Die Schulzes in
Seyda.
Unter Mithilfe des
Gemeindenachmittags, Ursula Lehmann, Meister Horst Hirsch, Hans-Georg Schulze
u.a.
Ungefähr bis zu Luthers Zeiten brauchte man in Deutschland
noch keine Nachnamen. Es war klar, wer Andreas oder Marie war – denn es gab
noch nicht so viele Menschen. Es ist ja auch heute wieder so, dass es viele
Namen von Kindern in unseren Orten nur einmal gibt – und es deshalb reicht,
wenn man nur ihren Vornamen nennt – sofort weiß man, aus welchem Dorf sie sind
und zu welcher Familie sie gehören.
Notfalls sagt man den Namen des Vaters oder der Mutter
oder der Familie dazu, oder deren Herkunftsort oder Beruf – oder Amt. So ist es
auch einmal zu dem Nachnamen „Schulze“ gekommen, der so zahlreich ist, weil es
in jedem Dorf das Amt eines „Schulzen“ gab. Das war der Bürgermeister, und
gerade die Flämingdörfer waren stolz über ihre Selbstbestimmung, die den Orten
schon bei der Besiedlung zuerkannt wurde.
„Schulze“ entstand aus "Schulte“ oder
„Schultheiß": "Schuld" und "heißen"
(mittelhochdeutsch: „Schultheize“), der also sagt, was ich zu tun schuldig bin
– eben, der das Sagen hat. Das Amt wurde vererbt, es gehörte meist zu dem
größten Grundstück, und als es Hausnummern gab, war es die Nr. 1.
Im Pfarrarchiv Seyda kann man im „Amtsblatt der Königlich Preußischen
Regierung 1854“ (S. 382) lesen: „§21 - Der Schulze wird von der Gutsherrschaft
(gutsherrliche Ortsobrigkeit) ernannt, die aber dazu ein angesessenes Mitglied
aus der Gemeinde, so lange es darunter an einer mit den erforderlichen
Eigenschaften ersehenen Person nicht ermangelt, bestellen muss (§47 Tit. 7 Th.
II des Allg. Landr.). - § 23 -Wer zum Schulzenamte bestellt werden soll, muss
des Lesens und Schreibens kundig und von untadelhaften Sitten sein (§51
ebendaselbst.) - § 24 - Die Unstatthaftigkeit der Conzessionirung von
Ortsschulzen zum Betriebe der Schankwirtschaft ist als Regel festzuhalten.“
So gab es also viele „Schulzes“, zumal sie aus „guten
Verhältnissen“ kamen und deshalb ihre Söhne gut verheiraten konnten – da wurden
es immer mehr. Und in Seyda waren es wohl besonders viele. Um sie zu
unterscheiden, gab man ihnen verschiedene Namen.
Da wohnte „Appel-Schulze“
in der Kuhgasse, die heute Triftstraße heißt – von dem man offenbar schöne
Äpfel bekommen konnte. Wilhelm Schulze war das, und seinen Sohn Paul (geb.
1908) nannte man gleich „Alli“. Dessen Sohn hat das Grundstück an die junge
Familie Arndt verkauft, die dort heute lebt.
Der Bruder von Wilhelm war Otto – gemeinsam hatten sie
einmal das Haus erworben – und er wurde „Tauben-Schulze“
gerufen. Er war Geflügelspezialist und hatte schon ein Brutgerät.
„DDR-Schulze“
wurde eine Familie genannt, die in der „Villa“ wohnte, Jüterboger Straße 32.
Herr Schulze stammte aus Oehna, seine Mutter starb 1963 in Westdeutschland, und
er bekam keine Erlaubnis, bei der Beerdigung dabei zu sein. Seinen Unmut
darüber konnte er nicht verbergen: In der Gaststätte schlug er wie Chrustschow
mit dem Schuh auf den Tisch. Sofort wurde er deshalb abgeholt und nach einem
„kurzen Prozess“ eingesperrt. Die Strafe war „8 Monate Bautzen“. Nach 7 Monaten
kam er frei. So wußte jeder in Seyda und Umgebung was passiert, wenn man etwas
Staatskritisches sagt. Ein Zeitgenosse sagte, damals wären viele abgeholt
worden, „LKW-weise“.
