SONDERAUSGABE ZUM

KIRCHENTAG DER DIAKONIE

LUTHERSTADT WITTENBERG 1998

 

Die

Seydaer

Studenten

in Wittenberg

im Jahrhundert der

lutherischen Reformation

und der Glaubenserneuerung.

 

Ein Beitrag zur Stadt- und Kirchengeschichte Seydas im 16. Jahrhundert von Hans-Jochen Seidel, Wittenberg.

 

 

Seydaer Stadt- und Kirchengeschichte, Band 1. Herausgegeben von der Kirche in Seyda 1998.

 

Seyda am Fläming, 3. Auflage 1998

 

 

Dieser kleine historische Beitrag ist der Kirchengemeinde und allen Bürgerinnen und Bürgern der Stadt Seyda gewidmet.

 

Wittenberg, den 4. April 1998       Hans-Jochen Seidel

 

 

 

 

 

Mit dem Wirken des großen Reformators Dr. Martin Luther (1483-1546) und seiner Mitstreiter, zu denen Philipp Melanchthon (1497-1560) gehörte, entwickelte sich die im Jahre 1502 gegründete Universität Wittenberg nach 1517 zu einer Pflanz- und Lehrstätte der neuen reformatorischen Ideen und geisteswissenschaftlich-theologischen Neuentdeckungen, gepaart mit den Bildungsidealen des neu entstandenen humanistischen Wissens.

Dafür sorgte besonders der seit dem Jahre 1518 in Wittenberg als Professor für die griechische Sprache und für das artistische Grundstudium tätige Philipp Melanchthon. Von 1502 bis 1602 hatten sich insgesamt 43.802 Studenten aus allen Gebieten des deutschen Sprachraumes und aus ganz Europa zum Studium bei der Wittenberger Universität einschreiben lassen. Der sachliche statistische und somit der personelle studentische Lernfleiß konnte im selben Zeitraum von keiner anderen Universität im damaligen Gebiet des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation übertroffen werden. So lassen sich für Leipzig in dieser Zeit nur 37.257 und für die Universität in Frankfurt an der Oder nur 19.733 immatrikulierte bzw. eingeschriebene Studenten nachweisen. Die Universität in Ingolstadt zählte im Vergleichszeitraum 18.117 Studenten, die Universität in Köln verzeichnete 15.887 Studenten, die in Tübingen brachte es auf 13.890 Studenten, in Rostock waren es 13.045. Die Heidelberger Universität stand mit 12.570 Eintragungen weit abgeschlagen, ebenso Freiburg im Breisgau mit 12.377 Studenten, Erfurt mit 11.152 und Greifswald nur mit 3.349.

 

Aus der kleinen Ackerbürgerstadt Seyda kamen insgesamt 30 Studenten im ersten Jahrhundert des Bestehens der Wittenberger Universität zum Studium in die Kurstadt an der Elbe, um hier Wissen und Bildung fürs Leben zu erwerben.

Seyda entstand vermutlich im 12. Jahrhundert als ostelbische Ansiedlung von zumeist flämischen Kolonisten, wobei das Land schon von wendischen Bauern ursprünglich dünn besiedelt war. Die Kolonisierung und Besiedlung des ostelbischen Landes geschah in enger Verbindung mit intensiver christlicher Missionierung in vielerlei Gestalt.

Im ostelbischen Gebiet waren im Mittelalter neue Missionsbistümer entstanden. Nahe bei Seyda, an der Einmündung der Schwarzen Elster in die Elbe, lag der Schnittpunkt der Grenzen zum Erzbistum Magdeburg und den beiden Bistümern Brandenburg und Meißen. Seyda lag damals im Gebiet des alten Bistums Brandenburg.

Für diese Zeit ist auch der frühe Lehnsbesitz der Ministerialen und Schenken von Landsberg nachweisbar. Sie waren als Vasallen im Bereich der Meißnischen Ostmark und der Markgrafen von Meißen ins ostelbische Gebiet gekommen und erwarben auch hier erweiterten Land- und Lehnsbesitz. Durch Verkauf kam die Herrschaft und die Ansiedlung Seyda im Jahre 1235 an die Schenken von Sydow, zum Ende des 13. Jahrhunderts ging die Herrschaft Seyda an die in Zahna ansässige Familie dieses Adelshauses, welche sich als Herren von Wederden bezeichnete. Nach deren Aussterben war die Herrschaft von 1366 bis zum Jahre 1501 wieder im Besitz der adligen Vasallen und Schenken von Landsberg, welche es wohl notgedrungen an den kurfürstlichen Landesherren Friedrich III., den Weisen (1463, Regierungszeit: 1486-1525) verkaufen mußten. Die Kaufsumme, welche der sächsische Kurfürst Friedrich der Weise für die Herrschaft Seyda mit Seyda bezahlen mußte, betrug um die 20.000 Meißner Silbergulden. Dies geschah zum Jahre 1501, daß Herrschaft und Ort Seyda in den eigenen kurfürstlichen Lehnsbesitz überging. Damit entstand aus der Herrschaft Seyda ein eigenes kursächsisches Amt innerhalb des alten Herzogtums Sachsen, welches auch „Kurkreis“ bzw. „Kurland“ genannt wurde.

Seyda, zum Jahr 1506 als „stetchen“ bezeichnet, umfaßte mit seiner kleinen Stadtflur 20 Hufen Land, wobei vier Hufen Land davon Kirchenland bzw. „Pfarrhufen“ waren. In Seyda sind damals 42 landbesitzende Männer gezählt worden, steuerpflichtige Ackerbürger. Unter Hinzufügung der Familienangehörigen und des zu den 42 Haushaltungen gehörigen Personals wie Mägde, Knechte und Gesellen ergibt sich nach vorsichtiger Schätzung eine vermutliche Einwohnerzahl von 200 bis 250.

 

Die Eröffnung der Universität Wittenberg im Jahre 1502 war ein ehrgeiziges, „infrastrukturelles Projekt“ des Kurfürsten Friedrich des Weisen und seines mitregierenden jüngeren Bruders Johann des Beständigen (1468, Regierungszeit: 1525-1532), der nach dem Tod seines Bruders Friedrich im Jahre 1525 zur Regentschaft kam. Um für die Eröffnung der Universität in Wittenberg zum 18. Oktober 1502 zu werben, bedienten sich der Kurfürst Friedrich der Weise und sein Bruder Johann der Beständige des neuen Mediums der gedruckten Nachricht. Dazu wurde ein auf Papier gedruckter Anschlagzettel gefertigt, der in alle Himmelsrichtungen verbreitet und angeschlagen wurde. Nur noch ein einziges Exemplar dieser gedruckten Nachricht ist bis auf unsere Tage überliefert und befindet sich heute im Bestand der Marienbibliothek zu Halle an der Saale.

