Die

Ruhlsdorfer

Kirchturmuhr.

 

Gebaut 1890 - Wiederhergestellt 2005.

Alles hat seine Zeit,

und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde:

geboren werden hat seine Zeit, sterben hat seine Zeit;

pflanzen hat seine Zeit,

ausreißen, was gepflanzt ist, hat seine Zeit;

töten hat seine Zeit, heilen hat seine Zeit;

abbrechen hat seine Zeit, bauen hat seine Zeit;

weinen hat seine Zeit, lachen hat seine Zeit;

klagen hat seine Zeit, tanzen hat seine Zeit;

Steine wegwerfen hat seine Zeit,

Steine sammeln hat seine Zeit;

herzen hat seine Zeit, aufhören zu herzen hat seine Zeit;

suchen hat seine Zeit, verlieren hat seine Zeit;

behalten hat seine Zeit, wegwerfen hat seine Zeit;

zerreißen hat seine Zeit, zunähen hat seine Zeit;

schweigen hat seine Zeit, reden hat seine Zeit;

lieben hat seine Zeit, hassen hat seine Zeit;

Streit hat seine Zeit, Friede hat seine Zeit.

Gott hat alles schön gemacht zu seiner Zeit, auch hat er die Ewigkeit in ihr Herz gelegt, nur dass der Mensch nicht ergründen kann das Werk, das Gott tut,

weder Anfang noch Ende.

Da merkte ich, dass es nichts Besseres dabei gibt als fröhlich sein und sich gütlich tun in seinem Leben.

Denn ein Mensch, der da isst und trinkt und hat einen guten Mut bei all seinen Mühen,

das ist eine Gabe Gottes.

Ich merkte, dass alles, was Gott tut, das besteht für ewig; man kann nichts dazutun noch wegtun...

Gott, meine Zeit steht in Deinen Händen!    

 

Aus der Bibel, Prediger Salomo 3 und Psalm 31.

Auf den Plänen zum Neubau der Ruhlsdorfer Kirche ist sie bereits abgebildet: Die Kirchturmuhr. Das war eine Errungenschaft dieser Zeit, bis dahin waren Uhren selten, und an Kirchen in unserer Gegend gab es höchstens Sonnenuhren. Aber bei einem Kirchenneubau sollte die Uhr nicht fehlen! Gleich war es nicht möglich, die Uhr wurde nicht beim Kirchenbau 1886, sondern erst 1890 eingebaut, zusammen mit einer zweiten Glocke.
Man bedenke dabei, dass es zu dieser Zeit in fast keinem Haus eine Uhr gab, geschweige denn Armbanduhren. Mit der Uhr und ihrem Schlagen veränderte sich das Leben: Es wurde strukturiert. Richtete man sich bis dahin nach der Sonne, so ging es jetzt nach Stunden und Minuten. Es war in dieser Zeit beispielsweise noch üblich, mit Kreide Striche für jeden Wochentag an die Tür zu malen: Damit man wusste, welcher Wochentag und wann Sonntag war. Gab es doch kein Radio und auf dem Dorf auch kaum eine Zeitung.

 

Die älteren Ruhlsdorfer erinnern sich noch, dass die Uhr täglich zum Schulbeginn aufgezogen wurde. Ältere Schulkinder waren damit beauftragt, die Glocke zu läuten sowie die drei Gewichte neu aufzuziehen. Der Betrieb der Uhr war also eng mit der Schule in unmittelbarer Nachbarschaft der Kirche verbunden. - Die Uhr schlug damals zu jeder Viertelstunde, und zwar mit der kleinen (höheren) Glocke: einmal zur Viertelstunde, zweimal zur halben Stunde, dreimal zur Dreiviertelstunde, und viermal zur vollen Stunde. Dazu kam zur vollen Stunde dann der Klang der größeren (tieferen) Glocke mit den Gongschlägen entsprechend der Uhrzeit.

