Friede auf Erden.

 

 

 

Das

Seydaer

Weihnachtsbuch

im Jahr 2002.

 

 

Die Weihnachtsgeschichte. Lukas 2.

 

"Es begab sich aber zu der Zeit, daß ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, daß alle Welt geschätzt würde.

Und diese Schätzung war die allererste

und geschah zur Zeit, da Quirinius Landpfleger in Syrien war.

Und jedermann ging, daß er sich schätzen ließe,

ein jeglicher in seine Stadt.

Da machte sich auf auch Josef aus Galiläa,

aus der Stadt Nazareth,

in das jüdische Land zur Stadt Davids,

die da heißt Bethlehem,

weil er aus dem Hause und Geschlechte Davids war,

damit er sich schätzen ließe

mit Maria, seinem vertrauten Weibe,

die war schwanger.

Und als sie dort waren, kam die Zeit, daß sie

gebären sollte.

Und sie gebar ihren ersten Sohn

und wickelte ihn in Windeln

und legte ihn in eine Krippe;

denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge.

Und es waren Hirten in derselben Gegend

auf dem Felde, die hüteten des Nachts ihre Herde.

Und der Engel des Herrn trat zu ihnen,

und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie,

und sie fürchteten sich sehr.

Und der Engel sprach zu ihnen:

Fürchtet Euch nicht!

Siehe, ich verkündige Euch große Freude,

die allem Volk widerfahren wird.

Denn Euch ist heute der Heiland geboren,

welcher ist Christus, der Herr,

in der Stadt Davids.

Und das habt zum Zeichen:

Ihr werdet finden das Kind

in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen.

Und alsbald waren da bei dem Engel

die Menge der himmlischen Heerscharen,

die lobten Gott und sprachen:

Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden

bei den Menschen seines Wohlgefallens!

Und als die Engel von ihnen gen Himmel fuhren, sprachen die Hirten untereinander:

Laßt uns nun gehen nach Bethlehem

und die Geschichte sehen, die da geschehen ist,

die uns der Herr kundgetan hat.

Und sie kamen eilend und fanden beide, Maria und Josef, dazu das Kind in der Krippe liegen.

Als die Hirten es aber gesehen hatten,

breiteten sie das Wort aus, das zu ihnen von diesem Kinde gesagt war.

Und alle, vor die es kam, wunderten sich über das,

was ihnen die Hirten gesagt hatten.

Maria aber behielt alle diese Worte

und bewegte sie in ihrem Herzen.

Und die Hirten kehrten wieder um,

priesen und lobten Gott für alles,

was sie gehört und gesehen hatten,

wie denn zu ihnen gesagt war.“

 

 

 

Weihnachten in Seyda.

Anekdoten aus der Heimatgeschichte.

Weihnachten ist eines der Feste, was sich in Seyda wohl am allerlängsten erhalten hat: die Geburt des Jesus Christus, die Heilige Nacht, wurde bei uns schon vor fast 1000 Jahren gefeiert, und es mag einen schon anrühren, dass es die gleichen Texte waren, die damals und heute in der Christvesper erklingen: „Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht...“ – „Euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids.“ Selbst manche Melodien mögen noch die gleichen sein, so steht im Gesangbuch ein Weihnachtslied mit der Melodie aus dem 9. Jahrhundert; die meisten bekannten aber sind „nur“ knapp 500 Jahre alt, etwa jenes „Vom Himmel hoch, da komm ich her“ von Martin Luther.

Manches altvertraute Lied hat auch einen weiten Weg zurückgelegt: „O du fröhliche“ hat eine Melodie aus Sizilien; und das Lied „Stille Nacht“ kommt aus dem katholischen Österreich und entstand dort über Nacht: die Orgel war kaputtgegangen und der Kantor dichtete ein Lied, was er mit der Gitarre begleiten konnte.

 

Lieder

Lange Zeit, nämlich in der Ära des Kantors Schmalz, war es üblich, dass die 8. Klasse am Heiligen Abend ein Lied von der Empore sang, was einen recht eindrücklichen Text hat, besonders wenn man bedenkt, dass es in diesen Zeiten gleich mehrere „Umstürze“ gab:

 

„Dies ist die Nacht, da mir erschienen

des großen Gottes Freundlichkeit;

das Kind, dem alle Engel dienen,

bringt Licht in meine Dunkelheit,

und dieses Welt- und Himmelslicht

weicht hunderttausend Sonnen nicht.

 

Laß Dich erleuchten, meine Seele,

versäume nicht den Gnadenschein;

der Glanz in dieser kleinen Höhle

streckt sich in alle Welt hinein;

er treibet weg der Höllen Macht,

der Sünden und des Kreuzes Nacht.

 

In diesem Lichte kannst Du sehen

das Licht der klaren Seligkeit;

wenn Sonne, Mond und Stern vergehen;

vielleicht noch in gar kurzer Zeit,

wird dieses Licht mit seinem Schein

Dein Himmel und Dein Alles sein.

 

Laß nur indessen helle scheinen

Dein Glaubens- und Dein Liebeslicht;

mit Gott mußt Du es treulich meinen,

sonst hilft Dir diese Sonne nicht;

willst Du genießen diesen Schein,

so darfst Du nicht mehr dunkel sein.

 

Drum, Jesu, schöne Weihnachtssonne,

bestrahle mich mit Deiner Gunst;

Dein Licht sei meine Weihnachtswonne

und lehre mich die Weihnachtskunst,

wie ich im Lichte wandeln soll

und sei des Weihnachtsglanzes voll!“

 

Auch zuhause wurde gesungen. Üblich war unter dem Weihnachtsbaum das Lied: „Lobt Gott, ihr Christen, alle gleich!“ mit jener bedeutsamen letzten Strophe, die die Herkunft des Christbaums erklärt: „Heut schleußt er wieder auf die Tür zum schönen Paradeis: Der Cherub steht nicht mehr dafür: Gott sei Lob, Ehr und Preis.“

Der Weihnachtsbaum ist der neue Paradiesbaum: Die Tür zum Paradies ist durch Christus wieder aufgemacht, auch Früchte trägt er: heute sind es Kugeln, früher waren Nüsse oder Äpfel, manchmal bemalt. In der Reformationszeit wurde er um 1540 in Straßburg eingeführt, in Seyda wurde er im 19. Jahrhundert üblich. Aus alter Zeit bewahrt die Familie Wahle einen besonderen Christbaumständer auf: Er dreht sich und spielt eine Melodie.

 

Eine andere recht beliebte Tradition verbreitete sich ebenfalls vor 150 Jahren im Land: Der Adventskranz. Er geht auf Johann Hinrich Wichern zurück, der die „Innere Mission“ gründete, das Sozialwerk der Evangelischen Kirche („Diakonie“). Wichern, der verwahrloste Jungen in einem „Rauhen Haus“ in Hamburg sammelte, hängte solch einen Kranz an die Decke, an dem das Licht in der Adventszeit bis zum Christfest immer mehr wird. Zunächst mit 24 Kerzen, später mit 4 für die Adventssonntag: Das ist allgemein bekannt geworden, und heute gibt es wohl kaum eine Familie in Seyda, die nicht solch einen Adventskranz kennt.

 

Nächstenliebe

Wer zwei Hemden hat, der gebe dem, der keines hat; und wer zu essen hat, tue ebenso.“ – das war die erste Adventspredigt, von Johannes dem Täufer, der aufforderte, reinen Tisch zu machen, um Platz für den Einzug des Heilands zu haben.

Dieser Ruf nach Nächstenliebe ist auch in Seyda durch die Jahrhunderte erschallt und hat vielfältiges Echo gefunden, etwa durch die Gründung und den Bestand der Arbeiterkolonie, dem heutigen Diest-Hof.

 

Ältere Menschen können sich auch heute noch an die „Thiemsche Stiftung“ erinnern: Da gab es einen reichen Mann, der um 1800 im Amtshaus wohnte und sein gesamtes Vermögen der Stadt für wohltätige Zwecke zur Verfügung gestellt hat. Immer zu Weihnachten erhielten aus diesem Fond alte und arme Bürger finanzielle Unterstützung. Das ging gut bis zur Inflationszeit: Da verfiel das Geld. An die Familie erinnert heute auch noch ein schöner Grabstein auf dem Friedhof, der älteste dort: eine Stele, die in wunderbarer Arbeit einen Schmetterling und eine Schlange zeigt, die sich in den Schwanz beißt: Symbol für das neue Leben, was das Böse zurücklässt.