„Ich gehe zu „Drogen-Schulze“,
einkaufen!“ – das wurde wohl vieltausendmal in Seyda gesagt, und es ging dabei
um die Drogerie, die 100 Jahre lang von der Familie Schulze betrieben worden
ist, zuletzt von Hans-Georg Schulze und
seiner Frau. Noch heute ist es am Haus in der Burgstraße zu lesen: „Drogen – Farben
– Lacke“ – das gab es hier, und nichts davon war verboten, denn „Drogen“ meinte
damals „Trockenwaren“, also Apothekerwaren, die tierischen, pflanzlichen und
mineralischen Rohstoffe der Heilmittel (so der „Kleine Brockhaus“ 1927), und
erst später dann umgangssprachlich auch rauscherzeugende Substanzen.
Martin Schulze, der Begründer der Drogerie, war einer von
vier Söhnen von Julius Schulze, der „Musiker-Schulze“
genannt wurde. „Musikdirektor Julius Schulze“ ist auch in der Kirche als Retter
des Taufsteins an demselben erwähnt – er brachte mit seinen anderen Söhnen Paul
(in der Neuen Straße, „Trompeter-Schulze“,
im Ersten Weltkrieg gefallen) und Richard „Schulze-Weißkopp“
über die Militärmusik die Blasmusik nach Seyda. Hier sind die Wurzeln der
„Seydaer Blasmusikanten“ zu finden. Der vierte Bruder, Erich, hatte ein
Textilgeschäft auf dem Markt und hieß deshalb bei vielen „Lappen-Schulze“.
„Schreiber-Schulze“ nannte man wohl den
Vater von Frau Renate Freydank geb. Schulze, er war bei der Stadt angestellt
und später auch Bürgermeister – in dieser Festschrift kommt er auch als
Initiator des Volleyballfeldes 1936 vor. Blättert man in alten Zeitungen aus
den 50er und 60er Jahren, findet man, dass er als „Volkskorrespondent aus
Seyda“ darin viel Lokales geschrieben hat. Seine Mutter war „Klebitzsche Schulze“, weil sie aus
Klebitz stammte.
Wegen Einheirat 1898 in eine Familie Rettig hieß Robert
Schulze aus der Brauhausgasse „Rettig-Schulze“,
da gab es tatsächlich noch ein Brauhaus dort, und er war von Beruf „Bierfahrer“;
später dann musste er sich umstellen, wurde Zimmermann und behandelte Fußböden,
die schwammbefallen waren.
„Funken-Schulze“ lebte auch in der Brauhausgasse,
wo heute Herr Wieczorek wohnt, ein Schulze aus Schadewalde hatte – 1906! - ein
Mädchen der Familie Funke, die dort wohnte, geheiratet. Beide sind im 1.
Weltkrieg verstorben, er an der Front und sie (mit 36) daheim.
„Dahlem-Schulze“ nannte man Otto und
Martha Schulze vom Markt Nr. 9, wegen der Herkunft aus Berlin. Die Großeltern
von Martha Schulze waren einmal von dort gekommen, das liegt also schon mehr
als 150 Jahre zurück!
Otto Schulze, ein Großvater von Schuddes in der Jüterboger
Straße stammte aus Grüna bei Jüterbog, das waren dann kurzerhand „Grüne Schulzes“.
„Verwalter-Schulze“
wurde Heinz Schulze genannt, der in der Glücksburger Straße tätig war und auch
bei der Stadt arbeitete. Sein Großvater, geboren 1872, war Verwalter auf dem
Gut Mark Friedersdorf, das damals einem Magdeburger Nudelfabrikanten gehörte. Heinz
Schulze pflegte mit großer Hingabe den Seydaer Tierpark, wegen der Kaninchen riefen
ihn manche scherzhaft „Schulze-Hoppel“… Pfauen hatte er auch,
aber nicht aus allem wurde ein Spitzname.
„Leineweber-Schulze“ war einmal auf dem „Berg“
zuhause, er war der „Obermeister“ für 43 Leineweber – ein einstmals in Seyda
sehr verbreitetes Handwerk. Selbst hatte er drei Webstühle. Aus Flachs wurden
Faserleinen gefertigt – erst um 1900 machte der Import von Baumwolle
dieses Handwerk kaputt, denn Leinenzeug
hörte erst auf zu „krabbeln“, wenn man es sehr oft gewascheh hatte; außerdem
gab es längst Textilfabriken, die viel schneller als ein einzelner Webstuhl
produzieren konnten. Nur einer der 43 Leineweber in Seyda stellte „Leinöl“ her,
noch mit der Hand wurden die Früchte „gestaukt“ und Öl herausgepresst – Götzes
aus der Kuhgasse hatten diesen Erwerb, ein Sohn hatte später das Sägewerk, das
Grundstück ging an „Appel“- und „Tauben-Schulze“, die wir schon kennen. -
Übrigens nannten die Leineweber ihre Töchter sehr oft „Emilia“ (der Name ist in
diesem Jahr wieder auf Platz 1 in Sachsen-Anhalt).
„Mützen-Schulze“ wurde schon in der
letzten Festschrift ausführlich bedacht, aus der Zahnaer Straße – zurückgehend
auf den Mützenfabrikant aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, der auch „Schulze-Kowak“ gerufen wurde, zuerst
von seiner Frau, die aus dem Elsaß stammte, offenbar ein Kosename.
„Pelz-Schulze“
mit ähnlichem Gewerbe gab es auf dem Markt einmal, aber eigentlich hieß er
meist „Schimmel-Schulze“. Er hatte
nämlich ein weißes Pferd und einen Wagen dazu und fungierte als „Taxi-Fahrer“.
Er war dort zuhause, wo jetzt Familie Wahle wohnt. - Die Gemeindeschwester
Schulze nannte man natürlich einfach „Schwester Elfriede“ – ihre
Schwiegereltern waren „Zicken-Schulzes“,
- obwohl sie später nur mehr Kaninchen hatten - sie wohnten in der Jüterboger
Straße Nr. 3.
„Bock-Schulzes“ hatten drei Ziegenböcke, die zur
Zucht ausgeliehen wurden, sie wohnten im damals letzten Haus in der
Triftstraße, der früheren Kuhgasse – das war eine Erwerbsquelle der Großmutter
von Frau Ingeborg Arndt, Berta Schulze, die früh Witwe geworden war. In den
Kriegs- und Nachkriegszeiten waren Schwein- und Schafsfleisch rationiert, es
gab Bezugsscheine und man musste es anmelden, wenn man solche Tiere selbst
schlachtete – das wurde einem dann „abgezogen“. Aber bei Ziegen war das anders,
deshalb „boomte“ die Ziegenzucht.
Auch im Haak gab es „Schulzes“, ganz einfach: „Haak-Schulzes“, drei Töchter wohnen
noch heute in Seyda, aber sie tragen andere Namen.
Viele kennen noch „Schulze
Leppo“ vom Busch, der Vorfahr hatte den schönen Namen „Gottlieb“, und der Name wurde weiter überliefert. Manche,
die nicht so sagen wollten, sagten später: „Bahner-Schulze“, wegen des Berufs.
Haben Sie mitgezählt?
26 sind es – und bestimmt fällt Ihnen noch einer ein!
Wenn man will, kann man natürlich noch „Gastwirt Schulze“ aus Morxdorf
dazuzählen, den wohl jeder kennt, und die Gadegaster: Da gab es „Kuh-Schulze“ (heute Krügers), „Müller-Schulze“
(von der Mühle, jetzt der Bürgermeister), und „Ulan-Schulze“ („Ulanen“ sind einmal eine ursprünglich
mit Lanzen bewaffnete Gattung der Reiterei gewesen, „Ulan“ war wohl der
Großvater von Wilfried Schulze, er kam aus Dennewitz und hat 1921 bei
„Matthieß“ eingeheiratet – deshalb auch „Matthieß-Schulze“;
seine Frau ist in Seyda Frau „Landhandel-Schulze“,
die mit ihrem Laden das ganze Städtchen belebt).
Nachtrag: Hermann
Schulze, der in der Jüterboger Straße gegenüber der Villa wohnte, war der „Ausrufer-Schulze“. Mit einer Glocke
ging er durch die Straße: „Ferner ist bekanntzumachen…“ In Erinnerung ist auch,
dass er danach meist fragte: „Haste enen doa?“ und gern ein Gläschen leerte.