St. Petri Riga. https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/f/f7/Bm04181abm.jpg

Eine große Geschichte.

 

 

Für Natalie.

 

 

Eine bunte Schar von Menschen ist es, die in dieser Kirche durch die Jahrhunderte Gottesdienst gefeiert haben, die ehrfurchtsvoll hinaufschauten zu ihrem hohen Turm, denen die Silhouette Heimat und Zuflucht war – Menschen, die immer wieder aufgebaut und neu angefangen haben, wohl mehr, als an anderen Orten.

 

Eine große Geschichte verbindet sie alle, und das Ereignis dieser Tage, dass St. Petri nach vielen Jahrzehnten wieder einer Kirchengemeinde gehören darf, die in ihr lebt und von hier aus ausstrahlt in Stadt und Welt – dieses denkwürdige Ereignis soll Anlass sein, sich an diese große Geschichte zu erinnern. Es ist eine Geschichte, in der sich die Geschichte des Petrus widerspiegelt. Als Jünger seines Herrn erlebte er große Wunder, volle Netze, - und auch das Untergehen in den Fluten; das totale Versagen, als der Hahn krähte. Er wusste nicht nur, er hat erfahren, was Gnade ist: Die freundliche Annahme  und das freundliche Aufheben durch den Herrn, der stärker ist als alle Mächte und Gewalten. Ihn hat er verkündet und seine gute Botschaft in die Welt getragen und am Ende mit seinem Leben dafür eingestanden. Und ihm wurden die Worte zugeschrieben: „Gelobt sei Gott, der Vater unsres Herrn Jesus Christus, der uns in seiner großen Barmherzigkeit wiedergeboren und mit Hoffnung auf Leben erfüllt hat durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten.“ (1. Petrusbrief 1,3)

 

Vor über 800 Jahren wurde die Kirche St. Petri erstmals errichtet.

Mit Begeisterung und Freude berichtet „Heinrichs Livländische Chronik“ über die Ereignisse um das Jahr 1200, als das Land christlich wurde: „Ein getreuer Bericht, wie das Christentum und die deutsche Herrschaft sich im Lande der Liven, Letten und Esten bahngebrochen hat.“ „Dass den Heiden deine Herrlichkeit wir zeigen – gib uns gnädig!“ „Die göttliche Vorsehung hat… in unseren neueren Zeiten… des Götzendienstes und der Sünde Schlaf … durch das Feuer der Liebe aufgeweckt.“ (H)

Bischof Albert kam, aus Bremen – er konnte Menschen begeistern und brachte viele mit.

 

Albert von Buxthoeven – das ist der Ort bei Bremerhaven, wo er herstammte – war zunächst Domherr in Bremen gewesen, als ihn 1198 sein Onkel Hartwig II. von Utlede, Erzbischof von Bremen, zum Bischof von Livland weihte und ihn losschickte. Etwas über 30 Jahre alt war er da.

Er kam - und blieb. 1229 ist er in Riga gestorben, am Dom ist er bis heute zu sehen, nach vorn schreitend,  mit Hirtenstab.

 

Sein Einsatz wurde akribisch geplant: Im Sommer 1200 kommt Albert mit zahlreichen Kaufleuten, Missionaren und einem großen Pilgerheer (von 500 schreibt Heinrich, und 23 Schiffen) an der Mündung der Düna an. Vorher war er viel unterwegs gewesen, sowohl Menschen als auch „Geschenke“ zu sammeln.

Vor ihm sind schon mehrere in dem „neuen Land“  gewesen, und es waren auch kriegerische Auseinandersetzungen zu erwarten.

Noch heute kann man die Reste der ersten Bischofskirche auf einer Insel in der Düna betrachten, in Uexküll (Ikšķile), bei Salaspils südöstlich von Riga, 1185 „als erstes steinernes Gebäude“ (so sagt es Wikipedia!) errichtet. Seit  1158/9 waren bremische Kaufleute dort gewesen.

 

Albert aber gründete Riga, 1201 – das wurde sein Bischofssitz. Die Stadt wurde nach dem Vorbild Bremens angelegt. 16,5 Hektar Land soll er dafür zuerst erworben haben, das heißt: Nach 400 Metern war man hindurch, größer war die Stadt am Anfang nicht. In den ersten 50 Jahren sind es insgesamt 1400 Menschen, die dort gewohnt haben: „Als Kern finden sich 1221 deutsche Männer, die rund 100 niederdeutschen Städten entstammten, daneben 61 russische, 70 livische, lettische, semigallische und estnische, und 48 aus Schweden und Dänemark stammende Namen.“ (Poh 5) Albert hatte sie angeworben, in Sachsen, Westfalen und rechts der Elbe. Er hatte erreicht, dass man für eine gelobte Teilnahme am Kreuzzug nach Jerusalem auch nach Livland mitkommen konnte. Die meisten hatten sich nur für ein Jahr verpflichtet, so dass er immer wieder einmal zurück fuhr, um Menschen zu werben. Ein Mittel, sie zu halten, war es, Lehen zu vergeben. (D 39f)

Auch eine stattliche Anzahl seiner Verwandtschaft brachte er mit, Brüder und Halbbrüder kamen als Kreuzfahrer nach Livland: Hermann, später Bischof von Dorpat, Rotmar, Propst in Dorpat, sowie Engelbert, Propst zu Riga, und die Laien Johannes „de Bikkeshovede“ und Theodoricus de Ropa.

 

Sic, sic Riga semper rigat gentes!” “Ja! So hat Riga die heidnischen Völker erfrischt.” Heinrich deutet den Namen in dem Sinne, dass das Evangelium wie frisches Quellwasser ist, was von Riga aus in das ganze Baltikum ausging. Riga ist die von dem neuen Glauben “genetzte” („rigata“, 1 Kor 3,6ff), „Riga nova fide rigata et quia per eam gentes in circuitu sacro baptismatis fonte rigantur.” (H1  11, 5)

 

Der geschichtliche Hintergrund ist der Nordische Kreuzzug. Es ging darum, den christlichen Glauben weiterzutragen: Auch zu den Völkern, die ihn noch nicht kannten.

 

Der Chronist Heinrich sieht als Zeitgenosse durchaus die Vermischung dieses Anliegens mit politischer  und militärischer Macht. „Verba nec verbera“ – besser „durch Liebe und nicht durch Hiebe“ soll Mission geschehen, Gewalt aber scheint ihm nötig angesichts der Bedrohung der Getauften und der Missionare. Riga wurde auch deshalb gegründet, um eine Zufluchtsstätte für die Christen Livlands zu haben. (D 40)

„Der wiederholte „Treubruch“ der Liven war einerseits gegen die durch den christlichen Glauben bedingte Auflage gerichtet, livischem Brauchtum wie Vielweiberei, Frauenkauf, Raubehe und Verwandtenehe sowie anderen Übertretungen christlicher Gebote zu entsagen. Zum anderen waren es die mit der Annahme der Taufe verbundenen iura Chrsitianorum, gegen die sie sich auflehnten. Dazu gehörten Landesverteidigung, Arbeitsleistung beim Kirchen- und Burgenbau und der an die Kirche zu entrichtende Zehnte der Erträge. Die manchmal drückenden Abgaben wurden auf Bitten der Neugetauften in einen festen Zins von gemäßigter Höhe umgewandelt.“ (D 42)

 

Albert gründete den christlichen Ritterorden der Schwertbrüder – deren Spuren nicht nur in dem berühmten großen Haus in Riga, sondern an vielen Stellen dort zu finden sind. Afrikanischer Herkunft war Mauritius, ein römischer Märtyrer. Auch der Magdeburger Dom ist ihm geweiht – und an diesem Ort hatte Albert – vor der Statue des Mauritius - etliche, die ihm folgen wollten, „signat“, also für den Einsatz im neuen Land gesegnet  und geweiht. (H)

Mauritius, der selbst Soldat war, aber sich am Ende ganz dem Herrn Jesus Christus unterstellte,  war ihr großes Vorbild. Um 290 ist er in den Alpen (St. Moritz!) wegen seines christlichen Glaubens getötet worden – noch in der Zeit der Christenverfolgung im Römischen Reich. Er wurde im Mittelalter sehr verehrt, galt schließlich als Schutzpatron aller Kaiser des Heiligen Römischen Reichs und auch des Reichs selbst. Reichsschwert und Heilige Lanze wurden ihm zugeschrieben – und sowohl die katholische als auch die orthodoxe Kirche verehrt ihn bis heute als Heiligen, was natürlich gut ins Baltikum passt.

 

Es geht nicht um Nationalität und Hautfarbe – das vermittelt die Präsenz dieses afrikanischstämmigen Heiligen damals wie heute!

 

Aus dem Jahre 1206 berichtet Heinrich über „Prophetenspiele“, also Theaterstücke, durch die sowohl die Neubekehrten als auch die Heiden den Anfang des christlichen Glaubens lernen sollten. Allerdings wurden dort auch kriegerische Szenen aus dem Alten Testament gespielt, einmal wohl so drastisch, dass ein Teil der Zuschauer fliehen wollte, weil sie dachten, sie würden angegriffen. (H1 IX,14)

Eine wichtige Rolle in der weiteren Missionsarbeit spielte das Zisterzienserkloster Dunamünde, gegründet von Theoderich, ein treuer Mitarbeiter Alberts, der dort dann Abt wurde. (D40)

 

Heinrichs Chronik berichtet zu Beginn des 5. Kapitels (H1 5,1b): „In demselben Sommer“ der Ankunft 1201 „wurde die Stadt Riga erbaut.“

Wenn im weiteren Verlauf seines Buches von „der Stadt“ die Rede ist, ist damit immer Riga gemeint.

Und natürlich gehörte zu einer Stadt, die ein Bischof baut, von Anfang an eine Kirche.

Jedoch ist das erste schriftliche Zeugnis von St. Petri erst aus dem Jahre 1209 überliefert. Der Bischof stellt eine Urkunde aus: König Wsewolod von Gerzike erhält ein „Fahnenlehen“. (N)

Es wurde also eine Fahne überreicht als Symbol der Übergabe einer Herrschaft. Kriegerische Auseinandersetzung war dem vorausgegangen, das war der Kompromiss: Der Fürst unterwarf sich – und bekam gleichzeitig das Lehen ausgesprochen.

So konnten alle leben!

 

Wie auch sonst üblich, wird als erster Bau ein Holzbau vermutet. Sieht man allerdings auf die Steine von  Üxküll, kann man sich das nicht recht vorstellen. Schnell war das Lager Alberts kein Provisorium mehr, sondern eine richtige Stadt, eine Stadt im Norden – dem rauhen Klima ausgesetzt, auch langer Dunkelheit – man musste also Feuer machen, mindestens die Kamine waren aus Stein. Im übrigen hatte schon der erste Missionar Livlands den Liven in Üxküll und Holm feste Mauern versprochen, um sich gegen Überfälle zu wehren – so steht es jedenfalls in der Chronik des Heinrich – und diese Überfälle setzten sich in den ersten Jahren Rigas fort.

Er hat öfter die Formulierung, dass sich die „Pilger“ wie eine Mauer um das Haus des Herrn in Riga stellten (nach Hes 13,5) – insbesondere, wenn Albert auf Dienstreise in Deutschland war. 20 Mann haben die Stadt einmal verteidigt – es werden also nicht ganz so große Zahlen gewesen sein, die dort wohnten und beteiligt waren. Man denke an Aristoteles, der sagte, eine Stadt kann nicht größer sein, als dass ein lauter Sprecher in der Mitte von allen gehört werden muss; mehr als 200 werden es wohl keinesfalls am Anfang gewesen sein: Aber dennoch eben „die Stadt“, viel größer, als die übrigen Siedlungen der Umgebung.

Und da der Bau einer neuen großen Kirche bestimmt Erwähnung in der Chronik gefunden hätte, ist davon auszugehen, dass St. Petri zu den ersten Kirchen der Stadt gehörte. Bei Heinrich kann man lesen, dass 1201 eine Kirche – wie das ganze Land Livland - der heiligen Jungfrau Maria geweiht wurde – der Dom heißt heute St. Marien, aber damals, so ist angemerkt, war diese Kirche an anderem Ort als jetzt, „weiter östlich und von der Düna ab“. Als es dann mehrere Kirchen gab, war St. Petri „die Kirche Rigas“ für ihre Bewohner, also nicht mit einem speziellen anderen Zweck für ein Kloster oder den Bischof.

 

Wann genau wurde die Petrikirche gebaut? Es gibt keine Gründungsurkunde. Der Dom in Bremen hieß jedenfalls St. Petri, und Bischof Albert wusste sich geschickt durch seinen Herrn Jesus Christus und legitimiert vom damaligen Papst – und so ist es wahrscheinlich, dass auch die erste große Kirche die auf Petrus geweihte war – verbunden mit Petrus, der zu Pfingsten in Jerusalem die erste Predigt hielt, worauf die Kirche entstand – und verbunden mit dem „Stuhl Petri“ in Rom. (Vgl. aber P, der 1209 als Jahr der Erbauung angibt, jedoch ohne Beleg.)