 

Die Uhr hat geschlagen: in der Kaiserzeit, zu Beginn und zum Ende des Ersten Weltkrieges; in der Inflationszeit, als ein Ei 1 Million Reichsmark kostete, zur Geburt vieler Kinder, bei mancher Hochzeit und Beerdigung. Mit ihrem Ton begann die Schule am Morgen und der Schulschluss. Sie zeigte die Zeit an, als die Nationalsozialisten an die Macht kamen; auch die Kriegszeit; seit 1940 die Sommerzeit. Nach dem Krieg sollte eine ganz neue Zeit anbrechen: Auch da schlug die Uhr dazu, bis sie schließlich stehen blieb: Um 1960. Einzelne verrostete Teile sind noch heute im Kirchturm aufgehoben. In den 90iger Jahren gab es – unterstützt auch durch Lotto-Toto Mittel sowie die Partnergemeinde aus Euskirchen – eine umfassende Turmsanierung. Das Geld reichte jedoch nicht, auch die Uhr wieder einzubauen. So wurden die vier Löcher verbrettert. Immerhin wehrte sich der Gemeindekirchenrat erfolgreich dagegen, sie einfach zuzumauern.

 

Hat die Uhr auch über 40 Jahre nicht geschlagen, so blieb doch der Wunsch der Ruhlsdorfer wach, sie wiederherzustellen. So schrieb Frau Irmgard Grützbach am Ende ihrer „Geschichte Ruhlsdorfs“ 1998: „Wie schön wäre es, wenn wir wieder eine Turmuhr bekommen könnten!“

Der 2003 neu gewählte Gemeindekirchenrat nahm sich der Sache an. „Die Wunde schließen“, so lautete die Überschrift eines Spendenaufrufs im Jessener Mitteilungsblatt zu Beginn des Jahres 2004. Der Ruf verhallte nicht ungehört. Gemeindekirchenrat Jörg-Michael Höhne, zugleich Feuerwehrhauptmann des Ortes, sammelte innerhalb und außerhalb Ruhlsdorfs zahlreiche Spenden ein. Dazu kamen Beiträge aus der Ferne: Die Evangelische Kirchengemeinde Euskirchen im Rheinland gab einen namhaften Betrag, die Partnergemeinde von Elster, Gentha und Ruhlsdorf. Im Oktober 2003 war eine Delegation von dort zu Besuch gewesen. Aus der Mainzer Auferstehungsgemeinde kam eine großzügige Spende – dorthin hatten die Ruhlsdorfer Konfirmanden und Jugendlichen eine Fahrt unternommen. Sogar aus weiter Ferne, aus Seattle vom Pazifischen Ozean, wo 2002 einmal Gäste in Ruhlsdorf und Seyda beherbergt worden sind, kam eine Gabe. So ist die Sanierung der Uhr auch ein Zeichen der Verbundenheit der Christen: Die Ruhlsdorfer Kirchengemeinde steht nicht allein.

 

Das ganze Dorf nahm an der Sammlung Anteil. So organisierte der Ruhlsdorfer Heimatverein mehrmals einen Kuchenbasar zum Heimatfest, wo die Spenden für die Uhr bestimmt waren. Der Ruhlsdorfer Heimatvereinschor unter Leitung von Herrn Herbert Müller erfreute mehrmals mit seinem Gesang in der Kirche die Ruhlsdorfer und auswärtige Gäste und verzichtete auf ein Honorar zugunsten der Uhr.

Einen letzten großen Beitrag stellte der Evangelische Kirchenkreis Wittenberg aus dem Baulastfond zur Verfügung: so war es möglich, die Arbeiten bis zum Dorffest 2005 fertig zu stellen.

Wenn wir nun also zur Uhr aufblicken, können wir uns auch an dieses Miteinander von so vielen verschiedenen Menschen aus Ruhlsdorf und aller Welt erinnern, denen die Sanierung am Herzen lag.