Dieses Papier trägt folgenden Text in originaler Diktion:

„Allen und yeclichen, waß stands oder wesens die sind, geistlichen und werntlichen empieten wier von gottes gnaden Friedrich, des heiligen Römischen reichs erzmarschalk unde churfürste, unde Johannes gebrödere herzogen zu Sachsen, landtgraven in Döringen und marggraven zu Meissen unsern freuntlichen dienst unde was wir liebs unde gut vermögen, gruß, gnade und alles gute, wie sich das einem jeden nach seinem stande gebürt, und fügen euch hirmit wissen: nachdem wier betrachten und bewegen, das viel leute und personen sind vom adel und anderen stenden, die zu lernen lieb und neigung haben, auch darzu geschickt erfunden werden, aber des durch unfleiß und mangel güter und gelerter meister verhindert und geseumpt, darumb wier fürgenommen, gott dem almechtigen zu lobe, gemeinem nutz und unsern underthanden und anderen zu fürderung etlich gelerte personen, docotores und meister in unsser stat Wittenberg an der Elbe in unsers herzog Friderichs churfürstenthum zu Sachssen gelegen, zu bestellen und zu verorden vergunst und erlaubnus der oberhant, in den freien künsten, der heiligen schrift, geistlichen unde werntlichen rechten, erzenei, poeterei und andern künsten uff itzund Luce des heiligen evangelisten fest anfenglich zu lesen und exerciren, auch in denselben künsten zu promoviren. und haben sundern gnaden verordent, das diejhenen, die da studiren söllen in berürten faculteten, drei jare die nechsten nach einander volgend frei promovirt werden. wir wellen auch die personen, so an gedachtes ende zu lesen unde zu studiren kommen, mit geburenden freiheiten fürsehen, dabei hanthaben und gnediglich beschutzen. darnach sich ein jeder mag haben zu richten.“

 

Der erste Student aus Seyda kam zum laufenden Sommersemester 1507 zum Studium nach Wittenberg. Seine Matrikeleintragung lautet „Thomas hofmann de Sydow“, und mit ihm waren zu diesem Semester 112 Studenten angereist. Das Rektorenamt lag in den Händen des Doktors beider Rechte Christoph Scheurl (1481-1542). Über die einzelnen Studenten aus Seyda ist sehr wenig bekannt, jedoch verrät der Name Hofmann, daß es sich um eine süddeutsche Namensform handelt. Der Name Hofmann steht für den alten Berufsnamen des Gutsverwalters bzw. für einen Mann, welcher ein Landgut hütet und verwaltet. Die Wittenberger Universitätsmatrikel bewahrt somit das alte und historische Namensgut der männlichen Studenten aus Seyda, und dieses beinhaltet Informationen, woher die Vorfahren dieser bürgerlichen Studenten im Mittelalter in den Fläming zugewandert waren.

Die Immatrikulation bzw. die „Inskription“, wie man damals sagte, war zugleich ein Rechtsakt. Die Universität Wittenberg war eine eigenständige juristische Person, deren oberster Schutzherr der jeweils regierende Kurfürst von Sachsen war. Die Aufnahme bei der Universität war auch mit einem Treueschwur auf den kurfürstlichen Landes- und Schutzherren der Universität sowie auf die Universität selbst verbunden, um im „Schutz“ und „Schirm“ der Universität zu lernen und zu leben. Es wurde Gehorsam gegenüber dem Lehrkörper und dem Rektor gefordert, die Achtung der Statuten verlangt, und die Weisungen des Lehrkörpers mußten diszipliniert befolgt werden. Alle Studenten hatten sich der eigenständigen Jurisdiktion der Universität unterzuordnen.

 

Zum Ende des Wintersemesters 1512/1513, genau am 2. März 1513, kam „Antonius Swartz“ aus Seyda nach Wittenberg. Der Familienname Schwarz beinhaltet einen niederdeutschen Eigenschaftsnamen und kennzeichnet einen Menschen mit schwarzen Haaren oder einen Mann mit schwarzem Barthaar.

Die Studienleitung und das Rektorat lag beim Gelehrten und Magister Sebastian Archimagirius, der seinen deutschen Namen „Küchenmeister“ latinisiert hatte. Das Wintersemester 1512/1513 wurde von 107 eingeschriebenen Studenten besucht.

Antonius Schwartz weilte zum Studium in Wittenberg, als Martin Luther mit seiner ersten Vorlesung über die Psalmen begann. Martin Luther war im Herbst 1508 ins Wittenberger Augustinerkloster versetzt worden, übernahm an der Universität Vorlesungen über Philosophie und studierte selbst Theologie. Ein Jahr später kehrte Martin Luther ins Erfurter Augustinerkloster zurück, unternahm von November 1510 bis April 1511 eine Reise nach Rom in Ordensangelegenheiten und kam im September 1511 ins Wittenberger Kloster zurück. Nach seiner Promotion zum Doktor der Theologie am 19. Oktober 1512 wirkte er als Professor für Theologie an der Wittenberger Universität.

 

Es gingen ganze 17 Jahre ins Land, bis sich am 12. Mai 1530 ein adliger Student aus Seyda nach Wittenberg aufmachte. Seine Immatrikulationseintragung lautet: „Christianus de Bonna adiutor in Sidow“. Er war vermutlich als einfacher oder niederer landesherrlicher Beamter in Seyda tätig gewesen, bis er zum Sommersemester 1530 sein Studium begann.

Der Name des adligen Studenten Christianus von Bonna (Bonne) läßt die Vermutung zu, daß seine Familie friesischen Ursprungs war, da die Namensform Bonna/Bonne einen altfriesischen Personennamen beinhaltet.

 

Das Sommersemester 1530 wurde von dem in demokratischer Wahl innerhalb des Lehrkörpers gekürten Rektors und Gelehrten Johann Bernhardi aus Feldkirch in Vorarlberg geleitet. Er war der Bruder des berühmten Theologen und Kemberger Stadtpfarrers Bartholomäus Bernhardi (1487 - 1551), genannt „Velcurio“.