 

Schon im 13. Jahrhundert soll St. Petri eine Uhr gehabt haben, mit Stundenschlag! Wozu man dies brauchte? Zum Beispiel für die Stundengebete der Klosterbrüder, die in unmittelbarer Nähe wohnten, für Beginn und Ende von Märkten, Verabredungen und Versammlungen. Die Petrikirche war – wie im Mittelalter üblich – gesellschaftlicher Mittelpunkt, wie schon die Ersterwähnung zeigt.

1353 wird erstmals eine Schule erwähnt, wahrscheinlich gab es längst vorher eine: Neben der Krankenpflege eine der Einrichtungen, die mit dem christlichen Glauben ins Land kamen.

 

Die wachsende Stadt forderte einen Kirchenneubau, der 1406 begonnen hat, wo die Petrikirche langsam die Formen annimmt, die uns heute vertraut sind.

Schon im 19. Jahrhundert schreibt ein akribischer Forscher: „Eine nicht mehr kontrollierbare Nachricht … von einer Messingtafel…, die nahe der Tür der Südseite des Chores zur Sünderstraße hin angebracht gewesen… in alter Mönchsschrift…: Milleno quadringento sexto simul anno Christi. Principium fert chorus iste suum.“ (N)

„Im Jahr 1406 – auch ein Jahr Christi! – ist der Anfang dieses seines Chores gesetzt worden.“

 

Die Stadt baute die Kirche, nicht der Bischof oder der Orden. Nach dem Beschluss 1406 kam 1408 der Ratsbeschluss, dass die künstlerische und technische Leitung in der Hand von Meister Johann Rumeschottel aus Rostock liegen sollte.

Mit dem Chor, also dem Altarraum, wurde begonnen, 1409 bis 1418, und ganz deutlich unterscheidet sich dessen kunstvolle Ausführung vom Mittelschiff. Die Mauerung der Friesbögen und Profile ist geschickter ausgeführt.

Der Grundriss des Chores stimmt vollkommen mit dem der St. Marien-Kirche in Rostock überein. Dort kam der Baumeister her! Die Form der dreischiffigen Basilika in Backsteingotik mit dem Kapellenkranz aus 5 Kapellen ist im Doberaner Münster wiederzufinden, dem Zisterzienserkloster ganz in der Nähe Rostocks. Einzelheiten in der Innenarchitektor, etwas die Pfeiler-Profilierung, kann man im Dom von Schwerin, zu gleicher Zeit gebaut, in ähnlicher Weise erkennen.

 

Fast vierzig Jahre stockte der Weiterbau der Kirche und erst 1456 wurde derselbe wieder aufgenommen. Das bis 1466 fertiggestellte Langhaus hat mehr den Charakter eines Nutzbaues an sich.“ (P 2)

Vielleicht hat ja die Größe der Kirche zunächst genügt – an vielen Orten gab es diese Art des Bauens, die sich über viele Jahrzehnte hinzog. Ein Grund war aber auch die 1410 bei Tannenberg verlorene Schlacht des Deutschen Ordens, die für Riga wieder einmal unruhige Zeiten anbrechen ließ.

 

Am Ende entstand eine dreischiffige Basilika mit sechs Querschiffen, mit einer Gesamtlänge von 78,70 Metern, die Breite im mittleren Teil 32,60 Meter, das Altarhaus 34,80 m.

Hinter den ersten Kapellen stehen zu beiden Seiten des Gebäudes an Stelle von Strebepfeilern runde Treppentürmchen, die gleichzeitig als Strebepfeiler dienen.

Die Gotik – im Magdeburger Dom in höchster Vollendung – war die Kunst der Zeit: Der Blick konnte sich nach oben richten, den Kopf sollte man heben dürfen und neuen, guten Mut fassen in diesem Gotteshaus. Die feine Architektur machte es möglich, dass viel Licht in den Innenraum strahlt. Zum Staunen, bis heute!

„Zur Winterzeit, wenn zum Abendgottesdienst  das Langhaus nur erhellt ist und in den oberen Partien des hohen Chores noch ein Dämmerlicht  herrscht und an den Gewölben und Pfeilern ein reicher Wechsel von Licht und Schatten sein zauberisches Spiel treibt, dann entfaltet der Dom zu St. Peter seine höchste Schönheit. Den Hauch echt künstlerischen Geistes verspürt man in diesen weiten Hallen.“ wird schon in einem „Führer“ von 1901 ein Architekt zitiert, der das Rigaer Stadtbild prägte. (Wilhelm Bockslaff, 1858-1945, P 2. Ein Dom ist St. Peter hier, weil inzwischen Bischofskirche der deutschen lutherischen Gemeinde.)

In fast jedem Fenster im Chorteil ist die  Profilierung der Formziegeln verschieden. Die zwei Portale zu beiden Seiten des Chorbaues haben gotische Spitzbogennischen. Die rote Ziegelarchitektur war zu sehen – der Putz kam erst später, zuerst im Inneren im Gewölbe und in Nischen, versehen mit einer bunten Farbigkeit, die man heute an knallig lackierten Autos findet, und die Menschen und Geschichten der Bibel und aus der Kirchengeschichte darstellten, um zum Glauben einzuladen und anzubeten – in einer Zeit, wo trotz Schule nicht mal 6% der Bevölkerung richtig lesen konnte.

 

Der Kirchenbau zog sich über Jahrzehnte hin, nach dem Mittelschiff kam der Turm, 80 Jahre nach Baubeginn. Die Turmwände im unteren Teil sind 3,20 Meter stark.

Die Ziegelmauer der Fassade und das Turmhaus wurden mit regelmäßig behauenen rötlichen tuffartigen kirchholmschen Kalksteinquadern verschiedener Größe verkleidet; Kirchholm – das ist der deutsche Name für Salaspils, südöstlich von Riga.

 

Der damals 115 Meter hohe Turm wurde ein besonderes Kunstwerk, zu Beginn sah er allerdings noch anders aus als heute: Ein schlanker achteckiger Helm, auf alten Bildern erkennbar. Aber der untere Aufbau wurde bereits im 15. Jahrhundert gesetzt. Der viereckige Bau geht auf der Höhe des Mittelschiffs über in einen kunstvollen „zweistöckigen prismenartigen achteckigen Aufbau“. „Das in erhabener Arbeit ausgeführte kräftige Gesims und der profilierte Architrav werden von acht auf die Kanten des Aufbaues gestützten Pilastern mit jonischen Kapitälen getragen.“ (A)

Stellenweise wurden hier 50 x 50 cm dicke Balken verwendet. Die äußeren Säulen im Turm sind ionischer, die inneren toskanischer Ordnung. Alle offenen  Holzteile wurden mit Kupferblech bekleidet. Der Turmknopf wurde am 9. August 1491 aufgebracht – mit dem ersten Hahn, der wiederum an Petrus erinnert. Der Herr Jesus hatte Petrus auf seine Großspurigkeit hin („Ich stehe immer zu Dir, egal was kommt, und wenn es der Tod ist!“) am Abend, bevor er verraten wurde, geantwortet: „Bevor der Hahn kräht, wirst Du mich dreimal verleugnen.“ Und so geschah es auch: Der große Petrus sagte aus Angst den Kriegsknechten und am Ende einer Magd, dass er Jesus nicht kenne – und weinte dann bitterlich. Darauf Bezug nimmt die Ostergeschichte: Der Auferstandene begegnet Petrus und fragt ihn dreimal: „Hast Du mich lieb?“ – und übergibt ihm dann symbolisch „die Schlüssel des Himmelreiches“ – er soll Menschen die gute Botschaft weitergeben und ihnen damit den Himmel, also den Ort, wo es ganz schön ist, öffnen. Deshalb wird er immer mit dem Schlüssel dargestellt.

 

Es heißt, dass zu dieser Zeit die Seitenschiffe noch nicht vollendet waren, „nur den mittlern Gang durch den Thurm und den Gang zur linken Seite  der grossen Thür“ (P 3). Die Dachböden wurden als Packhaus und Speicher genutzt, im Turm war  eine Wohnung des Glockenläuters und der Feuerwache.

 

An die astronomische Uhr auf dem Prager Altmarkt kann man denken bei der Beschreibung der Uhr, die am Turm nach 1491 angebracht wurde: „Nach Verfertigung des Thurmes haben sie bald darauf ein kost- und kunstbares Uhrwerk, das nicht allein auf zwei auswendig am Thurm über dem Giebel der Kirche gegen Osten und Westen hängenden Glocken alle Stunden, sondern auch inwendig in der Kirche alle Viertel- und ganze Stunden geschlagen, nebst einem schönen Stund und Monattage andeutenden Zeiger, daran die Staturen eines Menschen und des Todes bei jedem Glockenschlage mit Bewegung ihrer Leiber und in den Händen habenden Spiessen gegen einander stritten, verfertigen lassen. In dem Thurm haben noch fünf grosse und zum Geläute wohlklingende Glocken gehangen, die allem Vermuthen nach noch zu katholischen Zeiten, weil man im Papstthum groß Werk davon machet und viel abergläubische Dinge damit treibet, müssen gegossen sein.“ (Zitat bei P 4)

Schon in diesen Zeiten gab es 3 nebeneinanderstehende Häuser neben der Kirche, die als Pfarrhäuser dienten.

 

Ein mächtiger Bau, eindrucksvoll heute – und wohl früher fast noch mehr, als es sonst kaum so monumentale Gebäude gab. 16 große Pfeiler sind es, 6 im mittleren, 10 im Altarteil. Und darin wurde nun gefeiert, jeden Tag, und sonntags in großer Gemeinschaft, und die Texte gelesen, die auch heute noch in den Gottesdiensten bedacht werden, freilich in lateinischer Sprache. Möglichkeiten zum Hinsetzen gab es kaum, man stand, staunend, und hörte den Worten des Priesters und dem Gesang des Chores zu. Es gab ungefähr 30 Altäre.

Das änderte sich erst vor genau 500 Jahren!

Wie eine 2017 mit dem Präsidenten Lettlands Vejonis und dem deutschen Bundespräsidenten Gauck (auch lutherischer Pfarrer) eingeweihte Gedenktafel in der Kirche zeigt, war der Anfang der Reformation in Riga in der Petrikirche im Juni 1522:  „Mit Unterstützung der Rigaer und des Rates begann in Livland die Reformation. Diese führte am 12. Juni 1522 der lutherische Pastor Andreas Knopken mit 24 Thesen in der St. Petrikirche ein. Die am 21. September 1525 verkündete Glaubensfreiheit bedeutete geistiges Erwachen und den Sieg der Reformation“.

 

Natürlich war die Reformation, die Erneuerung von Kirche und dann der ganzen Gesellschaft, ein Prozess. Aber an diesem Tage im Juni fand eine Disputation statt, also ein wissenschaftlicher Diskurs: Andreas Knöpken hatte 24 Thesen aufgestellt, und sie wurde mit Mönchen (es gab Franziskaner und Dominikaner in Riga) und vor Publikum erörtert. Knöpken konnte überzeugen und wurde damit  zum Reformator Rigas und des Baltikums.