 

Auch in diesem Jahr gibt es vor Weihnachten einige Aktivitäten der Nächstenliebe: Für die Aktion „Weihnachten im Schuhkarton“ packten etliche Seydaer Gaben für Kinder in der Dritten Welt ein; der Moskauer Männerchor sang, wie schon in den vergangenen Jahren, zugunsten eines Moskauer Kinderkrankenhauses; zum Weihnachtsmarkt wird am CVJM-Stand für „Hilfe für Ivona“ gesammelt; am Dienstag nach dem 3. Advent haben wir in Seyda Besuch aus einem Urwaldhospital in Afrika, was vom Kirchenkreis unterstützt wird. Und daneben wird es noch manch andere Hilfe geben, die nicht so öffentlich genannt wird, wie das ja eigentlich auch sein soll, wenn man von Herzen hilft (Mt 6,3).

 

Weihnachtspredigten

In der Geschichte der Kirche in Seyda kann man auch davon lesen, dass es Zeiten gab, in denen Weihnachten in der Kirche über den Wert der Stallfütterung predigte – „Aufklärung“ nannte man das.

Weihnachten 1954 begann Vikar Rufried Mauer seinen Dienst in Seyda. Ob er der Pfarrer war, der seine Ankunftspredigt in Seyda wie folgt begann, ist nicht klar: „Ich bin nicht gekommen, Eure Scheunen abzubrennen. Ich will ein Feuer in Euren Herzen entzünden!“

 

Weihnachtsgeschenke

Eine Erinnerung an das Alltagsleben um 1910: „Wenn man abends totmüde ins Bett konnte, bekam im Winter jedes Kind einen warmen Ziegelstein als Wärmflasche ins Bett. Und jedes Jahr zu Weihnachten gab´s ein Paar neue Holzpantinen.“ (Zeitungsartikel in der Luckenwalder Rundschau vom 1./2. November 1997 zu einem 90. Jubiläumszwillingspaar aus Seyda, Elsa Boldt und Minna Schwoch geb. Schuster).

 

Im Dezember 1936 wurde berichtet:
„Die Kirchengemeinde Seyda hat dieses Jahr ein ganz besonders schönes und großes Weihnachtsgeschenk bekommen, die erneuerte Kirche...

Und dann kam Weihnachten, das diesmal so besonders innig und froh gefeiert wurde, da wir unsere schöne, helle, warme Kirche haben..“ (Heimatgrüße 1/1936).

 

Weihnachtslicht

1913 kam der elektrische Strom nach Seyda. Die Stadt hatte einen Vertrag mit der „Energieversorgung“ abgeschlossen, dass Weihnachten 1913 das elektrische Licht brennen sollte. Die Fernleitung aus Liebenwerda konnte jedoch nicht fertiggestellt werden. So wurde am Ende der Neuen Straße (bei Mechels/Richters gegenüber, wo auch heute noch der Stromverteiler steht) eine Dampfmaschine aufgestellt, um Strom zu produzieren. In der Nacht wurde auf Batterien umgeschaltet. Manche Leute hatten einfach nur eine 15 Watt-Lampe in ihrer Wohnung. Einige besuchten nun jeden Abend jemanden anders, um zuhause Strom zu sparen... (Mündlicher Bericht von Horst Hirsch 1999.).

 

Weihnachtstheater

1928 gab es zum 2. Weihnachtsfeiertag einen Theaterabend. Das übliche Weihnachtskonzert mit der Stadtkapelle wurde mit diesem Abend verbunden.

 

Weihnachtsbrand

Noch vielen ist in Erinnerung, dass die Gaststätte Letz an einem Heiligen Abend ein Opfer von Flammen wurde. Sie stand früher an der Ecke Jüterboger Straße/Schulstraße, wo jetzt der Neubau steht.

 

Weihnachtsstollen

Früher wurde am 23. Dezember abends der Heilige Abend eingeläutet. Das war auch der Startschuß zum Stollenbacken. Die Stolle wurde dann zum ersten Mal am Heiligen Abend angeschnitten.

(aus der Seydaer und Morxdorfer Kirchenchronik)

 

 

     

 

 

Macht hoch die Tür, die Tor macht weit!

Es kommt der Herr der Herrlichkeit,

ein König aller Königreich,

ein Heiland aller Welt zugleich,

der Heil und Leben mit sich bringt,

derhalben jauchzt, mit Freuden singt:

Gelobet sei mein Gott, mein Schöpfer reich von Rat.

 

Er ist gerecht, ein Helfer wert; Sanftmütigkeit ist sein Gefährt, sein Königskron ist Heiligkeit, sein Zepter ist Barmherzigkeit; all unsre Not zum End er bringt, derhalben jauchzt, mit Freuden singt: Gelobet sei mein Gott, mein Heiland groß von Tat.

 

O wohl dem Land, o wohl der Stadt, so diesen König bei sich hat. Wohl allen Herzen insgemein, da dieser König ziehet ein. Er ist die rechte Freudensonn, bringt mit sich lauter Freud und Wonn. Gelobet sei mein Gott, mein Tröster früh und spat.

 

Macht hoch die Tür, die Tor macht weit, eu´r Herz zum Tempel zubereit. Die Zweiglein der Gottseligkeit steckt auf mit Andacht, Lust und Freud; so kommt der König auch zu euch, ja, Heil und Leben mit zugleich. Gelobet sei mein Gott, voll Rat, voll Tat, voll Gnad.

 

Komm, o mein Heiland Jesu Christ, meins Herzens Tür dir offen ist. Ach zieh mit deiner Gnade ein, dein Freundlichkeit auch uns erschein. Dein Heilger Geist uns führ und leit den Weg zur ewgen Seligkeit. Dem Namen dein, o Herr, sei ewig Preis und Ehr.

 

 

 

 „Macht hoch die Tür, die Tor macht weit!“

Wie das bekannteste Adventslied vor mehr als 300 Jahren in Königsberg entstand. Von Friedemann Behr.

 

Trotz seiner blumigen und altertümlichen Sprache von „Königszepter“ und „Zweiglein der Gottseligkeit“ ist „Macht hoch die Tür“ das bekannteste Adventslied, das von Jung und Alt durch alle Zeiten hindurch geliebt und gesungen wird. Es stammt von Georg Weissel, einem Pfarrer in Königsberg, der in den schweren Jahren des Dreißigjährigen Krieges gelebt und an den Folgen viel zu früh gestorben ist.

Über die Entstehung dieses so sehr beliebten Adventsliedes liest man Folgendes: Pfarrer Weissel, unterwegs in seiner Gemeinde, wurde von einem heftigen Schneegestöber, von der rauen Ostsee her, überrascht. Nasser Schnee setzt sich am Mantel fest, verklebt die Augen und nimmt die Sicht. Wie andere auch, sucht Georg Weissel Schutz und findet ihn am Portal des Domes. Zufällig ist gerade der Küster da und öffnet schnell und freundlich die rettende Tür, humorvoll mit den Worten: „Willkommen in diesem Hause, hier ist jeder in gleicher Weise geachtet, ob Patrizier oder Tagelöhner. Das Tor des Königs aller Könige steht jedem offen.“

Der Sturm dauert an. Während der Wartezeit gehen diese Worte Pfarrer Weissel nicht aus dem Sinn, und er schaut dabei fortgesetzt auf das wunderbare Portal des Königsberger Domes. Da entstehen, fast wie von allein, in ihm Worte und Verse. Natürlich kommt ihm dabei seine Bibelkenntnis zugute, denn er verwendet Wendungen aus dem 24. Psalm: „Machet die Tore weit und die Türen in der Welt hoch, dass der König der Ehre einziehe!“ Und er erzählt die Geschichte vom Einzug Jesu in Jerusalem, Matthäus 21,5: „Siehe, dein König kommt zu dir“. So wird „Macht hoch die Tür“, besonders der aussagekräftige letzte Vers, für viele zum jährlichen Adventsgebet, zur Bitte um diese offene Herzenstür.

