Die
Geschichte
der
Kirche
in
Mellnitz.
Wir sind nicht die
Ersten, und wir werden wohl auch nicht die Letzten sein, die hier zuhause sind.
Vom Leben und Glauben vieler Generationen von Mellnitzern will dieses Heftchen
erzählen.
Eine große Quelle dafür
waren die „Heimatgrüße“, eine kirchliche Monatszeitung, die 1912 bis 1936 auf
den Dörfern um Seyda und Zahna gelesen wurde. Herr Max Herbert Rietdorf aus
Sierksdorf, der aus Gadegast stammt, hat sie dem Pfarramt zur Verfügung
gestellt.
Ortschronist in Mellnitz
ist schon lange Herr Alwin Letz, dem für seine Auskünfte und Forschungen an
dieser Stelle ein besonderer Dank gesagt werden soll; ebenso Frau Grützbach,
die zur Zeit im Pfarrarchiv in Seyda tätig ist und viele Informationen heraussuchte;
sowie Herrn Freidank und allen Mellnitzern, die mit ihren Erzählungen zu dieser
Chronik beigetragen haben. Vieles ist schon lange her: wer etwas genauer oder
besser weiß, den bitte ich, das mitzuteilen.
Gott segne Mellnitz!
20. November 1997
Das
älteste sichtbare Zeugnis der Mellnitzer Geschichte ist die Kirche. Sie wurde
vor 850 Jahren erbaut. Schon von Anfang an wird um die Kirche der Friedhof
gewesen sein, wie es bis in unser Jahrhundert hinein war, weshalb auch die
Friedhofsmauer aus jener Zeit, um das Jahr 1150, stammen kann.
Wer kann ermessen, was es
damals für eine Arbeit war, die zentnerschweren Feldsteine zusammenzusuchen, zu
behauen und dann auf diese Höhen zu bringen! Und dann einen Putz zu mischen,
der nun schon so lange hält. Es sind Steine dabei, an denen wohl ein Dutzend
Männer tragen oder stemmen mußten. Wieviele Monate mögen darüber vergangen
sein, bis der Bau festgefügt stand! Staunend stehen wir vor den großen
Festungen unseres Landes oder den Pyramiden in Ägypten: aber wir haben doch
auch selbst ein Zeugnis hoher mittelalterlicher Baukunst mitten im Ort.
Die Kirche sah damals
freilich noch etwas anders aus: sie hatte keinen Turm, und die Fenster waren
sehr viel kleiner. Ein originales Fenster ist noch an der Ostwand erhalten.
Durch diese Fenster fiel wenig Licht in die Kirche. Nur am Altar brannten die Kerzen,
gesungen wurde auswendig. Die Größe der Fenster hing nicht nur mit der alten
Bautechnik zusammen, sondern hatte den Grund, daß die Kirche auch häufig als
Wehrkirche genutzt werden mußte. Dann versammelte sich das ganze Dorf in der
Kirche und verschloß Türen und Fenster, um sich vor heranziehenden Raubrittern
oder vor Kriegshorden zu schützen. Die starken Kirchenmauern, aus Feldsteinen
gebaut, boten Schutz - jedenfalls so lange es keine Kanonen gab.
Das Land wurde häufig von
Kriegen überzogen. In der Frühzeit der Kirche lebten hier drei große
Volksgruppen: die Wenden, ein slawischer Stamm; die Sachsen, die von Westen her
eindrangen, und die „Fläminger“.
Den
christlichen Glauben haben wohl zuerst die sächsischen Stämme mitgebracht.
Jedoch beklagte schon ein zeitgenössischer Chronist, Helmold von Bosau, der
selbst Pfarrer war, wie das Licht des Evangeliums immer wieder durch die
Habgier der Sachsen verdunkelt wurde. Die Sachsen wollten die Wenden oft
abhängig machen und legten ihnen bisweilen schwere Frondienste auf, aus denen
diese sich dann mit Kriegen zu befreien suchten.
Nach und nach wurden die
alten Bewohner verdrängt oder gingen in der neuen Bevölkerung auf. Jedoch ist
auch noch lange die Sprache der Wenden gesprochen worden. Luther fand bei
seinem Besuch hier ein „Vater Unser“ in wendischer Sprache vor:
Wotce nas, kis syw njebjesach / swjec so Twoje mjeno / princ
knam Twoje kralestwo / stain so Twoja wola / kaz na njebju tak na zemi / wsedny
chleb nas daj / nam dzens a wodaj nam nase winy / jako my tez wodawamy swojim /
winikam a njewjedz nas do spytowanja / ale wumoz nas wot zleho / amen.
Noch im Jahre 1620 werden
im Jessener Kirchenbuch drei wendisch sprechende Bewohner verzeichnet. Auf die
Wenden weisen auch die Ortslagen und die Ortsnamen hin, besonders die der
Dörfer Morxdorf und Zemnick, die in Hufeisenform angelegt sind: Das Vieh konnte
so in der Mitte leicht abgeschlossen und überwacht werden, die
zusammengerückten Wirtschaften boten einigen Schutz vor Angreifern.
An die Verdrängung der
Wenden aus dem Ortsmittelpunkt erinnern Aussiedlungen wie der „Kanipp“ südlich
von Mellnitz: dort ließen sich die Wenden dann nieder, während die anderen im
Dorf wohnten. In Seehausen findet sich ähnlich der „Kiez“.
Helmold von Bosau
beschreibt im 12. Jahrhundert anschaulich, wie über Jahrhunderte Kämpfe
zwischen Sachsen und Slawen tobten. Sie hatten bereits in den Jahren 932 bis
963 mit der Ostexpansion der Sachsen
unter den Ottonen begonnen.
Sächsische Grenzmarken
wurden errichtet, so die „Mark Lausitz“.
Helmold schreibt: „Da wendete der tapfere König Otto sein Heer, um die
aufständischen Slawen zu unterwerfen. Sein Vater hatte sie in einem glänzenden
Feldzuge bezwungen, er selbst bändigte sie abermals mit solcher Tapferkeit, daß
sie für Land und Leben dem Sieger willig Zinsleistungen und Annahme des
Christentums anboten; das ganze Heidenvolk wurde getauft und erstmals wurden im
Slawenlande Kirchen errichtet...“.
(Slawenchronik von
Helmold von Bosau, Kapitel 9)
Unsere
Gegend kam später als Lehn zum Erzbischof von Magdeburg. Dadurch wurde die
Ausbreitung des Christentums stark vorangetrieben. Vor allem ein Bischof
Norbert, der von 1126 bis 1134 das Land regierte, setzte sich dafür ein.
In dieser Zeit ist wohl
auch die Mellnitzer Kirche gebaut worden. Die ursprünglichen Türen sind noch zu
erkennen: Sie wurden an der Südseite angelegt, dort, wo das Wetter am
freundlichsten war. Es gab eine etwas größere Gemeindepforte und eine kleine
Priesterpforte. Tatsächlich hatte Mellnitz einmal einen eigenen Pfarrer nur für
das Dorf. Man könnte meinen, daß er niemals sehr reich werden konnte und wohl
auch recht schmal war, wenn man die Priesterpforte heute anschaut. Das „Landbuch
Seyda“ von 1506 berichtet aber von beträchtlichen Einkünften an der
„Pfarrkirche in Mellnitz“: Der „Altarist“, also der Mann, der den Dienst am
Altar versah, bezog aus dem Dorf den Getreidezehnt (den zehnten Teil der Ernte
der Bauern) auf der Feldmark und bearbeitete die zur Pfarre gehörenden Hufen
selbst (eine Hufe sind 8 Hektar), außerdem hatte er von den einzelnen Gütern
des Dorfes noch Getreideabgaben und andere Zinsen zu erhalten. "So gehört dem altaristen, die leute zu
Melnitz mit Kirchenrecht zu versorgen und umb (den) andern sonntag messe do zu
halten und alle grosse fest." Gottesdienst war also damals, vor der
Reformation, alle vierzehn Tage. Die Visitationsakte, die nach dem Besuch
Luthers in Mellnitz 1528 angefertigt wurde, berichtet von einem gebrechlichen
Mann mit einem so geringen Einkommen, daß er sich davon nicht erhalten konnte.
Den Widerspruch zu den oben genannten doch gehörigen Einkünften bemerkte schon
ein früherer Chronist, und er meinte, daß der „Altarist“ (1528 ein "er
Jorge" als "itziger besitzer vom altar Corporis Christi") seine
Arbeit wohl „vermietet“ hat an einen Vikar, den er aber nur schlecht bezahlte.
Jedenfalls beschlossen
erst die Visitatoren die Eingliederung der Mellnitzer Pfarre nach Seyda,
Mellnitz wurde "der pfarr Seyda mit
allem irem einkomen incorporiert, von nue an alle wege dohinein zu gehoren und
doraus mit dem pfarecht bestalt und versorgt zu werden."
Das Pfarrhaus für
Morxdorf und Mellnitz war bis 1921 das Haus Kirchplatz 2 in Seyda, wo noch 1995
alte Urkunden, Kelche und Schlüssel gefunden worden sind.