Die alte Chronik aus dem 19. Jahrhundert schreibt: „Anno 1522 hat der höchste Gott sich seiner armen und in der dicken Finsterniss päbstlicher Greuel und Abgötterei steckenden Kirche erbarmt und auch hier die erste Morgenröthe seiner seligmachenden evangelischen reinen Lehre aufgehen lassen durch Herrn Andreas Knopium.“ (Mettig, in P 5)

Andreas Knöpken war schon älter, älter als Luther, Mitte 50, zu diesem Zeitpunkt. Er war seit 1492 Pfarrer und kam bereits 1517 nach Riga – sein Bruder Jakob, der Domherr war, verschaffte ihm eine Stelle. Sogar mit Erasmus von Rotterdam hat er von Riga aus korrespondiert – und beklagte, er hätte keine rechten Gesprächspartner. „Als der vielbeschäftigte Humanist endlich dazu kommt, Knopken zu antworten, lebt dieser schon im pommerschen Treptow. Dort gehört er in eine Gruppe um den Schulleiter Johannes Bugenhagen, in dem 1520 die neuesten Schriften Martin Luthers, des berühmten Professors aus Wittenberg, gelesen und diskutiert werden.“ Knöpken wurde Nachfolger Bugenhagens in Treptow, aber „als der pommersche Herzog diese gefährliche Gruppe auflöst und des Landes verweist, kehrt Knopken nach Riga und auf seine Stelle an der Petrikirche zurück.“ (Pa)

Und in Riga wurde er nach der Disputation seiner 24 Thesen zum Archidiakon von St. Petri gewählt. Das war ganz neu: Gewählt! Nicht vom Bischof eingesetzt. In Wittenberg gab es das erst 1523! Und der Erzbischof von Riga, Jasper Linde, konnte seine Wahl nicht verhindern – und auch sein weiteres Wirken im Sinne der Reformation. Die neue Lehre hatte einflussreiche Freunde im Stadtrat und in der gesamten Bürgerschaft (zum Beispiel den Stadtschreiber Johannes Lohmüller), und deshalb „passierte nichts“, wie ein Historiker dieser Tage es formulierte. (Pa)

Andreas Knöpken war kein Radikaler, sondern mehr auf dem Kurs der „Invokavit-Predigten“ Luthers von 1522: Gegen „Schwärmerei“, Bildersturm und soziale Unruhen. Er musste nicht immerzu den Namen Luthers in den Mund nehmen und andere Schlagworte der Reformation. Sondern er verkündete einfach das Evangelium. Kern war die Wiederentdeckung der Gnade Gottes: Dass wir durch Jesus Christus angenommen und Frieden mit Gott haben dürfen. Das dürfen wir im Glauben annehmen, wir können uns diesen Frieden nicht mit Werken erkaufen. Das führte zu einer grundlegenden Veränderung der Gesellschaft: Das Ablass- und Klosterwesen verschwand, die Rolle  der kirchlichen Ämter veränderte sich. Demokratischere Strukturen zogen ein – wie die Wahl zeigte – und „alles, was aus der Taufe gekrochen ist, konnte seinem Nächsten nun Bischof und Priester sein“, das „Priestertum aller Gläubigen“. Beim Mahl des Herrn wurde kein stellvertretendes Opfer durch den Priester mehr vollzogen als ein Werk, sondern es wurde zum Gemeinschaftsmahl, in dem Christus begegnet, „in, mit und unter Brot und Wein“ – alle bekamen auch den Kelch. Das Sozialwesen der Stadt wurde über einen „gemeinen Kasten“ neu geordnet, Armen- und Krankenpflege wurden neu strukturiert und blieben wichtige Tätigkeitsfelder, Schulen und andere Bildungsstätten wurden reformiert und auch neu errichtet, damit jeder Christenmensch „das Wort“, die Heilige Schrift, lesen konnte, die jetzt alleinige Richtschnur in Glaubensfragen war und nicht mehr Autoritäten wie der Papst.

Es ist eine radikale Umwälzung der Gesellschaft gewesen, die Entdeckung auch des Individuums, das vor Gott steht und selbst Verantwortung trägt, für sein Seelenheil wie auch für seinen Nächsten. Das war nicht „nichts“, was da geschah. Es war eine neue Form der Gesellschaft, der lutherische Glaube prägte Riga über viele Jahrhunderte; in den Kirchen, Schulen und Häusern wurde Luthers Kleiner Katechismus gelesen, gelernt und gelebt. Ein Beispiel: „Das achte Gebot: Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten. – Was ist das? – Wir sollen Gott fürchten und lieben, dass wir unsern Nächsten nicht belügen, verraten, verleumden oder seinen Ruf verderben, sondern sollen ihn entschuldigen, Gutes von ihm reden und alles zum besten kehren.“ (Luthers Kleiner Katechismus für Haus, Schule und Kirche, Evangelisches Gesangbuch 806,1).

Der Kern der reformatorischen Botschaft war, „dass der Mensch gerecht wird allein durch den Glauben, nicht durch Gesetzes Werke“, - so steht es in der Heiligen Schrift im Römerbrief im 3. Kapitel. Wie Martin Luther gab auch Knöpken einen Kommentar zum Römerbrief heraus, im Jahre 1524. Er wurde in Wittenberg gedruckt, versehen mit einem Vorwort  Philipp Melanchthons – andere sprechen von einer Vorrede von Bugenhagen (1525 waren es bereits 4 Auflagen in Deutsch und Latein. Eine Druckerei gab es in Riga erst sehr spät, 1588. – S 12). In einem kleineren Kreis soll Knöpken in Riga den Römerbrief besprochen haben, seine Thesen sind darin enthalten.

Am 23. Oktober 1522 trat Knöpken seinen Dienst in St. Petri an – die Reformen wurden nach und nach eingeführt, zunächst behutsam, aber konsequent.

Die Lieder, die er gedichtet hat, lehnen sich an die Psalmen an, ein Teil erschien 1528 im Anhang eines Büchleins „Vom Verlorenen Sohn“. So hörte sich das an: „Lass Dir, mein Herr, zu Herzen gehen / und wollst daran gedenken / wie all die deinen mit dir stehn / den´n du dein Gnad tust schenken. In Christo hast du sie geliebt, durch den du ihn´n dein Gnade gibst / in der sie selig werden.“ Die Reformation hat sich viel über Lieder verbreitet, von Marktplatz zu Marktplatz, Hafen zu Hafen.

Andreas Knöpken ist es nicht gelungen, den Bildersturm in Riga zu verhindern.  1524 ging ein „rasender Pöbel“ auch durch die St. Petrikirche. Ein silbergeschmiedetes Reliquarium  (was bis zur Reformation hoch verehrt wurde und „Ablass“ brachte), „Der Heilige Georg im Kampf mit dem Drachen“ von 1507 und ein Altarbild von Albrecht Dürer 1521/22 fielen dem u.a. zum Opfer. (A)

Als 2. Reformator Rigas war Sylvester Tegetmeyer 1522 Köpken zur Seite getreten.“ (an St. Jakob) „Sie waren sehr verschiedene Naturen: Während Köpkens Verhalten durch Zurückhaltung gekennzeichnet war, riß Tegetmeyer durch seine fanatischen Predigten das Volk zu wilden Bilderstürmen mit. Es ist verständlich, daß zwischen den beiden Reibungen entstanden, die der Rat der Stadt 1532 durch eine „Ordnung von Bedienung des Ministerii“ beizulegen suchte. Sie fiel zum Nachteil von Köpken aus, der seine Vorrechte als Oberpastor verlor. Tegetmeyer wurde ihm gleichgestellt.“ (W)

 

1529 erarbeitete Knöpken gemeinsam mit dem preußischen Reformator Johannes Brießmann eine „Kurtze Ordnung des Kirchendienstes“. Die einzelne Ortsgemeinde bekam eine hohe Autonomie, sie hatte grundlegende Rechte bei der Wahl der Pfarrer und der Verwaltung der Gebäude, auch waren die Kirchenvorsteher mit der Prüfung der rechten Lehre betraut.

Der Gottesdienst veränderte sich: Er wurde in der Sprache der Leute gehalten, und die Gemeinde begann zu singen. Dazu mussten Lieder gedichtet werden – das erste evangelische Gesangbuch in Wittenberg 1523 etwa hatte nur acht Lieder – und auch der Reformator Knöpken dichtete für seine Gemeinde selbst fünf Lieder. Für das Schulwesens setzte er sich sehr ein. Als er starb – 1539 – war die Reformation in Riga gefestigt. Sein Grabstein wurde vor dem Altar aufgestellt, von den Schwarzhäuptern gestiftet. Die Randinschrift zeigte die Daten, am 18. Februar 1539 ist er verstorben, seine Frau bereits am 14. April 1538. Dargestellt war Christus, der den Tod unter seine Füße tritt, dazu Knöpkens Wappen, sein Monogramm und unten – drei Knöpfe. Seine eigene lateinische (!) Übersetzung von Hos 13,14 war dazu zu lesen: „Mors, ero mors tua, morsus tuus, inferne!“ – „Tod, ich will dir ein Tod sein; Hölle, ich bin dein Ende!“

Bis 1941 war eine Tafel am vierten linken Pfeiler des Altarchores angebracht, die an den ersten evangelischen Prediger Rigas erinnerte, in lateinischer Schrift, der Sprache der europäischen Gelehrten: „Der zuerst evangelisches Licht herübergetragen An Livonia´s Strand, Andreas Knopius war´s. Viel hat er trefflich lehrend geduldet in grossen Gefahren, Nimmer jedoch erdrückt, siegte er über den Hass. Nun zur Auferstehung gebettet in dunkler Steingruft Ruhet der Leib, doch der Geist wohnet in himmlischem Glanz. Denn die gläubig vollendet des Laufes irdische Mühen, Leben, o Jesu, bei Dir, dort in dem ewigen Reich. Sicher der Tod, doch des Ausgangs Stunde keinem bekannt ist; Drum halte dafür, jegliche sei Dir der Schluss.“

In der Petrikirche wurde Latein oder Deutsch gesprochen – die Sprache der meisten Bürger der Stadt. Aber auch Lettisch und Estnisch war in und um die Petrikirche zu hören. „Die Reformation setzte entscheidende Impulse für die Entwicklung des lettischen Schrifttums und das Bildungswesen. Großen Anteil daran hatten deutsche Pastoren wie Ernst Glück, die die Bibel, den Katechismus und Liedgut ins Lettische übersetzten. Knöpken wiederum veröffentlichte 1530 das von ihm miterarbeitete Rigasche Gesangbuch, das mehr als 20 Lutherlieder enthielt. Der große Reformator wandte sich damals auch direkt an seine Anhänger – 17 Briefe von Luther erreichten Überlieferungen zufolge Riga.“ (We. Das erste Buch in estnischer Sprache war ein Katechismus!)

Nach dem Bildersturm erschien die Kirche recht schmucklos. Das Wort sollte im Mittelpunkt stehen!

 

1538 wurden der Turm mit Kupfer gedeckt (bis dahin Holz und Blei), und Knopf und Hahn neu aufgesetzt, aber „Anno 1576 den 20. October ist der Hahn nach Mitternacht durch ein schrecklich ungestümes Gewitter am Halse krumm gebogen, also abgenommen und aufs Rathhaus gesetzt worden.“ (Zitat bei P 5f). Der nächste ist wieder abgeknickt, 1578 kam der vierte Hahn auf den Kirchturm.

 

Über das 16. Jahrhundert erzählte auf seine Weise ein Grabstein, der nicht mehr erhalten ist (das Epiptaph des Sohnes des Verstorbenen jedoch, von 1611).

D.O.M.S.

(= Deo Optimo Maximo Sacrum,  „Dem allerbesten und größten Gott geweiht“).

Grabschrift des achtbaren ehrenvesten und wohlweisen

Herrn Gerhard Ringenberg

Rathsherren der Königl. Stadt Riga,

der in Christo selig entschlafen ist

d. 5. Decbr. Ao. MDXCI. (1591)

An diesem Ort begraben ist

Ein ehrbar Mann und frommer Christ

Herr Gerhard Ringenberg mit Nam

Rathsherr in Riga lobesan.

1530   Aus Jülig er gebohren war (westlich von Köln!)

            Ist alt worden ein und sechszig Jahr

            Da er noch war in Bürgerstand

            Sein Ehr und Tugend war bekannt.

1575    Ward Aeltermann und gegen dem Schloss

1577    Baut er den Wall ganz fest und gross

            Den Knopf und Hahn auf Peters Thurm

1578    Setzet zweymal auf nach grossem Sturm

            Ward Kirchen Vater viele Jahre

            Als er zum Rath genommen war;

1581    Ward Kämmerer, das Gottes Haus

      Zu St. Gertraud half bauen aus.

      Er liebte Fried und ward gesandt

      Ins Polen Reich, das ist bekannt.

      Jetzt träget er ins Himmel Thron

      Auf seinem Haupt die Ehren Crohn

      Und dass man sein vergesse nicht

      Ist diese Grabschrift aufgericht.

                  Ao. 1593.

 

Es hört sich nach ruhigen Zeiten an, so war es aber überhaupt nicht. Zum Beispiel gab es einen Bürger-Aufruhr durch die Einführung eines neuen Kalenders. Papst Gregor XIII. hatte ihn 1582 mit der päpstlichen Bulle Inter gravissimas verfügt, und der polnische (katholische) König wollte dies durchsetzen. Ein Syndicus der Stadt und ein Obervogt wurden daraufhin 1586 enthauptet.

 

Der große gegossene siebenarmige Fußleuchter aus dem Jahr 1596, von Metallgießer Hans Meyer aus Riga, (wohl Glocken- und Geschützgießers – hieß er vielleicht auch Gert Meyer? – L) 310 cm hoch und 378 cm breit, ist jetzt wieder da und steht an seinem alten Platz im Südosten neben dem Altar. Am oberen Teil des Fußgestells kann man die Jahreszahl lesen, den Stifter nicht: Wohl hat er sein Werk „Gott allein zur Ehre“ getan.

Dieser Leuchter überstand alles, was danach kam, er ist bei der Umsiedlung 1940 mitgenommen worden und wohl nur deshalb erhalten. Erst 2011 kam er zurück, ein Vorbote dessen, was noch kommen sollte. (R 28)

 

Zwischen den großen Mächten Polen und Schweden und Russland lag Riga, wurde immer wieder bedroht, belagert, erobert: Und all dieses Leid, aber auch die Freude des Lebens wurde hier in St. Petri vor Gott gebracht.