Ein afrikanisches Sprichwort sagt: „Gott besucht uns öfter, aber meistens sind wir nicht zu Hause.“ Zu Hause sind wir schon, aber trotzdem bleibt unsere Tür leider verschlossen, denn jetzt, gerade in diesem Augenblick, heute, passt es uns beim besten Willen überhaupt nicht. Es liegt noch so viel vor, es fehlt einfach die Zeit, es fehlt auch die „religiöse Stimmung“, die sich im Allgemeinen nur zu Weihnachten einstellt oder irgendwann dann, wenn man alt geworden ist und sich nicht mehr selbst helfen kann.

Daher ein gutes Wort für jeden Tag der Adventszeit: „Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an“ (Offenbarung 3,20). Wer auf das Klopfen hört und dem Herrn auftut, in dessen Leben mag sich all das ereignen, was Georg Weissel in seinem Lied besingt: „O wohl dem Land, o wohl der Stadt, so diesen König bei sich hat. Wohl allen Herzen insgemein, da dieser König ziehet ein.“

In allen fünf Versen geht es um die persönliche Frömmigkeit, die Erlösung, um „meines Herzens Tür, die offen ist zu Gott“. Sicher, von Pfarrer Weissel nicht erwähnt, weil es für ihn in der Not des Krieges selbstverständlich war: Eine offene Tür für Gott öffnet auch immer meine Tür für die Menschen an meiner Seite. In dem modernen Adventslied „Wir sagen euch an den lieben Advent“, Evangelisches Gesangbuch Nr. 17, heißt es in den Strophen 2 und 3: „So nehmet euch eins um das andere an, wie auch der Herr an uns getan. ... Nun tragt euer Güte hellen Schein weit in die dunkle Welt hinein.“ Aus der Kirchenzeitung „Die Kirche“, 50/2.000, 4.

 

Kleine Weihnachtsfabel

Von Ingeborg Fülderbrandt.

„Die Tiere diskutierten einmal über Weihnachten. Sie stritten, was wohl die Hauptsache an Weihnachten sei.

“Na klar, Gänsebraten!“ sagte der Fuchs. „Was wäre Weihnachten ohne Gänsebraten!“

„Schnee“, sagte der Eisbär, „viel Schnee!“ Und er schwärmte verzückt: „Weiße Weihnachten!“

Das Reh sagte: „Ich brauche aber einen Tannenbaum, sonst kann ich nicht Weihnachten feiern.“

„Aber nicht so viele Kerzen“, heulte die Eule, „schön schummrig und gemütlich muß es sein, Stimmung ist die Hauptsache.“

„Aber mein neues Kleid muß man sehen“, sagte der Pfau, „wenn ich kein neues Kleid kriege, ist für mich kein Weihnachten.“

„Und Schmuck!“ krächzte die Elster, „jedes Weihnachtsfest kriege ich was: Einen Ring, ein Armband, eine Brosche oder eine Kette, das ist für mich das Allerschönste an Weihnachten.“

„Na, aber bitte den Stollen nicht vergessen“, brummte der Bär, „das ist doch die Hauptsache. Wenn es den nicht gibt und all´ die süßen Sachen, verzichte ich auf Weihnachten.“

„Mach´s wie ich“, sagte der Dachs, „pennen, pennen, das ist das Wahre. Weihnachten heißt für mich: Mal richtig pennen!“

„Und saufen“, ergänzte der Ochse, „mal richtig einen saufen und dann pennen“ - aber dann schrie er „Aua“, denn der Esel hatte ihm einen gewaltigen Tritt versetzt: „Du Ochse, denkst Du denn nicht an das Kind?“ Da senkte der Ochse beschämt den Kopf und sagte: „Das Kind, ja, das Kind, das ist doch die Hauptsache.“ - „Übrigens“, fragte er dann den Esel: „Wissen das die Menschen eigentlich?“

 

   Weihnachtsgruß aus Mainz

Aus dem Gemeindebrief der uns befreundeten Auferstehungsgemeinde, 2000.

 

Liebe Mitchristen,

wie viele wirklich fröhliche Tage haben Sie im vergehenden Jahr erlebt?

Wie viele Sorgen haben Sie in Ihrem Herzen hin- und hergeschoben?

Wie viele Versöhnungen haben Sie gefeiert?

Wie viele erschütternde Nachrichten haben Sie gelesen?

Wie viele Katastrophenbilder gesehen?

Wie viele Liebeserklärungen haben Sie gehört?

Wie viele Anfeindungen erlebt?

Ein Jahr bringt uns allen

Zwiespältiges, Zweideutiges, Zweifelhaftes.

Lassen Sie uns Station machen

und einkehren

bei Gottes

JA.

 

Ich wünsche Ihnen ein eindeutiges Christfest:

Ihr Stefan Claaß, Pfr. in Mainz.

     Polnisches Weihnachtslied

 

Als die Welt verloren, Christus ward geboren!

In das nächt´ge Dunkeln fällt ein strahlend Funkeln.

Und die Engel freudig singen, unterm Himmel hört man´s klingen: Gloria, Gloria, Gloria in excelsis Deo!

 

Und die Engelscharen bei den Hirten waren,

brachten frohe Kunde von des Heilands Stunde:
„Bei den Herden nicht verweilet und nach Bethlehem hin eilet!“
Gloria, Gloria, Gloria in excelsis Deo!

 

Zu dem heilgen Kinde eilten sie geschwinde,

konnten staunend sehen, was da war geschehen:
Gott im Himmel schenkt uns allen mit dem Kind sein Wohlgefallen: Gloria, Gloria, Gloria in excelsis Deo!

 

 

Stille Nacht

 

Aus dem Krippenspiel in Zemnick im Jahr 2.000.

Von Enrico Kettmann aus Elster.

 

Kalte Nacht, Dezembernacht,

Die Hirten sind bei Wind und Wetter wach.

Voller Hoffnung in grausiger Zeit,

Ziehen sie viele Meilen weit

Zum Kind, das sie erlösen soll,

Das sie erlösen soll.

 

Kalte Nacht, feindliche Nacht,

Sogar Könige haben sich aufgemacht,

Um zu ehren das einzige nächtliche Licht,

Ein Stern in der Dunkelheit - einzige Sicht.

Heute sind sie wie alle Menschen,

So wie du und ich.

 

  Weihnachten in der Kindheit.

Weihnachten, der Heilige Abend: das weckt Erinnerungen, meist schöne Erinnerungen an die Kindheit. Wenn man sie erzählt, ist es wieder ein wenig wie damals, und vielleicht kann man dies oder das herüberholen ins Heute.

Weihnachten: da denke ich an die Christvesper: die große, mit Kerzen erleuchtete Kirche, in die wir Kinder in großer Schar als „himmlische Heerscharen“ einzogen, als die Engel mit weißen Umhängen und Kerzen, alles wurde hell: „Euch ist heute der Heiland geboren!“

Der Heilige Abend zuhause: da läutete eine Glocke, wir durften ins Weihnachtszimmer einziehen. Unter dem Christbaum sagte ich die Weihnachtsgeschichte auf, wir sangen alle miteinander: „O du fröhliche“. Die Freude dann natürlich über die Geschenke, am eindrücklichsten aber die Freude, die eigenen Gaben zu überreichen, an denen ich oft wochenlang heimlich gebastelt hatte: das Erstaunen, die Freude der Eltern.

Wir hatten meistens auch Gäste: „Lade einen Einsamen ein!“ stand im Schaukasten der Kirchengemeinde mit großen Buchstaben, und so saßen bei uns dann am Heiligen Abend einige Alleinstehende aus der Nachbarschaft, alle einen kleinen geschmückten Weihnachtsbaum vor sich, und wir teilten die Weihnachtsfreude miteinander. Gesungen haben wir, die alten Lieder, und ein neues Spiel ausprobiert, vom Gabentisch. Und die elektrische Eisenbahn fahren lassen, die in jedem Jahr neue Kreise bekam und zu Weihnachten aufgebaut wurde.