Zu diesem Semester waren 130 Studenten zum Studium nach Wittenberg angereist.

 

Das Jahr 1536 war von einem besonderen Ereignis geprägt, welches mit der kurfürstlichen Amtsverwaltung in Seyda in unmittelbarer Beziehung stand. Um die Beköstigung der einfachen und sozial schwächeren Studenten bei der Universität zu gewährleisten und um marktunabhängig zu bleiben, ordnete der Kurfürst Johann der Beständige Schutzmaßnahmen an. Daraufhin erging an den Seydaer Amtsschösser die Weisung, der Universität Wittenberg 500 Scheffel Getreide aus der kurfürstlichen Lehns- und Amtseinnahme zum niedrigen Preis von 100 Meißner Gulden, den Scheffel für vier Groschen, zu verkaufen. Damit blieb die Universität vom Zukauf von überteuertem Getreide verschont und konnte die soziale Studentenbeköstigung beibehalten.

 

Erst nach 16 Jahren erfolgte wieder eine Wittenberger Matrikeleintragung zu einem Studenten aus Seyda. Diese datiert zum Monat Juli 1546. Die Eintragung lautet: „Franciscus Kratzer Sydaniensis“. Namenskundlich deutet der Name „Kratzer“ auf den oberdeutschen und schlesischen Berufsnamen „Wollkratzer“ bzw. auf einen Mann, der die Wolle verarbeitet, hin.

 

Inzwischen war in Kursachsen nach dem Tod des Kurfürsten Johann des Beständigen im Jahre 1532 ein Regentenwechsel eingetreten. Sein erstgeborener Sohn Johann Friedrich der Großmütige (1503, Kurfürst von 1532 bis 1547, Herzog von 1547 bis 1553) hatte seine Nachfolge angetreten.

Franciscus Kratzer kam zum Sommersemester 1546 in die „Kurstadt“. Die Studienregie lag bei dem erwählten Rektor und Professor der Poesie Johann Marcellus (1510 -1552) aus dem fränkischen Königsberg. Dieses Semester wurde von 329 lernwilligen Studenten besucht und war von großer Nachtrauer auf den Tod von Martin Luther getragen, der während einer Reise ins Mansfelder Land am 18. Februar 1546 in Eisleben verstarb und auf kurfürstlichen Befehl am 22. Februar 1546 in der Wittenberger Schloß- und Universitätkirche zur ewigen Ruhe gebettet worden war.

 

Eine weitere Seydaer Matrikeleintragung datiert vom 8. Dezember 1547, wo sich „Georgius Schwartz Sidoensis“ „gratis“ und ohne Aufnahmegebühr zum Studium gemeldet hatte. Diese Zeit war von großen politischen Turbulenzen und Machtkämpfen gekennzeichnet. Der Kurfürst Johann Friedrich der Großmütige war im Jahre 1546 von Kaiser Karl V. (1500, Regierungszeit: 1516/1519 - 1556, verstarb nach dem Regierungsverzicht am 21. September 1558 in Spanien) in die Reichsacht erklärt worden. Es kam in dessen Folge zum Krieg zwischen den im Schmalkaldischen Bund vereinten protestantischen Landesfürsten und dem Kaiser. Nach der verlorenen Schlacht bei Mühlberg am 24. April 1547 und der Gefangennahme des sächsischen Kurfürsten Johann Friedrich des Großmütigen mußte dieser am 19. Mai 1547 die Wittenberger Kapitulation unterschreiben und auf die sächsische Kurwürde für immer verzichten. Sein Vetter Moritz (1521, Regierungszeit: 1541/1547 - 1553) aus der albertinischen Herrscherfamilie wurde vom Kaiser mit der sächsischen Kurfürstenwürde belehnt, fortan war Wittenberg mit den Kurlanden im Besitz der Albertiner.

Die Universität Wittenberg bildete selbst einen Landstand im kursächsischen Ständestaat, welche im sächsischen Landtag ordentlichen Sitz und Stimme hatte. Zu den sächsischen Landständen, an dessen Spitze der jeweils regierende sächsische Kurfürst stand, gehörten die Prälaten (die hohe Geistlichkeit), die Grafen und Herren mit den beiden Universitäten Wittenberg und Leipzig (nach 1547) sowie die adlige Ritter- und Vasallenschaft und die damals acht größten und bedeutendsten kursächsischen Städte. Diese waren Leipzig, Wittenberg, Dresden, Zwickau, Freiberg, Chemnitz, Langensalza und Torgau.

Die kursächsische Landstandschaft der Universität Wittenberg war im 16. Jahrhundert lehnsrechtlich durch den Besitz der Dörfer Eutzsch, Melzwig, Piesteritz, Apollensdorf, Teuchel, Dietrichsdorf, Köpenick und Reuden, mit Einschluß der Einkünfte und „Gefälle“ der Mühle von Abtsdorf, fundiert worden.

Der im Jahre 1547 vom Kaiser abgesetzte ernestinische Kurfürst Johann Friedrich der Großmütige hatte am 24. November 1537 der Wittenberger Universität die erbliche Gerichtsbarkeit in den Dörfern Pratau, Apollensdorf, Piesteritz, Teuchel, Dietrichsdorf, Melzwig, Reuden, Eutzsch, Köpenick und Abtsdorf verliehen.

Der jeweils für ein Studiensemester in demokratischer Wahl innerhalb des Lehrkörpers der Universität erwählte Rektor (bei Ehrenrektoren in Verbindung mit einem beigeordneten Vizerektor) durfte den Titel eines „Rectoris Magnifici“ führen. Er trug bei feierlichen öffentlichen und akademischen Akten seine kostbare Amtstracht und durfte die Insignien seiner akademischen Macht, zwei kostbare silberne Zepter, vorantragen lassen. Außerdem besaß er das Recht, bei den Versammlungen des kursächsischen Landtages zu erscheinen und die Stimme der Universität zu führen. Mit dem Rektorenamt war auch die Direktion aller die ganze Universität betreffenden Angelegenheiten und die Ausübung der eigenständigen und akademischen Gerichtsbarkeit verbunden.

 

Als Georg Schwartz aus Seyda im Wintersemester 1547/1548 in Wittenberg studierte, amtierte der Theologe Kaspar Cruciger der Ältere (1504-1548) bis zu seinem Tod am 19. März 1548 als Wittenberger Universitätrektor. Ihm und Philipp Melanchthon war es wohl zu danken, daß die Wittenberger Universität bestehen blieb und ihren Lehrbetrieb fortsetzen konnte.