 

Lesen wir weiter in der  Chronik: „Anno 1621, da der glorwürdigste König Gustavus Adophus diese Stadt bezwungen und den 16. September seinen Einzug mit seinem Bruder Carolo Philippo gehalten, ist er zuerst nach dieser Kirche geritten, darinnen Gott gedanket und sogleich durch Herren Samsonium predigen lassen.“ (P)

Natürlich ging es um Macht und Land – aber eben auch um den Glauben. Die lutherische Gemeinde war in Bedrängnis, 1553 schon waren Jesuiten in die Stadt gekommen, das nahe Polen drängte  zur Gegenreformation, die evangelische Freiheit war bedroht. Ein wenig davon erspüren kann man in der Lebensgeschichte des eben genannten Predigers:

„Hermann Samson verlor seinen Vater, Naeman Samson, Hauptmann der rigaschen Stadtsoldaten, als er vier Jahr alt war, und zeigte frühzeitig grosse Fähigkeiten, so dass die Jesuiten in Riga ihm nicht nur nachstellten, sondern ihn wirklich in ihre Gewalt brachten und nach Braunsberg in ihr Kollegium führen wollten; allein er entfloh unterwegs in einen Wald und kam glücklich wieder nach Riga. 1599 begab er sich nach Rostock…, ging dann nach Wittenberg, studirte Theologie, wurde 1605 Magister, predigte an des in demselben Jahre verstorbenen Salomon Gesner´s Stelle in der Schlosskirche (Wittenberg!) einige Monate hindurch und hielt zugleich Vorlesungen über die Sittenlehre. Im Sommer 1608 kam er, auf erhaltenen Wink, in seine Vaterstadt, welche die Kosten zu seinen Studien hergegeben hatte, zurück, hielt seine erste Predigt in der Petri-Kirche mit ausserordentlichem Beifall und wurde im August desselben Jahres Prediger der Stadtgemeinde und Inspector der Schule, 1611 Pastor an der Domkirche, 1616 Pastor an der Petri-Kirche und Oberpastor, 1622 Superintendent von ganz Livland und 1630 auch noch Professor der Theologie an dem damals vom rigaschen Rath gestifteten Gymnasium. Gegen die Jesuiten, welche zur Zeit seiner Anstellung in Riga alles versuchten, um die lutherische Lehre zu unterdrücken, sprach und schrieb er mit grossem Muthe, wurde deshalb von ihnen beim Könige verklagt, zwar vom Rathe geschützt, auch vor dem Könige durch den Syndicus Johann Ulrich kräftig vertheidigt, würde aber doch vielleicht haben unterliegen oder weichen müssen, wenn nicht Gustav Adolph, dieser grosse Vertheidiger der evangelischen Freiheit, gerade damals, 1621, Riga in seine Gewalt  gebracht und dem Jesuitenwesen ein Ende gemacht hätte. Ihm wurde Samson durch den (schwedischen) Kanzler Axel Oxenstierna, mit dem er in Wittenberg studirt hatte, besonders empfohlen; der König ließ ihn die Huldigungspredigt (am 25.9.1621) halten  und ernannte ihn im folgenden Jahr zum Superintendenten. Als solcher wirkte er eifrig zur Herstellung des lutherischen Kirchenwesens und erwarb sich allgemeines Ansehen und die Gnade der schwedischen Regierung. Von der Königin Christina wurde er 1638 mit dem Gute Festen beschenkt und 1641 in den Adelstand erhoben, wobei sein Name den  Zustand von Himmelstierna, welchen seine Nachkommen noch führen, erhielt. Mehrere Vokationen nach dem Auslande, namentlich nach Rostock zu einer Professur, nach Hamburg und Danzig zu Kirchenämtern, schlug er aus und blieb in

Seinem Vaterlande. Geboren zu Riga am 4. März 1579, gestorben am 16. Dezember 1643.“ (Zitat aus P 8f)

Sein Sohn wurde Bürgermeister und hat auch in St. Petri durch Stiftungen Spuren hinterlassen.

Viele Grabmale erzählten einstmals von der Rigaer Bürgerschaft und ihrem Glanz, nur einige sind erhalten, aber auch von den zerstörten wissen wir noch.

So gab es metallene Epitaphien, und eine davon, von Pastor Dollmann 1656, ist „jetzt im Historischen Museum“ (1944, A) – ob das noch zu finden ist? Die Aufschrift haben wir hier:

 

 „Des Wohl-Ehrwürdigen und Hochgelarten Herrn M. Johannis Dollmani

Ober Pastoris und der Heiligen Schrift Professoris Ehren- Gedächtnis.

Hier liegt der Sanftmut Meister,

Der Tugend Eigentum,

Ein Auszug kluger Geister,

gelehrter Leute Ruhm,

die schöne Kirchensonne,

der Priester große Zier,

des Vaterlandes Wonne,

Herr Dollmann lieget hier

Geb. 1595

  Gest. 1656.“

 

Professor Dollmann war 1616 - 1624 in Wittenberg, danach Prediger und Pastor in Riga und  ab 1644 auch „Professor der Gottesgelahrtheit“ am rigaischen Gymnasium (P  33).

 

Im Jahre 1656 hat der Grossfürst aus Moskau, Alexei Michailowitz, dieses Land mit einer grossen Armee und gewaltigen Artillerie überzogen und diese Stadt im August zu belagern, auch folgens mit sehr grossem Geschütz zu beschiessen und mit Einwerfung vieler und sehr schweren Feuergranaten zu ängstigen angefangen, darüber E(uer) E(hrwürden) Rath den 24. Augusti allen Glockenklang auf dem Kirchthurm einstellen lassen. Von dem Tage an haben die Prediger 14 Tage nach einander der von den meisten Menschen besorgten Todesgefahr halber täglich in dieser Kirche die Beichte anhören und heilige Nachtmahl austheilen müssen, bis den 14. September der Gottesdienst des heftigen Schiessens und des unweit vom Rathsstuhl eingeschlagenenen Granats wegen in dieser Kirche ganz aufgehoben, da auch des Tages vorher, als den 13. dito, dieser Kirch-Thurm über der auswendig hängenden Schlaguhr aus grobem Geschütz zwei mal durchschossen worden.

Ob nun wohl der grundgütige Gott die gantze Stadt den 5. October aus der Angst gerissen und von der schweren Belagerung befreit, dass des Tages darauf die Glocken an allen Thürmen wieder geläutet und das Dankfest vor die wunderbare Erlosung aus des mächtigen Feinden Händen den 10. October in dieser und anderen Kirchen gehalten worden, so scheinet doch aus den von der Zeit an bis hierher dieses Gotteshaus getroffenen unterschiedlichen schweren Zufällen, dass der meiste Dank nicht aus bussfertigen Herzen dem Höchsten geopfert, noch die ihm in der Belagerungsnoth gethanen Gelübde durch Lebensbesserung bezahlt worden, denn nachdem der gerechte Gott im folgenden 57. Jahre diese Stadt mit der verderblichen Seuche der Pestilenz heimgesuchet und die Menschen täglich bei 50, 60, 70 und 80 weggefallen und in den Kirchen begraben worden, sind die Lebendigen durch den heftigen  unleidlichen Gestank der Todten wiederum aus der Kirche vertrieben worden, also dass E. E. Rath den Gottesdienst in derselben heben und auf der Gildstube halten lassen müssen. Anno 1659 den 17. November hat ein sehr harter Sturm um 8 Uhr frühe Morgens den Hahn, Knopf mit Stange von der Spitze dieses Kirchenthurmes abgerissen und sie auf den Kirchenhof niedergeworfen, welches gleichsam ein Vorbote der bald nachfolgenden grossen Unglücksfälle, so dieser schönen Kirche aus Gottes gerechtem Gerichte über unsere Sünden treffen sollen, gewesen.

Denn ob zwar im folgenden 1660sten Jahre, den 26. Juli ein neuer Hahn, so 6 LU 3 U und ein neuer Knopf, so 6 LU 7 U gewogen, beide Stücke durch einiger Bürger Freigiebigkeit wohlvergüldet aufgesetzt worden, so sind sie noch nicht 5 Jahr völlig bestehen geblieben, denn der klägliche unvermuthete Fall des ganzen kostbaren Thrumes geschah Anno 1666 den 11. Martii, am Sonntage Reminsicere, um 2  Uhr nach Mittag, hat 8 Personen zerschmettert und noch Herrn Gerhard Witten Haus gänzlich eingeschlagen.“ (Zitat P 9-11)

 

Es wurde sofort mit dem Wiederaufbau begonnen, aber der zog sich hin – und war 1677 noch nicht auf Höhe des Kirchendaches: Und da gab es einen furchtbaren Brand, den sogenannten „Francke-Andresenschen Mordbrand“, er vernichtete einen großen Teil der Stadt, 200 Häuser und Speicher, und den noch nicht vollendeten Turm, und von den Trümmern wurde sogar die kunstvoll gefertigte Kanzel von 1613 im Inneren zerschlagen.

„Doch unbeirrt durch die Heimsuchung schritt man in gläubig frommem Sinne zur Wiederherstellung der Kirche und nach zehn Jahren auch zur Wiedererrichtung des Thurmes, der in den Jahren 1688-1689 von dem Kunstmeister Ruppert Bindenschuh aus Strassburg und dem Stadtmaurer Heinrich Heincke aus Holstein in Barockstylform ausgeführt wurde. 1690 fand der Aufbau am 10. August mit Aufsetzung von Knopf und Hahn seinen Abschluss. Schon vorher hatten zur würdigen Ausschmückung des Inneren der Kirche im Jahre 1683 die Erben des weiland Bürgermeisters Hermann Samson eine neue, wie berichtet wird, ganz aus Stein gefertigte Kanzel geschenkt.“ (P 12)

 

Der Rat hatte lange über das Projekt beraten, es gab verschiedene Entwürfe, der mit den drei Säulenrotunden und der Krone an der oberen Spitze erhielt den Zuschlag. „Am 10. Mai 1690 zwischen 8 und 9 Uhr morgens vollendet Bindenschuh sein Werk durch die feierliche Auflegung des Turmknopfes und des kupfernen Hahnes.“ (L)

 

1686 war auch ein Marmor-Altar „aus den Mitteln von Anna Dreiling“ (Frau des Bürgermeisters) aufgestellt worden, es gab Ratsbänke und Hausbesitzerlogen mit holzgeschnitzten Figuren und Ornamenten.

1694 wurde über dem Altargitter mit eingemauertem Streckbalken ein Kruzifix mit Nebenfiguren angebracht: Ein Triumphkreuz des Siegers über den Tod.

1674 bis 1700 kamen zwölf Wandleuchter aus Messing, dazu ein Glockenspiel, von Bürgermeister Hans Dreiling gestiftet, von Cl. Fremy in Amsterdam hergestellt, was zwei Kirchenlieder spielte.

So kann man sich vorstellen, wie sich die Kirche mit Bau- und Kunstwerken füllte, die Rigaer Bürgerschaft wollte sich zeigen – und „verewigen“. Und so entstand auch trotz und in all den schweren Jahren des Unglücks manches, was über Jahrhunderte die Herzen erfreute.

 

Am 29. Juni 1667 – das ist der Gedenktag für Peter und Paul – wurde auf einer besonders konstruierten Pfahlgrundlage feierlich der Grundstein für den Neubau des Turmes gelegt.

Baumeister Josten aus Rostock begann 1671, 1675 übergab er die Arbeiten an seinen Gesellen Ruppert Bindenschu (aus Straßburg), und im Frühjahr 1690 war er dann erstmals so zu sehen wie heute – bis 1941.

 

In dieser Zeit, Ende des 17. Jahrhunderts, wurde auch die Hauptfassade geändert, um sie dem in Barock gehaltenen Turm anzupassen. Dahinter befindet sich mittelalterliche Ziegelarchitektur!

„Die Pilaster, Voluten, Kapitäle und Gesimse sind  aus gotländischem Stein gehauen, während die glatten oberen Flächen eine Verkleidung aus rötlichen tuffartigen kirchholmschen (Salaspils!) und kokenhusenschen Steinen aufweisen.“ (A)

 

Es sind drei Portale, die Buchstaben C. M. stehen für Claus Missthaet, einen rigaschen Kaufmann, der die Stiftung in seinem Testament 1690 vollzog. Die Portalentwürfe sind vom Turmerbauer Bindenschu, 1692, verschiedene Bildhauer haben sie ausgeführt.

