Zu erwähnen wäre noch, dass der Altar nach beiden Seiten erweitert wurde durch zwei Zugänge nach dem dadurch sich bildenden Sakristeiraum.

Die Schnitzarbeit wurde vom Zimmermann Herrn Schießler ausgeführt. Am Pfingstfeste wurde zum ersten Male Gottesdienst in der renovierten Kirche abgehalten; die eigentliche Einweihung fand erst am Sonntag nach Pfingsten statt. Dieser Einweihung wohnte auch der Herr Superintendent Vogel - Zahna bei und hielt eine längere Ansprache an die Gemeinde. Durch den Lehrer war mit Schulkindern und der erwachsenen Jugend die Motette „Der Herr ist mein getreuer Hirt“ vierstimmig eingeübt und gelangte daselbst nach der Liturgie zum Vortrag.“

Der Maler hat seine Initialen oberhalb der Kanzel angebracht, „H.N. 1908“.

 

1912 wurde wieder ein neues Gesangbuch eingeführt. Aber nicht jede Reform machten die Gadegaster mit, in den 30iger Jahren verzichteten sie darauf. Erst 1954 kam das „Evangelische Kirchengesangbuch“, was uns auch während der Teilung unseres Landes mit der ganzen evangelischen Christenheit in Deutschland verbunden hat, und dann 1993 unser derzeitiges „Evangelisches Gesangbuch“.

 

Am 9. Oktober 1913 wurde der erste öffentliche Fernsprecher in Gadegast eingeführt, alsbald bekam auch der Pastor ein Telefon.

 

Nach der Kirchenrenovierung war die Denkmaleinweihung am 12. Oktober 1913 das größte Fest, das die Gadegaster feierten. Keiner ahnte, daß es bald wieder einen großen Krieg, ja einen Weltkrieg geben würde, der das ganze große Kaiserreich vernichtete, als Landrat Freiherr von Palombini seine Rede in Erinnerung an das Treffen bei Gadegast 1813 hielt:
„... 100 Jahre sind seitdem verflossen. Unsere Heimat, die damals zu Kursachsen gehörte, war ein Tummelplatz fremder Völker, seit 1815, seitdem wir Preußen geworden sind, hat kein Feind wieder unseren heimatlichen Boden betreten, Preußen hat uns beschützt, das danken wir unserem Kaiser, dass es nicht immer leicht gewesen ist, wissen wir alle, der Dank dafür möge ausklingen: Unser Kaiser, er lebe hoch.“

Die Schulchronik berichtet weiter, dass Pastor Voigt die Weiherede hielt und dann im Namen des Denkmalkomitees das Denkmal dem Gemeindevorsteher übergab mit der Bitte, für die Erhaltung Sorge zu tragen.

 

Ein Jahr später war Krieg. Die Gadegaster Männer zogen hinaus auf die Schlachtfelder Europas. Zehn Väter und Söhne und Brüder kehrten nicht zurück: Otto Gresse, Ernst Geyer, Gottfried Richard Zuzel, Richard Müller, Richard Matthieß, Hermann Paul Clemens, Otto Löbnitz, Gottfried Paul Lange, Gustav Otto Danneberg, Reinhold Schneider.

 

Auch in Gadegast selbst wurde die Not immer spürbarer. Der Pastor hatte nun die Witwen und Waisen zu trösten, Glocken und  metallene Orgelstimmen mussten 1917 für den Krieg abgegeben werden.

Doch die kritische Bemerkung des Lehrers in der Schulchronik, dass die Kessel der Brauhäuser in Wittenberg nicht beschlagnahmt worden seien, ist wohl nur eine Randerscheinung gewesen. An eine Jugendspende 1917 erinnert die Gedächtnistafel zum Reformationsjubiläum im Südteil des Altarraums. Noch im Oktober 1918, wenige Tage vor Kriegsende, wird in den „Heimatgrüßen“ für Kriegsanleihen geworben, um den Krieg vielleicht doch noch zu gewinnen.

Dieser Krieg zerstörte die alten Strukturen: Kein Kaiser stand mehr an der Spitze des Staates, zu dem man aufschauen konnte. Er war der „summus episcopus“, der „oberste Bischof“ gewesen. Bisher galt sein Wort in Schule und Kirche und in allem Gemeinwesen, nun musste alles neu geordnet und bestimmt werden. Die Demokratie wurde mühsam gelernt.

All das wurde damals von vielen als große Katastrophe empfunden, und die äußere Not der Nachkriegszeit, die Inflation und die Wirtschaftskrisen trugen dazu bei, dass man sich sehnlich die alten Zeiten zurückwünschte.

 

Dennoch gab es bei all diesen Sorgen und der harten Arbeit auch die Freuden des Lebens und die Feste. Ein Gedicht von Karl Schiller, dem Vater des Gadegaster Lehrers, aus den „Heimatgrüßen“ des Jahres 1922 beschreibt das

 

Erntefest im Dorfe

 

Was hallet so weithin in das Tal?
Es ist ein bekannter Ton.

Das Glöcklein, es rufet zum erstenmal,

Und die Kirche: sie füllet sich schon.

Der Landmann, er eilt heut mit freudigem Sinn

Zur Feier des Tages zum Gotteshaus hin.