Der
Markgraf Albrecht der Bär von Brandenburg unterwarf um 1150 die Wenden gänzlich
und versuchte zusammen mit seinem Freund, dem Erzbischof Wichmann von
Magdeburg, die durch den langen, blutigen Vertilgungskrieg entvölkerte und
verwüstete Gegend der Wenden zu kolonisieren und zu kultivieren.
Er rief die Flanderer
oder Fläminger ins Land, die aus Holland kamen und wegen gewaltiger
Überschwemmungen ihre Heimat aufgegeben hatten. Die Spuren der niederländischen
Ansiedlungen sind zahlreich. Man kann sie sowohl in den Ortsnamen als auch in
der Sprache und selbst in den alten Trachten wiederfinden. Mellnitz liegt am
südlichsten Rand dieses Siedlungsgebietes der Fläminger, ja, man sagt, die
große Linde in der Mitte des Dorfes sei die Grenze des Flämings.
Ein alter Pfarrer hat
dazu ein Gedicht geschrieben, auch auf flämisch:
Ein Fläminglied
von Wilhelm Schröter
„Von Wittenberg bis Jüterbog,
von Belzig bis nach Seyde,
im Ländchen ohne Bach und Berg,
da wohnen gute Leute.
Das ist der alte Flämingstamm
Die Wüstenei zu bessern,
rief ihn Fürst Albrecht einst beisamm,
auch dürres Land zu wässern.
Sie kamen aus der Ferne her
ins Land des Sands, der Fichten
vom großen und gefräßgen Meer,
das Kreuz hier aufzurichten.
Noch stehn die alten Kirchen fest,
von Findlingsstein gefüget,
zum Zeichen, daß der Christengott
den „Jutrebog“ besieget...“
Die Flamen gründeten
Städte und Dörfer, sie betrieben Ackerbau, führten zahlreiche Rodungen und
Trockenlegungen durch; sie entwickelten das Handwerk, speziell die Leineweberei
und die Tuchmacherei.
Die
älteste bekannte urkundliche Erwähnung des Ortsnamens „Mellnitz“ erfolgte am
14. November 1385 in einer Auflistung über Vermögensverhältnisse. Die
ordentlich dokumentierte Geschichte für Mellnitz beginnt jedoch erst im Jahre
1501. In diesem Jahr kaufte der Kurfürst Friedrich der Weise für 20.000 Meißner
Gulden das Land und schuf ein Amt und
Vorwerk Seyda. Mellnitz wurde sächsisch. Das Amt Seyda war eines der drei
Wittumsämter, welche den zu Lichtenburg wohnenden kurfürstlichen Witwen
gehörten. Die Mellnitzer Bauern hatten also mit anderen Dörfern diese Witwen
auf der Lichtenburg mit Nahrungsmitteln zu versorgen.
Mit dem Anschluß an
Sachsen tauchte Mellnitz in das Licht der Weltgeschichte. Am 31. Oktober 1517
nagelte nicht weit von hier der Mönch und Theologieprofessor Martin Luther
seine 95 Thesen an die Schloßkirche in Wittenberg. Das war der Beginn einer
grundlegenden Reformation der Kirche. Etwa zehn Jahre später, im Jahre 1528,
machte sich Luther mit seinen Freunden auf, im umliegenden Land um Wittenberg
die Gemeinden zu besuchen und zu sehen, was von der Erneuerung der Kirche denn
hier geschehen sei. Er fand verheerende Zustände vor: Die Leute meinten, jetzt
müsse man nicht mehr in die Kirche gehen, da der Zwang weg sei, und sie ließen
es dann auch meist bleiben. Sie kümmerten sich wenig um Pfarrer und Kirche, so
daß viele Pfarrer am Hungertuch nagten und die Kirchen verfielen. In manchen
Orten wird in den Akten verzeichnet, der Gottesdienst müsse wegen Baufälligkeit
der Kirche „unter einem Baume“ abgehalten werden. Auch waren die Pfarrer
schlecht ausgebildet. Mancher konnte nicht einmal das „Vater Unser“ beten. Nun
sind ganz direkt für Mellnitz solche Meldungen nicht überliefert, bis auf das
kümmerliche Dasein des Pfarrers, was schon erwähnt wurde.
Eine
Wende dieser Verhältnisse hat Martin Luther durch sein Predigen persönlich mit
herbeigeführt. Im Anschluß an seinen Besuch in Mellnitz und den anderen Dörfern
hat er den Kleinen und den Großen Katechismus geschrieben. Der Kleine
Katechismus „für Haus, Schule und Kirche“, der noch heute in jedem
evangelischen Gesangbuch zu finden ist, enthält die wichtigsten Stücke des
christlichen Glaubens (Zehn Gebote, Glaubensbekenntnis, Vater Unser, Taufe,
Abendmahl) mit kurzen Erklärungen, die von nun an in den Häusern und in den
Schulen sowie natürlich in den Kirchen in ständigem Gebrauch waren und sind bis
in unsere Zeit hinein. Der Große Katechismus war „für die Pfarrherren“
bestimmt, eine prägnante, weiterführende Erklärung zu den Elementarstücken. Die
Bauern von Mellnitz, ihre Kinder, ihren Lehrer und ihren Pfarrer hatte Martin
Luther vor Augen, als er diese großen Werke schrieb!
Trotz dieser Erneuerung
der Kirche haben sich etliche Bräuche, die wir heute als „katholisch“
bezeichnen würden, weil sie jetzt meist in katholisch geprägten Gebieten
gepflegt werden, noch weiter gehalten. So sollen die Pfarrer bis zum Beginn
unseres Jahrhunderts auch in Mellnitz zum Segnen der Felder hinausgegangen sein,
um für eine gute Ernte zu bitten. Einmal, so erzählte ein alter Mann noch 1995,
sei der Pfarrer von einem Bauern auf ein Feld geführt worden, was sehr schlecht
bestellt worden war. Der Pfarrer weigerte sich, den Segen dazuzugeben, und rief
entrüstet: „Hier hilft nur Mist!“
An die vorreformatorische
Zeit erinnert auch noch die kleine Nische, die im Altar hinten eingebaut ist.
Dort waren einmal Knochen von Heiligen eingemauert, sogenannte Reliquien.
Meistens waren das Überreste von Märtyrern, also Menschen, die um ihres
Zeugnisses für Christus willen umgebracht worden sind. Diese Reliquien sollten
ein Zeichen sein, daß die Kirche in Mellnitz mit der großen Weltkirche, der
„Gemeinschaft der Heiligen“, verbunden ist.
Alte Rechnungen belegen,
wie der Pfarrer damals gekleidet war: er hatte ein weißes Gewand an, darüber
einen farbigen Umhang. Die Gewänder mußten lange halten, im Abstand von 60 bis
70 Jahren wurden jeweils neue angeschafft.
Auch in Mellnitz war es
üblich, daß man alle vierzehn Tage Kirchgang hielt: in der einen Woche gingen
die Großeltern mit den Enkeln, in der anderen Woche die Eltern mit den Mägden
und Knechten.
Von
den Kriegen und Katastrophen ist eine der schwersten wohl der Dreißigjährige
Krieg gewesen. Ganze Dörfer sind damals ausgestorben.
Im Jahre 1625 zog
Wallenstein mit seinen Truppen durch unser Gebiet. Alte Handschriften, die in
der Mellnitzer Turmkugel verborgen waren, berichten davon. In den
„Heimatgrüßen“ ist davon zu lesen:
„Was sich nicht in
unwegsame Sümpfe und Wälder flüchten konnte, das ging verloren; und was von der
Geisel des Krieges und den wilden Lüsten entmenschter Kriegshorden verschont
geblieben war, das fiel der Hungersnot und der Pest zum Opfer.
In den Jahren 1635 und 1636 müssen die Kriegsnöte nach den
Schilderungen eines Augenzeugen, des damaligen Superintendenten Mühlig, die
furchtbarste Höhe erreicht haben. Heerhaufen um Heerhaufen zogen kreuz und quer
von Ort zu Ort, und jeder stellte seine unerfüllbaren Forderungen. Die Leute,
die doch nichts mehr hatten und herbeischaffen konnten, wurden gemißhandelt und
zu Tode gequält und gefoltert. Frauenschändung war an der Tagesordnung. Keine
wurde geschont, der man habhaft werden konnte, auch Kinder und Greisinnen
nicht. Den Männern reichte man den Schwedentrunk und füllte ihnen Mistjauche
ein, bis sie starben, nur weil die Menschen kein Geld mehr hatten und keine
Lebensmittel und Vieh, das man von ihnen haben wollte. Alles, was noch fliehen
konnte, floh.“
Die Kirche in Mellnitz
war nach dem Dreißigjährigen Krieg eine Ruine, genauso wie viele Wirtschaften
des Dorfes. Noch 1671, Jahrzehnte später, lagen von acht Gütern in Mellnitz
sechs wüst. Die alte Glocke der Kirche wurde nach Seyda gebracht. Sie überstand
den großen Stadtbrand von 1708, bei dem die Seydaer Kirche völlig niederbrannte
und auch die Glocken vom Turm fielen, unversehrt, weil sie in der Sakristei
stand, und wurde bei dem Neubau 1711 in den Seydaer Glockenturm gehängt, bis
sich die Stadt 1717 den Neuguß einer Glocke leisten konnte.