Am ältesten ist die Statue des Heiligen Petrus über dem Mittelportal, erkennbar an Formauffassung, Proportionen und Ausführungsweise: Petrus, mit Wellen – das ungestüme Meer war den Rigaern vertraut, und sie erinnerten sich an die Geschichte, wo Jesus den Sturm stillt, Petrus war mit im Boot und sicher auch unter denen, die den schlafenden Herrn aufweckten und ihn um Hilfe baten. Und Petrus war der, der sich traute, „auf dem Wasser zu gehen“, mitten im Sturm (Mt 14,29), auf das Wort Jesu hin. Dieser Glaubensmut war und ist immer wieder aufzubringen.

Das Portal zieren Säulen korinthischer Ordnung auf viereckigen Sockeln, ornamentale Urnen. Fliegende Engel finden sich nur nur an den Nebenportalen, wahrscheinlich wurden sie am Hauptportal bei Restaurierungen „geglättet“ (A). Die Portale haben schon bei der Feuersbrunst 1721 stark gelitten, Ausbesserungen fanden 1811, 1832, 1847, 1906… statt.

Am Hauptportal also in der Mitte St. Petrus, das ist klar.

Die anderen Figuren könnten in ihrer Bedeutung überdacht werden. Auffällig sind die Bänder über der Statue mit dem Kreuz und dem Kelch, was Betrachter vermuten lässt, sie würden sich von den anderen unterscheiden, etwa biblische Figuren sein.

Es ist aber auch möglich, dass sie vertauscht worden sind. Johannes der Täufer wird üblicherweise mit einem Lamm dargestellt, weil er auf Jesus wies mit den Worten „Siehe, das ist Gottes Lamm!“.

Die Person mit Kreuz und Bibelbuch könnte für den Glauben stehen (dafür würde sprechen, dass auf einem Epitaph von 1681, was früher in der Kirche zu sehen war, genau so eine Figur, die eindeutig für „Glaube“ steht, dargestellt war – P 64f); die Tauben werden tatsächlich ein Symbol der Liebe sein – würde noch die Hoffnung fehlen, vielleicht „der Kelch des Heils“, der Träger schaut hoffnungsvoll nach oben; Glaube – Liebe – Hoffnung: Das findet sich in 1 Kor 13: Die werden immer bleiben.

Die Wasserwellen könnten auch einen Mose  umgeben, der das Schilfmeer teilt – die grundlegende Befreiungsgeschichte des alten Gottesvolkes; auch Noah könnte dargestellt sein.

 

Es hat Veränderungen gegeben.  Zuerst stand in der Mitte ein „Segnender Heiland“ und Petrus im rechten Seitenportal, das wurde im 19. Jahrhundert geändert. (A)

 

Nach der schwedischen Herrschaft kam die russische. Zar Peter zog in Riga ein, nach „dreissig Jahren schwerer Kriegsnoth, die erst mit der Eroberung Livlands und der Einnahme Rigas durch Peter den Großen von Russland 1721 endeten. Aber neue Heimsuchung ward der Petri-Kirche, als am 10. Mai 1721 in des Morgens Frühe zwischen 4 und 5 Uhr ein Blitzstrahl über dem Altar in sie hineinfuhr und im Laufe von drei Stunden das Gotteshaus fast völlig vernichtete.“ (P 13)

Das Innere der Kirche brannte aus, und auch der von Bindenschu errichtete Turm mit dem Glockenspiel. Nur eine kleine Sakristei an der Apsis blieb unversehrt.

„Peter der Grosse, welcher damals gerade in seiner neu erworbenen Stadt anwesend war, erschien persönlich auf der Brandstätte  und liess die nöthigen Anstalten  zur Rettung der den Kirchhof umgränzenden Baulichkeiten treffen. In den gefährlichsten Augenblicken soll er sich betend vor den Altar auf die Knie geworfen haben.“ (P 13)

Der Historiker und Bischofssohn Arthur Poelchau sieht also Peter den Großen auf den Knien vor dem Altar, betend, dass der Brand gelöscht werde und nicht allzu großen Schaden anrichte. Es war ihm bewusst, dass dies seine Kirche war – die Peterskirche. Gerade hatte er sie in Besitz genommen, es war wohl sein erster Besuch nach der Eroberung. In wenigen Stunden war so viel zerstört!

In der Vorhalle der Kirche war noch 200 Jahre später eine auf Holz gemalte Außenansicht der Petrikirche zu sehen, mit diesen Worten versehen:

„Schaut hier im schatten noch

das Herliche Gebäude

Vor eurer Augen Lust, und eurer Hertzens Freude

In diesem Jammerstand, nicht ohn Erbarmen an,

er Richtet nach den Brand,

die Gott geweihten Höhen,

Laszt euren Seelen-Bau, durch neue Werke sehen,

dass euer Glaubens Grund, durch stehen kann,

Hier läszt der Heyland sich, im Wort verklähret, schauen

Drum möget ihr für ihn, mit Petro Hütten bauen.

Anno 1721 den 10 May.“ (P 18f)

 

Und zur Erinnerung eines Besuches des Zaren Alexander (nach dem der Alexanderplatz in Berlin benannt ist) und der Zarenmutter fast 100 Jahre später wird mit einer „erzenen Gedenktafel“ an die Tat Peters des Großen erinnert, am vierten Pfeiler zur rechten Seite des Altars:

„Zur feyerlich dankbaren Erinnerung an den 15t. Sept. des 1818ten Jahres an welchem Ihre Majestät die verwittwete Kayserin und grosse Frau MARIA FEODOROWNA die erhabene Mutter unseres allgeliebten Monarchen Grossen Herrn und Kaysers ALEXANDERS des Isten dieses Gotteshaus, an dessen Altar-Stufen Sr. Kayserlichen Majestät unsterblicher Ahnherr Peter der Grosse am 10ten Mai 1721, als ein Blitzstrahl den Thurm getroffen hatte, zu Gott flehte,  zu besuchen und der ganzen inneren Einrichtung derselben Ihren allerhöchsten Beyfall unter Gefühlen der Andacht und Worten des Segens zu schenken huldreichst geruheten. - Gott segne das hohe Kayserhaus. So betet im Stillen die  zahlreich versammelte Gemeinde.“ (P 58)

 

Hier wird wieder an eine Petrus-Geschichte erinnert, die Verklärung, Evangeliumstext bis heute am Sonntag vor Lichtmess: Jesus erscheint in hellem Licht mit Mose und Elia,  und Petrus ist ganz erfüllt und sagt: „Lasst uns Hütten bauen!“ – um das Erlebte festzuhalten. Doch dann gehen sie erst einmal wieder den Berg hinunter. (Mt 17,1-9)

 

Am nächsten Morgen ließ er“ (Peter der Große) „sich von dem Oberburggrafen Benkendorff die noch erhaltenen Bindenschuschen Baupläne vorlegen und befahl die Wiederherstellung des Turmes nach diesen. Doch dazu kam es bei der Verarmung der Stadt seit dem nordischen Kriege erst im Jahre 1743.“ (L)

 

20 Wandleuchter vom Ende des 16. Jahrhundert wurden gerettet und in einem leerem Grabgewölbe aufbewahrt, 1838 dann aufgefunden und  neu angebracht.

 

Am 10. Oktober 1746 erlebte dieses Wunderwerk deutscher Zimmerkunst, der Stolz der Stadt Riga, seine zweite Vollendung durch den Zimmermeister Johann Heinrich Wülbern. Im Dommuseum wird ein kleiner gläserner Römer aufbewahrt, aus dem Meister Wülbern, auf dem neuen Hahn stehend, nachdem er nach altem Handwerksbrauch den Richtspruch gesprochen, das Wohl der Stadt und seines Baues trank. Er warf das Glas von der Höhe herab, doch es erlitt nur geringe Beschädigungen und erhielt darauf auf seiner Kupa die folgende Inschrift: „Weil mich der Fall nicht gar zersprenkt hat man mir diesen Schmuck geschenkt. Verzagter, dieses kann dich lehren unschuldiger Fall bringt oft zu Ehren.“ Daneben ist das Stadtwappen und eine Ansicht der Petri-Kirche eingegraben. Auf dem Fuß des Glases liest man ferner: „Den 10. Oktob. 1746 ist DER HAN aufgesetzt. DES TUHRMS HÖHE. 436 Fuss Holl. MAss.” (L)

 

Im Führer von Poelchau 1901 steht:

 „Am 9. October 1747 konnten Knopf und  Hahn wieder auf den Thurm gesetzt werden; der Gottesdienst war in der Kirche wieder aufgenommen worden, doch die neue Kirchenglocke fing erst den 26. September 1753 an, zum ersten Mal seit dem Brande von 1721, wieder durch ihr Schlagen die Stunden zu künden.“

Jedoch der Turm begann sich zu neigen! Die Meister beteuerten, er sei fest.  Und er blieb auch fest. 1925 wurde eine Neigung der Turmspitze von 80 cm festgestellt. (A)

1753 kam eine Uhr in den Turm, mit nur einem  Zeiger, von Meister Niefeld gefertigt. Das Glockenspiel wurde nicht erneuert, sehr teuer war es 1695 gewesen, über 12.000 Taler, aus Holland.

 

Dieser Turm aus Holz hat sich bis 1941 erhalten, wie auch bis dahin das Inventar nicht mehr zerstört wurde. Die Innenausstattung ist immer mehr verfeinert worden - am Ende des 19. Jahrhunderts gab es sogar Gasbeleuchtung und ein „Heizungsapparat“ (P 15).

 

Dazu gehörten massive Kirchenbänke, ein prächtiges Schwarzhäuptergestühl im südlichen Seitenschiff aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, und ein 1760/61 umgeänderter Altar, mit Holzschnitzereien des Holzbildhauers Mayer und dem in Blei gegossenen Heiligen Abendmahl von Meister Berger.

 

Ganz zahlreich waren die Grabmale – bis 1772 durfte in der Kirche beerdigt werden (P 34) -, von denen das der Blauen Garde hervorsticht und auch heute in restauriertem Zustand zu betrachten ist. 1941 hatte es stark gelitten, das Reiterstandbild war völlig verbrannt.

„Die erste authentische Nachricht von einer in Riga bestehenden reitenden Bürger-Compagnie datirt aus dem Jahre 1697. Seit c. 1720 führt sie den Namen: die löbliche reitende Blaue Bürger-Compagnie. Im Januar 1720 deutete der General-Gouverneur Fürst Repnin dem Magistrate an, dass der Woiwode Chomutowski als Gesandter nach St.  Petersburg hier durchgehen würde, und dass er wünsche, die Bürgerschaft möge ihn zu Pferde einholen. Weil noch einige Zeit übrig war, sich darauf vorzubereiten, so kam ein Kaufgeselle, Namens Hermann Ernst Barber, welcher ehemals in Kriegsdiensten gestanden hatte, auf den Einfall, den Kaufgesellen, welche mit aufreiten sollten, eine Uniform vorzuschlagen. Er fand Beifall und bemühte sich nun um hochobrigkeitliche Bestätigung, die er auch erhielt; denn als der Fürst Repnin seinen Anschlag erfahren hatte, liess er ihn in völliger Uniform aufs Schloss kommen, gab seinen Beifall und erlaubte den Auftritt, worauf der Magistrat ihnen den Aeltesten Arend to Awest zum Lieutnenant gab und sie aus ihrer Mitte einen Kornet, einen Adjutanten, einen Wachtmeister und vier Korporale wählten. Den 6. Januar ritten sie bei der Einholung des genannten polnischen Gesandten 60 Mann stark auf und erhielten allgemeinen Beifall. Nach der Zeit schafften sie sich auch zwei Trompeter und schönes Reitzeug an. Ihre erste Uniform war ein dunkelblauer Rock mit weissem Futter, kleinen Aufschlägen und blauen Knöpfen, blassgelbem Kamisol oder ledernen Koller, lederne Beinkleider, lederne Gehänge, Reiterhandschuhe, rothe Pistolenkappen, einen Hut mit einer breiten goldenen Tresse, um den ein drei Finger breites rothes Band gelegt war, eine weisse Kokarde, ganz schwarzes Reitzeug und eiserne Sporen.“ (P 2of)

 

Ein 14 jähriges Mädchen, Katharina Rötelsdorff, bekam folgenden Grabspruch auf ihrem Epitaph:

 

O lieber Mensch

Was Du jetzund noch bist

War Ich vorhin auf Erden.

Was Ich jetzund schon bin

Kanst Du gar schleunig werden.

O fürchte Deinen Gott

Gedenck offt an den Todt

So leidet Deine seel im tode

keine noht.

(P 37)

 

Und natürlich gibt es lateinische Sprüche, einer – in Übersetzung (1566):

„Unter diesem Grabmal liegend, birgt Johannes Lindemann seine Gebeine, die in künftiger Zeit wieder leben werden, unter ihm liegt Catharina die Gattin, deren Vater und Bruder beide Rathsherren gewesen, geboren aus vornehmen Geschlecht der Bergen, unter ihm die Tochter Anna, die Jungfrau, die gottes heiligen Willen ehrte, 17 Jahre alt, unter ihm frohlockt der den Vater und Grossvater in Tugend übertreffende und nach 25 Jahren verstorbene Johannes. O, ihr Glücklichen! Deren Geist ohne Fehl frohlockend dem Himmel, die Gebeine der Erde zurückgegeben wurden.“ (P 43)

 

Der „Führer durch die St. Petri-Kirche“ von 1901 ist fast zur Hälfte ausgefüllt mit der Erklärung von Grabsteinen und Epitaphien – und es zeigt sich, dass hier das Bürgertum zu Hause war, was sich solche Grabanlagen leisten konnte. Oft sind es auch Erbbegräbnisse ganzer Familien gewesen – übereinander, wie man gerade lesen konnte.

 

Johann Gottfried Kloosen erbaute – der Turm war noch nicht fertig – in vierjähriger Bauzeit eine Orgel im barocken Stil für die Petrikirche. 1734 war sie ganz vollendet.

„Weil hiezu aber viele Mittel und Zeit erfordert wurde, so konte auch allererst im Jahr 1733 die Orgel, als eines der nohtwendigsten Stücke, zu Stande gebracht werden. Es wurde diese Orgel, welche von dem Orgelbauer Gottfried Klossen innerhalb vier Jahren verfertiget worden, den 23. Septembris des vorgedachten 1733sten Jahres zum erstenmahl gerühret. Selbige bestehet überhaupt aus dreyen Clavieren und 41 Stimmen, davon 12 in das Hauptmanual, 10 in das Oberwerck, 9 in das Brustwerck 9 und 10 in den Pedal vertheilet. Der OrgelBauer hat, laut des darüber mit der KirchenAdministration 1729 den 30. Septembris errichteten Contracts, für seine Arbeit und dazu erforderliche Materialien 4200 Rthl. Albr. nebst einer vierjährigen freyen Wohnung erhalten. Der Bildhauer Hinrich von Bergen hat für seine Arbeit 210 Rthl. Albr. bekommen. Und hat diese Orgel in allem ohngefehr 5350 gekostet.“ (B) Kloosen war schon seit 1728 an St. Johannis in Riga Organist gewesen, später ging er nach Görlitz.

Diese Orgel soll nun wieder neu gebaut werden, eine deutsch-lettische Bürgerinitiative setzt sich seit 2016 dafür ein. Natürlich gehört in solch eine Kirche eine Orgel – und, wenn es geht, eine solche, ganz Besondere! Die Orgel von Kloosen wurde 1838 renoviert – von einem Erfurter und einem Ludwigsburger Orgelbaumeister. 1886 ersetzte man sie, die „neue“ Orgel ist aber 1941 vernichtet worden.

Am Orgelchor waren bis 1941 Holztafeln angebracht, mit Gemälden  (104 x 90 cm) mit Szenen aus dem Neuen Testament, schon von 1734 – oder vorher. Zu sehen war die Verkündigung an Maria, Weihnachten, die Taufe am Jordan, die Verklärung Jesu (wo Petrus Hütten bauen will), Gethsemane (wo Petrus den Herrn mit dem Schwert verteidigen will), Golgatha (die Kreuzigung Jesu, wo Petrus sich versteckte), die Auferstehung, schließlich die Himmelfahrt (wo Petrus dabei war und mit den anderen Jüngern jenen großen Auftrag bekam: „Gehet hin in alle Welt und machet zu Jüngern alle Völker, taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehret sie halten alles, was ich Euch geboten habe!“ (Mt 28,20)

1791 wurde die Kanzel gefertigt, neben dem Altar ein ganz wichtiger Bestandteil einer evangelischen Kirche, denn  hier ist das Wort zu hören, was Kraft und Trost, Orientierung, Hoffnung und Freude geben kann.

Es war eine Marmorkanzel, von Giovanni Baratta aus Livorno ausgeführt, das Treppenportal mit einer Mahagonitür, im Ganzen 8,15 Meter hoch, im klassizistischen Stil.

Die jetzige Kanzel aus Holz steht an gleicher Stelle  und ist ihr – mit dem Schalldeckel – nachempfunden.

 

Tritt man aus der Vorhalle in die Kirche, so standen dort vor 100 Jahren zwei Figuren aus Holz: Der Apostel Petrus mit dem Schlüssel zum Himmelreich – und rechts der Apostel Johannes, 145 cm hoch. Sie stammten vom alten, barocken Altar der Kirche, vor 1853.

Als die Frauen am Ostermorgen vom Grab kamen mit der Botschaft: „Es ist leer! Er ist auferstanden!“, da konnten es die Jünger, die sich versteckt hatten, nicht glauben. Petrus und Johannes aber machten einen „Wettlauf“, Johannes war zuerst an der Grabeshöhle, aber Petrus, der traute sich hinein: „Da kam Simon Petrus ihm nach und ging in das Grab hinein und sieht die Leinentücher liegen, aber das Schweißtuch, das Jesus um das Haupt gebunden war, nicht bei den Leinentüchern liegen, sondern daneben, zusammengewickelt an einem besonderen Ort. Da ging auch der andere Jünger hinein, der zuerst zum Grab gekommen war, und sah und glaubte. Aber sie verstanden die Schrift noch nicht, dass er von den Toten auferstehen müsste.“ (Joh 20,6-9). Das Grabtuch wird oft in lutherischen Kreuzigungsdarstellungen gezeigt: Es flattert im Wind und kündet von dem neuen Leben. In ähnlicher Weise ist im Kreuz der russisch-orthodoxen Kirche die geöffnete Grabplatte mit dargestellt.

 

An der Ausgangstür war geschrieben – man las es, wenn man hinausging: „Der Herr – Behuete – Deinen – Ausgang.“

Das ist ein Wort aus dem Psalm 121, ein besonderes, denn es wird bei einer Aussegnung, wenn ein Christ stirbt, gesagt, und dann auch bei der Beerdigung: „Der Herr segne Deinen Ausgang  und Eingang, von nun an bis in Ewigkeit.“ Diese Worte erinnerten also auch an das große Ziel des Lebens – und wer sie kannte und im Herzen trug, wusste nicht nur von dem Weggehen, sondern  auch von dem Wiederkommen, dem Eingang, der da verheißen wird.

 

1853 wurde ein neuer Altar errichtet, der bis 1941 in der Kirche stand. Ganz im Zentrum war ein wunderbares Bild von der Pfingstpredigt des Petrus zu senden: Jener Geburtsstunde der christlichen Gemeinde zu Pfingsten, wo die verzagten, angstvollen Jünger plötzlich eine große Veränderung erfuhren – der „Geist Gottes“ kam über sie – und sie gingen mit Freude und Begeisterung hinaus ohne Furcht und sagten das Evangelium weiter: „Wer zu Jesus gehört, der hat das Leben!“ Alle konnten es verstehen – Menschen aus vielen Ländern und Sprachen waren  zu dieser Zeit in Jerusalem – das ist das Pfingstwunder, und das passt natürlich wunderbar auch nach Riga, wo das Miteinander der Völker und Sprachen so wichtig war und ist. Dieser Pfingstgeist führt zusammen – die Parallelgeschichte dazu im Alten Testament ist der Turmbau zu Babel von dem Turmbau, der bis in den Himmel reichen sollte und damit größer als alle anderen – was die Menschen auseinander brachte; eine Basisgeschichte vom Menschsein und eine Gefahr, die immer gegeben ist. Aber zum Glück gibt es diesen Geist der Gemeinschaft, der Kraft, der Liebe, der Besonnenheit: Der den Petrus auf dem Altarbild ergriffen hat und von dem er kündet.

 

Das Altarbild war 425 x 218 cm groß, Professor Eduard von Steinle aus Frankfurt am Main hat es gemalt. Unter dem Gemälde befindet sich ein in Holz geschnittener Text aus dem Neuen Testament in goldenen Buchstaben auf blaugestrichenem Grund: „petrus sprach zu ihnen: thut busse und lasse sich ein jeglicher taufen auf den namen jesu christi zur vergebung der sünden, so werdet ihr empfahen die gabe des heiligen geistes. Apostel geschichte cap. 2 vers 38.“ (P60)

 

Schnell kann man im Internet Bilder des berühmten Meisters finden und bestaunen, sie hängen heute in großen Museen der Welt.

Der ganze Altar wurde von einem der Baumeister des Kölner Doms entworfen, Staz, die Ausführung erfolgte durch den Kölner Bildhauer Stephan. Er ist dreigliedrig gestaltet gewesen, aus Eichenholz, mit gotischen Elementen, 5,70 Meter breit, 18 Meter hoch. 12 Apostelfiguren wurden geschnitzt, jeweils 85 cm hoch: Ganz besonders, sie scheinen sich zu bewegen und miteinander im Gespräch zu sein. Vergleichbar  sind die Apostelfiguren am Grabdenkmal von Peter Vischer in Nürnberg.

 

Die Lesungen geschahen von einem Küsterpult, aus dem Ende des 18. Jahrhundert, aus Eichenholz, mit vergoldeten Verzierungen.

 

1873 wurde das Kupferblech der Dachdeckung durch dunkelbraunen englischen Schiefer ersetzt, was jedoch im 20. Jahrhundert ernsthaft Probleme bereitete.

Ende des 19. Jahrhunderts kamen Glasgemälde in  drei großen Fenster. Von Osten her scheint das Licht am Morgen in die Kirche hinein: Die Zeit der Auferstehung, die „am ersten Tag der Woche früh“ geschah – deshalb sind  Kirchen nach Osten ausgerichtet.

Zu sehen war:

 „Die Anbetung des Jesuskindes“, also Weihnachten, 1886 von Schwarzhäuptern gestiftet, links im südlichen Seitenschiff.

„Christus errettet den sinkenden Petrus“ – wo er es sich getraut hatte, „auf dem Wasser  zu gehen“, aber als er dann auf den Sturm und die Wellen schaute, doch Angst bekam und zweifelte  und versank und nach Hilfe schreit – aber Jesus zieht ihn heraus (trotz des Zweifels!) – zum Gedenken an J.F.v. Schröder, der 1882 starb; das vierte Fenster im südlichen Seitenschiff.

„Christus am Kreuz“, der ganze Einsatz der Liebe, für uns, zur Vergebung der Sünden, für den Frieden mit Gott, gestiftet von Alexandra von Berkholtz 1880, der Künstler war F. Zettler aus München - im fünften Fenster des südlichen Seitenschiffes.

 

Am Chor ist eine kleine Sakristei angebaut, nur sie wurde 1941 vom Brand verschont, und darin sind ähnlich natürlich viel kleinere Fenster zu sehen, wo die vier Evangelisten dargestellt werden, die die Geschichten von Jesus aufschrieben, jeweils mit ihren Symbolen: Engel, Löwe, Stier und Adler. Die Fenster wurden 1896 von dem Künstler Tode gestaltet, dessen Namen man finden kann. Feine alte Kacheln sind noch zu bewundern: Die Rigaer hatten eben Kontakte in alle Welt und haben das Beste in ihrer Kirche verbaut.

Früher waren hier auch Ölbilder von Superintendenten, Oberpastoren und einem Bischof zu sehen, deren Biographien zeigen, dass viele von ihnen in Mitteldeutschland studierten: In Jena, Leipzig und Halle (ab 1815 war die Wittenberger Universität dorthin umgezogen und heißt seitdem Halle-Wittenberg).

 

1901 schreibt Dr. Arthur Poelchau einen „Führer durch die St. Petri-Kirche“, der auch die Glocken aufführt:

Unten zwei Schlagglocken:

Eine von 1753 mit der Inschrift: „Ehre sey Gott in der Höhe! Ihr Menschen, lobt nun Gott, und hört ihr meine Schläge, so hört sie aufmerksam / als Weckungsstimmen an. Nehmt jede Stunde wahr / auf eurem Lebenswege, weil niemand unter euch / die letzte wissen kann.“ Dazu Jahreszahl und Stifternamen. -

Eine andere, kleinere, für die Viertelstunden, sie hing einmal auf dem alten Rathaus und kam 1765 auf den Turm, „Wann d´Uhr nicht nach der Sonnen Gang /  All Stunden recht gibt ihren Klang / Die ganze Stadt nicht ohn Verdruss / Nach einem Narren sich richten muss. Mit Gottes Hilfe gos mich Georg Meyer zu Riga Anno MDCXLI“ (1651).