 

Vom 8. Oktober 1549 datiert die Matrikeleintragung von „Bartolomeus Bertholdt ex Sido“. Dies geschah zum auslaufenden Sommersemester 1549, wo sich insgesamt 312 Studenten haben einschreiben lassen. Das Rektorat führte der Doktor der Medizin und Mathematiker Jacob Milich (1501 - 1559).

Bartolomeus Bertholdt führte einen sogenannten oberdeutschen Familiennamen, dessen mittelalterlicher Ursprung in dem einstigen Personennamen „Berthold“ besteht. Von Bartolomeus Bertholdt ist bekannt, daß dieser am 23. November 1552 vom Reformator und Doktor der Theologie Johann Bugenhagen (1485 - 1558), genannt Pomeranus, nach Abschluß seines Studiums ordiniert und in das Pfarramt nach Schweinitz berufen worden ist. Die im ersten Band des Wittenberger Ordiniertenbuches überlieferte handschriftliche Eintragung lautet: Bartholomeus Bertoldt von Sydo, Aus dieser Vniuersitet beruffen gein der Schweinitz im Chrufurstenthumb Sachssen zum Priesterambt.“

Die Ordination von reformatorischen Pfarrern war in Wittenberg zu einem akademischen und kirchenrechtlichen Brauch unter der Regie von Martin Luther und Johannes Bugenhagen geworden. Die Schriftlichkeit der Wittenberger Ordinationen beginnt mit dem Jahr 1537, genau am 24. Juni diesen Jahres.

Das Wittenberger Ordiniertenbuch bewahrt unter dem Datum vom 14. Oktober 1551 eine weitere Eintragung:

„Johannes Kuemmelberger vonn Sayda, Cantor zu Grabow, Beruffenn gein Leutmestorff zum Priesterambt.“

 

Das Sommersemester 1553 war vom Studienbesuch von fünf Bürgersöhnen aus Seyda gekennzeichnet. Die Universitätsmatrikel verzeichnete zu diesem Semester insgesamt 357 Immatrikulationen. Das Rektorenamt führte der Mediziner Melchior Fend (um 1486 - 1564). Am 13. August 1553 begannen „Adamnus (et) Joachimus Felgetreb Sydonien(sis)“ mit dem Studium in Wittenberg. Der alte Familienname „Felgetreb“ wird durch die wissenschaftliche Namenskund in zweifacher Weise erklärt. Die erste Erklärung besteht in der Annahme, daß es sich hier um einen Orts- bzw. Herkunftsnamen handelt. In „Felgetreb“ scheint der Ortsname des Dorfes Felgentreu bei Jüterbog zu stecken. Die andere etymologische Erklärung besagt, daß mit dem Namenswort „Felgetreb“ der oberdeutsche und mitteldeutsche Berufsname des Felgenhauers bzw. des Radmachers gemeint sei. Bei der Gleichnamigkeit der Studenten Adam und Joachim Felgentreb kann ein nahes verwandschaftliches Verhältnis vermutet werden, obwohl in der Matrikel der Wittenberger  Universität dazu keine weiteren Informationen notiert wurden.

 

 

 

Bereits zum 19. Semester 1553 wurde der Studienbeginn der drei Brüder „Casparus, Joannes et Georgius Rott, D(omini) Pastoris Caspari Rott in Sidau filii“ (= Caspar, Johannes und Georg Rott, die Söhne des Herrn Pfarrers Caspar Rott aus Seyda) in der Wittenberger Matrikel notiert.

„Caspar Rott“ der Ältere stammte aus der schwäbischen Reichsstadt Nördlingen und kam zum Wintersemester 1537/1538 unter dem Rektorat des Doktors der Medizin Augustin Schurff (1495 - 1548) zum Studium nach Wittenberg. Nach Abschluß seines Studiums ordinierte Johann Bugenhagen am 15. Juni 1541 Caspar Roth den Älteren ins Pfarramt. Das Wittenberger Ordiniertenbuch bewahrt folgende handschriftliche Eintragung:

Casparus Rot vonn Nördlingenn, Aus dieser Vniuersitet beruffenn gen Seyda zum Priesterambt.“

Caspar Roth führte von 1541 bis 1544 das Amt eines Diakons in Seyda und wirkte von 1553/1555 bis 1592 als Oberpfarrer und Superintendent in Seyda.

Die drei Brüder Caspar der Jüngere, Johannes und Georg Roth folgen offensichtlich dem Bildungsweg ihres Vaters Caspar Roth dem Älteren nach.

Nach Abschluß seines Studiums wurde Caspar Roth der Jüngere am 4. Oktober 1564 vom Doktor der Theologie Paul Eber (1511 - 1569) in der Wittenberger Stadtkirche ins Pfarramt ordiniert. Sein jüngerer Bruder Georg wurde am 17. August 1572 durch seinen Taufpaten, den Doktor der Theologie Friedrich Widebram (1570 bis 1574 Erster Stadtpfarrer und Superintendent in Wittenberg) in Wittenberg ins Pfarramt nach Brehna ordiniert.

Der Familienname Roth ist eine oberdeutsche Namensform und benennt einen Menschen mit roten Haaren oder einen Mann mit rotem Barthaar.

Zum Ende des Wintersemester 1558/1559 wurde „Andreas Tribigk Sidensis“ als Student bei der Wittenberger Universität eingeschrieben. Der Familienname „Tribigk“ stellt eine mitteldeutsche und niederdeutsche Namensform dar und beinhaltet den Berufsnamen des Herstellers von „Trippen“, das sind Holzpantoffeln. Andreas Tribigk studierte unter dem Ehrenrektorat des jungen hochadligen Mitstudenten und österreichischen Freiherrn Heinrich von Starhemberg (1540 - 1571), der wegen seines hohen Adelsstandes in demokratischer Wahl ehrenhalber vom Lehrkörper der Universität zum Rektor gekürt worden war. Die eigentliche Studienleitung lag beim beigeordneten Vizerektor, dem Doktor der Medizin Veit Örtel dem Älteren (1501 - 1570). Das Semester war von 258 eingeschriebenen Studenten besucht worden.