 

Ein Dankgebet schickt er zum Himmel empor,

Dass Gottes allmächtige Hand

Beschützte die Saaten, den Blütenflor,

Draus Frucht ihm in Menge entstand.

Belohnt sieht er nunmehr sein rastloses Mühn;

Trotz Ungunst der Witterung befriedigt es ihn.

 

Mag kommen nun ruhig der Winter heran,

Bedecken die Felder mit Schnee.

Der Nordwind wehen sein Häuschen an,

Mag irren nach Futter das Reh,

Es kümmert ihn nicht; denn im trauten Daheim,

Im Kreis seiner Lieben pflegt wohl ihm zu sein.

 

Auch in diesen wirtschaftlich schweren Zeiten fand die Gemeinde die Kraft, 1927 das Pastorhaus zu renovieren, wie man es noch heute über der Eingangstür lesen kann.

Die alte Kaiserfahne für das Pfarrhaus wurde aufgehoben, 1993 ist sie gefunden worden.

 

In Gadegast sind damals auch große Missionsfeste gefeiert worden. Daran erinnert eine Fahne an der Empore der Kirche. Die Gadegaster haben dazu beigetragen, das Evangelium über die Meere in alle Welt bis nach Afrika, Südamerika und Asien zu tragen.

 

Die „Heimatgrüße“ spiegeln das Empfinden der Zeit wider. So können wir 1933 aus der Feder von Pastor Voigt lesen:

„Vor 12 Jahren, in der April-Nummer der Heimatgrüße von 1922, hatten wir ein Gedicht von Pastor Bahr, ein Stoßgebet aus dem Herzen des Volkes, an die Spitze gestellt, das um seiner unglaublich buchstäblichen Erfüllung und Erhörung willen hier noch einmal abgedruckt sein mag. Es ist überschrieben:


Ein Mann!

 

Ein Mann tut uns not mit stahlharter Stirn,

Ein Mann, mit flammender, zündender Rede,

Ein Mann, der Welten trägt im Gehirn,

Ein Mann, der siegreich besteht jede Fehde;

 

Ein Mann, der die Liebe zum Vaterland,

Die Ehre aufpeitscht mit gewaltigen Hieben,

Ein Mann, der ins Herz wirft den Feuerbrand,

Dass Feigheit und Selbstsucht in Funken zerstieben;

 

Ein Mann wie Luther, ein Riesenheld,

Ein   F ü h r e r   in Nacht und Sturm und Wetter,

Ein Mann, den segnet die deutsche Welt,

Du, Herrgott im Himmel, o send uns den Retter!“

 

Kein Mensch wusste damals: „wie mag das zugehen?“ oder: „wer mag das sein?“ - Der Mann, der Führer selbst kannte seine Bestimmung noch nicht. Aber Gott hatte Sein Werkzeug, den Retter Deutschlands, schon bereit: Adolf Hitler; und 12 Jahre später, als die Not aufs höchste gestiegen war, da hat Er ihn uns gegeben. Wer nun noch zweifelt, dass Gott Gebete erhört, wer nun noch bestreitet, dass Gott auch heute noch Wunder tut, dem ist nicht zu helfen, der will eben nicht sehen...“

 

Es gehört zu den dunkelsten Kapiteln unseres Volkes und auch unserer Kirche, dass viele diesem Ver-Führer gefolgt sind, der so vielfaches Leid nicht nur über unser Land, sondern über die Völker Europas gebracht hat. In einer Geschichte der Kirche von Gadegast soll nicht verschwiegen werden, dass unsere Gemeinde mit ihrem Pastor an der Spitze das Unheil, was dieser Mann brachte, nicht vorhergesehen hat, sondern ihm blind gefolgt ist. Die Katastrophe, die darauf folgte, war noch größer als die erste, und ihre Folgen zeigen sich noch heute, über ein halbes Jahrhundert später.

 

So, wie es sich der Pastor Voigt wünschte, dass auch die Kirche durch diesen Führer neu geordnet würde, trat es nicht ein. Denn es gab mutige Leute in der Kirche, die das verhindert haben. Sie gründeten die „Bekennende Kirche“ und installierten neben der verordneten Kirchenleitung eine „provisorische“, die sich nicht wie alle anderen Organisationen „gleichschalten“ ließ. Auch der Seydaer Pfarrer Hagendorf wurde wegen seiner kritischen Äußerungen durch die Nazis eingesperrt.

 

In Gadegast wurde 1933 wieder eine Glocke geweiht. Das schien wie ein Zeichen einer neuen Zeit zu sein, denn zwei Glocken, der Stolz des Dorfes, wurden ja im vorletzten Kriegsjahr heruntergenommen und eingeschmolzen. Nun hatte Gadegast also wieder zwei Glocken. Die neue Glocke von 1933 hängt noch heute, während die ältere (kleinere) dann im Zweiten Weltkrieg abgegeben werden musste. Pastor Voigt dichtete für die Inschrift einige Verse für die neue „Kriegsgedächtnisglocke 1914 bis 1918“:

 

„Wir zogen in den heiligen Streit,

Zum Schutz der deutschen Erde,

Dass unsre Heimat nicht entweiht

Von fremden Heeren werde.