Die anderen Glocken:

- eine von 1757

- eine von 1724/1757 („GestVrtzt DVrCh eIne FeVers MaCht Von oben“ – die lateinischen Zahl-Buchstaben ergeben MDCCVVVVI = 1721 – „bIn ICh zVr kIrChen VVIeDer Vmerhoben“ MDCCVVVVIIII = 1724)

- noch so eine Glocke mit diesem Chronodistichon und „Schlug gleich mein Fall und Untergang / Die Herzen dieser Stadt darnieder / So wircket mein ergäntzter Klang / Der Andacht Danck und Freudenlieder.“

- eine große Glocke, die vorher auf dem Petriturm hing „Salvator mundi“ (Heiland der Welt) und der Vermerk, dass sie 1678 nach dem „Mordbrand“ gegossen wurde.

- auf der „Zeigerglocke“ (der alten Uhrglocke) hat gestanden: „Petrus und Paulus hete ick, de Lewendigen rope ick, de Doden bekame ick, den Donner schreck ick, Johann Schoneborch bereide mick, dusent fünfhundert und acht“ (1508).

- auf der Stundenglocke vor 1721 stand: „Ich bin zu Gottes Ehr / in diese Form gebracht, / ich rege, wenn ich schlag, / die Ohren und die Hertzen. Wer stets bey meinem Klang / sein End mit Fleiss betracht / Wird seiner Seelen Heil / und Wohlfahrt nicht verscherzen… 1695.

- das Glockenspiel, gestiftet von Bürgermeister Dreiling 1695, hatte 5 Glocken.

 

Aber 1901 war schon nicht mehr alles gut. Der russische Staat hatte 1892 verfügt, den deutschen Stadtrat aufzulösen – der seit 1226 die Geschicke der Stadt bestimmte. Russisch wurde Amtssprache. Eine verstärkte Kontrolle der Druckerzeugnisse setzte ein, auch im Führer der Petrikirche steht noch vor dem Vorwort „dozwoleno zensuroju“.

 

Und ganz Russland kam in Unruhe: Es gab eine Revolution 1905. Blutig wurde sie niedergeschlagen. Lutherische Pfarrer wurden als Vertreter der Obrigkeit angesehen, sie gehörten zum Bürgertum. Sie bekamen Drohungen: Wenn sie nicht ihren Ort verließen, würden sie umgebracht. Und tatsächlich geschah das. Herausgerissen aus dem Leben.

 

Die Revolution ging vorüber, aber das Land war weiter in Aufruhr. Dennoch wurde an St. Petri 1905/6 die Hauptfassade und das Mauerteil des Turmes sorgfältig renoviert, ein als „unmöglich“ empfundener Anstrich entfernt. Man entdeckte die natürliche Schönheit des Backsteinmauerwerkes, der Architektur wieder.

 

Immer wieder gab es Konflikte mit der Staatsmacht. Grund war oft, dass Menschen, die orthodox getauft waren, in die lutherische Kirche kamen und an Amtshandlungen teilnahmen. Das war verboten und wurde polizeilich verfolgt. Ein Übertritt aus der orthodoxen Kirche war eine Straftat. Pfarrer wurden verhaftet. Aber was sollten sie tun? Wem gehorchen? Wir können sehr froh sein, dass es – auch durch ganz schmerzliche Erfahrungen – zu einem Aufeinanderzugehen der Konfessionen gekommen ist. Die Freude, in die gleiche Richtung  unterwegs  zu sein – sie wurde damals kaum gesehen und empfunden. Es ging viel um Macht, und um Nation. Das Evangelium kann das auflösen.

 

Viele technische Erleichterungen gab es inzwischen, zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Die ersten Autos fuhren durch Riga. Eine Straßenbahn wurde gebaut. Das elektrische Licht kam. Dampfschiffe fuhren, und Eisenbahnen. Die Stadt wuchs. Das Leben wurde für viele besser.

Aber da kam der Erste Weltkrieg. Mit all den technischen Mitteln, die es gab, wurde er geführt, grausamer, als je zuvor. Es ging  um Macht, und um die Nation. Deutschland und Russland standen im Krieg. Riga, die deutsch geprägte Stadt, war bis 1916 russisch. 1915 noch wurden die Glocken vom Turm geholt zur Rüstungszwecken, bis auf  zwei.

 

Pfarrer Peter Harald Poelchau schreibt im Gemeindebrief der Petrigemeinde 1914, nach Kriegsbeginn: „Es gibt eine Verantwortlichkeit des einzelnen und eine Verantwortlichkeit der Gesamtheit. Unsere Gemeinde bedeutet freilich viel mehr, als etwa nur die Summe von so und soviel Tausend Seelen. Aber jedes Haus und jedes Glied der Gemeinde, das sich nicht durch das Evangelium reichmachen lässt an Glaube und Liebe für diese schwere Zeit, trägt zur Schwächung des Ganzen bei. Darüber kann kein Zweifel sein. Und darum muss die Gemeinde das Wort weitergeben an ihre einzelnen Glieder, wenn es heute für sie heißt: Tu Rechnung von deinem Haushalten. Demütiges Selbstgericht von unserer Seite und  Begnadigung von Seiten Gottes tun uns allen not. Gestehen wir uns das zu, so greifen wir bereits nach der Kraft, die ganz allein uns stark machen kann, als einzelne und als Gemeinde die Not zu überdauern und aus den bösen Tagen vertieft und gestählt, mit unvermindertem inneren Besitz hervorzugehen. Das walte Gott!“ (J 1914,5)

 

Dann kam die deutsche Besatzung. Aber kein Frieden.

1917 brach die Oktoberrevolution in Russland aus, 1918 kapitulierte Deutschland. Nach dem Abzug der Truppen hing der Schutz der Stadt nur noch an einer britischen Marineeinheit, die zum Jahreswechsel 1918/1919 verschwand. Dem Chaos war Tor und Tür geöffnet. Ein halbes Jahr lang wütete der Terror.

In St. Petri wurde weiter Gottesdienst gefeiert. Der Sohn des Pastors Theodor Hoffmann, 54 Jahre alt und schon länger an der Kirche tätig, war bei der Lettischen Landwehr. Er riet seinem Vater, sich zu verstecken, und bekam die Antwort: „Du stehst auf Deinem Posten, und ich auf meinem.“ Bei einem Abendmahlsgottesdienst in St. Petri kamen sie – er hat ihn noch ruhig zu Ende gefeiert und wurde mitgenommen, inhaftiert. Wenige Stunden vor der Befreiung ist er mit anderen erschossen worden.

 

Im Evangelischen Namenskalender findet sich für den 30. Januar der Name „Xaver Marnitz, 1919 Märtyrer in Lettland“. Ein deutscher Pfarrer, der sich sehr für die Verständigung mit den Letten  und das Zusammenwachsen der Gemeinden eingesetzt hatte: Ermordet!

 

Doch auch diese Schreckenstage hatten ein Ende. Über 4000 Menschen waren umgebracht worden. „Märtyrer“ wurden sie genannt, weil sie ihre Überzeugung nicht verleugnet hatten. Manchmal wurden sie einfach umgebracht, weil sie zur „Oberschicht“ gehörten. Jahrhundertlang waren die Deutschen bestimmend gewesen, und Letten und andere mussten gehorchen. Ein großer Hass entlud sich in dieser Revolution.

Durch den Frieden von Brest-Litowsk konnte ein lettischer Staat entstehen. Ein demokratischer Staat. All das war neu. Es musste gelernt werden, neu miteinander umzugehen – ohne Zar, ohne Kaiser – und mit den tiefen Verwundungen, die es gegeben hatte, auf allen Seiten.

 

Es gab eine neue Freiheit. Es gab viele Möglichkeiten, die genutzt wurden. Es gab Menschen, auch in der St. Petrigemeinde, die daran geduldig gearbeitet haben.

Bischof Poelchau war einer davon. Dass er dieses Amt bekam, war eine Folge von Auseinandersetzungen:

„Auf der ersten Gesamtsynode in Riga war es … Anfang April 1921 wegen der Autonomieforderungen“ (der deutschen Gemeinden) „zu einer scharfen Trennung von deutschen und lettischen Synodalvertretern gekommen. Nur der ausgleichenden Persönlichkeit des lettischen Propstes Karlis Irbe war es zu verdanken, dass dieser Riss nicht vertieft, sondern geschlossen wurde. Auf seinen Vorschlag trat der Oberpastor der Petrikirche in Riga, Peter Harald Poelchau (1870-1945), der 1922 zum Bischof der evangelischen-lutherischen  Kirche Lettlands gewählt worden war, als Bischof an die Spitze der deutschen Gemeinden in Lettland.“ (D 509f)

Er musste erleben und erdulden, dass der lettische Staat 1922 die St. Jakobskirche den Lutheranern wegnahm und sie der römisch-katholischen Kirche übergab.

Er hat sich um eine gute Zusammenarbeit mit der lutherischen lettischen Kirche bemüht. Über Sprachgrenzen hinweg. Die Übergabe des Domes von der deutschen lutherischen Gemeinde an die lettische lutherische Gemeinde 1931: Das war nicht einfach. Bischof Poelchau hat an der Verständigung festgehalten. Er hat kein Öl ins Feuer gegossen.

Die Petrigemeinde war besser besucht als je zuvor. Das lag, wie ehrlicherweise im Gemeindebrief festgestellt wurde, an dem  Zuwachs durch die evangelische Jakobusgemeinde und vom Dom. Der Sonntag wurde aufgeteilt: Es fanden viele Gottesdienste hintereinander statt. Es gab das deutsche Schulwesen. Es gab eine große Sozialarbeit.

Aus dem Gemeindebrief 1933: „Und nun zu einem Kapitel, das freilich auch sehr dunkle Seiten hat und doch auch wieder eines der schönsten und reichsten Gebiete unseres Gemeindelebens umfasst. „Die Armen sind der Reichtum der Kirche“ lautet ein feines christliches Wort. Nun, Mangel an diesem Reichtum hat auch das letzte Jahr und dieser dritte Notwinter nicht aufzuweisen. Die Zahl der Betreuten ist kaum geringer geworden, Grund der vielen Not, die Wirtschaftskrise, aber vielfach doch auch Untüchtigkeit und Energiemangel.

Die Aufgabe der Gemeindeorgane ist demgegenüber noch gewachsen. In den ersten beiden Notwintern zählten zu den Stellen, die sich als Betreuer betätigten, neben den Kirchgemeinden eine ganze Reihe anderer Institutionen. In diesem Winter sind in der Hauptsache nur die Gemeinden und ihre Organe als Betreuer tätig gewesen.

Grundsätzlich wird angenommen, dass die Gemeinde nach wie vor ihre Gemeindearmen, Fälle also, deren Not nicht direkt aus der Wirtschaftskrise, aus Stellenlosigkeit und Arbeitsmangel, stammt, aus eigener Kraft und aus den eigenen Mitteln versorgt. Quelle dieser Mittel sind die Kollekten und regelmäßig allmonatlich geleistete Beiträge und Einzelgaben; die Übersicht über die aufgebrachten Liebesgaben  zeigt, dass unsere Gemeinde im Jahre 1933 ihre Opfer für diese Zwecke kaum verrmindert hat. Auch die 3 Nähkreise sind wiederum eifrig tätig gewesen und eine starke Gebefreudigkeit zeigte sich auch in Sach- und Lebensmittelspenden. Hier ist auf Pastor Stenders Initiative ein neuer Weg beschritten worden, indem den Hausfrauen Gelegenheit gegeben ist, durch Spenden von Pfundpaketen in bestimmten Kolonialwarenläden, die dann an die Gemeinde abgeführt werden, die Not zu lindern.

Um der sozusagen über das normale Maß hiniaus durch die besonderen Zeitumstände entstandenen Mehrnot zu steuern, ist die Volkshilfe entstanden, mit der die Gemeinden Hand in Hand arbeiten. Bei ihr werden in erster Linie die Arbeitslosen durch die Betreuer registriert, von ihr erhalten die Gemeinden Speise-, Lebensmittel- und Holzmarken, Kleidung, Vermittlung der ärztlichen und juristischen kostenlosen Hilfe. Auch im Vorjahr hat sich die Zusammenarbeit gut bewährt und ist ein Bekämpfung der äußersten Not unter den Volksgenossen in solcher gemeinsamer Arbeit durchführbar gewesen.

An besonderen Veranstaltungen im Dienste unserer Armen sind zu nennen: Sammlung und Austragung von Lebensmitteln zum Erntefest; die Weihnachtskrankenfahrten, zu denen 40 kranke und einsame Gemeindeglieder mit Weihnachtsbäumchen aufgesucht wurden; hier war die Beteiligung freiwilliger Helfer besonders rege, Kinder und Erwachsene hatten sich in großer Zahl zur Verfügung gestellt, um Lichterglanz und Weihnachtsklang hinauszutragen in manche dunkle Stube voll Leid und Not.

Auch das sogenannte Altchenkaffee fand wiederum am IV. Weihnachtsfeiertage statt und versammelte 70 Alte und Einsame in unserer Aula zu einigen Stunden freundlicher Gemeinschaft unter dem Lichterbaum; kleine Aufführungen und musikalische Darbietungen unter Leitung der Pastorinnen (= Pfarrfrauen) belebten die Feier.