 

Genau wurde über die Gestaltung der Uhr beraten. Eine Hilfe war dabei das Vorhandensein von Resten eines alten Ziffernblattes. Schwarz und Weiß sollte es wieder sein, denn das ist am Besten aus der Ferne zu lesen (die Seydaer Gemeinde, die es mit Gold versucht hat, hatte da entsprechende Erfahrungen gemacht). Die schlichte, aber doch schöne Gestaltung der Zeiger ist ein Gemeinschaftswerk einer langen Beratung des Gemeindekirchenrates mit dem Uhrenhersteller, Herrn Wolfgang Schmidt aus Berlin.

Herr Willy Hintersdorf, vormals Kirchen-ratsvorsitzender und jetzt „im Ruhestand“, brachte den Vorschlag ein, die römische Vier doch so zu schreiben, wie es die Kinder in der Schule korrekterweise lernen.  - Auf den besonderen Wunsch der Jäger sollte die Uhr wieder einen Gongschlag erhalten. Er ist leider nur noch mit einem Ton möglich, da eine Glocke im Weltkrieg abgegeben werden musste. So kann die Glocke jetzt zur halben Stunde einmal und zur vollen Stunde entsprechend der Uhrzeit schlagen. Das erste Mal soll dies zur Einweihung beim Dorffest 2005 innerhalb der Feierstunde in der Kirche um 9 Uhr geschehen.

 

Am 19. und 20. Mai 2005 wurde die Uhr eingebaut. Ein Mitarbeiter der Firma Glockentechnik Schmidt aus Berlin, Herr Igor Strebel, tat das gemeinsam mit den Ruhlsdorfern Jörg-Michael Höhne und Thomas Thiele. Die Firma Elektro-Hintersdorf aus Mellnitz besorgte den elektrischen Anschluss. Ein Problem war das Aufbringen der schweren, im Durchmesser einen Meter messenden Ziffernblätter. Sogar das Rufen der Jessener Feuerwehr wurde erwogen. Dann aber konnten die Blätter doch innerhalb des Turmes hinaufgetragen werden. Noch im letzten Monat hatte die Firma den Einbau von Plastik-Ziffernblättern vorgeschlagen, um den Preis um etwa 1000 Euro zu senken; die Ruhlsdorfer Kirchenräte aber setzten auf Haltbarkeit aus ver-zinktem Stahl. Die Ziffernblätter wurden in Handarbeit von Dr. Vogeler in Berlin hergestellt.

Die Uhr wird über eine Funkuhr und einen kleinen Computer gesteuert, so dass sie wirklich ganz genau geht. Diese Steuerung wurde für einen geringen Aufpreis gleich etwas größer gewählt, um später damit auch einmal eine elektrische Läuteanlage betreiben zu können.

Die Uhr kostete im Ganzen schließlich 7.431,56 Euro plus die Elektroarbeiten, zu denen noch keine Rechnung vorliegt. An Spenden sind bisher 7.200 Euro eingegangen. Ein großer Betrag – in diesen Zeiten!

 

Die Uhr kann uns daran erinnern, dass wir den Kopf heben und neuen Mut schöpfen können, weil Gott mitten unter uns wirkt. Er ist uns treu, durch die Zeiten, und schenkt uns viel Zeit zum Leben. Unsere Zeit steht in seiner Hand! Vor 45 Jahren ist die Uhr einmal stehen geblieben, die damals 15 waren, sind heute 60.

 

Die Uhr kann uns daran erinnern, dass wir nicht allein sind, sondern Freunde; Schwestern und Brüder haben, in der Nähe und in der Ferne.

 

Die Uhr kann uns daran erinnern, dass etwas wieder heil werden kann, wo man dachte: Das wird nie mehr. In der Kirche geht es dabei um unser Herz, was bei Gott Geborgenheit und Frieden finden kann.

 

Zur Einweihung der neuen Kirchturmuhr am 29. Mai 2005.

 

 

 

Bilder:

Zeitungsartikel Mitteldeutsche Zeitung

Liedblatt zur Einweihung

Zeichnung Bauplanung 1885