Um 10 Uhr abends dann durfte ich, als ich größer war, mit den Jugendlichen der Gemeinde durch unser Städtchen ziehen. Erst einmal gab es natürlich viel zu erzählen von den Gabentischen, und jeder hatte etwas Kleines davon mitgebracht. Mit der Trompete und den Gaben gingen wir dann los: Wirklich eine „Heilige Nacht“, ganz still war es, überall leuchteten die Tannenbäume hinter den Fenstern. Wir zogen zu den Menschen, die Weihnachten arbeiten mußten: Zuerst an die Klosterpforte, dann zu den Pförtnern und Nachtwächtern der großen Betriebe, der letzte Zugführer der Eisenbahn wartete schon immer auf uns - im Bahnhof hatten die Trompetenklänge eine besondere Akustik; die Polizeistreife, auch die Staatssicherheit war besetzt und bekam ein silbernes Schokoladenherz durch das Gitter gereicht, schließlich das Krankenhaus.

Es ist eine ganz besondere Nacht: Christus ist geboren, und sein Licht strahlt bis an die Enden der Erde; auch und gerade dahin, wo die Traurigkeit und der Kummer wohnt. Es ist der Frieden mit Gott, den Christus bringt, zu allen Menschen. Wer sich von ihm anrühren und in Bewegung setzen läßt, der bekommt eine große Kraft zum Leben: Das wünsche ich uns allen auch an diesem Weihnachtsfest im Jahr 2002.

Thomas Meinhof.

 

Die Jahreslosung für das Jahr 2.003:

 

Ein Mensch sieht,

was vor Augen ist.

Der Herr aber

sieht

das Herz an.

1 Sam 16,7

 

 

 

„Stille Nacht,

heilige Nacht“

-

Das Wunder

der Heiligen Nacht.

 

Weihnachten

in russischer Kriegsgefangenschaft,

erlebt und aufgeschrieben

von Erhard Schlüter aus Naundorf.

 

Erhard Schlüter wurde in den letzten Kriegsmonaten 1945 im Alter von 17 Jahren noch Soldat und kam in russische Kriegsgefangenschaft. Über das Erlebte und Erlittene mußte er viele Jahrzehnte schweigen, obwohl er es nie vergessen konnte. Sehr oft hing sein Überleben an einem seidenen Faden, nur durch viele große und kleine Wunder konnte er die Heimat wiedersehen. Eines der ergreifendsten Erlebnisse hatte er zu Weihnachten 1946:

 

Es war bitterkalt. Obwohl die Rekordwerte des Winters 1941/42 noch längst nicht erreicht wurden, machte uns die Kälte schwer zu schaffen. 20 bis 25 Grad unter Null, dazu oft noch ein eisiger Schneesturm, das brachte für die 700 deutschen Kriegsgefangenen, die sich in diesem Lager südlich von Moskau befanden, zusätzliche Belastungen. Man hatte uns zwar inzwischen mit Winterbekleidung ausgerüstet, doch die meisten von uns befanden sich in einem derart schlechten Gesundheitszustand, daß ihre Körper der Kälte einfach keinen Widerstand mehr leisten konnten. Schuld war daran in erster Linie die völlig unzureichende Verpflegung.

Dazu kam, daß wir die Schikanen des sowjetischen Lagerkommandanten immer mehr zu spüren bekamen. Hilflos mußten wir seinen Haß auf alles, was mit Deutschem zusammenhing, über uns ergehen lassen. Ganz besonders schlimm wurde es, wenn er dem Alkohol kräftig zugesprochen hatte. Leider kam dies immer häufiger vor. Niemandem von uns waren die Ursachen seines „Deutschenhasses“ bekannt. Hatte er im Krieg Schlimmes erlebt? Hatte er Angehörige, womöglich seine ganze Familie, verloren? Keiner wußte es. Wir alle waren seinen Wutanfällen schutzlos ausgeliefert.

Mit dem Winter war auch die Weihnachtszeit gekommen. Das zweite Weihnachten nach Kriegsende. Für mich war es das zweite Weihnachten, das ich hinter Stacheldraht verbringen mußte. Für Millionen Menschen war es ein Fest des Friedens, ein Fest der Familie und ein Fest, das neue Hoffnung ausstrahlen sollte. Was war es aber für die fast 700 Kriegsgefangenen in diesem Lager, mitten im winterlichen Rußland? Friede, er war wohl hier noch weit entfernt. Von Freude konnte man wahrlich auch nicht sprechen, denn worüber sollten wir uns noch freuen? Ein Fest der Familie war es schon gar nicht, da keiner etwas von seinen Angehörigen wußte. Und Hoffnung, konnten wir noch hoffen? Es war schwer, und es gehörte schon Mut dazu, in dieser Situation die Hoffnung nicht aufzugeben.

Trotz allem versuchten wir doch eine etwas weihnachtliche Atmosphäre zu schaffen. Die deutsche Lagerleitung hatte erreicht, daß kleine Nadelbäume in den Unterkünften aufgestellt werden durften. Eine größere Fichte, die mitten auf dem Lagerplatz stand, wurde als Weihnachtsbaum hergerichtet. Statt Lametta und Glaskugeln dienten Eis und Schnee als Schmuck. Dazu wurde der Baum mehrmals mit Wasser übersprüht. Die Kälte besorgte das Ihrige. Es entstanden unterschiedlichste Eiszapfen in bizarren Formen. Danach wurde das Ganze mit Pulverschnee überstreut, und der Baum bekam ein beinahe märchenhaftes Aussehen. Nur die brennenden Kerzen fehlten noch. Obwohl sich einige viel Mühe machten, die gedrückte Stimmung konnte nicht beseitigt werden.

 

Es kamen zwei Ereignisse hinzu, die unsere Lage noch hoffnungsloser machten. Am Tag vor Heilig Abend, also am 23., hatte der sowjetische Lagerkommandant wieder mal einen Wutanfall. Er ließ acht Kriegsgefangene in den eiskalten Karzer sperren. Die Begründung war Sabotage. Sie würden nicht genug arbeiten, die Norm nicht erfüllen und die anderen aufhetzen. Der Karzer war kein festes Gebäude, sondern ein einfacher Bretterschuppen. Durch die Ritzen wehte der Wind nicht nur den Schnee, sondern auch die Kälte. Da jegliches Mobiliar fehlte, gab es keinerlei Sitz-, geschweige denn Liegemöglichkeiten. Konnte sich der Inhaftierte vor Erschöpfung nicht mehr auf den Beinen halten, so war er gezwungen, sich auf den steinhart gefrorenen Boden zu legen. Nur zu oft bedeutete dies ein grausames Ende.

Am 24. Dezember kam dann der nächste  Hammer. Diesmal war es Diebstahl. Die Betreffenden gehörten zu einem Arbeitskommando, das im Kartoffelbunker eingesetzt war. Es war ein barackenähnlicher Bau, der aber in die Erde versenkt war. Hier waren größere Mengen Kartoffeln, nicht nur für unser Lager, sondern auch für andere Betriebe eingelagert.

Die Gefangenen hatten die Aufgabe, diese Kartoffel zu verlesen. Eine recht angenehme Arbeit, denn sie waren nicht der grimmigen Kälte ausgesetzt. Doch Hunger tut weh und rohe Kartoffeln schmecken nicht besonders. So wollten sich einige ein paar Kartoffeln mit hinaus nehmen. Vier bis maximal acht Kartoffeln, wie wir später erfahren sollten.

Aber es ging schief. Vor dem Lager gab es eine große Razzia, und alle, die ein paar Kartoffeln bei sich hatten, landeten im Karzer. Es sollte noch schlimmer kommen. Der sowjetische Kommandant ließ ihnen die Pelze abnehmen mit der Begründung, daß diese nur für die Arbeit gedacht sind. So wurden sie ohne Pelz oder Mantel in den eiskalten Schuppen gesperrt. Verständlicher Weise war alle Weihnachtsstimmung auf dem Nullpunkt.

 

Es war schon fast Abend, als die deutsche Lagerleitung mit der Bitte, die Inhaftierten doch wenigstens zum Weihnachtsfest frei zu lassen, beim sowjetischen Kommandanten vorsprechen konnte. Mit wüsten Beschimpfungen warf er sie hinaus. Auch der Versuch des deutschen Hauptmanns, in einem persönlichen Gespräch von Offizier zu Offizier noch eine Wende zu erreichen, endete mit dem gleichen Ergebnis. Sichtlich niedergeschlagen teilte er es den Lagerinsassen mit. In dieser gedrückten Stimmung kam von ihm der Vorschlag, diesen Heiligen Abend im Freien, in der Kälte um den mit Eis und Schnee geschmückten Tannenbaum zu begehen. Er wollte damit ein Zeichen der Verbundenheit zu den Eingesperrten setzen. Es gab keine jubelnde Zustimmung, wir nickten nur stumm mit den Köpfen. Vielleicht würde der eine oder andere von uns demnächst in diesem Eisschuppen eingesperrt werden und dann das gleiche Schicksal, mit der Aussicht auf einen qualvollen Erfrierungstod, erleiden.

 

Schweigend gingen wir zu der verabredeten Zeit hinaus. Der Schnee knirschte vor Kälte. Immerhin waren es minus 25 Grad. Wir stellten uns im großen Halbkreis um den Baum, an dem sogar einige Lichter brannten. Freilich, es waren keine bunten Weihnachtskerzen, sondern eine Art Hindenburglichter. Der Name rührte schon aus dem Ersten Weltkrieg her. In einer Papp- oder Blechform stand ein Docht, der von einem kleinen Metallständer gehalten wurde. Dadurch konnte man alle Kerzenreste oder ähnlich Brennbares nutzen. Es wurde einfach in die Form  hineingekrümelt.

So flackerten die Lichter in der sternklaren, bitterkalten Nacht am Eiszapfenbaum. Irgendwie sah es romantisch aus. Doch es war alles andere als romantisch. Hier war es ein Aufbegehen der wehrlosen Gefangenen gegen die Macht der Gewalt. Der Kommandant rief sofort die deutsche Lagerleitung zu sich und fragte wütend, was das Theater bedeuten solle. Er erhielt vom deutschen Kommandanten die sachliche Antwort, daß am vorweihnachtlichen Abend unsere Angehörigen um den geschmückten Tannenbaum sitzen. Wir fühlen uns hier mit ihnen verbunden. Darüber hinaus wollen wir unsere Solidarität zu den im Karzer frierenden Kameraden bekunden und deshalb hier draußen in der Kälte das Weihnachtsfest begehen.

Der sowjetische Kommandant tobte und gab den Befehl: „Sofort alle in die Unterkünfte!“ Wir rührten uns nicht von der Stelle. Unheimlich und doch seltsam schön flackerten die Lichter an dem in unserer Mitte stehenden Tannenbaum. Die Atemluft knisterte vor Kälte, kein Luftzug regte sich. „Sofort wegtreten oder die Wache wird alarmiert, dann wird geschossen!“ brüllte er weiter und kam dabei auf den Halbkreis zu. „Ich bin Kommandant und niemand anders hat hier zu befehlen. Die Gefangenen wurden bestraft, weil es Diebe und Verbrecher sind.“

„Wenn Sie schießen lassen, gibt es Tote. Die Männer im Karzer werden erfrieren. Tote und erfrorene Gefangene können nicht mehr arbeiten.“ ließ  der deutsche Kommandant übersetzen. Außer sich vor Wut rief er nach dem Leutnant von der Wache. Dieser alarmierte daraufhin seine Posten. 16 russische Soldaten nahmen außerhalb des Lagers, gegenüber des Halbkreises der Kriegsgefangenen, Aufstellung. Scharfe Kommandos erschallten. Unheimlich rasselten die Gewehrschlösser, als die Soldaten ihre Waffen scharf machten. Auf ein neues Kommando richteten sich ihre Gewehrläufe auf uns Gefangene.

 

Da standen wir nun. Frierend und vor Kälte zitternd sahen wir die Gewehre auf uns gerichtet. Jeden Augenblick konnte das uns vernichtende Kommando kommen. Nur eines Wortes bedurfte es. „Ogon!“ - das bedeutete „Feuer!“ Blitze würden aus den Gewehrläufen zucken, und im gleichen Moment würden sich viele von uns getroffen in ihrem Blut wälzen. Es war nur ein Moment, nur ein paar Sekunden, doch wieviel Gedanken entspringen in diesen paar Sekunden dem menschlichen Gehirn?

Jeder von uns sah die Mündung der Gewehre auf sich persönlich gerichtet. Es war wie bei einem Bild, von dem einen die Augen eines Menschen anschauen. Egal, ob du rechts oder links stehst, du fühlst immer die Blicke auf dich gerichtet. So glaubte hier jeder, daß auf ihn gezielt wird, egal, wo er stand.

Auch ich machte mir meine Gedanken. War das nun schon mein Leben? Ich war doch noch nicht einmal 20 Jahre alt. Wenn ich jetzt sterben sollte? Meine Angehörigen würden nie erfahren, wie und wo ich gestorben bin. Sollte ich einfach weglaufen? Nein, ich hatte mich zwar nie als Held gefühlt, aber ein Feigling war ich auch nicht. Vielleicht könnte man sich beim ersten Knall auf den Boden werfen und sich dann tot stellen? Andere, in erster Linie Ältere, dachten sicher an ihre Familien, an Frau und Kinder, die vergeblich auf ihren Vater warten würden. Dann der Gedanke: Es sollte vielleicht so kommen. Wir kommen sowieso nicht nach Hause, werden hier systematisch zu Tode geschunden. Was soll´s, ein Ende mit Schrecken ist besser als ein Schrecken ohne Ende. All dies und noch viele andere Gedanken gingen in diesen Sekunden durch unsere Köpfe.

 

Doch da geschah etwas Sonderbares, für alle Betroffenen völlig überraschend und unvorhergesehen. Ohne Übertreibung kann man es als ein Wunder bezeichnen. Aus der Mitte der vor Angst und Kälte zitternden Gefangenen stimmte ein Unbekannter ein Lied an. Es war „Stille Nacht, heilige Nacht“. Schon nach den ersten Worten schwoll es zu einem hundertfachen Gesang an. Wir waren nicht alle Christen, nicht jeder kannte den Text, aber hier war es eine unsichtbare Kraft, die einfach jeden zwang, mitzusingen. Es war kein geübter Chor. Es waren Stimmen von ausgehungerten Männern, die sich zu einem ergreifenden Chorgesang zusammenfanden. So standen wir in der eiskalten, klaren Nacht, geschart um einen mit Eis und Schnee geschmückten Baum, indem sich das flackernde Licht einzelner, primitiver Kerzen geheimnisvoll widerspiegelte. Und wir sangen:

 

„Stille Nacht, heilige Nacht!

Alles schläft, einsam wacht

nur das traute, hochheilige Paar,

holder Knabe im lockigen Haar.

Schlaf in himmlischer Ruh!

Schlaf in himmlischer Ruh!“

 

Der sowjetische Kommandant kam mit seinen Offizieren aus der Wache und rief die deutsche Lagerleitung zu sich. „Was soll das?“ fragte er. Der deutsche Hauptmann ließ seine Antwort übersetzen: „Es ist ein bekanntes Weihnachtslied, das heute in vielen Ländern der Erde erklingt. Wir singen es und denken dabei an unsere Angehörigen. Wir singen es auch, um unseren eingesperrten Kameraden Mut zu machen.“ Derweilen erklang die zweite Strophe, immer noch stärker werdend. Vielleicht wollten wir uns einfach die Angst von der Seele singen:

 

 

„Stille Nacht, heilige Nacht!

Hirten erst kund gemacht,

durch der Engel Halleluja

tönt es laut von fern und nah:

Christ, der Retter, ist da!

Christ, der Retter, ist da!“

 

Wir hatten vergessen, daß die Gewehre auf uns gerichtet waren. Der Dolmetscher mußte dem Kommandanten den Text übersetzen. Das Kommando „Ogon!“ blieb aus. Unwillkürlich schaute ich zu den Soldaten, die uns gegenüber standen. Ich sah, daß sich die Gewehre langsam nach unten senkten. Ohne Kommando, denn sie gingen nicht gleichmäßig nach unten. Die Soldaten blickten auf die nur 50 Meter von ihnen entfernt stehenden deutschen Kriegsgefangenen, die den Tod vor Augen hatten und jetzt ein Lied sangen, als ob sie damit in den Tod gehen wollten.

 

Was mögen die Gedanken dieser Soldaten gewesen sein? Sie standen außerhalb des Lagers, ihnen gegenüber im Lager einige hundert deutsche Kriegsgefangene. Nur ein Tor mit Stacheldrahtgeflecht trennte sie. Scharf geladen und entsichert hatten sie ihre Gewehre auf die Gefangenen gerichtet. Gleich würde das Kommando zum Feuern kommen, nur ein Wort, „Ogon!“. Dann mußten sie abdrücken, und sie mußten treffen, denn man konnte bei diesem Ziel gar nicht vorbeischießen. Die Getroffenen würden sich vor ihnen, im vom Blut rot gefärbten Schnee wälzen.

Wehrlos, vor Hunger und Kälte zitternd, standen ihnen die Gefangenen gegenüber. Im Krieg war das anders. Da schoß der Feind zurück, und man mußte sich wehren. Doch hier? Sie hatten sich teilweise in den Arbeitskommandos kennengelernt. Da waren Menschen, oft in ihrem Alter, manche auch im Alter ihrer Väter. Es waren fast alles ausgehungerte und ausgemergelte Gestalten, die teilweise mehr tot als lebend aussahen. Konnte man auf diese Menschen schießen?

Sie standen um einem mit Eis und Schnee behangenen Baum, an dem einige spärliche Lichter brannten. Dann plötzlich dieses Lied. Sie verstanden den Text nicht, aber die Melodie und die Art des Gesanges hatten etwas Ergreifendes an sich. Von Weihnachten hatten sie schon gehört, doch die meisten von ihnen hatten keine Beziehungen zu diesem Fest. Sie spürten, hier war es mehr als irgendein Fest. Langsam ließ einer nach dem anderen das Gewehr sinken. Das Kommando „Ogon!“ blieb aus, sie brauchten nicht zu schießen. Sicherlich waren die meisten von ihnen erleichtert und froh darüber.

Währenddessen hallte die dritte Strophe mit unverminderter Lautstärke in die klare Nacht hinaus:

 

„Stille Nacht, Heilige Nacht!

Gottes Sohn, o wie lacht

Lieb aus deinem göttlichen Mund,

da uns schlägt die rettende Stund:
Christ, in deiner Geburt!

Christ, in deiner Geburt!“

 

Dann war es still, unheimlich still. Nur die Wolke der Atemluft, vor Kälte gefrierend, schwebte noch über uns. Ein paar von den wenigen Lichtern war bereits erloschen. Kein Laut war zu hören. Der sowjetische Lagerkommandant unterbrach die spannungsgeladene Ruhe, indem er den deutschen Kommandanten zu sich rief: „Lassen Sie Ihre Leute wegtreten, die Gefangenen werden freigelassen.“ Der deutsche Offizier bedankte sich höflich. Er durfte die Chance jetzt nicht verspielen und den Kommandanten erneut verärgern. Deshalb bedankte er sich auch im Namen aller Kriegsgefangenen. Die Gunst der Stunde ausnutzend sprach er weiter zum Kommandanten: „Gewähren Sie mir noch eine Bitte. Wir haben hier die Heilige Nacht begangen. Lassen Sie uns hier unter dem geschmückten Baum unsere Kameraden in Empfang nehmen.“ Der russische Offizier nickte zustimmend. Beide genossen ihren Triumph. Der Russe fühlte sich als der Mächtigere. Nur er konnte entscheiden zwischen frei und wieder eingesperrt, er hatte es in der Hand, das Feuer eröffnen zu lassen. Er wußte, daß sich der deutsche Offizier vor ihm erniedrigen mußte. Innerlich als Sieger fühlte sich auch der Deutsche. Es schien so, als hätten sie durch ihre Standhaftigkeit über die Macht der Gewalt gesiegt. Doch er durfte seinen Triumph den Kommandanten nicht merken lassen, denn noch waren die Eingesperrten in seiner unmittelbaren Gewalt. Die Frage des Siegers oder des Triumphes war jetzt Nebensache, hier ging es um das Überleben von Menschen.

Der wachhabende Offizier bekam den Befehl, das Tor zum Karzer zu öffnen und die Insassen frei zu lassen. Diese konnten es am Anfang gar nicht fassen, daß doch noch alles ein gutes Ende nehmen sollte. Sie waren ja Zeugen des Geschehens geworden. Jeder hatte sich einen Spalt in der Bretterwand gesucht, um die Ereignisse verfolgen zu können. Sie sahen die Kameraden um den Eisbaum stehen, an dem sogar ein paar ärmliche Lichter brannten. Waren es Lichter der Hoffnung? Dann kamen die Posten. Sie sahen, wie sie die Gewehre entsicherten und auf die frierenden Kameraden anlegten. Gleich kommt das Kommando „Feuer“, dachten sie, und es gibt eine Katastrophe. In diesem Moment erklang das Lied von der „Stillen Nacht“. Ergreifend hörten sie den hundertfachen Chor ihrer Kameraden. Danach Stille, dann näherkommende Schritte - und das Tor öffnete sich. Gab es tatsächlich ein göttliches Wunder?

 

Die Posten forderten sie auf, herauszukommen. Immer noch ungläubig, folgten sie zögernd der Aufforderung. Es war keine Fata Morgana, es war Wirklichkeit. Einige schafften es nicht mehr allein und mußten von den anderen Insassen gestützt werden. So wankten sie durch die Tür an der Wache vorbei. Auf der anderen Seite standen schon die Kameraden mit den Pelzen bereit. Wortlos fielen sie sich in die Arme. Die letzten Lichter am Baum erloschen langsam, so als wollten sie zum Ausdruck bringen: „Die Hoffnung hat sich erfüllt, nun allen eine friedliche Nacht.“

Mit steifgefrorenen Gliedern gingen wir langsam in unsere Unterkünfte. Obwohl jene bei diesen Temperaturen nicht besonders warm waren, empfanden wir es als angenehm. Zwei einfache Ziegelöfen strahlten doch etwas Wärme aus. Denjenigen, die im Karzer gesessen hatten, wurden natürlich die warmen Plätze am Ofen überlassen. Sie nahmen die Wärme genußvoll in sich auf, die sie so lange entbehren mußten. Immer wieder bedankten sie sich für die Solidarität aller Kameraden.

Die letzten, die den Platz verließen, waren die Mitglieder der deutschen Lagerleitung. Der Hauptmann ging noch einmal zu dem sowjetischen Kommandanten und bedankte sich bei ihm mit einem höflichen Händedruck. Es war noch immer sternenklar, die Kälte mußte noch zugenommen haben. Die Lichter waren erloschen, doch der Baum glitzerte im Mondschein. Draußen standen nur noch die in dicken Pelzen eingehüllten Wachposten auf ihren Türmen. Auch sie waren, wenn auch im gewissen Abstand, Zeugen der weihnachtlichen Handlung geworden. Das Wunder der „Heiligen Nacht“ hatte alle, sicher jeden auf seine Weise, tief beeindruckt.

 

In den Öfen der Unterkünfte brannte ein helles Holzfeuer. Obwohl die ausstrahlende Wärme nicht in jeden Winkel kam, empfanden wir es heute als mollig warm. Nachdem wir über zwei Stunden in der eisigen Kälte gestanden hatten, entwich diese nur langsam unseren Körpern. Mit der Wärme kehrte die Hoffnung und somit der Lebenswille zurück.

Vertreter der deutschen Lagerleitung gingen durch die Unterkünfte und unterhielten sich mit den Männern. Der Hauptmann bedankte sich bei allen für die bewiesene Standhaftigkeit: „Wir müssen zusammenhalten, nur so können wir es schaffen und die schwere Zeit überstehen. Frohe Weihnachten kann ich Euch leider nicht versprechen. Denkt an Eure Angehörigen. Dann legt Euch hin, wir haben alle die erholsame Ruhe verdient.“ Einer von denen, die im Karzer gesessen hatten, trat noch einmal zu ihm. Wortlos fiel er ihm um den Hals. Dann sagte er leise: „Ich weiß nicht, wie wir Ihnen danken sollen. Sie haben uns das Leben gerettet.“ „Danken mußt Du schon allen,“ erwiderte er gerührt, „auch ich stand der Gewalt machtlos gegenüber. Ich glaube, uns hat eine höhere Macht geholfen.“

Er bemühte sich, uns ruhig gegenüberzutreten, doch diese übermenschliche nervliche Anspannung war auch ihm ins Gesicht geschrieben. Schließlich hatte das Erfrieren und Erschießen von ...zig Kriegsgefangenen an einem ganz dünnen Faden gehangen. So saßen wir noch lange Zeit in kleinen Gruppen beisammen, bis wir dann irgendwann, von der Müdigkeit übermannt, erschöpft auf unsere Pritschen sanken.

 

Der nächste Tag war Weihnachten. Doch es war kein Sonntag, und so warteten wir schon am Morgen auf das Kommando zum Raustreten. Auf einmal kam der sowjetische Kommandant in Begleitung der deutschen Lagerleitung in unsere Unterkunft. Er frug uns im freundlichen Ton, ob wir gut geschlafen hätten. Dann ließ er uns durch den Dolmetscher übersetzen, daß er uns heute nicht zur Arbeit schicken werde. Wir sollten unser Weihnachtsfest feiern. Er wolle auch dafür sorgen, daß es mehr zu Essen gäbe. Wir konnten es gar nicht glauben, trauten unseren Ohren kaum. War denn der Kommandant, der uns nur seinen Haß spüren ließ, doch ein Mensch? Der deutsche Hauptmann nickte uns ermunternd zu. Darauf begannen einige, Beifall zu klatschen. Andere riefen „Danke“ oder „Spasiwa Towarisch Kommandant“. Es war kein tosender Beifall, aber der sowjetische Offizier genoß ihn als Triumph und lächelte uns beim Verlassen der Baracke freundlich zu.

Früh blieb es noch bei der Standardverpflegung. Es gab eine dünne Wassersuppe, dazu ein Stück Brot. Mittags aber zeigte es sich, daß der Kommandant Wort gehalten hatte. Die Suppe war etwas dicker, also nicht wie gewohnt „Bodenseh“. Auch im Geschmack war sie besser. Dazu gab es noch ein paar Löffel Kascha, bestehend aus dickem Hirsebrei, und noch eine Scheibe Brot zusätzlich. Außerdem die doppelte Ration Tabak, also 10 statt 5 Gramm. Es war also doch noch Weihnachten geworden. Wir wurden zwar nicht satt, aber wir spürten, daß wir etwas mehr im Magen hatten. Damit erhellten sich auch die Gemüter und wir unterhielten uns in einer aufgemunterten Atmosphäre.

Gemeinsam mit meinem gleichaltrigen Kumpel saß ich auf der Pritsche. Beide genossen wir unser Festtagsmenü. Erst schlürften wir die Suppe hinunter, dann ließen wir uns den süßen Kascha schmecken; dazu eine Scheibe Brot, die wir ebenfalls mit etwas Zucker bestreut hatten. Wir hatten davon eine kleine Feiertagsreserve, da wir regelmäßig unseren Tabak gegen die süße Kostbarkeit eintauschten.

Nicht weit von mir lag ein älterer Mann, mit dem ich mich ebenfalls angefreundet hatte. Ich hatte mich öfter mit ihm unterhalten, denn er kam auch aus der Landwirtschaft und hatte selbst einen größeren Bauernhof zu Hause. Er wollte mir Brot und Zucker für meine doppelte Tabakration geben. Ich gab ihm die Scheibe Brot zurück und nahm nur den Zucker. „Heute, zu Weihnachten, sollst Du auch nicht hungern.“ sagte ich nur. So hatten wir jeder eine Scheibe Brot zusätzlich. Ich spendierte noch etwas von meinem eingetauschten Zucker, und wir konnten beide unsere Scheibe Brot damit versüßen. Ein paar Krümel blieben sogar noch für den Tee übrig. Andächtig kauten wir die mit ein paar Krümel Zucker bestreute Scheibe Brot und hatten sogar noch leicht gesüßten Tee dazu. Wer kann es ermessen, und auch kann es heute kaum mit Worten schildern, wie uns zumute war. Über eineinhalb Jahre war der Hunger unser täglicher Begleiter. Nun, zum Weihnachtsfest, hatten wir eine Scheibe Brot zusätzlich, und diese war sogar mit Zucker bestreut. Heute ist das sicher schwer zu verstehen. Nur, wer selbst Hunger erleben mußte, wird es nachempfinden können.

 

Es gab noch eine freudige Weihnachtsüberraschung. Sie bewirkte, was der eigentliche Inhalt dieses Festes sein sollte: den Menschen neue Hoffnung zu geben. Wir hatten gerade das etwas reichlichere Mittagessen hinter uns, als ein Vertreter der deutschen Lagerleitung in Begleitung eines sowjetischen Offiziers unsere Unterkunft betrat. Der Deutsche, er war als Dolmetscher tätig, hielt auf seinem Arm einen Pappkarton, in dem ein Stapel Karten lag. Es war Kriegsgefangenenpost, für uns die erste Nachricht seit dem Ende des Krieges. In der Baracke war es mäuschenstill geworden. Jeder war auf das Äußerste gespannt, ging es doch darum, ob für ihn eine Nachricht aus der Heimat dabei war. Dann wurden die ersten Namen verlesen. Jedesmal kam als Antwort „hier“ oder „ja“. Immer wieder ein Name, der aufgerufen wurde, immer wieder eine Antwort. Der Stapel war schon recht dünn geworden. Vergeblich wartete ich auf meinen Namen, er wurde aber nicht genannt. Sollte ich leer ausgehen? Ich hatte doch schon mehrmals geschrieben, hatte jede sich bietende Gelegenheit genutzt, um eine Nachricht abzuschicken. War auch meine Heimat, vor allem meine Angehörigen, Opfer des Krieges geworden?

Enttäuscht und mit schlimmen Gedanken belastet verkroch ich mich auf meine Pritsche. Plötzlich hörte ich meinen Namen rufen. Oder hatte ich mich verhört? Dann aber klang es laut: „Schlüter, willst Du Deine Post nicht?“ Jetzt gab es keinen Zweifel mehr! Ich eilte zur Mitte des Raumes und nahm mit zitternden Händen eine Karte entgegen. Graues Papier, darauf ein rotes Kreuz. Darunter las ich meinen Namen, Kriegsgefangener Erhard Schlüter, UdSSR, Lager 7406/6. Ich war schon fast auf meinem Platz, als ich noch ein zweites Mal aufgerufen wurde. Gerade als ich mich umgedreht hatte, erklang mein Name zum dritten Mal.

Fast zwei Jahre hatte ich auf diesen Moment gewartet, hatte jeden Tag ein Lebenszeichen von meinen Eltern und Schwestern herbeigesehnt. Nun hielt ich es in meinen Händen. Ich hatte gleich drei Karten bekommen. Auf der ersten las ich als Absender die Anschrift meiner Eltern. Ich erkannte die Handschrift meines Vaters. Dann drehte ich die Karte langsam um. Es muß ausgesehen haben, als ob ich Angst hatte, daß ein Wort oder auch nur ein Buchstabe herunterfallen könnte. Nun hatte ich die Nachricht vor mir, auf die ich so lange mit Sehnsucht gewartet hatte. Es waren nur sechs Zeilen, aber ich habe sie immer wieder gelesen. Jedes Wort, jeden Buchstaben, so, als ob ich einen Strich übersehen könnte.

Ich weiß nicht, wie ich mich ausdrücken soll, um meine damaligen Gefühle zu schildern; und ich schäme mich heute noch nicht, daß mir damals beim Lesen die Augen feucht wurden. Über fünf Jahrzehnte sind seitdem vergangen, aber ich habe die Worte von meiner ersten Karte noch im Gedächtnis, und ich werde sie bis an mein Lebensende in Erinnerung behalten:

 

Lieber Erhard!

Endlich ein Lebenszeichen von Dir.

Wir haben schon fast verzweifelt. Wir sind gesund und hoffen von Dir das gleiche. Mit Sehnsucht erwarten wir Deine Heimkehr.

Herzliche Grüße, Deine Eltern und Deine Schwestern.

 

Dann fiel mir ein, daß ich ja noch zwei Karten erhalten hatte. In meiner quälenden Ungewißheit hatte ich auch an Verwandte geschrieben. Einfach für den Fall, daß zu Hause etwas Schlimmes passiert sein könnte. Eine Karte schickte ich nach Leipzig, wo ein Onkel und eine Tante von mir wohnten, die andere an Familie Müller, unsere engsten Verwandten in meinem Heimatort. Nun hatte ich von beiden eine Antwort, die sinngemäß lautete: Lieber Erhard, Deine Eltern und Schwestern leben. Sind alle gesund und hoffen auf Deine baldige Heimkehr. Danach die üblichen Grüße. Erleichtert nahm ich alles in mir auf. Es waren zwar nur ein paar Sätze, aber diese Sätze gaben mir wieder Lebensmut. Ich hatte noch Angehörige, die mit Sehnsucht auf mich warteten. Ich hatte noch Verwandte, die an meinem Schicksal teilnahmen. Ich hatte noch eine Heimat und ein Zuhause. Von der Ungewißheit erlöst richtete ich mich befreit auf. Meine Kameraden freuten sich mit mir. Zwei gute Freunde, einer aus Tirol, der andere aus dem westlichen Deutschland, hatten ebenfalls Post von ihren Eltern erhalten. Wir hatten uns viel zu erzählen, so, als ob wir seitenlange Briefe erhalten hätten.

 

Bei diesem heiteren Gespräch fiel unbeabsichtigt mein Blick auf meinen älteren Freund Richard Hagen. Erst jetzt wurde mir bewußt, daß sein Name nicht gefallen war. Still saß er auf seiner Pritsche, denn er war, was Post betrifft, leer ausgegangen. Ich konnte nachfühlen, was in ihm vorging und ging deshalb zu ihm, um ihn zu trösten. „Nun wird ja öfter Post kommen. Beim nächsten Mal wirst Du schon dabei sein. Komm, ich hab ein bißchen Tabak mitgebracht. Steck Dir eine selbstgedrehte an und freu´ Dich ein wenig mit mir.“ Er wollte mit der Begründung ablehnen, daß er nichts als Gegenleistung zu bieten hatte. „Laß man gut sein“, sagte ich, „die Karte von meinen Eltern war mit so viel wert wie ein großes Paket. Freu´ Dich mit mir, Du bist mein Freund, und ich gebe es Dir gerne.“

So saßen wir beieinander. Ich, ein neunzehnjähriger Jüngling, den der Krieg zum Mann gemacht hatte, und er, ein vierzigjähriger Familienvater. Unser Gespräch führte uns in die Heimat. Er erzählte wieder von seinen beiden Söhnen, die jetzt 14 und 16 Jahre waren, und von seinem schönen Bauernhof, den er in Mitteldeutschland besaß. „Ein Glück, daß meine Jungen nicht mehr in den Krieg mußten, aber mit 12 und 14 waren sie Hitler doch noch etwas zu jung.“ Ich schwärmte von meinen Eltern und von meinem Zuhause. Dabei genoß Richard die Zigarette, auch wenn der Tabak nicht von besonderer Qualität war. So verging der Weihnachtsnachmittag, wie wir es an den Vortagen nicht mal zu träumen gewagt hätten. Auch wenn ein Teil von uns keine Post erhalten hatte und somit weiter in Ungewißheit blieb, sie freuten sich mit denen, die heute zum ersten Mal Post bekommen hatten.

So wie mein Freund Richard Hagen, der mit mir zusammensaß, und dem ich meine Karten zum Lesen gegeben hatte. Er war dankbar für meine Anteilnahme, obwohl ich nicht viel älter als seine Söhne war. Ich hatte ihm an meiner Freude teilhaben lassen und damit auch ihm Mut und neue Hoffnung gegeben.

 

Auszug aus dem Buch „Jugendjahre hinter Stacheldraht“ von Erhard Schlüter, im Handel erhältlich. Wir danken dem Verfasser für die Erlaubnis, es abzudrucken.

 

*** Maria ******************************

Drei Geschwister sind einmal in der Zeit vor Weihnachten auf den Gedanken gekommen, Krippenfiguren aus Ton zu kneten: Maria und Josef, das Kind in der Krippe, dazu Hirten und Engel, viele Schafe und Ziegen, Ochs und Esel und die Weisen aus dem Morgenland.

Das soll erst ganz friedlich zugegangen sein. Aber plötzlich haben sie laut miteinander gestritten. Eins der Geschwister hat nämlich der Maria einen Wassereimer in die Hand gegeben. Und eins hatte die Maria knieend und betend dargestellt. Und das dritte hatte das Jesuskind der Maria einfach in den Arm gelegt.

„Maria hat doch nicht den ganzen Tag gekniet und gebetet! Sie hat doch auch Wasser holen müssen, um das Kind zu waschen und die Windeln doch auch“ – sagte das eine Kind, das an den Wassereimer gedacht hatte. Und das andere sagte: „Ja, aber sie hat doch auch über das Wunderbare nachgedacht, dass sie dieses Kind bekommen hat und Gott der Herr es ihr geschenkt hat.“ Und die dritte sagte: „Wir müssen auch daran denken, dass sie es auf den Arm genommen hat und ganz einfach lieb gehabt hat...!“

Was nun? Es ist nicht einfach, die richtige Maria zu finden. Vielleicht haben die drei Geschwister jede ihrer drei Marias unter den Weihnachtsbaum gestellt, vielleicht abwechselnd: einmal, wie sie das Kind im Arm hat und einmal, wie sie anbetet und staunt über das Wunder...

Und nun wollen wir einmal schauen, was von Maria in der Bibel steht. Einmal nämlich hat der Evangelist Lukas nicht nur von Maria geschrieben, sondern sie selbst zu Wort kommen lassen, wie sie selbst sagt, was ihr geschehen ist – und wie sie Gott den Herrn gelobt hat:

 

„Meine Seele erhebt den Herrn, und mein Geist freut sich Gottes, meines Heilandes.

Denn er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen.

Siehe, von nun an werden mich selig preisen alle Kindeskinder.

Denn er hat große Dinge an mir getan, der da mächtig ist und dessen Name heilig ist. Und seine Barmherzigkeit währt von Geschlecht zu Geschlecht bei denen, die ihn fürchten.

Er übt Gewalt mit seinem Arm und zerstreut, die hoffärtig sind in ihres Herzens Sinn.

Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen. Die Hungrigen füllt er mit Gütern und lässt die Reichen leer ausgehen. Er gedenkt der Barmherzigkeit und hilft seinem Diener Israel auf, wie er geredet hat zu unsern Vätern, Abraham und seinen Kindern in Ewigkeit.“

(Lukas 1).

 

Sieben weihnachtliche Segenswünsche

(von Erich Esslinger)

Wie der Stern über dem Stall von Bethlehem stehen blieb, so möge Gott sein Licht auch über deinem Leben leuchten lassen.

Wie die Engel den Frieden auf Erden verkündeten, so möge Gottes Frieden auch dein Haus und dein Herz erfassen.

Wie die Tür im Stall von Bethlehem allen offen stand, so möge auch Jesus die die Tür zum Leben sein.

Wie Ochs und Esel die Krippe ihres Herrn kannten, so mögest auch du erkennen, dass Gott es gut mit dir meint.

Wie Maria alle Worte in ihrem Herzen bewegte, so mögest auch du dich von Gottes Wort bewegen lassen.

Wie Josef für Maria und das Kind sorgte, so mögest auch du dich der Menschen annehmen, die Gott dir anvertraut hat.

Wie das Kind von Maria und Josef zugleich Gottes Kind war, so mögest auch du immer Gottes Kind sein und – bleiben.

 

Aus dem Inhalt

 

Die Weihnachtsgeschichte

 

Weihnachten in Seyda -

Anekdoten aus der Heimatgeschichte  

 

Macht hoch die Tür -

Wie das Lied entstand                

 

Kleine Weihnachtsfabel

 

Weihnachtsgruß aus Mainz

 

Polnisches Weihnachtslied

 

Stille Nacht - von Enrico Kettmann

 

Weihnachten in der Kindheit 

 

Weihnachtskrippe zum Selberbasteln 

 

Jahreslosung 2003

 

„Stille Nacht, heilige Nacht“-

Ein Erlebnis in russischer Kriegsgefangenschaft

 

Maria

 

Sieben weihnachtliche Segenswünsche

 

Der CVJM Seyda wünscht Ihnen ein gesegnetes Christfest!