Im Alltag der Armenpflege stehen den Pastoren 4 besoldete Hilfskräfte und eine ganze Schar von ehrenamtlichen Helferinnen zur Verfügung.

Mit der 1933 erfolgten Schenkung des in Hagensberg gelegenen Immobils von Frau Henning ist die Aussicht entstanden, dass die Petri-Gemeinde späterhin ihre obdachlos Gewordenen in einem eigenen Altersheime wird unterbringen können.“ (J 1933-10f)

 

An St. Petri wurde weiter gebaut, und an der Gemeinde. Große Zahlen! 1932 werden 118 Taufen, 129 Konfirmanden, 77 Trauunngen, 164 Beerdigungen gezählt, 2399 Teilnehmer an Abendmahlsfeiern. In der Statistik auch vermerkt ist „Geburten-Unterschuss: 46“.

1932 wurde der Schiefer auf dem Kirchendach endgültig als unzweckmäßig befunden, wegen fallender Eisstücken und Zapfen war er ständig beschädigt, und man entschied sich nach und nach für eine Kupferblechdeckung.

 

Beunruhigende Nachrichten kamen aus Deutschland, das immer noch als „Mutterland“ angesehen wurde. Bischof Poelchau entschied, sich nicht in den „Kirchenkampf“ einzumischen, der dort zwischen den Anhängern Hitlers, die sich als „Deutsche Christen“ bezeichneten, und der „Bekennden Kirche“ tobte. Er fürchtete, es würde auch seine Gemeinden zerreißen.

 

Im August 1939 wurde der Hitler-Stalin-Pakt beschlossen. Am 1. September überfiel Deutschland Polen. Der Zweite Weltkrieg begann. Und durch den Pakt war Riga unmittelbar betroffen.

Am 6. Oktober verkündete Hitler seine Pläne für das Baltikum: Dass alle Deutschen „ins Reich“ kommen sollten. Die Polen geraubten Gebiete sollten mit ihnen „germanisiert“ werden.

Der Bischof der deutschen Lutheraner aus Riga empfahl nach einigen Tagen, dieser Aufforderung zu folgen. Er sah keine Alternative. Es war, wie er später schrieb, die „Zerstörung seines Lebenswerkes“. Generationen und auch er hatten in und für die Petrikirche gelebt, sie hatten ihre Heimat in Riga.

Einige Einrichtungsgegenstände konnten mitgeführt werden, so der schon genannte große Leuchter und etliche hölzerne Epitaphien. Diese Dinge, die in den Kriegswirren erst ganz verschwanden und dann nach vielen Jahrzehnten wiedergefunden wurden, sind heute liebevoll restauriert und zeugen von dem Glanz der alten Petrikirche.

 

Die Mehrheit der Deutschen zog aus, die übrigen waren nun keine nennenswerte Minderheit mehr – so fielen auch ihre Privilegien, die deutschen Schulen wurden geschlossen.

 

Am 22. Juni 1941 überfiel Hitler die Sowjetunion. Nach einer Woche waren die deutschen Truppen in Riga. Am Tag Peter und Paul, dem 29. Juni, gegen 15 Uhr trafen Bomben den Kirchturm und die Kirche. Alles, alles wurde vernichtet: Der schöne hölzerne Kirchturm, die Decke der Kirche – und das ganze Inventar. Sogar die Glocken und Leuchter schmolzen bei der Hitze, die steinernen Grabsteine und Statuen wurden angeschlagen, porös oder ganz zerstört.

Die Bilder von damals lassen noch heute erschrecken.

Und gleichzeitig geschahen schwere Verbrechen an Menschen. Die jüdischen Mitbürger Rigas – ganz gewiss waren unter ihnen auch Gemeindeglieder der Petrikirche – wurden aus ihren Wohnungen vertrieben – und erschossen. Sie sollten Platz machen für die Juden, die aus Dresden, Hannover, Berlin und vielen anderen Orten in Güterzügen nach Riga gebracht wurden. Manchmal war noch die Kaffeetasse auf dem Tisch, als sie in die Wohnungen kamen. Die meisten von ihnen fanden dann auch hier den Tod. Und an den Fronten ganz in der Nähe gab es das große Sterben, über Jahre.

 

An der Petrikirche wurde trotz der Zeiten sofort mit den Aufräumarbeiten begonnen. Akribisch wurde vermessen, jeder einzelne Stein in die Hand genommen und verwahrt. Die Hoffnung blieb, das andere Zeiten kommen. Aber sie wurden zunächst immer schlimmer. 1944, nach schweren Kriegsjahren, erschien von dem Heimatforscher Arends  ein Büchlein „St. Petri-Kirche in Riga“, in dem ganz genau alles aufgezeichnet ist. Es war abzusehen, dass die Rote Armee in Kürze da sein würde und damit eine kirchenfeindliche Macht, deren Wüten man in Riga schon grausam erlebt hatte. Und dennoch hat dieser Mann alles sorgsam aufgeschrieben, gezeichnet, Fotos besorgt – und in Druck gebracht. 1944! Mit dieser leisen Hoffnung: Einmal kommt der Tag!

 

Viele Balten und auch viele von den Deutschen, die in Polen neu angesiedelt worden waren, verloren ihr Leben, oft in den Kämpfen dort 1945. Der alte Bischof Poelchau starb, kurz bevor die Russen kamen. Er konnte – wie andere, so der hochbetagte Architekt des Rigaer Jugendstils Bockslaff – nicht einmal ordentlich beerdigt werden.

 

In ein kleines Dorf in Mitteldeutschland, nach Mellnitz, kam eine ältere Frau, Emilie Auguste Neuwirth geb. Schnoring. 1881 war sie in Riga geboren worden, in der aufblühenden Stadt. In ihrem 7. Lebensjahrzehnt musste sie weg aus ihrer Heimat – nach Polen. Und nach wenigen Jahren war sie wieder auf der Flucht. Ihre ganze Familie hat sie verloren und kam mit nichts an. Auf einem Bauernhof, in einem Nebengelass, fand sie Unterkunft. Dort konnte sie mitarbeiten und bekam zu essen. 1969 ist sie gestorben. Über ihrem Bett hing ein kleines Bild der Petrikirche.

 

Auch in der Ferne haben die, die übrig blieben, ihre Heimat nicht vergessen. Ich habe alte Pastoren erlebt, die aus dem Baltikum stammten. Sie haben weitergebaut am Reich Gottes mit dieser großen Hoffnung: Gott sieht sein Volk und lässt es nicht im Stich. Gerade, als sie alles verloren hatten, im Exil – damals in Babylonien – hat das alte Gottesvolk seinen Gott und seinen Glauben neu entdeckt und neu gefunden.

Propst Hans Treu, 1933 auf einer Insel vor Riga geboren, hat mich ordiniert. In dem Gespräch davor empfahl er mir: „Besuche! Besuche! Besuche!“ Nahe bei den Menschen sein. Er selbst – obwohl er einen großen Sprengel hatte – kannte selbst in unserer kleinen Stadt die Gottesdienstbesucher mit Namen.

 

Ein Wunder geschah.

Während in der DDR der Staatsratsvorsitzende Walter Ulbricht noch kurz davor davon sprach, dass „die Lügentürme“ wegmüssten und er die alte Universitätskirche in Leipzig sprengen ließ, da wurde in Riga aufgebaut.

St. Petri bekam wieder einen Turm. Genauso, wie er einmal ausgesehen hatte. Aber nun nicht mehr aus Holz, sondern aus Stahl – und sogar mit einem Fahrstuhl. Es ist bis heute kaum zu glauben: Diesen Turm hat die Sowjetunion wieder errichtet, 1973. 1984 war auch der Kirchenraum renoviert.

Es erinnert sehr an den Heimgang des alten Gottesvolkes aus seiner Gefangenschaft: Da gab ihnen der Perserkönig Kyros noch Fördermittel mit zum Wiederaufbau des Tempels.

 

Deutsche besiedelten in den 60iger Jahren das Baltikum neu. Sie hatten eine lange Odyssee hinter sich, waren aus Wolhynien, aus Moldawien, aus dem Wolgagebiet und anderen Gebieten der Sowjetunion vertrieben worden, oft mehrmals – zuerst von Hitler „heim ins Reich“ nach Polen, dann durch die Sowjets nach Sibirien, und dann nach Asien, nach Tadschikistan, Kasachstan, Kirgisien… Aber nun war es möglich, innerhalb der Sowjetunion umzuziehen. Und etliche zog es in die baltischen Länder. Sie waren Deutsche und Bürger der Sowjetunion.

Doch dann wurde alles anders. Glasnost und Perestroika kamen, und die lettische Nation erwachte neu.

 

Im Baltikum gab es eine besondere, eine „Singende Revolution“. Auch das hat seine biblischen Vorbilder! Paulus  und Silas singen im innersten Block des Gefängnisses in Philippi, in Ketten – und mitten in der Nacht. Und da springen die Mauern… Und in Leipzig 1989, da liefen wir 6mal um die Stadt, und die Mauer fiel – in Jericho sind sie mit ihren Posaunen 7mal gelaufen.

Das Singen, auch in der Petrikirche über Jahrhunderte täglich und vor allem Sonntag für Sonntag eingeübt, es gibt eine große innere Kraft  und gehört zum christlichen Glauben dazu. Es ist da, wo es Christen gibt, genauso wie der Geist der Barmherzigkeit, der Versöhnung, der Fürsorge für Kranke und Schwache und Alte und Kinder, der Pflege der Bildung und der Künste.

 

Viel wurde geschafft in dem neuen lettischen, demokratischen Staat. Ende 1997 wurde die Petrikirche zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt.  Riga war Europäische Kulturhauptstadt, und die Petrikirche war mittendrin. Brücken zwischen den Kulturen und Völkern wurden und werden gebaut. Ohne Schwierigkeiten kann man reisen, von Lettland nach Deutschland und ganz Europa und zurück. Hilfe kam, aus der Nähe und aus der Ferne. Und nun darf die Petrikirche auch wieder der deutschen lutherischen Gemeinde gehören, die inzwischen (wie schon einmal), wieder Teil der Lutherischen Kirche Lettlands ist und dafür sorgen wird, dass die Türen weit offen stehen: Für alle, die kommen, aus Riga und aus der Welt.

 

Sie sollen nicht vergessen sein, die dabei geblieben sind und dafür gearbeitet haben – auch, als der Erfolg fast nicht vorstellbar und regelrecht unglaublich war.

Einige wurden hier genannt: Meistens die, die vorn standen. Aber es waren viel mehr, die Steine getragen, die gegeben, die gebetet haben.

„Gott ist gnädig“ steht auf dem Grabstein von einer  von ihnen, die auch in schweren Zeiten zu ihrer Gemeinde gehalten und sie mitgebaut hat.

„Gott ist gnädig“ - das hat Petrus erfahren, und das hat hindurchgetragen und wird weiter tragen.

 

 

 

Quellen- und Literaturverzeichnis

 

(A) Arends, P.: St. Petri-Kirche in Riga. Riga 1944.

 

(B) - August von Bulmerincq (Hrsg.): Aktenstücke und Urkunden zur Geschichte der Stadt Riga 1710–1740. Bd. 3, S. 57.

 

(D) - Deutsche Geschichte im Osten Europas. Baltische Länder, von Gert von Pistohlkors. Berlin 1994.

 

(H) – Heinrichs Livländische Chronik.

 

(J) – Jahresbericht der St. Petri-Gemeinde, 1922-1939.

 

(L) - http://www.lexikus.de/bibliothek/Riga-und-Reval-Mit-121-Abbildungen/Die-Pfarrkirche-zu-St-Petri

 

(N) - Neumann, Das Mittelalterliche Riga, Ein Beitrag zur Geschichte der Norddeutschen Baukunst, hrsg. von der Gesellschaft für Geschichte und Alterthumskunder der Ostseeprovinzen Russlands, Die St. Petrikirche, 1892

 

(P) – Führer durch die St. Petri-Kirche zu Riga.  Zusammengestellt von Dr. Arthur Poelchau. Riga 1901.

 

(Pa) - Martin Pabst, Reformation in Riga, www.nordisch.info

 

(Poh) – Riga. Von Dr. Richard Pohle. Berlin 1919.

 

(R) - Riga – eine Reise durch die Jahrhunderte. St. Petrikirche. Text von Janis Bruderis.

 

(S) – Schatzhäuser des Geistes, Geschichte und Morphologie des Bibliothekswesens

 

(W) - Hellmuth Weiss, www.deutsche-biographie.de

 

(We) - Alexander Welscher: Petrikirche: Wiege der Reformation, www.goethe.de.

 

Wikipedia-Artikel  zu Uexküll, Theodor Hoffmann, Bischof Poelchau, Xaver Marnitz u.a.