Verlassene Güter und eine
zerstörte Kirche als Folge des Dreißigjährigen Krieges: so sah es in vielen
Dörfern aus. Manche verschwanden ganz von der Landkarte.
Wann die Kirche in
Mellnitz wieder funktionsfähig war, ist nicht bekannt. Für Morxdorf gibt es
eine versteckte Meldung im Kirchenbuch, daß sie erst 1720 wieder eingeweiht
werden konnte.
In Krisenzeiten wie im
Dreißigjährigen Krieg haben Bewohner anderer Dörfer in umliegenden Sümpfen
Zuflucht finden können, so in Zemnick und Gadegast. Aber wohin sollten die
Mellnitzer fliehen?
Ein Augenzeuge und
Leidensgenosse dieser Zeit ist Paul Gerhardt gewesen. Er ist in Gräfenhainichen
geboren, wurde dann Hauslehrer und Pfarrer in Berlin und später in Lübben. Vier
Kinder hat er verloren. Seine Lieder gehören noch heute zu den beliebtesten in
unseren Kirchen, auch in Mellnitz: „Geh aus mein Herz und suche Freud“, „Wenn
ich einmal soll scheiden“, „Ich bin ein Gast auf Erden“:
„Ich bin ein Gast auf Erden
und hab hier keinen Stand;
der Himmel soll mir werden,
da ist mein Vaterland.
Hier reis ich bis zum Grabe;
dort in der ewgen Ruh
ist Gottes Gnadengabe,
die schließt all Arbeit zu.
Was ist mein ganzes Wesen
von meiner Jugend an
als
Müh und Not gewesen?
Solang ich denken kann,
hab ich so manchen Morgen,
so manche liebe Nacht
mit Kummer und mit Sorgen
des Herzens zugebracht.
Mich hat auf meinen Wegen
manch harter Sturm erschreckt;
Blitz, Donner, Wind und Regen
hat mir manch Angst erweckt;
Verfolgung, Haß und Neiden,
ob ich´s gleich nicht verschuld´t,
hab ich doch müssen leiden
und tragen mit Geduld.
So ging´s den lieben Alten,
an deren Fuß und Pfad
wir uns noch täglich halten,
wenn´s fehlt am guten Rat;
sie zogen hin und wieder,
ihr Kreuz war immer groß,
bis daß der Tod sie nieder
legt in des Grabes Schoß.
Ich habe mich ergeben
in gleiches Glück und Leid,
was will ich besser leben
als solche großen Leut?
Es muß ja durchgedrungen,
es muß gelitten sein;
wer nicht hat wohl gerungen,
geht nicht zur Freud hinein.
So will ich zwar nun treiben
mein Leben durch die Welt,
doch denk ich nicht zu bleiben
in diesem fremden Zelt.
Ich wandre meine Straße,
die zu der Heimat führt,
da mich ohn alle Maße
mein Vater trösten wird.“
Neben
den Katastrophen durch Menschenhand gab es auch viele Naturereignisse,
Krankheiten und Feuer, die den Mellnitzern zu schaffen machten. So ist es nicht
selten, daß die Hälfte der geborenen Kinder noch im zarten Alter wieder starb.
Oft brannte es, und durch die vielen strohgedeckten Häuser und Scheunen konnte
sich das Feuer dann „wie ein Lauffeuer“ ausbreiten. Bis in unser Jahrhundert
hinein gab es die Strohdächer.
Eine Familie, deren Name
sich trotz allem über Jahrhunderte in Mellnitz gehalten hat, ist die Familie
Freidank. 500 Jahre gibt es sie schon in Mellnitz. Der Name deutet
wahrscheinlich auf einen freien Bauern hin, im Unterschied zu einem, der
abhängig ist und Frondienste leisten mußte.
Ein alter Familienname in
Mellnitz war auch der Name „Bernholz“. Die Familie des Windmüllers Polz wird im
Mellnitzer Kirchenbuch am 31. Juli 1731 zum ersten Mal erwähnt („Puls, Müller
und Einwohner in Mellnitz“). 1701 wurde 300 Meter nordöstlich des Dorfes eine
Bockwindmühle erbaut, die 1950 abgerissen wurde. Das ehemalige Grundstück Polz
wird heute von der Familie Letz bewohnt.
Das
18. Jahrhundert brachte der Kirche in Mellnitz unter anderem die großen
Fenster. Der Barock wollte Licht und Leben in die Kirche bringen! Ein Turm kam
auf die Kirche. 1826 wurde er das erste Mal erneuert. So hat jede Generation
ihren Anteil an der Erhaltung der Kirche gehabt, bis heute.
Im
Jahre 1806 wurde das Land durch die Franzosen besetzt. Napoleon eroberte fast
ganz Europa. Auch die Mellnitzer hatten darunter zu leiden. Eine alte Frau
erzählt davon:
„Kinder, es waren schlimme Zeiten, so lange Napoleon im Lande
war. Es waren aber nicht die Franzosen allein, die nahmen, was sie finden
konnten, sondern auch die Preußen und die Russen. Da mußten die Pferde am Tage
versteckt werden, und trotzdem wurden die meisten gefunden und mitgenommen. Am
schlimmsten waren die Marodeure, die nicht mehr laufen wollten, sie nahmen sich
einfach Pferde und ritten darauf davon. Die Kühe und Ochsen wurden zur
Verpflegung der Soldaten weggetrieben, so daß im ganzen Dorfe fast keine Kuh
mehr war...“ „Da haben die Bauern immer des Nachts geackert...“.
Am schlimmsten war der
September 1813: Sechs- bis siebentausend Preußen rückten in Seyda ein. Am 5.
September 1813 fand ein schweres Gefecht zwischen Zahna und Gadegast statt. 300
Soldaten kamen ums Leben, 15 Unteroffiziere und fünf Offiziere. Eine 84 Jahre
alte Witwe aus Gadegast starb wenige Tage darauf an den Folgen einer
Schußwunde. Sie hatte sich wohl nicht wie die anderen im Sumpf versteckt.
Dieser Sumpf war in den Kriegen schon oft der Zufluchtsort der Bauern gewesen,
die sogenannte „Nachthainigte“ zwischen Gadegast und Schadewalde, in die sie
mit Vieh und Habseligkeiten flohen. Dort hausten sie tagelang unter freiem
Himmel und tranken das in den Pferdetrappen sich sammelnde Schmutzwasser. Das
war wohl ein Grund dafür, daß danach viele Krankheiten ausbrachen: Stickfluß,
Ruhr, Nervenfieber und Blattern.
Immerhin soll das
preußische Regiment einen zehntägigen Kriegssold für die anliegenden Dörfer der
Kriegshandlungen bei Gadegast geopfert haben, das waren 2.500 Taler, zur
Linderung der Not.
Am Morgen des 6.
Septembers zog das XII. Korps des französischen Generals Qudinot durch Seyda,
die Schlacht bei Dennewitz begann. Die Franzosen wurden vernichtend geschlagen
und zogen sich zurück. Am 12. September nahm Graf Bernadotte, Oberbefehlshaber
der siegreichen preußischen Truppen, in Seyda sein Hauptquartier.
In der Turmkugel von
Mellnitz wurde 1826 bei der Turmerneuerung ein Bericht über die Ereignisse
hinterlassen, von dem Superintendenten Camenz, einem Augenzeugen, geschrieben:
„Nachdem durch unsern Zimmermeister George Fischer in Seyda die
Reparatur des Thurmes beendigt und der Thurmknopf wieder aufgesetzt werden
konnte, wurde in demselben folgende Nachricht verwahrlich beygelegt.
Über die allgemein bekannten in der Weltgeschichte
aufbehaltenen Ereignisse unserer Zeit bedarfs keiner besonderen Erzählung. Das
für das Dorf Mellnitz Bemerkenswerthe ist: Seit 1815 stehet Mellnitz, als zu
dem Herzogthume Sachsen gehörig, unter der glorreichen Regierung S(eine)r.
Majestät Friedrich Wilhelm des IIIten, Königs von Preußen. Das Jahr 1813, durch
welches so viele erschütternde Veränderungen fast in allen Ländern und
Regierungen der Welt herbeygeführt wurden, war auch für Seyda und Mellnitz ein
schweres verhängnißvolles Jahr, fast täglich war das Dorf von fremden Truppen,
besonders von Russen, Preußen und Schweden erfüllt, doch Franzosen kamen nicht
hierher, obwohl sie Wittenberg und Torgau inne hatten. Alle Einwohner verloren
damahls fast alles, doch bewahrte Gott vor Feuer. Die Belagerungen von Torgau
und Wittenberg, das Treffen bey Zahna am 5ten September, welche Stadt in diesem
Jahre zum großen Theile abbrannte, die Schlacht bey Dennewitz am 6ten
September, das Treffen bey Wartburg brachten uns allen große Noth, Plünderung,
ansteckende Krankheiten. Durch Gottes Gnade und Segen sind zwar nun nach 13
Jahren die Wunden des Krieges wieder geheilt, aber doch drückt den Landmann die
große Wohlfeilheit aller seiner Produkte, denn es kostet in diesem 1826ten
Jahre: 1 Scheffel Berl.(iner) Maas Korn 15 gr(oschen)., Gerste 10 gr., Hafer 11
gr., Heidekorn 16 gr., Weitzen 1 Th(a)l(er). 4 gr., Viktualia: 1 Pfund
Rindfleisch 2 gr., Kalbfleisch 1 gr., Schöpsenfleisch 1 gr. 5 pf(ennig).,
Schweinefleisch 2 gr. 6 pf., 1 Ganß 10 gr., 1 Mdl. Eyer 2 gr., 1 Mze Salz
(theuer) 4 gr, 1 Kanne Bier 5 pf., 1 Kanne Branntwein 2 gr. 6 pf., 1 Kanne
Landwein 4 bis 5 gr. Sonach sind die meisten Victualia in diesem Jahre
wohlfeiler gewesen als vor 100 Jahren.
Zu Mellnitz sind Einwohner der Erb- und Lehnsschulze Martin
Matthieß, die Hüfner Gottfried Lehmann, Andreas Schütze, Martin Freidank,
Christian Freidank, Martin Bernholz, Martin Zschuk, George Schröter, Friedrich
Schlüter und der Kosäthe Schlüter.
Gott wolle diese Kirche schützen, ihrer Gemeinde allezeit Gnade
und Heil wiederfahren lassen, sie vor Krieg, Seuchen, Sünde und Schande
bewahren, damit sie, wenn dies Glöcklein dieses Thurmes sie zum Gebet und zum
Anhören des göttlichen Wortes ruft, durch selbiges erbauet, getröstet und zum
höheren Leben vorbereitet werden möge.
Superintendentur Seyda, den 22ten September 1826. M. Camenz,
Vom Jahre 1807 Superintendent und Pastor.“
Der Sieg der Preußen
wurde noch einhundert Jahre später durch das Pflanzen von Linden zu Ehren der
damaligen preußischen Königin Luise gefeiert - auch in Mellnitz findet sich die
„Luisenlinde“ an der Kirche. In den Wohnstuben hingen bis in die dreißiger
Jahre hinein Bilder von der Königin Luise. Dabei waren doch die Dörfer in der
Zeit der Befreiungskriege sächsisch gewesen! Sachsen war mit den Franzosen
verbündet und hatte den Krieg verloren.
So
kam ein großer Teil Sachsens nach Preußen. Das wurde 1815 auf dem Wiener
Kongreß bestimmt, und Mellnitz zählte nun zur neuen preußischen „Provinz
Sachsen“, deren Grenzen im Wesentlichen noch heute mit der „Kirchenprovinz
Sachsen“ übereinstimmen, zu der unsere Kirchengemeinde gehört.
Der preußische König
Friedrich Wilhelm III., der das Land übernahm, war ein frommer Mann. Zum
Reformationsjubiläum 1817 versuchte er, die Kirche in seinem Land zu erneuern.
Er schrieb selbst eine Gottesdienstordnung, und von nun an sollten alle Pfarrer
in Preußen mit dem schwarzen Talar und dem weißen Beffchen den Gottesdienst
feiern. Das Beffchen war ursprünglich als Schutz des Stoffes vor dem Bart
gedacht. Eine solche Bekleidung hat Luther als Professor in Wittenberg auf der
Straße und im Hörsaal getragen.
Der preußische König
übernahm auch die Patronatsrechte für die Kirche: Das heißt, er sorgte zu einem
großen Teil für die bauliche Unterhaltung. 1996 haben wir diese alten Rechte
neu beim Land anmelden können.
Über
die Zeit in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gibt es einen Bericht von
dem achtzigjährigen Georg Lange aus Gadegast, der 1899 dem alten Pfarrer
Schreyer davon erzählte. Ähnlich wird es auch im Nachbardorf Mellnitz gewesen
sein.
„Die Lebensweise war
eine sehr einfache. Kaffee gab es nur an Festtagen, selten am Sonntag. In der
Regel gab es früh Mehlsuppe mit Mohn oder Milch vermengt, aber ohne Butter
daran. Butter gab es überhaupt zu der Zeit nicht viel, denn die Bauern hatten
nur zwei bis drei Kühe im Stalle stehen und wenig Futter. Das Vieh wurde auf
die Weide hinter den Gärten getrieben... Die Mehlsuppe aß man zu Hause, nachdem
die Leute schon von 4 bis 9 Uhr geackert hatten. Im Herbst wurde kein Mittag
gehalten, sondern es wurde in der Bestellzeit bis um 3 Uhr gepflügt, dann erst
gab es Mittagbrot. In dieser Zeit, wo es galt, das Saatkorn zu gewinnen, wurde
von früh um 3 bis 9 Uhr mit dem Flegel gedroschen, Tag für Tag. Dann gab es das
erste Frühstück, Suppe mit Brot und Butter oder Quark. Zweimal in der Woche
wurde Fleisch gegessen. Im ganzen Jahre schlachtete der Bauer ein Schwein. Nur
ganz selten wurde auch ein Rind geschlachtet.
Außerdem wurden noch ein paar Gänse, Tauben und Hühner zur Mahlzeit
geschlachtet... Tagelohn gab es 25 Pfg. und Essen und Trinken. Abends wurde
Brot in Milch eingebrockt, und dann aß man noch hinterher seine „Bamme“. Im
Winter gab es statt der Mehlsuppe abends mitunter auch mal Kartoffeln, aber
nicht so oft wie jetzt. Wenn die Abendmahlzeit vorüber war, dann gingen die
Knechte oft zum Kuhhirten, statt in die Spinnstuben. Eine Schenke gab es
derzeit nicht, als ich junger Bursche war... Der Kuhhirte war damals eine
wichtige Persönlichkeit. Er selber hütete die Kühe, ein von ihm gemieteter
Knecht die Schafe und ein Junge die Schweine. Die Schäfer strickten Handschuhe,
das Paar für 25 Pfg. und Strümpfe, das Paar für 75 Pfg. Die Kunst des Strickens
übten auch andere Männer, die Knaben lernten sie schon beim Hüten. Die Frauen
konnten nicht stricken... In Gadegast und Mellnitz wurde in meiner Kindheit
Schnaps gebrannt von einem Häusler Thiele, aus Roggen... In Gadegast machte man
sich Dünnbier (Kovent) aus geröstetem Gerstenbrot und warmen Wasser, mit Hefe
und mit Hopfen gewürzt... Die Hundewagen sind erst seit 28 Jahren (nach dem
Kriege 1870/71) aufgekommen...“
Interessant ist auch
seine Beschreibung der Feste:
„Von den Festzeiten wurden besonders gefeiert:
1. Der Himmelfahrtstag. An demselben wurde
keine Nadel und kein Strumpf angerührt (wie das auch heute noch üblich ist),
während sonst die Frauen und Mädchen des Sonntags nähen, die Sachen in Ordnung
zu bringen, zu flicken und zu stopfen pflegten. An diesem Tage aber geht man
allgemein in großen Gruppen spazieren. Man trifft sich auf dem Kirchhofe, geht
gemeinsam aufs Feld... Des Abends wurde von der Jugend nach der Ziehharmonika
getanzt.
2. Pfingsten. Da wurden die Häuser alle mit
Maien geschmückt (auch heute noch). Der Küster mußte die Kirche maien, wofür
ihm ein gewisses „Maiengeld“ gezahlt wurde. Auf jeden Frauenstuhl kam ein
Zweig. An diesem Feste fand das Reiten statt. Schon vor der Kirche am 2.
Feiertag wurde Probe geritten. In der Kirche erschien dann die ganze Jugend zum
Festgottesdienst. Um 1 Uhr ging es mit Musik zum Dorfe hinaus. Die Mädchen mit
einem großen Kranze vorneweg, an demselben hingen die bunten Tücher und eine
Tute als Gewinn für die Reiter, die nachfolgten. Im Hause des ältesten Mädchens
versammelten sich die Dorfschönen und wurden von der Musik abgeholt nach der
Schenke und dem Dorfplatz, wo die Reiter hielten. Am Nachmittag wurde dann
getanzt, wobei die Burschen die Musik bezahlten mit 1,25 Mk die Person. Auch
das Bier bezahlten die Burschen. Getanzt wurde bis 1 Uhr. Neumodische Kleider
gab es damals noch nicht. Die Mädchen tanzten im bunten Rock mit entblößten
Armen. Kurze weiße Battistärmelchen wurden an das kurze weiße Jäckchen
angenäht, das man unter dem Mieder trug. Dies nannte man „welsche Joppen“.
3. Johannistag (24. Juni). Es wurden Zacken und
Zweige bis auf die Spitzen von den Elsen abgehauen... Auf die Spitzen der Elsen
band man dann Sträuße von Feldblumen. Nachmittags wurde vor der Schenke ein
seidenes Halstuch ausgekegelt, manchmal auch ein Schaf und andere kleinere
Tiere.
4. (Ernte-)Dankfest wurde noch 1860 mit Tanz
gefeiert und nur 1 Kuchen zum Feste gebacken. Damals wurde noch mehr Weizen wie
jetzt gebaut (heute fast gar keiner mehr), aber gekauft wurde kein Weizenmehl.
Auch Rübsen und viel Mohn wurde gebaut, dessen man zur Suppe bedurfte. Heute
benutzt man ihn nur noch zum Kuchenbacken.
5. Grenze ziehen. Das war ein Fest, welches
alle drei Jahre gefeiert wurde, abwechselnd mit den Nachbardörfern, die zu dem
Feste herüber kamen. Man zog gemeinsam an der Grenze der Dorfflur entlang
(Flurfest), die Gemeinden Gadegast mit Zalmsdorf, Naundorf, Mellnitz und
Schadewalde. Die ein Meter breiten Grenzhügel wurden neu aufgefüllt mit
Schollen von früh 6 bis 11 Uhr, und dann am Nachmittag getanzt. Dazu gab es
Kuchen, zwei Tonnen Bier für sechs Taler. Nach drei Jahren wurde das Fest der
Reihe nach in einem der andern Dörfer gefeiert.“
„Von der Kleidung ließe sich noch etliches erzählen. Wenn der
Bauer nach Wittenberg reiste, dann zog er über seine Leinewand oder Tuchsachen
einen großen Kragen mit Mantel oder auch den Pelz. Über der Zipfelmütze trug er
einen hohen Filzhut mit einer vier Finger breiten Krempe. Die Fußbekleidung
bestand zu Hause aus Strümpfen und Holzpantoffeln, die sich jeder selbst
anfertigte aus dem Elsenholz. Jeder ging ¾ Jahr lang barfuß. Im Winter trugen
die Männer einfache Leinwandhosen, sonntags Lederhosen. Die Knaben trugen
sonntags weiße Leinwandhosen. Die Männer gingen zur Kirche in langen
dunkelblauen Tuchröcken oder im Pelz, im Sommer in Tuchjacken. Die Frauen
trugen wollene Röcke, zu denen sie die Wolle selber spannen. In Seyda gab es
viele Weber... Zum Abendmahl trugen die Frauen schwarze Tuchkleider mit weißen
Schürzen und weißen Kopftüchern mit breiten Bändern, die von den Ohren
herunterhingen. Bei Trauer wurde ein weißes Leinwandtuch um den Kopf gewunden.
Alle Frauen und Mädchen hatten schwarze Muffen aus Hunde- oder Katzenfellen,
dazu Lederpantoffeln, von denen das Paar eine Mark kostete. Auch die Männer
trugen solche Pantoffeln am Sonntag. Ein Paar Stiefel kostete 1 ½ Taler (4,50
Mark). Regenschirme gab es nicht, dafür hatte man den Mantel. Die Frauen trugen
keine großen Wolltücher, sondern nur Halstücher und gegen den Regen weiße
Leintücher.“
Die Glocke, die uns auch
heute zur Kirche und zur Beerdigung ruft, wurde 1868 in Wittenberg gegossen.
Sie ist aus Bronze, an einem Holzjoch mit Flacheisen an einem „freistehenden
einfeldrigen Bockstrebenglockenstuhl“ befestigt und trägt die Aufschrift:
„Müller, Diaconus, Chr. Freidank, G. Polz, allhier
Ortsvorsteher,
M. Matthies, G. Müller, G. Polz, Schöppen.
Gegossen von Oscar Senche in Wittenberg für die Gemeinde
Mellnitz 1868.“
In diesen Tagen wurde sie
von dem Glockensachverständigen unserer Kirchenprovinz gesperrt, weil die
Aufhängung nicht mehr sicher ist. Wir dürfen nur noch „beiern“, also den
Klöppel an die eine Seite der Glocke schlagen, aber nicht mehr richtig läuten
und damit die Glocke in Bewegung setzen.
Das
„Lagebuch“ für Mellnitz, 1886 begonnen, berichtet einiges über das kirchliche
Leben dieser Zeit. Zum Beispiel die Kosten:
„Kirchliche Quidenzien:
a) Taufen: die
Taufhandlung 75 Pfennig
Mahlzeit
in natura oder 75 Pfennig
Gevatterbriefe
(=
Patenscheine) 20
Pfennig
für
den Weg 38
Pfennig
Führung
des Duplikats
(=
Eintragen ins Register) 13 Pfennig
b) Trauungen:
die Trauung selbst 5 Mark 63
Pfennig
Mahlzeit
in natura oder 15 Pfennig
für
den Weg 38
Pfennig
Führung
des Duplikats 13 Pfennig
c) Begräbnis:
Für Läuten und Einschreiben
in
das Duplikat 60
Pfennig
Leichenpredigt
mit
Lebenslauf 3 Mark
Beerdigung
mit Segen 53 Pfennig
mit
Abdankung
(im
Gottesdienst) 75
Pfennig
Für
den Weg 38
Pfennig
bestelltes
Lied 25 Pfennig.
Beglaubigt nach Beschluß vom 28. März 1886.
der Gemeindekirchenrat: Cremer, Diac(on), Vorsitzender.
Matthies, Ältester. Freydank, Ältester.“
Der Diakon Cremer war der
Verwalter der Pfarrstelle Morxdorf und Mellnitz. Zu dieser Zeit sind die beiden
Gemeinden vereinigt gewesen, Mellnitz hatte zwei Kirchenälteste und sechs
Gemeindevertreter. Weiter wird von Schulden in Höhe von 750 Mark berichtet und
von einer Reihe von Wertpapieren. Die Naturalabgaben für den Küster, dessen
Stelle mit der dritten Lehrerstelle in Seyda verbunden war, sind zu dieser Zeit
durch Geld abgelöst worden und auch verzeichnet:
„Küstereivermögen.
Für Ablösung des Brots, des Roggens und der Eier aus Mellnitz:
54 Mark.
Für abgelöstes Holz-Deputat: 27 Mark.
Für abgelöste Holzfuhre: 6 Mark.“
Gesangbücher
waren damals bereits üblich, 1884 gab es ein neues Provinzialgesangbuch für die
Provinz Sachsen, was auch in Mellnitz eingeführt wurde.
1912 wurde wieder ein
neues Gesangbuch eingeführt. Aber nicht jede Reform machten die Mellnitzer mit,
in den 30iger Jahren verzichteten sie darauf. Erst 1954 kam das „Evangelische
Kirchengesangbuch“, was uns auch während der Teilung unseres Landes mit der
ganzen evangelischen Christenheit in Deutschland verbunden hat, und dann 1993
unser derzeitiges „Evangelisches Gesangbuch“. Etliche alte Gesangbücher in
Goldschnitt und mit Widmungen sind auch heute noch erhalten, denn sie waren ein
beliebtes Konfirmationsgeschenk und wurden in Ehren gehalten.
Im
Jahr 1898 ließ sich die Familie Hanack in Mellnitz nieder und betreibt seitdem
eine Gaststätte: im nächsten Jahr werden es 100 Jahre! Ihre Gastlichkeit ist
weit über die Grenzen des Dorfes hinaus bekannt und hat viele Familienfeiern,
traurige und fröhliche, und auch andere Feste begleitet. Die Gaststätte
ist eine segensreiche Einrichtung für
die Kirchengemeinde geworden: kann sich doch hier seit Jahrzehnten die Gemeinde
zu Veranstaltungen treffen.
Das
Jahr 1901 brachte für Mellnitz eine umfassende Kirchenrenovierung mit Hilfe von
kaiserlichen Fördergeldern. Die Jahreszahl über der Tür erinnert daran, daß
damals die Pforten im Süden zugemauert wurden und der Eingang, wie es modern
war, im Westen eingebaut wurde. So konnte zum Beispiel bei Hochzeiten feierlich
in die Kirche eingeschritten werden.
Der Glockenturm wurde im
oberen Teil 1911 erneuert.
Vom Anfang unseres
Jahrhunderts stammt auch das Harmonium, was zuerst oben, auf der Empore, stand.
Es wurde in Woodstock in Kanada gefertigt und ist über den Großen Teich zu uns
gekommen. Ob es ein ehemaliger Mellnitzer, der nach Amerika ausgewandert ist,
gestiftet hat?
Die letzten regelmäßigen
Organisten waren der Lehrer Ziepel und der Kantor Schmalz aus Seyda. Sie legten
bei Dümichens, die ihr Haus nördlich der Kirche in Dorfmitte hatten und lange
Zeit den Kirchendienst versahen, ihre Sachen ab. Von dem Haus ist eine schöne
Federzeichnung erhalten.
Der bemerkenswerte Putz
an der Ostwand, mit einer feinen Doppelrinne versehen, ist auch vom Anfang des
Jahrhunderts. Die Fenster waren mit Rauten versehen, sie hatten einen blauen
Rand und sind innen weiß gewesen. An dem kleinen Fenster im Osten kann man noch
heute Reste von farbigem Glas finden, rot und blau.
Bis
in unsere Zeit hat sich in der Mellnitzer Kirche die alte Sitzordnung noch
teilweise erhalten: jede Familie hatte ihren Platz. Familie Freidank belegte
die erste Reihe. Ursprünglich saßen die Männer links, auf der Nordseite; rechts
die Frauen. Die Reihenfolge in den Bänken richtete sich nach der Größe der
Wirtschaften. Die Zahl der Einwohner blieb über Jahrhunderte stabil: 1840
zählte Mellnitz 114 Einwohner, 1924 115.
Die
Pfarrer in Seyda und Gadegast waren am Beginn des Jahrhunderts für die
Heimatgeschichte sehr engagiert. Pfarrer Heinecke aus Seyda wurde der
Vorsitzende des Heimatvereins für Seyda und Umgebung und gab die „Heimatgrüße“
heraus, jenes Monatsblatt, was ab 1912 erschien und zunächst für den
Kirchenkreis Zahna, zu dem Mellnitz gehörte, bestimmt war, dann aber nach
Auflösung desselben 1928 durch Pastor Voigt aus Gadegast noch weiter
fortgeführt wurde bis 1936. Diese Heimatgrüße enthalten neben Andachten,
Nachrichten und Gedanken zum Zeitgeschehen viel Interessantes aus der
Geschichte. Sie sollten die Heimatliebe fördern und auch das Band zu denen
knüpfen, die das Land verlassen hatten und in die Welt, vor allem in die
aufstrebenden Städte, gezogen waren.
Die Stimmung vor dem
Ersten Weltkrieg gibt eine Denkmalsweihe im Jahr 1913 in Gadegast wider. Keiner
ahnte, daß es bald wieder einen großen Krieg, ja einen Weltkrieg geben würde,
der das ganze große Kaiserreich vernichtete, als Landrat Freiherr von Palombini
seine Rede in Erinnerung an das Treffen
bei Gadegast 1813 hielt:
„... 100 Jahre sind seitdem verflossen. Unsere Heimat, die
damals zu Kursachsen gehörte, war ein Tummelplatz fremder Völker, seit 1815,
seitdem wir Preußen geworden sind, hat kein Feind wieder unseren heimatlichen
Boden betreten, Preußen hat uns beschützt, das danken wir unserem Kaiser, daß
es nicht immer leicht gewesen ist, wissen wir alle, der Dank dafür möge
ausklingen: Unser Kaiser, er lebe hoch.“
Auch in Mellnitz gab es
1913 Feierlichkeiten. Die „Luisenlinde“ in der Dorfmitte wurde am 17. März
gepflanzt, und dabei ein Aufruf des Kaisers „An mein Volk“ verlesen.
Ein
Jahr später war Krieg. Auch die Mellnitzer Männer zogen hinaus auf die
Schlachtfelder Europas. Sieben Väter, Söhne und Brüder im Alter von 21 bis 36
Jahren kehrten nicht zurück. Für sie wurde in der Kirche eine Gedenktafel aus
Holz angebracht, auf der stand:
Fürs Vaterland
Gefallen
Ernst Polz
* 5.4.1888 + 27.4.1915
Richard Richter * 17.9.1897
+ 23.9.1916
Richard Schuster *
10.12.1893 + 9.5.1917
Otto Schuster * 4.1.1896 + 29.7.1917
Gustav Göttert * 8.11.1878
+ ------- 1914
Otto Göttert * 28.3.1888 + ------- 1918
Otto Müller * ---------- + ----------
Gewidmet
1914 von der 1918
trauernden Gemeinde.
Noch im Oktober 1918,
wenige Tage vor Kriegsende, wird in den „Heimatgrüßen“ für Kriegsanleihen
geworben, um den Krieg vielleicht doch noch zu gewinnen.
Dieser Krieg zerstörte
die alten Strukturen: Kein Kaiser stand mehr an der Spitze des Staates, zu dem
man aufschauen konnte. Er war der „summus episcopus“, der „oberste Bischof“
gewesen. Bisher galt sein Wort in Schule und Kirche und in allem Gemeinwesen,
nun mußte alles neu geordnet und bestimmt werden. Die Demokratie wurde mühsam gelernt.
All das wurde damals von
vielen als große Katastrophe empfunden, und die äußere Not der Nachkriegszeit,
die Inflation und die Wirtschaftskrisen trugen dazu bei, daß man sich sehnlich
die alten Zeiten zurückwünschte.
Daß zum christlichen
Glauben nicht nur das tröstende, frohmachende und aufbauende Wort gehört,
sondern genauso die helfende Hand, auch das kann man in der Geschichte der
Kirche von Mellnitz finden: Am südlichen Ortsausgang, wo die Straße den Knick
macht, wurde ein Armenhaus eingerichtet. Dazu gehörten dreihundert Quadratmeter
Garten. Der Bewohner war mietfrei und hatte dafür Dienste für die Gemeinde zu
verrichten: er war Nachtwächter, Kirchendiener und versah auch Botendienste.
Das Haus hatte einen Grundriß von sieben mal
vier Quadratmetern und zuletzt einen bläulichen Anstrich.
Dieses Haus, an das sich
ältere Mellnitzer noch erinnern können, ist im Juli 1932 abgebrannt.
Dennoch
gab es bei all den wirtschaftlichen Sorgen und der harten Arbeit auch die
Freuden des Lebens und die Feste. Ein Gedicht aus den „Heimatgrüßen“ des Jahres
1922 beschreibt das
Erntefest im Dorfe
Was
hallet so weithin in das Tal?
Es ist ein bekannter Ton.
Das
Glöcklein, es rufet zum erstenmal,
Und
die Kirche: sie füllet sich schon.
Der
Landmann, er eilt heut mit freudigem Sinn
Zur
Feier des Tages zum Gotteshaus hin.
Ein
Dankgebet schickt er zum Himmel empor,
Daß
Gottes allmächtige Hand
Beschützte
die Saaten, den Blütenflor,
Draus
Frucht ihm in Menge entstand.
Belohnt
sieht er nunmehr sein rastloses Mühn;
Trotz
Ungunst der Witterung befriedigt es ihn.
Mag
kommen nun ruhig der Winter heran,
Bedecken
die Felder mit Schnee.
Der
Nordwind wehen sein Häuschen an,
Mag
irren nach Futter das Reh,
Es
kümmert ihn nicht; denn im trauten Daheim,
Im
Kreis seiner Lieben pflegt wohl ihm zu sein.
Die
„Heimatgrüße“ spiegeln das Empfinden der Zeit wider. So können wir 1933 aus der
Feder von Pastor Voigt lesen:
„Vor 12 Jahren, in der April-Nummer der Heimatgrüße von 1922,
hatten wir ein Gedicht von Pastor Bahr, ein Stoßgebet aus dem Herzen des
Volkes, an die Spitze gestellt, das um seiner unglaublich buchstäblichen
Erfüllung und Erhörung willen hier noch einmal abgedruckt sein mag. Es ist
überschrieben:
Ein Mann!
Ein Mann tut uns not mit stahlharter Stirn,
Ein Mann, mit flammender, zündender Rede,
Ein Mann, der Welten trägt im Gehirn,
Ein Mann, der siegreich besteht jede Fehde;
Ein Mann, der die Liebe zum Vaterland,
Die Ehre aufpeitscht mit gewaltigen Hieben,
Ein Mann, der ins Herz wirft den Feuerbrand,
Daß Feigheit und Selbstsucht in Funken zerstieben;
Ein Mann wie Luther, ein Riesenheld,
Ein F ü h r e r in Nacht und Sturm und Wetter,
Ein Mann, den segnet die deutsche Welt,
Du, Herrgott im Himmel, o send uns den Retter!“
Kein Mensch wußte damals: „wie mag das zugehen?“ oder: „wer mag
das sein?“ - Der Mann, der Führer selbst kannte seine Bestimmung noch nicht.
Aber Gott hatte Sein Werkzeug, den Retter Deutschlands, schon bereit: Adolf
Hitler; und 12 Jahre später, als die Not aufs höchste gestiegen war, da hat Er
ihn uns gegeben. Wer nun noch zweifelt, daß Gott Gebete erhört, wer nun noch
bestreitet, daß Gott auch heute noch Wunder tut, dem ist nicht zu helfen, der
will eben nicht sehen...“
Es gehört zu den
dunkelsten Kapiteln unseres Volkes und auch unserer Kirche, daß viele diesem
Ver-Führer gefolgt sind, der so vielfaches Leid nicht nur über unser Land,
sondern über die Völker Europas gebracht hat. In einer Geschichte der Kirche
von Mellnitz soll nicht verschwiegen werden, daß viele aus unserer Gemeinde das
Unheil, was dieser Mann brachte, nicht vorhergesehen haben, sondern ihm blind
gefolgt sind. Die Katastrophe, die darauf folgte, war noch größer als die
erste, und ihre Folgen zeigen sich noch heute, über ein halbes Jahrhundert
später.
So, wie es sich der
Pastor Voigt aus Gadegast in den „Heimatgrüßen“ wünschte, daß auch die Kirche
durch diesen Führer neu geordnet würde, trat es nicht ein. Denn es gab mutige
Leute in der Kirche, die das verhindert haben. Sie gründeten die „Bekennende
Kirche“ und installierten neben der verordneten Kirchenleitung eine
„provisorische“, die sich nicht wie alle anderen Organisationen
„gleichschalten“ ließ.
Der Pfarrer für Mellnitz
war ab 1936 Pfarrer Hagendorf. Er war als Prädikant nach Seyda gekommen und
zunächst auch begeistert von Hitler gewesen. 1944 aber kam er durch kritische
Äußerungen noch ins Konzentrationslager. Nach dem Krieg konnte er zurückkehren.
Doch auch mit den neuen Machthabern kam er in Konflikt. Nach dem Aufstand am
17. Juni 1953 versteckte er im Seydaer Pfarrhaus die Streikleitung aus Wolfen
und kam, als das entdeckt wurde, wieder ins Gefängnis. Nach einem Jahr wurde er
entlassen und hatte Redeverbot, weshalb er dann mit seiner Familie nach dem
Westen flüchtete und dort Superintendent wurde. Er lebt heute noch und hat vor
kurzem zur Goldenen Konfirmation „seinen“ Konfirmanden einen Gruß geschrieben: „Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe,
diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen (1 Kor 13,13). Ich habe
mich immer bemüht, den Konfirmanden das doppelte Liebesgebot Jesu: Gottesliebe
und Nächstenliebe, vor allem mit der Bibel, dem Gesangbuch und dem Katechismus
zu aktualisieren. Und wenn es geschenkt wurde, daß dieses Gebot mit Leben
erfüllt wurde, ist das Ziel erreicht.“
Die Zeit nach dem Zweiten
Weltkrieg beschreibt Pfarrer Mauer anschaulich in seinem Bericht, den er 1960
der Turmkugel in Gadegast beigab: „1939
fing der 2. Weltkrieg an. Die meisten Männer zogen in den Krieg, und ihre
Arbeit mußten Frauen übernehmen, bald auch Gefangene und Zwangsarbeiter aus den
von Deutschland besetzten Ländern (im Stall des Pfarrhauses waren Serben
untergebracht). Nicht wenige Bauern behandelten diese Fremden menschlich: Sie
durften mit ihnen am Tisch sitzen und dasselbe essen wie sie, obwohl so etwas
im Reiche Hitlers sehr streng verboten war.
Im Frühjahr 1945 wurde Gadegast von den Truppen der Sowjetunion
besetzt. Jeder, der der Partei Hitlers angehört hatte, mußte nun damit rechnen,
daß er von den Sowjets abgeführt wurde, besonders, wer ein Amt in der Partei
oder im Staatsapparat hatte. Einige dieser Abgeholten kamen wieder, andere
kamen in den Lagern um oder sind noch jetzt verschollen... Was 1945 mehr als
alles andere das Dorf umwandelte, war der Zustrom der vielen Volksgenossen, die
aus den jetzt zu Polen und zur Tschechoslowakei gehörenden Gebieten ausgewiesen
wurden oder vorher von dort geflohen waren. Zeitweilig waren bis zur Hälfte
aller Einwohner solche Umsiedler. Diese Armen hatten oft Schweres hinter sich:
Nicht selten kamen sie ausgehungert und durchgefroren hier an und hatten in
vielen Fällen als einziges ihrer alten Habe nur das, was sie am Leibe hatten.
Wie froh waren sie jetzt, wenn sie nach langem Umherirren endlich in einer
Dachkammer Unterschlupf fanden, sie, die in ihrer Heimat oft ein reiches
Anwesen hatten!“
Von den Mellnitzer
Männern sind im Krieg gefallen:
Alfred Göttert
Ernst Lübke
Berthold Lubitz
Erwin Müller
Reinhold Schrödter
Krüger (hatte gerade die Tochter von Polz geheiratet, aus
Naundorf, war aber gleich in den Krieg gezogen und hat nicht in Mellnitz
gelebt).
Max Schlüter war
NS-Ortsbauernführer, baute noch zu Kriegsende Panzersperren am Ortsausgang nach
Seehausen und wurde von den Russen abtransportiert, kam im Lager um.
Die Glocke von Mellnitz
soll im Krieg schon abgehangen worden sein, um eingeschmolzen zu werden. Sie
stand mit auf dem Kirchplatz in Seyda in einer langen Reihe zwischen Torbogen
und Kirchplatz 2 mit den anderen Glocken. Wohl hat man es sich in letzter Minute
noch anders überlegt, Mellnitz diese eine Glocke zu erhalten.
Die tiefgreifenden
Veränderungen fanden mit dem Krieg nicht ihren Abschluß. Anfang der 50iger
Jahre wurde intensiv damit begonnen, die Landwirtschaft im sozialistischen
Sinne umzugestalten. Zunächst traf es die größeren Bauern, die ein Soll
auferlegt bekamen, was kaum zu schaffen war. Viele entzogen sich durch Flucht
oder durch den Eintritt in die LPG.
„Im Frühjahr 1960 wurden
unter Führung der marxistischen Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands
(S.E.D.) wochenlang täglich sich wiederholende lange Besuche vieler im
politischen Leben stehender Personen, unterstützt durch lang anhaltende laute
Musik aus einem Lautsprecherwagen, die letzten selbständigen Bauern dazu
gebracht, daß sie in die LPG eintreten. Besonders die alten Bauern können das
noch immer nicht verstehen, hatten sie doch von ihren Vätern die Wirtschaften
geerbt und auf ihnen ein Leben lang für ihre Kinder gearbeitet, und auch den
jüngeren Leuten wird es noch immer schwer, sich in die ganz anderen
Verhältnisse zu finden...“
Doch die Machthaber
wollten nicht nur das Land und den Besitz, sie wollten auch die Seele. Der
christliche Glaube wurde in Schulen und Zeitungen massiv diffamiert, Kinder und
Eltern, die sich zur Kirche hielten, wurden zurückgesetzt und benachteiligt.
Pfarrer Mauer schreibt:
„Wohl zu keiner Zeit hatten es unsere Kinder so schwer wie
heute!... Die Konfirmation wird nicht mehr gefeiert. Man kann in unserer Zeit
es keinen 14jährigen Kindern zumuten, daß sie für ihr Leben ein bindendes
Gelübde für Christus und die Kirche ablegen, das sie nicht halten; denn viele
Konfirmanden kommen nach der Konfirmation nicht mehr zum Gottesdienst oder
selten. Gott läßt sich aber nicht spotten! Wer sich treu zur Kirche hält, auch
in der Christenlehre sich recht geführt hat, hat das Recht, zum Heiligen
Abendmahl zugelassen zu werden. Zur Jugendweihe Gezwungene und solche, die die
Teilnahme an der Jugendweihe bereuen, bekommen nach einer Probezeit von etwa
einem Jahr ihre kirchlichen Rechte, auch beim ersten Abendmahlsgang. Auch
diesen Neuerungen gegenüber ist die Gemeinde skeptisch; aber wir können als
Kirche nur bestehen, wenn wir unseren Herrn ganz ernst nehmen, ehrlich Sein
Wort verkündigen, ganz nach Ihm fragen und nicht auf Erfolg aus sind, der nur
trügt und uns in die Irre führt.“
Pfarrer Mauer berichtet
über eine große Opferbereitschaft, trotz eigener Not: „Für die Aktion „Brot für die Welt“ wurden im vergangenen Jahr 1959 in
der Gesamtparochie Seyda/Gadegast von etwa 150 Gemeindegliedern 3.000 Mark
gesammelt (manche nicht sehr reiche gaben 300 Mark)...
Von allen Konfirmanden aus Seyda und Umgebung sind bisher knapp
50% zur Jugendweihe gegangen. Nur eine atheistische Namensweihe war bisher in
Gadegast, sonst lassen noch alle Eltern ihre Kinder taufen. In Zukunft kann das
aber ganz anders werden.“ (1960).
Viele verließen das Land,
auf dem ihre Familie seit Generationen zuhause war. „Können wir noch bleiben?“
so fragte sich wohl fast jede Familie. Auch der Arzt war nicht mehr da, 1960
hatten Seyda und die Dörfer ringsherum für mehrere Monate keine medizinische
Versorgung vor Ort.
Die Kirche wurde an den
Rand gedrängt. Zum Teil versuchte sie, dem System entgegenzutreten, so, wie
bereits von Pfarrer Hagendorf berichtet.
Daneben gab es
bescheidene Aufrufe der Kirche:
„Bleibt in der DDR, weil auch Christus in der DDR bei seiner
Gemeinde bleibt!“ so wurde es im Auftrag der Kirchenleitung
Ende der 50iger Jahre auch von der Mellnitzer Kanzel verlesen.
Es
waren schwere Zeiten für die Kirche. Sie hatte sich eng mit den alten
Machthabern verbunden und drohte nun, mit ihnen unterzugehen.
Die Kirchensteuern mußten
jetzt selbständig, ohne staatliche Hilfe, erhoben werden. Kirchenälteste taten
diesen notwendigen und schweren Dienst. Dennoch fand die Gemeinde in diesen
Jahren noch Kraft, sogar andere zu unterstützen. So wurde am 3. Mai 1949 vom
Kirchenrat der Beschluß gefaßt, den Christen in Mark Zwuschen, die eine neue
Kirchengemeinde gründen und eine Kirche bauen wollten, zu helfen.
Die Chronik des Pfarrer
Mauer aus Seyda endet mit den Worten:
„Denjenigen, die das lesen, wünschen wir ruhigere Zeiten. Haben
sie solche, sollen sie nicht vergessen, daß Gott es auch schnell ändern kann.
Haben sie solche Zeiten nicht, sollen sie nicht vergessen, daß auch bei ihnen
der Herr ist und daß es in diesem Leben zuerst darauf ankommt, zu diesem Herrn
zu finden.“
Viele haben sich in den
schwierigen Zeiten gemüht, auch in Mellnitz das kirchliche Leben aufrecht zu
erhalten und treu zum Herrn Christus und seiner Gemeinde zu stehen. Erinnert
sei dabei an die Katechetin Ostara Richter, die in Mellnitz in den fünfziger
Jahren Kindergottesdienst feierte, an Diakon Solbrig, der seit 1960 über
Jahrzehnte auch für Mellnitz die Christenlehre hielt und das Harmonium spielte,
an Pfarrer Schlauraff, Pfarrer Schaeper, die Katechetinnen Mitkowski und Gasde
sowie das Ehepaar Podstawa.
Ein älterer Mann
berichtete von einem jungen Pfarrer, an dessen Namen er sich nicht mehr
erinnern konnte. Der hat seine Antrittspredigt so begonnen: „Ich bin nicht gekommen, um Eure Scheunen
anzuzünden! Ich bin gekommen, um das Feuer der Liebe an Eure Herzen zu legen!“
Ende
der 60iger Jahre war es üblich, die alten Einrichtungsgegenstände aus den
Kirchen herauszunehmen und sie in schlichter Weise zu renovieren. So geschah es
in Mellnitz, in Zemnick und in anderen Orten.
Die Gadegaster haben sich
damals gewehrt: Sie wollten ihre alten Sprüche, die Kanzel und den Altaraufbau
mit den Vorhängen behalten. So kann man dort sehen, wie es einmal auch in
Mellnitz ausgesehen hat: Ein großer Altaraufbau schmückte die Kirche, mit Vorhängen
und einer 133 cm hohen Christusstatue auf dem Altar, die 1904 nach einem
Beschluß des Gemeindekirchenrates Mellnitz für 90 Reichsmark angeschafft worden
war. Die Kanzel auf der rechten Seite war erhöht, ein kleines Häuschen links
diente dem Pfarrer als Sakristei zum Umziehen.
Nun wurde alles ganz
schlicht gehalten, wie es auch heute ist. Die Kanzel steht links, auf der Erde,
alles ist einfach geweißt.
Die
letzte größere, spektakuläre Baumaßnahme war die Renovierung des Turmes und das
Decken des Daches 1985/86. Dazu hat auch die LPG, die 1959 eine Schweinemastanlage
bei Mellnitz baute, viel beigetragen. Der Turm wurde vom Dach gehoben und auf
dem Erdboden komplett neu aufgebaut. Ein großer Kran setzte ihn dann wieder auf
das Kirchenschiff. Die Wetterfahne erinnert daran, ebenso eine Eintragung im
Turm: „Erbaut Apr(il). 1985 Riehl, Wolter, Knape, Gottwald, Ernicke, Kehling,
Arndt Th., Arndt P., Arndt M., Wäsch.“
Ende der 80iger Jahre
spendete die LPG auch den Kronleuchter für die Kirche, und eine umfassende
Innenrenovierung fand statt. Daraufhin, nachdem lange Zeit kein Gottesdienst in
Mellnitz stattfinden konnte, wurde eine „Goldene Konfirmation“ (50 Jahre nach
der Schulentlassung) für die ganze Region in der Mellnitzer Kirche gefeiert.
Jedoch
konnte die Kirche nur mit wackligen Füßen betreten werden, da sich durch Nässe
die Fliesen gelöst hatten. Sie waren nur durch einen Teppich bedeckt, und man
wußte nie genau, ob man nun auf eine feste Stelle oder in ein Loch tritt. Mit
Hilfe der Partnergemeinde Oberseemen aus Westdeutschland und durch die
Spendenbereitschaft der Mellnitzer konnten 1994 neue Fliesen in die Kirche
kommen.
Der Bau von neuen
Fußwegen im Dorf wurde 1994 begonnen. In der Folge der Erdarbeiten mußte die
Wiese nördlich der Kirche frisch angesät werden. In der Mitte wurde mit
Frühlingsblühern ein Kreuz und ein großes „M“ für Mellnitz gepflanzt.
1996 sind die Holzbalken
des Turmes und die Kirchenfenster wieder gestrichen worden. Diese Arbeiten
taten Mitarbeiter der Öko-Tour-Sanierungsgesellschaft Seyda, ein
Arbeits-beschaffungsprojekt. Vor der Kirche, zum Teil auf Kirchenland, wurde
ein Spielplatz errichtet.
Die alte Friedhofsmauer,
bis zum Krieg noch mit einem Drahtzaun zur Abwehr des Federviehs versehen,
verfiel mit den Jahren immer mehr. So rollten schon Feldsteine auf die Straße
und stellten eine Gefahr für den Straßenverkehr, aber auch für die spielenden
Kinder dar. Kostenvoranschläge von Maurerbetrieben für eine Sanierung hatten
astronomische Summen genannt: zum Teil über 40.000 DM, unerschwinglich für die
kleine Gemeinde mit ihren 31 Mitgliedern. So wurde im August 1996 in
Eigenleistung begonnen, die Friedhofsmauer wieder aufzubauen. Etliche
Mellnitzer haben sich daran beteiligt. Die Hauptarbeit tat jedoch ein alter
Zimmermeister, Herr Christian Biber, der 1993 aus Kirgisien nach Seyda gekommen
war.
1997 sind diese Arbeiten
nur langsam fortgesetzt worden, weil Herr Biber nun gesundheitlich nicht mehr
in der Lage war.
In diesem Jahr hat uns
die Glaswerkstatt Derix aus Blönsdorf versprochen, bis Weihnachten ein buntes
Fenster an der Ostwand der Kirche herzustellen. Der Baubetrieb Sommer konnte
die Südwand der Kirche verputzen. Das war notwendig geworden, weil durch
Auswaschung des Putzes bereits Steine aus der Kirchenwand herauszubrechen
drohten, besonders an der Südwestecke. Ursprünglich war die Kirche einmal ganz
verputzt, aber vor 100 Jahren, in der Zeit der Romantik, ist der Putz
weggenommen worden, weil es mit den Feldsteinen doch sehr schön aussieht. Die
Folgen sind diese Auswaschungen, die wir nun mit Hilfe einer Förderung des
Landkreises, einer großzügigen Gabe des Gemeinderates Mellnitz und nicht
zuletzt der Spenden der Mellnitzer und der Kollanz des Baubetriebs beseitigen
konnten.
Dieses Heftchen soll dazu
beitragen, den Rest, der noch fehlt, zusammenzubringen.
Regelmäßig
stattgefunden hat alle Jahre bis zum heutigen Tag, auch in der Zeit der DDR,
die Christenlehre, weil seit den 50iger Jahren kein Religionsunterricht in der
Schule mehr erteilt werden durfte.
Von 1994 an gibt es
wieder Religionsunterricht in der Schule in Seyda, an der jedoch noch keine
Kinder aus Mellnitz teilgenommen haben.
Jeden Dienstag und
Mittwoch fährt ein Auto nach Mellnitz, um die Kinder zur Christenlehre und zum
Konfirmandenunterricht nach Seyda abzuholen. Ein Jugendraum im Pfarrhaus in
Gadegast wurde 1994 auch von Mellnitzer Jugendlichen genutzt und ausgestaltet.
Ein Höhepunkt für die
Kinder der ganzen Region waren die Kinderkirchenferientage, bei denen 1996 und
1997 über 70 Kinder im Pfarrgarten in Gadegast zelteten. Da wurde auch die
Gaststätte Hanack besucht,und die Mellnitzer Kirche war voller Kinder. Zusammen
mit den Morxdorfer Kindern wurde 1995 und 1996 am Heiligen Abend regelmäßig ein
Krippenspiel für Mellnitz aufgeführt.
Seit 1993 erscheint,
ähnlich den „Heimatgrüßen“, ein „Gemeindebrief der Evangelischen
Kirchengemeinde Mellnitz“ für alle Mellnitzer, der über das Gemeindeleben
berichtet.
Es gibt einen
Gemeindekirchenrat für Mellnitz; in unregelmäßigen Abständen finden
Gemeindeveranstaltungen wie Grillabende, Filmstunden, Bibelabende,
Weihnachtsfeiern und Konzerte statt. 1996 kam die Gemeinde durch die
Friedhofsmauer ins Radio, und sogar in der BILD-Zeitung wurde über sie
berichtet.
1997, über fünfzig Jahre
nach Kriegsende, sang ein Chor aus Moskau in der vollbesetzten Mellnitzer
Kirche. Sogar eine Bank mußte noch von draußen hereingetragen werden, so viele
Leute waren gekommen.
Auch der Lehrer Siegmund
aus Mellnitz erfreute mit dem Gesang seines Frauenchores aus Jessen schon die
Mellnitzer und ihre Gäste mit einem Frühlingskonzert.
Wie wird es weitergehen
mit der Geschichte der Kirche in Mellnitz? Eins ist gewiß: Gott, der Herr, wird
seiner Gemeinde auch weiter die Treue halten, wie er das bisher getan hat -
trotz allem Irrtum und allem Unglauben.
Er lädt auch uns zum
Vertrauen auf ihn ein, wie er es mit unseren Vätern und Müttern getan hat, die
Freude und Leid vor Gott gebracht haben.