Am 19. April 1560 verstarb in Wittenberg der Reformator und Gelehrte Philipp Melanchthon, der während seiner Wirkungszeit von 1518 an viele Tausende Studenten zu Wissen und Bildung geführt hatte. Um seine einmalige Persönlichkeit zu würdigen, erhielt er den lateinischen Ehrentitel „Praeceptor Germaniae“, „Lehrer Deutschlands“. Er wurde neben dem Grab Martin Luthers in der Wittenberger Schloß- und Universitätskirche zur ewigen Ruhe gebettet.

 

Am 24. April 1562, gegen Ende des Wintersemesters 1561/1562, kam der Seydaer Bürgersohn Andreas Gottschalk zum Studium in die Stadt an der Elbe. Der süddeutsche bzw. oberdeutsche Familienname „Gottschalk“ ist ein mittelalterlicher Personen- und Vorname mit der Wortbedeutung „Gottesknecht“.

Andreas Gottschalk aus Seyda studierte unter der Regie des Rektors und Doktors beider Rechte Johann Schneidewein (1519 - 1568), der in seiner Jugendzeit als „Ziehkind“ der Eheleute Katharina und Martin Luther in deren Haus aufgenommen wurde, um hier Erziehung, Wissen und Bildung aufzunehmen. Das Wintersemester 1561/1562 wurde von 241 Studenten besucht.

 

Unter dem Datum vom 7. Oktober 1567 wurde der Seydaer Student David Leicz in die Wittenberger Universitätsmatrikel eingeschrieben. Sein Familienname „Leicz“ kennzeichnet namenskundlich einen sogenannten Übernamen mit der Wortbedeutung des Berufsnamens: „Leicz“ kommt von „Leist“ und meint Schuhleisten, also ein Schuhmacher. In diesem Semester waren 339 Studenten in Wittenberg eingeschrieben. Das Rektorat führte der Doktor der Theologie Georg Maior (1502 - 1574).

 

Der 30. August 1568 war der Studienbeginn des Seydaer Bürgersohns Ambrosius Matthias. Der Apostelname „Matthias“ ist aus der hebräischen Sprache entlehnt und bedeutet „Geschenk Gottes“. Die Reliquien des Apostels und damit seine besondere Verehrung im Mittelalter lag im linksrheinischen Trier. Daher ist anzunehmen, daß der christliche Familienname „Matthias“ ursprünglich im Rheinland und im Moseltal bodenständig war. Die Eintragung in der Universitätsmatrikel ist ein Nachweis für das Vorkommen des Namens in Seyda im 16. Jahrhundert.

Ambrosius Matthias aus Seyda begann zum laufenden Sommersemester sein Studium, die Studienleitung über die zum Semester angereisten 491 Studenten lag beim Doktor der Medizin und der Philosophie Kaspar Peucer (1525 - 1602), dem Schwiegersohn des Reformators Philipp Melanchthon.

 

Zum darauffolgenden Wintersemester 1568/1569, welches unter dem Rektorat des Theologen Johann Bugenhagen des Jüngeren (gestorben 1594) stand und von 226 immatrikulierten Studenten besucht worden war, kamen auch die Seydaer Studenten Philipp und Barholomeus Froberg nach Wittenberg. Ihre Matrikeleintragung datiert vom 24. November 1568.

 

Philipp Roth, ein Seydaer Bürgersohn, kam am 27. September 1569 zum Ende des Sommersemesters nach Wittenberg, um zu studieren. Mit ihm waren insgesamt 458 „Scholaren“ zum Semester eingeschrieben. Der junge hochadlige böhmische Mitstudent und Freiherr Bohuslav Joachim von Lobkowitz und Hassenstein war zum Ehrenrektor erwählt worden, das Prorektorat führte der Gelehrte und Doktor der Theologie Paul Crell (1531 - 1579).

Ebenfalls zum 27. September 1569 kam Caspar Neumann von Seyda zum Studium nach Wittenberg. Sein oberdeutscher Familienname steht für einen Menschen, der neu zugezogen bzw. zugewandert ist, ein „neuer Mann“.

 

Inzwischen war es in den kursächsischen Ländern nach dem kriegerischen Tod des albertinischen Kurfürsten Moritz von Sachsen in der Schlacht von Sievershausen nach dem 11. Juli 1553 erneut zu einem Regentschaftswechsel gekommen. Sein jüngerer Bruder August (1526, Regierungszeit: 1553 - 1586) hatte in diesem Jahr die Nachfolge als Kurfürst von Sachsen angetreten. Nach dem Erreichen seiner Volljährigkeit war der noch junge herzogliche Prinz August von Sachsen am 7. Oktober 1548 in Torgau mit der königlichen Prinzessin Anna von Dänemark (1532 - 1585) verheiratet worden, womit zwischen dem sächsischen Kurfürstenhaus und dem dänischen Königshaus enge verwandschaftliche Beziehungen geknüpft wurden. Der Vater der Kurfürstin Anna von Sachsen (ab 1553) war der dänische König Christian III. (1503, Regierungszeit: 1534 - 1559), der bereits im Jahre 1536 in Dänemark und im Jahre 1537 in dem zu seinem Reich gehörenden Norwegen die lutherische Reformation eingeführt hatte. Diese dänisch-nordische Glaubenserneuerung beinhaltete eine umfassende Staatsreform, bei welcher der Wittenberger Reformator und Theologe Johannes Bugenhagen, genannt Doktor Pomeranus, eigens nach Dänemark entsandt worden war und dort federführend gewirkt hatte.

 

Seit dem letzten Studienbesuch eines Studenten aus Seyda im Jahre 1569 waren zehn Jahre ins Land gegangen. Vom 1. Dezember 1579 datiert die Wittenberger Matrikeleintragung des bürgerlichen Studenten „Salomon Weisbach Seidensis“. „Weisbach“ ist eine alte Ortsnamenform bzw. ein Bauernname: Mensch oder Bauer, der am Weisbach wohnt bzw. Land am Weisbach bewirtschaftet. Salomon Weisbachs Studienaufnahme erfolgte zum laufenden Wintersemester 1578/1579, bei dem die Zahl der eingeschriebenen Studenten 215 betrug. Das Rektorenamt versah der aus dem böhmischen Joachimsthal stammende Doktor der Medizin Johann Mathesius der Jüngere. Sein Vater war der berühmte Theologe und Reformator des böhmischen Erzgebirges Johann Mathesius der Ältere (1504 - 1565) aus Joachimsthal gewesen, welcher in seinen jungen Jahren nahe bei Martin Luther und Philipp Melanchthon in Wittenberg studiert hatte. Er wurde nach dem Tod von Martin Luther zum ersten Biographen dieses großen Reformators und Theologen, womit er seinem Lehrer und guten Freund ein literarisches Denkmal hinterlassen hat.