Uns Glocken und uns Toten

Hat Gott zu sich entboten.

 

Doch nicht umsonst war unser Tod,

Deutschland erwacht´ aus großer Not.

Wenn nun die Glocken läuten

Soll´s unsern Gruß bedeuten

Gott segne unser Heimatland,

Dorf Gadegast, mit milder Hand!“

 

Das Abendläuten hallte noch in den 80iger Jahren von Gadegast bis nach Seyda und weit über das Land.

 

1936 wurde dann wieder ein Kriegerdenkmal für die Gefallenen des (Ersten) Weltkrieges eingeweiht, mitten im Dorf. Für jeden der zehn Gefallenen wurde ein Feldstein gesetzt. In die Mitte kam ein großer Findling, der früher auf der Marke Richtung Zallmsdorf gelegen hatte. Mit einem großen Festumzug wurde er an die neue Stelle gebracht.

Um diesen Findlingsstein gibt es eine alte flämische Sage, besonders wegen des Eindrucks auf der Rückseite:

 

„De Deyvelsteen bi Chotegost

In ollen Tiden, as de Riesen hier tau Lann´ west sünd, dor hätt eener, as up de Fläming noch de groten Stehen rum läd, een groten Stehen namen un hätt den - man weet nich - kann ook de Deyvel west sin, von Jutriboc no Wittebarg smeten. Averst de Stehen is em ute Fingers utplitzt un is uppen Grenzweg bi de Grubenbarg, bi Chotegost un Czalmstorff falln, un läd do nu. Averst de Stehen is so drückt worn von de grote Hand, dat de fif Fingers van de Riesen sik indrückt hebben, un dat ist hütendags noch tau sehn.“

(aufgeschrieben von Max Herbert Rietdorf)

 

Ende der dreißiger Jahre fuhr der „Führer“ selbst im offenen Wagen durch Gadegast. Er kam von Seyda, die Fahrt ging in Richtung Zahna und dann nach Piesteritz zu den Arado-Flugzeugwerken, in denen ein gewaltiges Explosionsunglück großen Schaden angerichtet hatte.

 

Anfang September 1939, als der Zweite Weltkrieg begann, starb der alte Pastor Voigt.  37 Jahre lang war er Pastor in Gadegast. In den letzten Jahren ist ihm sein Dienst schwer geworden, aber er hat ihn getan, trotzdem ihm ein Bein abgenommen werden musste.

 

„Mit Pfarrer Voigt wurde auch die alte Zeit begraben.“

so schreibt es später Pfarrer Mauer in die Turmkugel 1960. „1939 fing der 2. Weltkrieg an. Die meisten Männer zogen in den Krieg, und ihre Arbeit mussten Frauen übernehmen, bald auch Gefangene und Zwangsarbeiter aus den von Deutschland besetzten Ländern (im Stall des Pfarrhauses waren Serben untergebracht). Nicht wenige Bauern behandelten diese Fremden menschlich: Sie durften mit ihnen am Tisch sitzen und dasselbe essen wie sie, obwohl so etwas im Reiche Hitlers sehr streng verboten war.

Im Frühjahr 1945 wurde Gadegast von den Truppen der Sowjetunion besetzt. Jeder, der der Partei Hitlers angehört hatte, musste nun damit rechnen, dass er von den Sowjets abgeführt wurde, besonders, wer ein Amt in der Partei oder im Staatsapparat hatte. Einige dieser Abgeholten kamen wieder, andere kamen in den Lagern um oder sind noch jetzt verschollen. (Zahlen stehen mir nicht zur Verfügung, es werden bis zu 10 Mann abgeholt worden sein, 3 oder 4 kamen nicht wieder. Die Zahl der im Krieg Gefallenen und Vermissten wird zwischen 15 und 20 liegen.)“

Eins dieser Lager war das Konzentrationslager Buchenwald, was nach Kriegsende noch weitergeführt wurde.

Andere, die den Krieg überlebt hatten, waren in Gefangenschaft in Frankreich, Russland, England und Amerika. Während es den Gefangenen in Amerika wohl recht gut ging, mussten sie in anderen Ländern schwer arbeiten und bekamen wenig zu essen. So arbeiteten Gadegaster auf französischen Feldern, in russischen Bergwerken und in sibirischen Wäldern. Im Herbst 1949 kam der letzte aus Russland heim in ein geteiltes und besetztes Land.

„Was 1945 mehr als alles andere das Dorf umwandelte, war der Zustrom der vielen Volksgenossen, die aus den jetzt zu Polen und zur Tschechoslowakei gehörenden Gebieten ausgewiesen wurden oder vorher von dort geflohen waren. Zeitweilig waren bis zur Hälfte aller Einwohner solche Umsiedler. Diese Armen hatten oft Schweres hinter sich: Nicht selten kamen sie ausgehungert und durchgefroren hier an und hatten in vielen Fällen als einziges ihrer alten Habe nur das, was sie am Leibe hatten. Wie froh waren sie jetzt, wenn sie nach langem Umherirren endlich in einer Dachkammer Unterschlupf fanden, sie, die in ihrer Heimat oft ein reiches Anwesen hatten!...“

 

Eine erste Hoffnung nach dem Krieg setzen die Hochzeiten, die wieder stattfanden. Die erste war die von Martha und Ernst Zuzel im September 1945. 50 Jahre später feierten sie ihre Goldene Hochzeit in der Kirche.

Bei den Feiern nach Kriegsende musste vieles heimlich geschehen, damit die Besatzer nicht kamen und alles wegnahmen.

 

Die tiefgreifenden Veränderungen fanden mit dem Krieg nicht ihren Abschluss. Anfang der 50iger Jahre wurde intensiv damit begonnen, die Landwirtschaft im sozialistischen Sinne umzugestalten. Zunächst traf es die größeren Bauern, die ein Soll auferlegt bekamen, was kaum zu schaffen war. Viele entzogen sich durch Flucht oder durch den Eintritt in die LPG. So kamen 1953 sechs große Wirtschaften, zum Teil herrenlos geworden, zur LPG „Karl Marx“ Mark Zwuschen.

 „Im Frühjahr 1960 wurden unter Führung der marxistischen Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (S.E.D.) wochenlang täglich sich wiederholende lange Besuche vieler im politischen Leben stehender Personen, unterstützt durch lang anhaltende laute Musik aus einem Lautsprecherwagen, die letzten selbständigen Bauern dazu gebracht, dass sie in die LPG eintreten. Besonders die alten Bauern können das noch immer nicht verstehen, hatten sie doch von ihren Vätern die Wirtschaften geerbt und auf ihnen ein Leben lang für ihre Kinder gearbeitet, und auch den jüngeren Leuten wird es noch immer schwer, sich in die ganz anderen Verhältnisse zu finden...“

 

Pastor Hagendorf aus Seyda, nun für Gadegast zuständig, wurde eingesperrt: Er hatte zwei Streikführer vom niedergeschlagenen Aufstand des 17. Juni 1953 aus Bitterfeld und Wolfen versteckt und ihnen zur Flucht verholfen. Ein Jahr war die Stelle „vakant“.

Die Machthaber wollten nicht nur das Land und den Besitz, sie wollten auch die Seele. Der christliche Glaube wurde in Schulen und Zeitungen massiv diffamiert, Kinder und Eltern, die sich zur Kirche hielten, wurden zurückgesetzt und benachteiligt. Pfarrer Mauer schreibt:

„Wohl zu keiner Zeit hatten es unsere Kinder so schwer wie heute!... Die Konfirmation wird nicht mehr gefeiert. Man kann in unserer Zeit es keinen 14jährigen Kindern zumuten, dass sie für ihr Leben ein bindendes Gelübde für Christus und die Kirche ablegen, das sie nicht halten; denn viele Konfirmanden kommen nach der Konfirmation nicht mehr zum Gottesdienst oder selten. Gott lässt sich aber nicht spotten! Wer sich treu zur Kirche hält, auch in der Christenlehre sich recht geführt hat, hat das Recht, zum Heiligen Abendmahl zugelassen zu werden. Zur Jugendweihe Gezwungene und solche, die die Teilnahme an der Jugendweihe bereuen, bekommen nach einer Probezeit von etwa einem Jahr ihre kirchlichen Rechte, auch beim ersten Abendmahlsgang. Auch diesen Neuerungen gegenüber ist die Gemeinde skeptisch; aber wir können als Kirche nur bestehen, wenn wir unseren Herrn ganz ernst nehmen, ehrlich Sein Wort verkündigen, ganz nach Ihm fragen und nicht auf Erfolg aus sind, der nur trügt und uns in die Irre führt.“

 

Dennoch blieb der Gottesdienstbesuch in Gadegast über Jahrzehnte stabil, er betrug ca. 7% der Bevölkerung.

„Die durchschnittlich 20 Gottesdienstbesucher alle 14 Tage opfern etwa eine Mark pro Besucher...

Für die Aktion „Brot für die Welt“ wurden im vergangenen Jahr 1959 in der Gesamtparochie Seyda/Gadegast von etwa 150 Gemeindegliedern 3.000 Mark gesammelt (manche nicht sehr reiche gaben 300 Mark)...

Von allen Konfirmanden aus Seyda und Umgebung sind bisher knapp 50% zur Jugendweihe gegangen (aus Gadegast einer gegenüber zweien, die zum Abendmahl gingen). Nur eine atheistische Namensweihe war bisher in Gadegast, sonst lassen noch alle Eltern ihre Kinder taufen. In Zukunft kann das aber ganz anders werden.“

 

Viele verließen das Land, auf dem ihre Familie seit Generationen zuhause war. „Können wir noch bleiben?“ so fragte sich wohl fast jede Familie. Auch der Arzt war nicht mehr da, 1960 hatten Seyda und die Dörfer ringsherum für mehrere Monate keine medizinische Versorgung vor Ort. Pastor Hagendorf ging, weil er nach seinem Gefängnisaufenthalt mit Redeverbot belegt worden war.

 

Die Kirche wurde an den Rand gedrängt. Zum Teil versuchte sie, dem System entgegenzutreten. Daneben gab es bescheidene Aufrufe der Kirche:

„Bleibt in der DDR, weil auch Christus in der DDR bei seiner Gemeinde bleibt!“ so wurde es im Auftrag der Kirchenleitung auch von der Gadegaster Kanzel verlesen und in der Turmkugel festgehalten.

Nur wenige, die einmal weggegangen waren, kehrten zurück.

 

Es waren schwere Zeiten für die Kirche. Sie hatte sich eng mit den alten Machthabern verbunden und drohte nun, mit ihnen unterzugehen.

Die Kirchensteuern mussten jetzt selbständig, ohne staatliche Hilfe, erhoben werden. Kirchenälteste taten diesen notwendigen und schweren Dienst.

Ende der 50iger Jahre hatte die Kirchengemeinde trotz aller Schwierigkeiten die Kraft aufgebracht, das Kirchendach noch einmal neu zu decken. Deshalb steht die Kirche noch heute und ist nicht, wie viele andere, eingefallen. Es regnete schon in das Kirchenschiff.

Mit Butter und anderen Dingen wurden Kupfernägel aus West-Berlin besorgt, „geschoben“, wie man sagte. Schließlich konnte auch der Turm frisch beschiefert werden. In der Kugel fand man jedoch bis auf einen alten Taler von 1763 keine Dokumente mehr, da die Kugel mehrmals das Ziel von Schützen war. Die Chronik des Pfarrer Mauer aus Seyda endet mit den Worten:

„Denjenigen, die das lesen, wünschen wir ruhigere Zeiten. Haben sie solche, sollen sie nicht vergessen, dass Gott es auch schnell ändern kann. Haben sie solche Zeiten nicht, sollen sie nicht vergessen, dass auch bei ihnen der Herr ist und dass es in diesem Leben zuerst darauf ankommt, zu diesem Herrn zu finden.“

 

Viele haben sich in den schwierigen Zeiten gemüht, in Gadegast das kirchliche Leben aufrecht zu erhalten und treu zu Christus und seiner Gemeinde zu stehen.

Da war zum Beispiel der Zimmermeister Otto Werner sen., der als Kirchenältester zu seiner Kirche stand und bei jedem Richtefest den Choral „Nun danket alle Gott mit Herzen, Mund und Händen“ anstimmen ließ.

Erinnert sei auch an Katechetin Ostara Richter, die in Gadegast in den fünfziger Jahren Kindergottesdienst feierte, an Diakon Solbrig, der seit 1960 über Jahrzehnte auch für Gadegast die Christenlehre hielt und die Orgel spielte, an Pfarrer Schlauraff, Pfarrer Schaeper, die Katechetinnen Nitz und Gasde sowie das Ehepaar Podstawa. Sie kamen aus Seyda oder Jessen, um hier Dienst zu tun.

 

In den siebziger Jahren war es üblich, die alten Einrichtungsgegenstände aus den Kirchen herauszunehmen und sie in schlichter Weise zu renovieren. So geschah es in Mellnitz und in Zemnick.

Die Gadegaster haben sich damals gewehrt: Sie wollten ihre alten Sprüche, die Kanzel und den Altaraufbau mit den Vorhängen behalten. So kam es, dass fast 90 Jahre keine Innenrenovierung stattfand, weil für eine umfassende Instandsetzung keine Mittel und Kräfte zur Verfügung standen.

 

Auch im Pfarrhaus waren zunächst Flüchtlinge aus dem Osten einquartiert worden. Ein Gemeinderaum für die Gottesdienste im Winter und die Christenlehre wurde im ehemaligen Wohnzimmer der Pfarrersfamilie ein-gerichtet, die auch weiterhin im Hause wohnte. 

Der Gemeindekirchenrat hat 1985 beschlossen, das Pfarrhaus zu verkaufen, weil er gar keine Möglichkeit sah, es zu erhalten. Schon die Kirche schien eine zu große Last bei der Erhaltung zu sein. Auch erwartete niemand die Veränderungen, die mit der „Wende“ 1989 und 1990 eintraten: dass Deutschland wieder ein Vaterland sein würde, dass die Herrschaft der Kommunisten ein Ende haben würde: Wer hätte das Mitte der 80iger Jahre gedacht?

 

So schien es eine willkommene Gelegenheit, das Haus an eine Familie Borchert für 6.000 Mark zu verkaufen. Die Familie gehörte zu den Zeugen Jehovas und war auch aktiv für diese Sekte tätig. Das Konsistorium verweigerte zunächst seine Zustimmung, als die jedoch dann da war, hing es nur noch an der Zusage für den Schwiegersohn des letzen Pfarrers, der noch im Haus wohnte, es nicht vor seinem Tod abzugeben. Er starb im Februar 1993.

 

Schließlich nahm die Angelegenheit aber doch eine unerwartete und erfreulichere Wendung. 1993 wurde alles rückgängig gemacht, fortan zahlten die Bewohner, die schon acht Jahre dort wohnten und das Haus auch vor dem Verfall gerettet hatten, Miete: mit deren Hilfe, und auch durch die Unterstützung des Landkreises, konnte das Kirchendach in vier Jahren stufenweise gedeckt werden. 1992 war damit bereits begonnen worden. Die Dachziegel flogen bei Sturm herum, und es war unmittelbar die Gefahr da, dass es hereinregnete und alles zerstört wurde. Aber die Mittel flossen sehr spärlich. Deshalb zog es sich so lange hin. Im Sommer 1996 nun packten die Männer der Gadegaster Feuerwehr selbst an und brachten die Ziegel für den letzten Teil des Kirchenschiffes mit eigenen Händen aufs Dach. Bis dahin ergab das Kirchendach ein buntes Bild von blauen und roten Steinen. Schon vorher war oft das Stellen einer kircheneigenen Rüstung nötig, was Gemeindeglieder unter Leitung des Pfarrers Podstawa selbst erledigten, um damit Kosten zu sparen. Die Rüstung war eine Spende des Partnerkirchenkreises in Hessen.

 

Im Sommer 1994 waren eine Woche lang junge Leute aus der Mainzer Auferstehungskirchgemeinde zu Besuch, die im Gadegaster Pfarrhaus in Tag- und Nachtarbeit eine Küche und sanitäre Anlagen einbauten, gemeinsam mit Gemeindegliedern aus Gadegast und Seyda. Seitdem gibt es einen „Gemeindenachmittag“, der sich vierzehntägig trifft. Fester Bestandteil ist bei jedem Treffen der Kanon: „Danket, danket dem Herrn, denn er ist sehr freundlich: Seine Güt und Wahrheit währet ewiglich.“

 

Die Jugend hatte sich schon im Winter vorher einen Jugendraum hergerichtet. Jedes Jahr geht seit 1994 der Ökumenische Jugendkreuzweg am Freitag vor Karfreitag von der Kirche in Gadegast aus, der von hier über sieben Stationen zum Diest-Hof Seyda führt. Die zweite Station ist ein Kreuz an einem Laternenpfahl an der Kreuzung nach Seyda, wo vor einigen Jahren ein Mann bei einem Verkehrsunfall tödlich verunglückt ist.

 

Regelmäßig stattgefunden hat alle Jahre auch die Christenlehre, seitdem seit den 50iger Jahren kein Religionsunterricht in der Schule mehr sein durfte. Jede Woche versammelten sich ca. 12 bis 25 Kinder. Zwischen 1992 und 1994 kam dazu auch Herr Kantor Genterczewsky aus Jessen. Seit 1994 gibt es wieder Religionsunterricht in der Schule in Seyda auch für Gadegaster Kinder, die Christenlehre aber besteht fort. Ein Höhepunkt für die Kinder waren die Kinderkirchenferientage, bei denen 1996 über 70 Kinder im Pfarrgarten zelteten. Jedes Jahr wird nun auch der Martinstag gefeiert. Nicht ganz regelmäßig, aber doch öfter findet auch ein Kindergottesdienst statt, den Jugendliche aus Gadegast gestalten. Die Konfirmanden besuchen seit dem Krieg den Unterricht in Seyda und werden dort auch meistens konfirmiert. Jedoch sind seit 1996 auch wieder regelmäßige Konfirmations-Feiern in der Kirche in Gadegast.

Mit einer Dachlatte über die Empore und Bettlaken vom alten Pfarrer Voigt sowie einen alten Filmprojektor war es möglich, mehrere Filmabende in der Kirche zu haben.

 

1995, fünfzig Jahre nach Kriegsende, sang ein Chor aus Moskau in der vollbesetzten Gadegaster Kirche. Nun kann Frieden werden, nachdem es bis Ende der 80iger Jahre zum Ortsbild gehörte, dass in der Nähe stationierte russische Panzer durch den Ort fuhren und hungrige Soldaten in die Gärten und Keller einstiegen.

 

1996 beschloss der Gemeindekirchenrat, das Pfarrhaus grundlegend instandzusetzen und eine Ruhestandswohnung für eine Pfarrersfamilie herzurichten. Das war möglich geworden durch große Unterstützungen der Landeskirche, der Partnergemeinde und aus den benachbarten Kirchengemeinden Seyda und Morxdorf. Der Pfarrgarten wurde in einen ordentlichen Zustand versetzt, sogar eine kleine Laube kam wieder hinein; ein Arbeitsbeschaffungs-Programm half dabei sehr, wie auch bei den Arbeiten im Pfarrhaus und in der Kirche sowie der Renovierung des Friedhofstores und des Friedhofszaunes.

 

Im Herbst 1996 konnte schließlich auch die Kirche  renoviert werden, nachdem das Dach schrittweise fertiggestellt  und 1994 bereits ein Orgelmotor installiert worden war.

Der Umstand, dass seit fast 90 Jahren in der Kirche nichts verändert wurde, trug nun dazu bei, Fördermittel in Höhe von 3.000 DM zu bekommen und die Kirche zu restaurieren. Sehr große Unterstützung bekam die Gemeinde auch wieder von der Partnergemeinde aus Ober-Seemen in Hessen, ohne die die Renovierungsarbeiten in der Kirche und im Pfarrhaus kaum möglich gewesen wären.

Die Ausmalung von 1908 wurde wieder hergestellt, die Elektrik erneuert. Putzschichten vergangener Zeiten traten ans Tageslicht. „Die großflächig hohlliegenden Bereiche im Triumphbogen waren zum Teil so lose, dass sie nur noch aus Gewohnheit und durch Gottes Hilfe gehalten haben können.“ schreiben die Restauratoren in ihrem Bericht.

Schon vorher, gleich nach der Wende, baute der Zimmermeister Otto Werner aus Gadegast neue Türen in die Kirche ein. 1995 verfugte Axel Rietdorf aus Gadegast mit seinem Baubetrieb die alten Feldsteine an der Südwestseite, die besonders ausgewaschen waren, und verputze kostenlos zehn Fensterfaschen.

 

Am 27. März 1998 konnte das Ehepaar Sprenger in das frisch renovierte Pfarrhaus einziehen. Eine von den Konfirmanden und Frau Ruth Schlüter aus Kieferzweigen geflochtene Girlande schmückte die Pfarrhaustür.

Vorher hatte im Pfarrgarten eine kleine Feier stattgefunden, bei dem nach den Trompetenklängen zu „Nun danket alle Gott mit Herzen, Mund und Händen, der große Dinge tut an uns und allen Enden!“ ein meterhohes Feuer entzündet wurde. Die Feuerwehr führte eine Trockenübung durch, Kinder und Jugendliche versorgten die Gadegaster und ihre Gäste mit Getränken und Gegrilltem. Nach einer Führung durch das Pfarrhaus waren alle durch die Feuerwehr zum Wildschweinessen in die Gaststätte geladen.

 

Seit 1998 gab es nun einen „Singkreis“, der von Pfarrer Sprenger geleitet wurde. Er trat bei großen kirchlichen Festen in der Kirche, aber auch zum Dorffest und bei der Weihnachtsfeier sowie bei zahlreichen Geburtstagen und anderen Gelegenheiten auf und brachte viel Freude. Das Pfarrerehepaar „in Ruhe“ brachte sich so auf vielfältige Weise in Kirchengemeinde und Dorf ein: mit dem regelmäßigen Orgelspiel, der Übernahme von Gottesdiensten (auch im Nachbarort Naundorf), mit Besuchen, der Pflege des Pfarrhauses und der Gemeinderäume sowie des großen Grundstücks, bei den jährlichen Bibelwochen. Sehr deutlich hat Pfarrer Sprenger auch in Wort und Tat sein Engagement für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung deutlich gemacht.

Die Christenlehre fand durch die Zeiten hindurch statt, auch bei starker Abnahme der Kinderzahlen; in manchem Jahr wurde gar kein Kind geboren. Dennoch waren fast in jedem Jahr in Gadegast auch Konfirmationen, die in der Gadegaster Kirche gefeiert wurden. Eine Tradition ist weiter der Kreuzweg der Jugend geworden, der seit 1994 am Freitag vor Karfreitag in der Gadegaster Kirche beginnt und dann an 7 Stationen (an der Straßenkreuzung, auf dem Friedhof usw.) bis zum Diest-Hof in Seyda führt. Immer am 10. November findet auch jetzt in Gadegast die Martinsfeier mit den Kindern statt, Jugendliche spielen dazu das Martinsstück, im Anschluss gibt es einen Laternenumzug und das Teilen wird mit leckeren Hörnchen geübt. Jahr für Jahr wird auch ein Krippenspiel am Heiligen Abend aufgeführt. Ein Sommerfest im Pfarrgarten mit Grillen und dem gemeinsamen Gesang, auch des Singkreises, gehört seit vielen Jahren zum Gemeindeleben.

Die Goldene Konfirmation – 50 Jahre nach der Einsegnung – wird mit allen anderen Orten des Pfarrbereichs gemeinsam in Seyda im September begangen, in den Jahren seit 2005 konnte dort Pastor Mauer, lange schon im Ruhestand, für „seine“ Konfirmanden predigen.

 

Von 1995 bis 2006 fand im Pfarrbereich ein Deutsch-Polnischer Jugendaustausch statt. Der erste Spaziergang nach der Ankunft der Gäste in den Sommerferien führte immer nach Gadegast, in die Kirche. Dort wurde dann traditionell das Lied „Als die Welt verloren, Christus ward geboren“ gesungen, was zweisprachig im Gesangbuch steht, gesungen.

In den Jahren 2004 und 2005 besuchte ein amerikanischer Pastor, Keith Hardy aus Baltimore, im Rahmen eines Pfarreraustausches auch die Gadegaster Gemeinde mit ihren Kreisen und predigte im Gottesdienst. Die persönliche Begegnung mit einem Amerikaner war etwas Besonderes, da sich durch die Auseinandersetzungen im letzten Jahrhundert und auch neuere Entwicklungen (die Reaktion der USA auf den 11. September 2001) Feindbilder aufgebaut hatten. Pastor Hardy war ein ganz anderer Amerikaner, als erwartet wurde – ganz friedlich und friedliebend nämlich.

 

Ein Heim für Jugendliche, die sehr schwer erziehbar sind und nicht in ihrem Elternhaus, aber auch nicht in einem „normalen“ Heim sein können, wurde im Sommer 2006 auf dem alten Bauerngehöft der Familie Sommer eröffnet. Eine Handvoll Jugendlicher haben dort für eine begrenzte Zeit ein Zuhause, wohl fast ebenso viele Betreuer sind für sie da. Wenngleich in der Gegend mit dem Diest-Hof und dem Heporö-Übergangsheim für Suchtkranke durchaus soziale Projekte bekannt sind und sich segensreich entwickelt haben, ist doch das Erschrecken über die Schwere solches Vorhabens spürbar und die Skepsis ist groß, ob es wirklich gelingen kann.

Gleich nach wenigen Wochen des Bestehens dieser Einrichtung verschwand der alte Preußenadler vom Denkmal, er wurde mitten in der Nacht gewaltsam entfernt. Sehr schnell konnte aber über eine Fernsehsendung („Kripo live“ im MDR) der Täter, aus Wittenberg stammend, überführt werden. Gadegast kam auf diese Weise wohl das erste Mal in das Fernsehen; und es war auch klar, dass es die Jugendlichen nicht gewesen sind.

Konfirmanden bauten dann gemeinsam mit einigen Jugendlichen aus dem Heim zwei Zäune, um den Anblick des alten Grundstücks zu verbessern – und zaghafte Brücken zueinander zu bauen. Das bleibt eine schwierige Aufgabe, die bisher nur selten gelingt.

 

Zum Erntedankfest 2007 wurde das Ehepaar Sprenger feierlich verabschiedet, und Bürgermeister Clemens überreichte im Gottesdienst als Dank eine Stimmgabel mit der eingravierten Inschrift: „Singkreis Gadegast 1998 bis 2007“.

 

Im November 2007 starb Frau Ruth Schlüter geb. Müller im Alter von 80 Jahren. Sie hatte die besondere Gabe, vielen Menschen aus der ganzen Umgebung zu neuer Gesundheit zu verhelfen, mit Handauflegung, Gebeten und Texten und einer großen inneren Ruhe. Selbst Ärzte, die ihren Patienten mit herkömmlichen Mitteln nicht helfen konnten, empfahlen, sie zu besuchen. Frau Schlüter hielt sich treu zur Kirche, sie war lange Zeit auch im Gemeindekirchenrat, versorgte den Altar mit Blumen und hielt die Kirche sauber, nähte die Vorhänge in der Kirche, backte so lange sie konnte sehr schmackhaften Kuchen für den vierzehntägigen Gemeindenachmittag, flechtete Erntekronen und Girlanden – und zeigte dies der nächsten Generation. So hat sie auch ihre besonderen Fähigkeiten als Gabe und Geschenk des Herrn Jesus Christus verstanden und dies mit ihrem Leben bezeugt. Auf der Postkarte der Kirche von Gadegast, die 1997 erschien, ist sie ganz klein neben der Kirche zu erkennen.

 

Im Gebälk der Kirche haben sich 2005 einige Schäden bemerkbar gemacht. Beim Nachschauen an den alten Balken musste unter anderem Lehm bewegt werden, dabei fand sich „Gadegaster Urkorn“, was nur ca. 2,5 cm große Ähren hatte: wohl 300 Jahre alt und noch nicht in dem Maße „gezüchtet“, wie es heute (auch in der Gadegaster Versuchsstation) geschieht.

Als erster Bauabschnitt wurde nun die Sanierung des Turmes begonnen; notwendig, weil 1960 nur beschränkte Mittel zur Verfügung standen. So kam es zu dem seltenen Fall, dass der Mann, der damals die Turmkugel schloss, sie nun wieder öffnen konnte: Meister Otto Werner jun. (jetzt der Senior der Zimmerei Werner). Das ganze Dorf war am Nachdenken darüber beteiligt, was den Nachkommen nun via Turmknopf mitzuteilen wäre, und es sind viele Berichte entstanden: Von Meister Werner über die wirtschaftliche und gesellschaftliche Situation seit 1960, vom Bürgermeister Clemens über die „goldenen Zeiten“ vieler Baumaßnahmen in Gadegast seit 1990, ein Brief „Liebe Nachkommen!“ vom Pfarrer, eine Beschreibung des Dorflebens aus der Sicht des Heimat- und Sportvereins durch Frau Gabriele Schulze geb. Wegener; kurze Grüße der Christenlehrekinder; zahlreiche Fotografien vom Ort und von der Turmknopfabnahme, Zeitungsartikel – sowie die alten Dokumente von 1960, die unversehrt waren. Diese Chronik und auch eine „Geschichte des Pastorhauses“ soll auch mit hinein – wenn sie denn Platz finden.

 

Im Herbst diesen Jahres wurde ein neuer Gemeindekirchenrat für Gadegast gewählt. Ihm gehören an: Birgit Gräbitz, Artur Sommer, Wilma Werner, Werner Zuzel, Veronika Bürgel – und als Stellvertreterin Doreen Grunert. Helmut Höhne wurde nach 44 Jahren im Gemeindekirchenrat verabschiedet, mit herzlichem Dank für seinen großen Einsatz um Gemeinde, Kirche, Friedhof und Pfarrhaus.

Von den ca. 250 Einwohnern, die Gadegast zählt, gehören jetzt 181 zur Evangelischen Kirchengemeinde.

 

Gott, der Herr, hat unserer Gemeinde die Treue gehalten - trotz allem Unglauben, allem Irrtum.

Er lädt uns zum Vertrauen auf ihn ein, wie er es mit unseren Vätern und Müttern getan hat, die Freude und Leid vor Gott gebracht haben.

 

„Danket dem Herrn, denn er ist freundlich,

und seine Güte währet ewiglich.“