 

Zum gleichen Studiensemester kam am 15. Dezember 1579 der Seydaer Pfarrerssohn Andreas Örtel der Jüngere nach Wittenberg. Der Familienname „Örtel“ ist oberdeutschen und auch schlesischen Ursprungs. Darin steckt das altdeutsche Wort „Ort“, was „Spitze des Speeres oder Schwertes“ bedeutet. Somit verbirgt sich hinter dem alten Namen „Örtel“ die Umschreibung eines Menschen oder Mannes, der mit dem Schwert oder Speer gut umgehen kann.

Andreas Örtels des Jüngeren Vater wirkte von 1562 bis 1572 als Diakon in Seyda. Andreas Örtel der Ältere hatte wohl in Leipzig studiert, war vier Jahre in Nürnberg gewesen, wirkte drei Jahre an der Kirche in Elster und war vom Seydaer Superintendenten Caspar Roth dem Älteren am 4. Februar 1562 in Wittenberg ins Pfarramt nach Seyda ordiniert worden.

 

 

 

Eine weitere studentische Matrikeleintragung erfolgte zum 4. November 1587 zum laufenden Wintersemester 1587/1588: Augustin Sandt. Er durfte sich offenbar wegen seiner sozialen Bedürftigkeit „gratis“ und ohne Aufnahmegebühr bei der Wittenberger Universität einschreiben lassen. Das Semester wurde von genau 222 eingeschriebenen Studenten besucht, die Studienleitung lag beim erwählten Rektor und Mediziner Salomon Albert (1540 -1600), der aus der fränkischen Reichsstadt Nürnberg kam.

Der alte Familienname „Sandt“ entstand zum Ausgang des Mittelalters als kurze Form eines Orts- bzw. Wohnortnamens und bedeutet: Mensch oder Bauer, der auf sandigem Gelände wohnt und lebt.

 

Ein Jahr später kam „Johann Krugk Seidensis“ zum laufenden Wintersemester 1589/1590 nach Wittenberg. Seine Immatrikulation bei der Universität erfolgte zum 27. Oktober 1589, zusammen mit insgesamt 161 zugereisten Studenten. Das Rektorrat wurde vom Gelehrten und Doktor der Medizin Franz Faber (1542 - 1593) geführt.

Die in Seyda ansässige und bodenständig gewordene Familie „Krugk“ (Krug) muß wohl einst aus dem oberdeutschen Gebiet zugezogen sein. Der Name „Krug“ ist ein oberdeutscher Berufs- und Tätigkeitsname und umschreibt den Krug- und Geschirrhändler, auch den Hausierer mit Tonwaren.

Während des Wintersemesters 1590/1591 besuchten fünf Bürgersöhne aus Seyda die Wittenberger Universität. Der nur mäßige Studienbesuch zu diesem Semester belief sich auf 201 eingeschriebene Studenten.

Martin Lotther (oberdeutscher Eigenschaftsname für Lotterbube, Taugenichts oder für den Tätigkeitsnamen Gaukler und Schausteller) und Thobias Ranft (mittelhochdeutscher Name: Mensch oder Bauer, der auf einer gerodeten Stelle lebt) wurden zum 23. Januar 1591 in die Wittenberger Matrikel eingetragen.

 

Der Seydaer Bürgersohn Antonius Reich (oberdeutscher Name mit der Bedeutung „der Reiche“, „der Wohlhabende“) wurde zum 3. März 1591 studentisches Mitglied der Leucorea.

 

Die beiden Seydaer Andreas Tipenau (Herkunftsname zu Diebenau oder zu Düben) und Johannes Krug durften sich aus sozialer Fürsorge „gratis“ und gebührenfrei bei der Wittenberger Universität zum Studium einschreiben lassen.

 

Alle fünf genannten Studenten lernten unter dem Ehrenrektorat des adligen Mitstudenten und Freiherren Wichard von Promnitz, der aus der Lausitz stammte. Das studienleitende Amt lag beim Prorektor und Professor der Theologe Heinrich Maius (1545 - 1607).

 

Als im Jahre 1586 August, sächsischer Kurfürst und Schutzherr der Universität, verstorben war, kam sein Sohn Christian I. (1560, Regierungszeit: 1586 - 1591) zur kurzen Regentschaft. Kurfürst Christian I. von Sachsen trug den Namen seines mütterlichen Großvaters, des dänischen Königs Christian III., und war seit 1582 mit der kurbrandenburgischen Prinzessin Sophia (1568 - 1622) verheiratet.

Nach dem Tod Christian I. im Jahre 1591 in Dresden kam sein noch minderjähriger Sohn Christian II. von Sachsen (1583, Regierungszeit unter Vormundschaft: 1591 - 1601, Kurfürst: 1601 - 1611) zur Regierung. Die Vormundschaft führten anfänglich gemeinsam der Herzog Friedrich Wilhelm I. von Sachsen-Altenburg (1562, Regierungszeit: 1573/1586 - 1602) und der brandeburgische Kurfürst Johann Georg (1525, Regierungszeit: 1571 - 1598), der mütterliche Großvater von Christian II. von Sachsen. Erst nach dem Erreichen der Volljährigkeit heiratete der junge sächsische Kurfürst Christian II. am 12. September 1602 in Dresden die dänische Prinzessin Hedwig (1581 - 1641), eine Tochter des Königs Friedrich II. von Dänemark (1534, Regierungszeit: 1559 - 1588). Die Kurfürstin Hedwig von Sachsen überlebte ihren Ehemann Christian II., der am 23. Juni 1611 in Dresden verstarb, um dreißig Lebensjahre. Sie nahm auf Schloß Lichtenburg ihren Witwensitz und verstarb dort am 26. November 1641.

 

Am 24. April 1594 wurde „Paulus Nidermeyer Sidonensis“ Student in Wittenberg. Die Matrikel verzeichnete zum Wintersemester 1593/1594 den Studienbesuch von 229 Studenten,  die Universität wurde vom Rektor und Doktor der Medizin Andreas Schato (1539 - 1603) regiert.

 

Die letzten beiden Immatrikulationen von Seydaer Studenten erfolgten zum Wintersemester 1599/1600. Das Semester wurde von 258 „Scholaren“ besucht. Zum 9. Februar 1600 kamen die wohl in einem nahen verwandschaftlichen Verhältnis stehenden Seydaer Bürgersöhne Johannes und Andreas Piscator nach Wittenberg, um hier Wissen und Bildung zu schöpfen. Die latinisierte Namensform „Piscator“ benennt den alten ostdeutschen und mitteldeutschen Berufsnamen des Fischers, mit Einschluß des Fluß- und Teichfischers.

Das Rektorat lag zum Wintersemester 1599/1600 in den Händen des Doktors der Medizin Andreas Schato (1539-1603), der aus Torgau stammte und sich als Gelehrter auch mit den Naturwissenschaften und der Mathematik beschäftigt hatte.

 

Somit wird sichtbar, daß durch den Lernfleiß von 30 Studenten aus Seyda im Jahrhundert der Reformation und Glaubenserneuerung die Teilhabe der Ackerbürger und Handwerker aus Seyda an der reformatorischen Bewegung sicher belegt ist.

Bei den zumeist bürgerlichen Studenten aus Seyda ist auch das Sozialverhalten der kleinen Lerngruppenbildung zu bemerken.

 

Aus dem Umland von Seyda lassen sich für das 16. Jahrhundert drei Studenten in Wittenberg nachweisen. „Andreas Nauman“, der Sohn des Pfarrers zu Gadegast, kam am 17. November 1551, mitten im laufenden Wintersemester 1551/1552, zum Studium nach Wittenberg. Das Rektorat führte der Gelehrte und Theologe Paul Eber (1511-1569), der aus der mainfränkischen Stadt Kitzingen gebürtig war. Die Zahl der studentischen Immatrikulationen betrug damals 246. Die Universitätsmatrikel vermerkt zu Andreas Naumann, daß sich dieser „gratis“ und somit gebührenfrei zum Studium einschreiben lassen durfte.

Das Sommersemester 1593 wurde von 453 eingeschriebenen Studenten in Wittenberg besucht. Am 7. Juli 1593 begann „Bartholomaeus Matthesius Gadegastensis“ sein Studium. Rektor Magnificus war damals der Doktor beider Rechte Peter Heige (1559-1599), welcher aus der pommerschen Stadt Stralsund gebürtig war und wegen seiner umfänglichen Rechtskenntnisse zugleich das Amt eines kursächsischen Beamten und Rates ausübte.

Eine weitere Matrikeleintragung datiert vom 25. April 1602 und benennt den „Georgius Kölbel in Nauuendorff“, der zum auslaufenden Wintersemester 1601/1602 von Naundorf zum Studium nach Wittenberg gekommen war. Georg Kölbels Familienname beinhaltet einen oberdeutschen Tätigkeitsnamen: Mann oder Mensch, der hölzerne Kolben fertigt. Zum Wintersemester 1601/1602 lag das Ehrenrektorat in den Händen des Mitstudenten und sächsischen Prinzen August (1589-1615), der insgesamt zehn Semester in Wittenberg studierte und während dieser Zeit dieses  hohe akademische Amt ausübte. In diesem Semester wurde der erwählte Vizerektor und Doktor der Medizin Ernst Hettenbach (1552-1616) dem Ehrenrektor August von Sachsen beigeordnet. Herzog August von Sachsen (1589-1615) war der drittgeborene Sohn des sächsischen Kurfürsten Christian I. (1560, Regierungszeit: 1586-1591) und der jüngere leibliche Bruder der nacheinander zur Regentschaft gelangten Kurfürsten Christian II. (1583, Regierungszeit: 1591/1601-1611) und Johann Georg I. (1585, Regierungszeit: 1611-1656). Das Wintersemester 1601/1602 vermerkte insgesamt 310 zugereiste Studenten.

 

Mit der Zunahme der pfarramtlichen Schriftlichkeit und der Führung von handschriftlichen pfarramtlichen Personenstandsregistern nach dem Jahre 1560, wohl eine verwaltungsrechtliche Neuerung der Wittenberger Theologen mit flächendeckender Auswirkung auf den gesamten deutschen Sprachraum, lassen sich auch Liebes- und Ehebeziehungen zwischen Seyda und Wittenberg nachweisen. Von diesen ersten handschriftlich überlieferten Ehebanden zwischen Seyda und Wittenberg sollen einige wenige Beispiele der Vergessenheit entrissen werden, zitiert in der originalen frühneuhochdeutschen Diktion. Das Wittenberger Traubuch verzeichnet unter dem Kalenderjahr 1564 folgende Eintragung:

„Martine Gammerman, Ein taglöhner, vnd jungkfraw Elisabeth, Cleman Richters von Sida nachgelaßne Tochter diese sind den 16 Aprilis auffgebotn worden.“

Zum Kalenderjahr 1565 sind folgende beide Eheschließungen handschriftlich überliefert:

„Hans Gentsch, Ein taglöhner, vnd junckfraw Anna, Debes Tuembthens tochter von syda, diese sind den 21 Januarij aufgeboten, vnd den 29 Januarij vor dem schloßthor Ehelich zusamen geben worden.“

Die andere pfarramtliche Eintragung in Wittenberg von 1565 lautet:

„Peter Steinkopff von Thabrun, vnd Junckfra(w) Zophia, Cleman Richters von Sida nachgelaßene tochter, diese sint den 20 Augusti auffgeboten, vnd den 28 Augusti vor dem Elsterthor getrawt worden.“

Eine weitere Trauung ist für das Kalenderjahr 1568 nachweisbar:

Dauit Fickert, Ein Fuhrman, vnd jungfraw Gertraut, Simon Nawmans nachgelaßene tochter von Sido, diese sint den 2 Februarij auffgeboten, vnd den XI Februarij in der Kirchen von dem Herrn Petro Ezelio gedrawt worden.“

Auch zum Jahre 1570 sind zwei pfarramtliche Eintragungen im Wittenberger Hochzeitsregister für Seyda überliefert:   

„Wendelinus Leffel von kreutzenach, Ein Buchdrucker, vnd jungfraw Margaretha, Joachim Schwartzen dochter von sido, diese sint den 23 Aprilis auffgeboten, vnd den Ersten maij von M(agister) Bernhardo Apitio gedrawt worden.“

Auch die Hochzeit des Seydaer Pfarrerssohnes Georg Roth (ab 1572 Pfarrer in Brehna) wurde im Wittenberger Trauregister notiert: 

„M(agister) Georgius Roth von Sida, vnd junkfraw Walburga, Nickel Hennings, deß oeconimi tochter alhie, diese sint den 3 Septembris auffgeboten, vnd den 11 Septembris in der Kirchn von dem M(agister) Bernhardo Apiti(o) gedraut word(en).“

Im Kalenderjahr 1571 erfolgte in Wittenberg folgende christliche Eheschließung:

„Mattis Hase, Ein Zim(m)merman, vnd jungkfraw Margaretha, Clemen Richters nachgelaßene tochter zu Sidaw, diese sint den 14 Januarij auffgeboten, vnd den 22 Januarij in der Kirchen von dem M(agister) Bernhardo Apitio gedrawt worden.“

 

 

 

 

Der kleine Beitrag mag zum weiteren Nachdenken und zu vermehrter stadt- und kirchengeschichtlicher Forschung Anlaß geben.

Für die hilfreiche Unterstützung von Herrn Pfarrer Thomas Meinhof aus Seyda und von Herrn Pfarrer Ulrich Beyer aus Zahna bei der Übersetzung von lateinischen Texten zur Seydaer Geschichte möchte ich ganz freundlich Dank sagen.

Vielen Dank auch der Evangelischen Stadtkirchengemeinde Wittenberg für die Genehmigung, aus den Kirchenbüchern zitieren zu dürfen.

 

Hans-Jochen Seidel

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Literaturverzeichnis (Auswahl)

 

Album Academiae Vitebergensis ab a. Ch. MDII usque MDLX. Ex autographo edidit Carolus Eduardus Foerstemann, Vol. 1 (1502 - 1560), Vol. 2 (1560 - 1602), Vol. 3 (Indices), Leipzig 1841, Halle 1894 und 1905.

 

Bahlow, Hans, Deutsches Namenlexikon, Familien- und Vornamen nach Ursprung und Sinn erklärt, 1. Auflage, Bindlach 1988.

 

Buchwald, Georg, Wittenberger Ordiniertenbuch, Band 1 (1537 - 1560), Band 2 (1560 -1572), Leipzig 1894 und 1895.

 

Deutsches Städtebuch, Handbuch städtischer Geschichte, hrsg. von Erich Keyser, Band 2, Mitteldeutschland, Stuttgart und Berlin 1942.

 

Friedensburg, Walter, Geschichte der Universität Wittenberg, Halle (Saale) 1917.

 

Friedensburg, Walter, Urkundenbuch der Universität Wittenberg, Teil 1 (1502 - 1611), hrsg. von der Historischen Kommission für die Provinz Sachsen und für Anhalt, Magdeburg 1926, (Geschichtsquellen der Provinz Sachsen und des Freistaates Anhalt, Neue Reihe, Band 3).  

 

Helbig, Herbert, Der Wettinische Ständestaat, Untersuchungen zur Geschichte des Ständewesens und der landständigen Verfassung in Mitteldeutschland bis 1485, 2. Auflage, Köln und Wien 1980, (Mitteldeutsche Forschungen, Band 4).

 

Jöcher, Christian Gottlieb, Allgemeines Gelehrten=Lexicon, Theil 1 - 4, Leipzig 1750 und 1751.

 

Posse, Otto, Die Wettiner, Genealogie des Gesamthauses Wettin Ernestinischer und Albertinischer Linie mit Einschluß der regierenden Häuser von Großbritannien, Belgien, Portugal und Bulgarien. Mit Berichtigungen und Ergänzungn der Stammtafeln bis 1993 von Manfred Kobuch, Reprint der Originalausgabe von 1897, 1. Auflage, Leipzig 1994.

 

Roemer, Carl Heinrich von, Staatsrecht und Statistik des Churfuerstenthums Sachsen und der dabey befindlichen Lande, Dritter Theil, Wittenberg 1792.

 

Schlesinger, Walter, Kirchengeschichte Sachsens im Mittelalter, Band 2, Das Zeitalter der deutschen Ostsiedlung (1100 - 1300), Köln und Graz 1962, (Mitteldeutsche Forschungen, Band 27, Teil 2).

 

Stupperich, Robert, Reformatoren-Lexikon, 1. Auflage, Gütersloh 1984.

 

Vierhundertfünfzig Jahre Martin-Luther-Universtität Halle-Wittenberg, Band 1, Wittenberg, 1502 - 1817, Halle 1952.

 



 

 

 

Im Jahrhundert der Reformation und der Glaubenserneuerung spielte die damalige kleine kursächsische Amtsstadt Seyda eine nicht unwichtige Rolle bei der Ausbreitung und Festigung der reformatorischen Bewegung.

Hans-Jochen Seidel, Historiker aus Wittenberg, geht in diesem Beitrag der Verbindung der Kleinstadt zum Zentrum der Reformation nach, indem er neben anderen Quellen insbesondere die Immatrikulationslisten der Wittenberger Universität auswertet. Damit fällt Licht in einen Abschnitt der Seydaer Geschichte, über den sonst wenig bekannt ist, da die städtischen Akten durch Feuer wiederholt vernichtet worden sind. Es werden Details der frühen Sozialgeschichte mitgeteilt und von den Familiennamen her interessante Rückschlüsse auf die ursprüngliche Besiedlung des Gebietes in spätmittelalterlicher Zeit gezogen.

 

 

 

Mit diesem Heft bitten der Autor und die Kirchengemeinde um eine Spende zur Erhaltung der Stadtkirche Seyda.

Bankverbindung: Kirchengemeinde Seyda, Nr. 3300 103 095 bei der Sparkasse Elbe-Elster, BLZ 180 510 00.

Bestelladresse: Evangelisches Pfarramt Seyda, Kirchplatz 1, 06918 Seyda, Tel./Fax: 035387/42254.

 

 

 

 

 

 

 

 

Lieber Herr Seidel,

eine Werbung machen wir nicht. Für einen Scherenschnitt sehe ich zur Zeit auch keine Möglichkeit.

Meinen Text dachte ich als „Buchcover“ auf die Rückseite zu schreiben, damit man weiß, was drinsteht, wenn man es in die Hand nimmt. Da die Adresse ja daruntersteht, brauche ich vielleicht nicht noch einmal den Namen hinzuschreiben.

Vielen Dank auch für Ihre Spende.

Ich staune immer, wie Sie immer noch kleine Korrekturen finden.

Ein gesegnetes Pfingstfest

wünscht Ihnen: