Die
Geschichte
der
Kirche
in
Zemnick.
Vielen Dank allen, die zu
dieser Chronik beigetragen haben, insbesondere Frau Elly Zimmermann geb.
Pötzsch aus Zemnick für ihr freundliches Erzählen und geduldiges Auskunftgeben,
Herrn Max Herbert Rietdorf aus Gadegast, jetzt Sierksdorf, der sehr viel
Material zur Verfügung gestellt hat, und Frau Irmgard Grützbach aus Ruhlsdorf,
die alles sortierte und zusammenstellte.
Das Heftchen ist für die
Zemnicker und ihre Freunde geschrieben und will davon berichten, wie sich der
Glaube der Väter und Mütter in Freud und Leid durch die Zeiten hindurch bewährt
hat.
Gott schütze Zemnick!
Vor fast 1.000 Jahren
beginnt die Geschichte der Kirche in Zemnick. Da kamen Missionare über die Elbe
in das Land der Wenden. Die Wenden haben Zemnick wohl einmal angelegt, denn der
Name kommt aus ihrer Sprache, und die Anlage in Hufeisenform ist typisch für
ein Wendendorf: Das Vieh konnte in der Mitte leicht abgeschlossen und überwacht
werden, die zusammengerückten Wirtschaften boten auch einigen Schutz vor
Angreifern. Das Dorf lag recht verborgen, ringsum waren Sümpfe, und nur die
Einheimischen kannten die Wege zum Dorf.
Die sächsischen Stämme,
die wenig später in das Land eindrangen, hatten nicht nur friedliche Absichten.
Sie wollten sich die Wenden oft abhängig machen und legten ihnen bisweilen
schwere Frondienste auf, aus denen sie sich dann mit Kriegen zu befreien
suchten. Helmold von Bosau, ein Chronist aus der Zeit, der selbst Pfarrer war,
bedauert, wie das Licht des Evangeliums immer wieder durch die Habgier der
Sachsen verdunkelt werden konnte.
Schließlich wurden die
Wenden ganz verdrängt, oder sie gingen in der neuen Bevölkerung, die aus dem
Westen herzuströmte, auf. Im Zemnicker Kirchenbuch kann man zum Beispiel lesen,
wie sich der slawische Familienname „Eila“ in den Namen „Eule“ wandelt. Die
Sprache der Wenden aber blieb im Ortsnamen und in einigen Flurbezeichnungen
erhalten: die „Briesen“ zum Beispiel, ein Birkengehölz Richtung Meltendorf, von
dem slawischen Wort „brezza“ abgeleitet, die „Sahnschken“, die „Batschken“, die
„Klietschken“. Martin Luther fand bei seinen Visitationen noch die Predigt in
wendischer Sprache und auch ein wendisches Vater Unser vor:
Wotce nas, kis syw njebjesach / swjec so Twoje mjeno / princ
knam Twoje kralestwo / stain so Twoja wola / kaz na njebju tak na zemi / wsedny
chleb nas daj / nam dzens a wodaj nam nase winy / jako my tez wodawamy swojim /
winikam a njewjedz nas do spytowanja / ale wumoz nas wot zleho / amen.
Im Jahre 1620 wurden in
Jessen noch drei wendisch sprechende Einwohner verzeichnet.
Die Wenden hatten ihre
eigenen Götter. Einer von ihnen war der „Jutre-Bog“, an denen heute noch der
Name der in der Nähe liegenden Stadt erinnert. Sie opferten an heiligen Stätten
in den Hainen, und auch das Menschenopfer war ihnen nicht fremd. So gab es
unter den tapferen Mönchen, die sich in das Gebiet der Wenden mit der Frohen
Botschaft wagten, nicht wenige Märtyrer.
So wird die erste Kirche
in Zemnick, von der wir keine Urkunden haben, wohl ähnlich wie ihre alten
Geschwister in Gadegast, Mellnitz und Morxdorf vor etwa 850 Jahren aus
Feldsteinen gebaut worden sein. In den Altar wurden Knochen eines Märtyrers
eingemauert zum Zeichen, daß diese Kirche mit der weltweiten Christenheit
verbunden ist. Es war gewiß eine Wehrkirche, in denen man auch Zuflucht finden
konnte, wenn Feinde in das Dorf eindrangen. Die Fenster waren sehr schmal, im
Inneren war es dunkel, nur am Altar brannten die Kerzen. Gesungen wurde sowieso
auswendig, und meist wird das auch nur der Priester allein getan haben. Zeugnis
davon geben die Kirchenbücher, die das kirchliche Leben festgehalten haben. Auf
einer Karte von 1749 ist die Kirche auch verzeichnet.
Um 1150 gelang es
Albrecht dem Bären, die Wenden endgültig zu unterwerfen. Über 350 Jahre, seit
Karl dem Großen, hatte der Kampf gedauert.
Doch gehen noch einige
Jahrhunderte dahin, bis wir Zemnick auch urkundlich belegt finden, meistens zu
Grundstücksangelegenheiten und zu Frondiensten:
1385 wird „Cemenick“
erwähnt, 1432 sind bei Zemnick Viehweiden für mehrere Dörfer: „Ich Heinrich Friedrich und Apitz Gebrüder
Schenken von Landsberg und Heinrich Ritter und Hans, auch Gebrüder und unser
Vettern Schenken von Landisberg, Herrn zum Tuptzke, geben den Dorfherrn Gategast,
Cymmenik, Jablentz und Rolthorff Bestätigung ihrer Viehtrifft im Czemnick.
Montag vor Thomi apostoli 1432.“
(Bild: erste urkundliche
Erwähnung)
Die ordentliche
Geschichtsschreibung für Zemnick beginnt im Jahre 1501. Da kauft der sächsische
Kurfürst Friedrich der Weise das Land um Seyda für 20.000 Meißner Gulden, um
ein Wittumsamt zu errichten. Die kursächsischen Witwen wohnten auf der
Lichtenburg bei Prettin, und zu ihrer Ernährung sollte das neugeschaffene Amt
Seyda mit den umliegenden Dörfern beitragen.
1508 wird verzeichnet:
„Es gehört auch zu floße Seydaer der zcemig mit geholtz und
wesen, stoßt ein seyten an die wüsten margken Rostock und Gabelentz, anders
tyls an der Letzer feldmargke, der dritte ordt an die wüste margk Grube und an
Schadewalder geholtze, der vierte ordt an Ziemnigker geholtze und feldmargke.
Zwischen dem Zcemnig und der leyptzker holtz geht ein wegk zwischen zweyen
graben.
Die Nutzung im Zcemnig haben die Dorffer Zcemnig, Schadwalde,
Gathegast, und die Letze, so haben auch die zur Zcalmestorff einen ordt im
Zcemnig, die beckwiesen genannt - darump sie auch mit irem vyhe und pfherden
die hutung im Zcemnig haben.
Der Zemnick, darinnen 167 Acker Wiesewachs, eine viertel Meile
lange, Erlen und Birkenholz und etliche Eichen.“
Die durchschnittliche
„Hufenzahl“ eines Bauerngutes wird für 1506 mit zwei bis drei Hufen angegeben.
Das ist wohl eine typische Größe für wendische Wirtschaften. Eine Hufe Land
umfaßt etwa acht Hektar. In Zemnick werden nur 11 Hufen genannt, von denen der
Richter 2 freie Erbhufen hat, sonst gehört zu jedem Erbe 1 Hufe. 1550 werden 11
besessene Mann mit 11 Hufen aufgeführt, davon sind 6 Gärtner. Die Namen der
Besitzer sind: Joachim Reiche (der Richter), Peter Michel, Lamprecht Probst,
Jeronimus Brandt, Simon Dornbergk, Paul Dichele, Brosius Dile, Barttel Blatte,
Lamprecht Beutler, Valten Richter, Caspar Knese. Demzufolge ist der Name
Richter schon sehr lange in Zemnick zurückzuverfolgen. 15 Generationen auf der
gleichen Scholle sind heute lückenlos nachweisbar.
1550 mußten an Abgaben
aus Zemnick abgeführt werden: 36 Zinshühner, 9 Rauchhühner, Getreide, außerdem
Geld: für Holz aus dem Wald, für die Weide, und Küchengeld als Ablösung für
ehemalige Leistungen an die herrschaftliche Küche, zum Beispiel das Anfahren von
Küchenholz. Ein „Geschoß“, das sind vier „Schock“ (60 Stück) von den Hufen und
drei Schock Viehgeschoß mußte an Michaelis (im September) bzw. an Weihnachten
gezahlt werden. Dazu kamen mancherlei Frondienste. Der Richter muß mit den
anderen Lehnsrichtern im Amt Seyda die Grenzen und die Straßen bereiten helfen,
so oft es gefordert wird. Er muß das Getreide von den Amtsfeldern einfahren,
auch die Amtsleute bis auf 6 Meilen chauffieren. Die Hüfner haben Getreide und
Mist zu fahren, beim Pflügen zu helfen, die Netze auf der Jagd aufzustellen,
Küchenholz zu hauen, Zäune zu bauen, Gras zu mähen und zu wenden und Heu zu
machen.
Die kirchlichen Beiträge
waren demgegenüber gering: Im Jahre 1528 hatten die Zemnicker neun Groschen
Opfergeld, dazu einen einen Groschen Zins und 15 Scheffel Korn (=...) an den
Pfarrer in Gadegast abzuführen.
So war die Zemnicker
Gemeinde über Jahrhunderte mit der Pfarrstelle Gadegast verbunden. Ludwig der
Fromme, der Sohn Karls des Großen, hatte einmal zur Unterhaltung der Pfarrer
bestimmt, daß ihnen vier Hufen Land (ca. 32 ha) zugewiesen wurden. So hat man es
auch noch danach, als in neuem Land missioniert wurde, gehalten, und so kann
man es bis auf den heutigen Tag sehen, daß Gadegast und Seyda alte Pfarrorte
waren, denn sie haben noch immer in dieser Größenordnung Kirchenacker.
Noch in unserem
Jahrhundert kam der Gadegaster Pfarrer Voigt sonntags früh um zehn Uhr mit der
Kutsche zur Kirche in Zemnick. Der letzte Kutscher, Richard Bernholz, wurde
1993 in Gadegast beerdigt. Die Zemnicker hatten zur Erhaltung des Pfarrhauses
in Gadegast beizutragen, lange Zeit gingen sie auch dort zur Schule. Etliche
alte Zemnicker sind in Gadegast noch zur Konfirmandenstunde gegangen.
Aus der ersten Kirche in
Zemnick sind die Holzfiguren erhalten, die auch jetzt in Zemnick Zierde des
Gotteshauses sind. Sie stammen aus der Zeit vor der Reformation, waren
zwischenzeitlich einmal bunt und wurden in den 80iger Jahren restauriert.
Paulus und Maria sind in ihnen dargestellt. Paulus, der Apostel, der das
Evangelium bis nach Europa brachte und aus dessen Briefen wir im Gottesdienst
hören, starb für seinen Glauben den Märtyrertod unter dem Kaiser Nero. Deshalb
hat er ein Schwert in der Hand. Maria hält das Jesuskind sowie eine Erdkugel.
Sie steht auf einer Mondsichel und ist die Himmelskönigin, die im letzten Buch
der Bibel beschrieben wird: „Und es
erschien ein großes Zeichen am Himmel: ein Weib, mit der Sonne bekleidet, und
der Mond unter ihren Füßen und auf ihrem Haupt eine Krone von zwölf Sternen.
Und sie war schwanger und schrie in Kindesnöten und hatte große Qual bei der
Geburt. Und es erschien ein anderes Zeichen am Himmel, und siehe, ein großer,
roter Drache, der hatte sieben Häupter und zehn Hörner und auf seinen Häuptern
sieben Kronen, und sein Schwanz fegte den dritten Teil der Sterne des Himmels
hinweg und warf sie auf die Erde. Und der Drache trat vor das Weib, die gebären
sollte, auf daß, wenn sie geboren hätte, er ihr Kind fräße. Und sie gebar einen
Sohn, ein Knäblein, der alle Völker sollte weiden mit eisernem Stabe. Und ihr
Kind ward entrückt zu Gott und seinem Thron. Und das Weib entfloh in die Wüste,
wo sie einen Ort hat, bereitet von Gott, daß sie daselbst ernährt würde
zwölfhundertsechzig Tage. Und es erhob sich ein Streit im Himmel: Michael und seine
Engel stritten wider den Drachen. Und der Drache stritt und seine Engel und
siegten nicht, auch ward ihre Stätte nicht mehr gefunden im Himmel. Und es ward
gestürzt der große Drache, die alte Schlange, die da heißt Teufel und Satan,
der die ganze Welt verführt. Er ward geworfen auf die Erde, und seine Engel
wurden mit ihm dahin geworfen. Und ich hörte eine große Stimme, die sprach im
Himmel: Nun ist das Heil und die Kraft und das Reich unseres Gottes geworden
und die Macht seines Christus, weil der Verkläger unserer Brüder verworfen ist,
der sie verklagte Tag und Nacht vor unserm Gott. Und sie haben ihn überwunden
durch des Lammes Blut und durch das Wort ihres Zeugnisses und haben ihr Leben
nicht geliebt bis an den Tod. Darum freuet Euch, Ihr Himmel und die darinnen
wohnen! Weh aber der Erde und dem Meer! denn der Teufel kommt zu Euch hinab und
hat einen großen Zorn und weiß, daß er wenig Zeit hat.
Und als der Drache sah, daß er geworfen war auf die Erde,
verfolgte er das Weib, die das Knäblein geboren hatte. Und es wurden dem Weibe
gegeben die zwei Flügel des großen Adlers, daß sie in die Wüste flöge an ihren
Ort, wo sie ernährt würde eine Zeit und zwei Zeiten und eine halbe Zeit fern
von dem Angesicht der Schlange. Und die Schlange schoß aus ihrem Rachen nach
dem Weibe ein Wasser wie einen Strom, daß er sie ersäufe. Aber die Erde half
dem Weibe und tat ihren Mund auf und verschlang den Strom, den der Drache aus
seinem Rachen schoß. Und der Drache ward zornig über das Weib und ging hin, zu
streiten wider die übrigen von ihrem Geschlecht, die da Gottes Gebote halten
und haben das Zeugnis Jesu. Und er trat an den Strand des Meeres.“
Dieses Bild der Bewahrung
in Bedrohung und Chaos haben die Zemnicker durch die Jahrhunderte vor Augen
gehabt. Daran haben sie sich festgehalten bei den Katastrophen, die über das
kleine Dorf kamen. Und davon gab es nicht wenige, wovon noch zu berichten sein
wird.
Bis 1528 gehörte Zemnick
nach Wittenberg, bevor es der Gadegaster Pfarre zugeordnet wurde. Diese
Veränderung erbrachten die Visitationen, die im Jahre 1528 Martin Luther und
seine Freunde höchst persönlich durchführten. Sie wollten sehen, was die
Reformation auf dem Land für Früchte getragen hatte. Schlimme Zustände fanden
sie vor. Oftmals konnten nicht einmal die Pfarrer das Vater Unser. Die Kirchen
verfielen, weil es keinen Zwang zur Messe mehr gab und diese evangelische
Freiheit so mißverstanden worden war, daß man nun gar nicht mehr in die Kirche
gehen bräuchte.
Martin Luther hat durch
kräftige Predigten und durch Schriften dazu beigetragen, die kirchlichen
Verhältnisse auch für Zemnick zu bessern. Er schrieb nach seinem Besuch den
Großen und den Kleinen Katechismus: Letzterer beschreibt die Grundstücke des
christlichen Glaubens (Zehn Gebote, Bekenntnis, Vater Unser, Taufe und
Abendmahl) in einfacher Form für „Haus, Schule und Kirche“ und steht auch heute
noch in jedem evangelischen Gesangbuch. Die Bauern von Zemnick hatte Martin
Luther vor Augen, als er diese großen Werke verfaßte. Der Große Katechismus war
für die Pfarrer bestimmt, damit sie das alles recht erklären könnten. Die
Fragen und Antworten des Katechismus konnten die Zemnicker über Jahrhunderte
auswendig hersagen: mit diesen Glaubenswahrheiten haben sie gelebt und ihr
Leben gemeistert. Ein Ausschnitt:
DAS ACHTE GEBOT
Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider Deinen Nächsten.
Was ist das?
Wir sollen Gott fürchten und lieben,
daß wir unsern Nächsten nicht belügen,
verraten, verleumden oder seinen Ruf verderben,
sondern sollen ihn entschuldigen,
Gutes von ihm reden
und alles zum besten kehren.
Auch durch seine Lieder
hat Martin Luther die gute Nachricht sehr unter die Leute gebracht. Bis heute
wird in Zemnick das Lied gesungen, was er damals, 1529, schrieb:
Ein feste Burg ist unser Gott,
ein gute Wehr und Waffen.
Er hilft uns frei aus aller Not,
die uns jetzt hat betroffen.
Der alt böse Feind
mit Ernst er´s jetzt meint,
groß Macht und viel List
sein grausam Rüstung ist.
Auf Erd ist nicht seinsgleichen.
Mit unsrer Macht ist nichts getan,
wir sind gar bald verloren;
es streit´ für uns der
rechte Mann,
den Gott hat selbst erkoren.
Fragst
Du, wer der ist?
Er heißt Jesus Christ,
der Herr Zebaoth,
und ist kein andrer Gott.
Das Feld muß er behalten.
Und wenn die Welt voll Teufel wär
und wollt uns gar verschlingen,
so fürchten wir uns nicht so sehr,
es muß uns doch gelingen.
Der Fürst dieser Welt,
wie sau´r er sich stellt,
tut
er uns doch nicht:
das macht, er ist gericht:
ein Wörtlein kann ihn fällen.
Als Martin Luther durch
Zemnick zog, lebten hier elf Wirte mit ihren Frauen, Eltern, Kindern, Knechten
und Mägden. Das Dorf wird also nicht viel kleiner als heute gewesen sein. Die
Trockenlegung und Urbarmachung der umliegenden Sümpfe ging ständig weiter. Am
22. November 1558 wurden den Einwohnern zu Zahna 49 Acker Wiesen „im Zemnick“,
den Einwohnern einiger anderer Ortschaften 115 Acker Wiesen ebenda und 3 ½
Acker Wiesen „im Brachholz“ verkauft und der Gemeinde zu Zemnick 33 Acker
Wiesen daselbst, die vorher ein „wüste vertriebenen gesturppe“ gewesen,
vererbt. Diese mußten die ersten fünf Jahre jeden Morgen jährlich mit 8 gr.,
vom 6. Jahre ab mit 15 Groschen vererbzinsen.
Unter denselben
Bedingungen erhielt der Richter zu Meltendorf 6 ½ Morgen solchen wüsten
Gestruppes in Zemnick; ein Bürger zu Seyda 1 ¼ Acker Gebüsch.“
(Nach : Falke, Geschichte des Kurfürsten
August von Sachsen in volkswirtschaftlichen Beziehungen, Leipzig 1868).
Im Jahre 1574 konnte
Zemnick so schon 18 Hüfner und einen Gärtner ernähren.
Über die Leistungen an
das kurfürstliche Amt wird 1591 berichtet:
Aus des Amts Seyda Erbbuch.
Zemnigk.
Richter Amt
Der Getreyde und Wildpret Fuhren ist dieser Richter frey,
sonsten führet er die Amtsschößer allerwegen, wenn sie Geld führen und gegen
Dreßden auf die Rechnung, wohin es von nöthen.
Frohndienste
Die Hüfner seynd mit Pferden und der Hand, dergleichen die
gärtner allermaßen dem Amte zu dienen schuldig, wie die zum Genth und daselbst
zu befinden.“
„Vererbung der Horst in Zemnick von 24 ½ Morgen an die Gemeinde
daselbst.
Von Gottes Gnaden Wir Christian der Andere, Herzog zu Sachsen,
des heiligen Römischen Reiches Erzmarschall und Khurfürsten, Landgrafen in
Thüringen, Markgraf zu Meißen und Burggraf zu Magdeburg usw.“
Das kirchliche Leben
wurde so geordnet: Der Pfarrer predigt nachmittags an Sonn- und Feiertagen,
außerdem in der Woche einmal den Katechismus von der Kanzel. Der Katechismus
wird auch durch den Küster mit den Kindern gelernt. Von 1598 ab liest in der
Woche nur noch der Küster des Freitags dem Volke den Katechismus vor. Das
Abendmahl wurde anfangs nur in Gadegast gehalten, wahrscheinlich, weil
Meßgewand und Licht in Zemnick fehlten. Ab 1617 aber wird es auch in Zemnick
gefeiert. Der Schulmeister für Gadegast und Zemnick hatte auch die Aufgabe, dem
Pfarrer das Meßgewand von Gadegast nach Zemnick zu tragen, wenn sie zu Fuß
gingen. Das muß häufig der Fall gewesen sein, denn 1574 wurde zwar festgelegt: „Die von Zemnick sollen den Pfarrer und
Küster im Falle der Not und wenn ungestümes Wetter ist, zur Predigt, Kindtaufe
oder sonst mit einem Wagen zu holen schuldig sein.“ 1617 jedoch bittet der Pfarrer, weil sie dies
nie haben verrichten wollen, selbst wenn das Wetter noch so arg wäre, daß den
Zemnickern eine bestimmte Zeit, wo sie den Pfarrer holen müssen (Michaelis bis
Ostern), festgesetzt werde.
An Beiträgen für die
Kirche hatten die Zemnicker 1534 auf Anordnung acht Pfennig und zwei Brote dem
Küster zu geben; 1574: fünf Scheffel Korn, zwei Metzen von jedem Kossäten und
von jedem Gehöft zwei Brote. Ein Metzen ist nach sächsischem Maß 1/16 Scheffel,
also 6,491 Liter, ein Scheffel also 104 Liter.
1617 erhält der Pfarrer
aus Gadegast für das „Sitzen zur Beichte in Zemnick“ und das „Amthalten“ (die
Gottesdienste) sechs Groschen im Jahr. Hauptlebensunterhalt war damals das
Kirchenland, daß die Pfarrer zum Teil selbst bearbeiteten.
Im Jahre 1617 zählte
Zemnick wieder nur zehn Hüfner und einen Kossäten. Hüfner waren die, die
„Hufen“, also einen größeren Landbesitz hatten, Kossäten („Mitbewohner“) hatten
nicht so viel und mußten sich meistens bei den Hüfnern verdingen.
Aus diesem Jahr, kurz vor
dem Dreißigjährigen Krieg, gibt es ein „Sittenbild aus der Ephorie Zahna“.
Darin wird zusammengefaßt:
1. Fluchen und Gotteslästerung sind bei jung und alt im
Schwange.
2. Die Leute kommen wenig in der Woche zum Gemeinde-Gebet. Sie
meinen, der Türke und der Papst tue ihnen nichts.
3. Unzucht und Hurerei, ebenso Saufen, Fressen und unzüchtige
Tänze in Hosen und Wams und Verdrehen wurden nicht bestraft.
4. Die
Landbettler, Bracher und
unnützen Landsknecht
plagen besonders am Sonntag die Leute sehr und stehlen während
des Gottesdienstes.
Solchermaßen wurde es bei
einer Visitation, also einem Besuch der kirchlichen Aufsichtsbehörde,
festgestellt.
Der Dreißigjährige Krieg
kam, eine der größten Katastrophen auch in der Geschichte von Zemnick. Nicht
wenige Pastoren der Zeit sahen darin eine Strafe Gottes für die Lauheit im
Glauben. Im Jahre 1625 zog Wallenstein mit seinen Truppen durch unser Gebiet.
„Was sich nicht in
unwegsame Sümpfe und Wälder flüchten konnte, das ging verloren; und was von der
Geisel des Krieges und den wilden Lüsten entmenschter Kriegshorden verschont
geblieben war, das fiel der Hungersnot und der Pest zum Opfer.
In den Jahren 1635 und 1636 müssen die Kriegsnöte nach den
Schilderungen eines Augenzeugen, des damaligen Superintendenten Mühlig, die
furchtbarste Höhe erreicht haben. Heerhaufen um Heerhaufen zogen kreuz und quer
von Ort zu Ort, und jeder stellte seine unerfüllbaren Forderungen. Die Leute,
die doch nichts mehr hatten und herbeischaffen konnten, wurden gemißhandelt und
zu Tode gequält und gefoltert. Frauenschändung war an der Tagesordnung. Keine
wurde geschont, der man habhaft werden konnte, auch Kinder und Greisinnen
nicht. Den Männern reichte man den Schwedentrunk und füllte ihnen Mistjauche
ein, bis sie starben, nur weil die Menschen kein Geld mehr hatten und keine
Lebensmittel und Vieh, das man von ihnen haben wollte. Alles, was noch fliehen
konnte, floh.“ - so schreiben es die „Heimatgrüße“ nach den
Aufzeichnungn des Superintendenten Mühlig in der Turmkugel zu Mellnitz.
Aus dem Nachbarort Leetza
berichtet Pfarrer Friedericus Müller
1638 über den Schrecken, den
er ein Jahr
zuvor
erlebt hat:
„Wenn ehrliche Leute mir nicht Vorschub getan, hätte
ich das liebe Brot nicht gehabt, mußt
ich´s also mit
meinem lieben Weib nach dem Gewicht essen und mit Kofend oder Most und
Wasser verhelfen müssen, darüber ich letztlich in eine große Krankheit geraten.
Es war solches Jahre ein Hungersnot, daß die Leute die Eckern
und Leinknotten gemahlen oder rieben und gebacken und gegessen und an das
verstorbene Vieh und Aaß sich gemachet. Die Soldaten haben Menschen, Hunde und
Katzen gefressen. Gott behüte uns für solcher Hungersnot weiter in Gnaden.“
Nur wenige Aufzeichnungen
berichten uns aus jenen Schreckensjahren. Doch die Zahl der wüsten Güter
spricht eine deutliche Sprache. In Zemnick liegen noch 1671, also 23 Jahre nach
dem Friedensschluß, von zehn Hüfnergütern zwei wüst: acht Hüfner und ein Kossät
werden verzeichnet. In Gadegast sind in dieser Zeit neun Hüfner und neun
Kossätengüter bewohnt, fünf Hufengüter und sieben Kossätenhöfe liegen noch
wüst. Schadewalde hat noch fünf wüste Bauernhöfe, drei Hüfner und ein Kossät
haben sich erst wieder angesiedelt. Gentha liegt seit 1637 vollständig in der
Asche, von den Einwohnern dieses stattlichen Dorfes sind nur 2 Witwer und 2
Witwen übrig geblieben. (Brachwitz, Zemnick).
Viele Dörfer verschwanden
ganz von der Landkarte.
Nach dem Dreißigjährigen
Krieg beginnt in Zemnick die lückenlose Kirchenbuchschreibung. Bis heute lassen
sich alle Taufen, Trauungen, Beerdigungen nachweisen.
Der Name einiger Familien
in Zemnick hat sich schon über viele Jahrhunderte erhalten: Richter (seit 1550,
Nr. 1), Meister (seit 1795, Nr. 2), Richter (seit 1750, Nr. 5), Lehmann (seit
1665, Nr. 9), Korpien (seit 1680, Nr. 11), Böttger (seit 1673, Nr. 12).
Über die Folgen des
Krieges und den Neuanfang auf dem Grundstück Richter (Zemnick Nr. 1) berichtet
das Seydaer Handelsbuch:
„Aus dem Ambts Seyda Handelsbuche Sub. Lit. 6 Fol. 60. Zu
wissen, daß nach Absterben Joachim Reichen, Lehnsrichters zu Zemnick, dessen
Lehngüthlein wüste blieben und von dessen Lehns Erben nicht angebaut werden
können daher uf ergangenen sub dato Dreßden am 8. Septembris Anno 1638
Churfürstl. Sächß, gnädigsten befehlich es dero Zeit Georg Jenigken von
Warthenburg kaufweise annehmen wollen, aber von seinem gerichts-Herrn dem M von
Ebeleben, Hofrichtern und Hauptmann zu Wittenbergk nicht Dimittiret werden
können. Entlich M Herr D. Wilhelm Leyer Professor publicus in Wittenberg es
fortzubauen beliebig gewesen, aber wegen allzulang anhaltender KriegsUnruhe
niemalen recht werkstellig gemacht.
Sondern nach dem dies güthlein in´s 14te Jahr wüste und ohn
einigen beständigen Wirth gestanden, es nun einer bloßen Baustädten gleich zu
achten gewesen, darauf Ambtshalber dies güthlein gerichtlichen taxiret und
gewöhnlichen subhastirt worden, und sich endelichen Georg Richter ein
Dienstknecht aus Zemnick zum Käufer angeben, und mit denselbern umb vermelt
wüst Lehn Richtergüthlein uf Fünf und Siebenzigk gülden ganzer Haupt- und
Kaufsumme sich vereinbahrt worden...
... geschehen in gewöhnlicher Ambtsstuben zu Seyda den 7.
Januari Anno 1651
Melchior Kirsten, Ma pria.“
Mehr als heute waren
unsere Vorfahren den Naturgewalten ausgeliefert. Schlimm waren die Brände, die
schnell ausbrechen konnten, weil die Häuser bis in unser Jahrhundert hinein mit
Stroh gedeckt waren und man das offene Feuer brauchte.
Das älteste Zemnicker
Kirchenbuch berichtet:
„Am 20. Oktober 1753 ist in Zemnick eine große Feuersbrunst
entstanden und nachfolgende Einwohner gänzlich abgebrannt:
1. Johann Georg Richter, woselbst das Feuer durch
Unvorsichtigkeit seines Weibes ausbrach
2. Andreas Müller
3. Johann Georg Eule“.
Die Beschreibungen des
kirchlichen Lebens weisen immer wieder auf eine Kirche hin, die in Zemnick
gestanden haben muß. Die Akten aber berichten erst 1767 darüber:
„Anno 1767, den 23. p. Trinit., welcher der 22. November war,
wurde die neuerbaute Kirche in Zemnick eingeweiht.“
Diese Kirche stand am
Dorfeingang auf dem dreieckigen Rasenstück, was man heute auch „Zimmermanns
Winkel“ nennt. Sie war 6,30 Meter lang und zehn Meter breit, ein Fachwerkbau
wie in Gentha. Sie hatte keinen Turm und war außen mit Brettern beschlagen. Die
Schnitzfiguren standen auf dem Altar, vermutlich sind sie aus einem
spätgotischen Schnitzaltar herausgenommen worden. In der Wetterfahne war die
Zahl 1767 zu lesen. Die Beschreibungen gehen nicht auf die barocke
Christusfigur ein - vielleicht war sie noch nicht in der alten Kirche zu sehen.
Noch aus der Zeit vor dem
Bau dieser Kirche stammt die Taufschale, auf der seit 1765 die Zemnicker
getauft worden sind - bis zum heutigen Tag. Sie trägt die Inschrift: „Dieses Verehret Zum Angedencken Der Kirche
Zu Zemnigk Andreas Schröter 1765.“ Das ist wohl das wichtigste Stück in der
Kirche in Zemnick: Da, wo Gott der Herr ein neues, unzerstörbares, ewiges Leben
schenkt durch die Taufe.
Eine Glocke bekamen die
Zemnicker aus dem Schloß Glücksburg. Sie hatte allerdings einen Riß.
1783 konnten sich die
Zemnicker eine eigene, neue Glocke leisten. Sie hat einen Durchmesser von 65
Zentimetern und blieb auch in den Kriegen vom Einschmelzen verschont. Auf ihr
kann man bis heute lesen: „1783 goß mich
I. G. Dietrich, Zemnick rufe ich!“. Johann Gottfried Dietrich war
„Rohd-Gießer“ in Wittenberg.
Über lange Zeit hat sich
in Zemnick wenig verändert. 1802 beschreibt ein Handbuch Zemnick:
„Sogenanntes Buschdorf, 1 ½ Meilen von Wittenberg, 2 ½ Meilen
von Jügerbogk, 1 ½ Meilen von Jessen und ½ Meile von Zahna gelegen, besitzt 11
Hufen, treibt auch Rüben- und Rettigbau und hat ein Filial von Gadegast, mit 10
Hüfnern und 1 Kossäten. Zu Zemnick gehört auch die wüste Mark Grube oder
gruffen.“
Für 1809 wird ein
Unglücksfall im Beerdigungsregister Zemnick verzeichnet:
„Am 26. Juli, ½ 4 Uhr schlug es in Meisters Wohnhaus ein. Die
Frau desselben, welche schwanger war, will vermutlich ihre beiden Kinder aus
dem brennenden Haus holen, aber durch den Einsturz des Daches wird ihr der
Ausgang versperrt. Vier Gehöfte brannten ganz ab, vom 5. die Ställe.
die Namen der Toten:
Anna Elisabeth Meister (Mutter) 34 J.
Johanna Elisabeth Meister (Tochter) 2 ¾ J.
Maria Christina Meister (Tochter) 1 ¼ J.
eine weitere Tote
Maria Elisabeth Richter (Gottfried Rochters 11jähr. Tochter)
dieses Mädchen läuft in das brennende Haus, um ihre Kleider zu
holen, aber wegen des unterdessen heruntergefallenen brennenden Daches kann sie
nicht wieder heraus.“
Die Besetzung des Landes
durch Napoleon hat keinen direkten
Niederschlag in den Zemnicker Kirchenbüchern gefunden. Jedoch müssen das auch
schwere Zeiten gewesen sein. 1805/07 und 1812/13 sollen Franzosen durch das
Dorf gezogen sein. Die Schulchronik, die seit 1878 geschrieben wird, berichtet,
daß in den Jahren 1806/07 und 1813 bis 1815 deshalb keine Schule abgehalten
werden konnte. Eine alte Frau erzählt aus diesen Jahren:
„Kinder, es waren schlimme Zeiten, so lange Napoleon im Lande
war. Es waren aber nicht die Franzosen allein, die nahmen, was sie finden
konnten, sondern auch die Preußen und die Russen. Da mußten die Pferde am Tage
versteckt werden, und trotzdem wurden die meisten gefunden und mitgenommen. Am
schlimmsten waren die Marodeure, die nicht mehr laufen wollten, sie nahmen sich
einfach Pferde und ritten darauf davon. Die Kühe und Ochsen wurden zur
Verpflegung der Soldaten weggetrieben, so daß im ganzen Dorfe fast keine Kuh
mehr war...“ „Da haben die Bauern immer des Nachts geackert...“.
Am schlimmsten war der
September 1813: Sechs- bis siebentausend Preußen rückten in Seyda ein. Am 5.
September 1813 fand ein schweres Gefecht zwischen Zahna und Gadegast statt. 300
Soldaten kamen ums Leben, 15 Unteroffiziere und fünf Offiziere.
Die Bevölkerung der
Dörfer floh in solchen Zeiten oft in die Sümpfe, mit allem Vieh und den
Habseligkeiten. Dort hausten sie tagelang unter freiem Himmel und tranken das
in den Pferdetrappen sich sammelnde Schmutzwasser. Das war wohl ein Grund
dafür, daß danach viele Krankheiten ausbrachen: Stickfluß, Ruhr, Nervenfieber
und Blattern. So starben in Gadegast etwa 10% der Einwohner, auch der Pfarrer.
Der Pfarrer von Seehausen, dessen Pfarrhaus mit dem halben Dorf abgebrannt war,
nahm zum 1. Januar 1815 in Gadegast Quartier und blieb bis 1827.
Das Zemnicker Kirchenbuch
gibt darüber Auskunft: Während es 1810 keine Beerdigung gab, 1811 und 1812
jeweils zwei, sind es 1813 sechs Sterbefälle und 1814 acht. 1815 ist wieder
keine Beerdigung verzeichnet.
Nach den
Befreiungskriegen kam Zemnick 1815 nach Preußen. So wurde es auf dem Wiener
Kongreß entschieden, denn Sachsen hatte zum Schluß mit den Franzosen gegen
Preußen und Russen gekämpft und verloren. Deshalb wurden diese ursächsischen
Gebiete an Preußen abgetreten, die preußische „Provinz Sachsen“ entstand, die
in ihren Grenzen etwa noch heute mit den Kirchengrenzen der „Kirchenprovinz
Sachsen“ übereinstimmt, zu der wir gehören.
Der preußische König
Friedrich Wilhelm III., der das Land übernahm, war ein frommer Mann. Zum
Reformationsjubiläum 1817 versuchte er, die Kirche in seinem Land zu erneuern.
Er schrieb selbst eine Gottesdienstordnung, und von nun an sollten alle Pfarrer
in Preußen mit dem schwarzen Talar und dem weißen Beffchen den Gottesdienst
feiern. Das Beffchen war ursprünglich als Schutz des Stoffes vor dem Bart
gedacht. Das ist die Kleidung, die Luther als Professor in Wittenberg getragen
hat.
Der preußische König
übernahm auch die Patronatsrechte für die Kirche. Das heißt, er sorgte zu einem
großen Teil für die bauliche Unterhaltung. 1996 haben wir diese alten Rechte
neu beim Land anmelden können.
1825 zählte Zemnick
dreizehn Häuser, 89 Seelen, darunter zehn Bauern, die auch die Wüstung „Grube“
oder „Gruffen“ benutzen. 1848 baute man eine Bockwindmühle, die die
Windmüllerfamilie Kynast bis 1960 betrieb. Erst vor wenigen Jahren wurde sie
abgerissen. Sie stand Richtung Osten am Weg nach Schadewalde vor dem letzten
heutigen Wohnhaus.
Ein lebendiges Bild von
der Zeit um 1850 geben die „Erinnerungen des 87jährigen Häuslers Johann
Gottlieb Meister aus seinem Leben...“
„Das
größte Fest im Jahr war Fastnachten. Es wurde auch auf der Reihe gefeiert. Die
Musik kam aus Listerfehrda. Eine Familie Behrends (Vater und Sohn) mit noch
einigen andern bildeten die Dorfmusik. Es wurden große Mengen von Klemmkuchen
in den Häusern gebacken, und der Tanz dauerte die Nacht durch bis früh um 6
oder 7. Geschlafen wurde nicht. Nachdem die Musikanten auf der Straße den
Morgenchoral geblasen hatten, gings am zweiten Tage von Haus zu Haus. Jeder
wurde besucht und in jedem Hause zwei Tänze von den beiden Platzknechten
getanzt, „daß der Flachs recht lang wachsen sollte.“ In den Häusern gab es
Speck und Würste, die der Nachtwächter an seinen Spieß hängen
mußte, Eier und gebackenes Obst.
Diese Herrlichkeiten wurden
am 2. Festabend
von der Jugend bzw.
der ganzen Festgesellschaft gemeinsam verspeist. Aus Seyda und den
umliegenden Dörfern gab es viel Besuch.“
Über die Arbeit:
„In der Saatzeit... wurde früh um 3 Uhr aufgestanden, und dann
wurde mit dem Flegel gedroschen bis es hell wurde. Dann wurde eine Fuhre Mist
aufgeladen, die mit hinausgenommen wurde auf den Acker und dann wurde geackert
und gesät. Kaffee gab es früh nicht, sondern eine Schüssel dampfender Mehlsuppe
oder Grützsuppe stand auf dem Tische...“
Erst in der zweiten
Hälfte des 19. Jahrhunderts erhielt „Wolfswinkel“ seinen Namen. Darüber
berichtet das Kirchenbuch:
„Bemerkung über Gut Wolfswinkel
Das Gut Wolfswinkel und das dortige Herrenhaus hat ursprünglich
diesen Namen nicht gehabt, sondern eine Hausnummer von Zemnick geführt und
führt noch jetzt solche Hausnummern. Erst vor 30 Jahren hat der Besitzer
Niendorf dem Gute den Namen Wolfswinkel gegeben, nachdem er es im Umfange von
ca. 120 Morgen nicht wüstes Land von der Schwester des Tischlermeisters und
Häuslers Zaeper ... in Wolfswinkel gekauft hatte.
4. Januar 1896 Pastor Schreyer aus dem Mund des pp. Zaeper
gehört und ... geschrieben.“
In Wolfswinkel sollen die
letzten Wölfe gesehen worden sein. Johann Friedrich Zaeper war um 1836 aus
Ottmannsdorf gekommen und pachtete das „Herrnholz bey Zemnick“.
Es kann jedoch sein, daß
die Bezeichung „Wolfwinkel“ auf einen alten Flurnamen zurückgreift. So heißt es
im Schweinitzer Kreisblatt vom 1. Dezember 1912: „Verschiedene Flur- und
Ortsnamen deuten auf das häufige Vorkommen von ... Raubtieren hin, so die
Ortsbezeichnung „Wolfswinkel“, gewöhnlich „Wulweswinkel“ genannt. Im Erbbuche
des Amtes Seyda vom Jahre 1506 wird ein Grenzweg im Süden der „Seydischen
Heide“ als „wulwes Wegk“ bezeichnet, und noch heute heißen einige Ackerflächen
auf Schadewalder Feldmark die „Bärstücken“. Von den sächsischen Herzögen wurden
denn auch Wolfsjagden zur Vertilgung dieser Raubtiere abgehalten, woran der
größte Teil der Einwohner von Seyda mit teilnehmen mußte, wie es ausdrücklich
in dem Erbbuche von 1506 vermerkt ist.“
Nach dem siegreichen
Krieg 1870/71 und der Kaiserkrönung wurde 1872 in Zemnick eine Linde an der
Kirche gepflanzt: „Gott, dem Kaiser und König“ zu Ehren, wie man darauf noch
heute lesen kann.
Der Stein wurde nach dem
Zweiten Weltkrieg entfernt. Nach der Wende 1989/90 hat Frau Waltraud Schuck,
Vorsitzende des Gemeindekirchenrates, den Stein, der als Trittstein im
Grundstück Nr. 4 verwendet wurde, wieder an den Ort unter der Linde gebracht.
1875 gab es im Dorf 174
Einwohner, 1880 sogar 180. Danach ging die Zahl stetig leicht zurück: 1885: 159
Einwohner, 1924: 154 Einwohner, 1940: 122 Einwohner.
Am 23. August 1885 wurde
in Zemnick das 1. Kinderfest gefeiert. Für die Jungs gab es Armbrustschießen,
die Mädchen vergnügten sich bei Topfschlagen, Bändertanz und anderen Spielen.
Eine schwarz-weiß-rote Fahne bekam die Schule geschenkt. Schlußlied der
Kinderfeste war immer der alte Choral:
Nun danket alle Gott
mit Herzen, Mund und Händen.
Der große Dinge tut
an uns und allen Enden.
Der uns von Mutterleib
und Kindesbeinen an
unzählig viel zu gut
und jetzt hat auch getan.
1886 wurde für die
Zemnicker Kinder ein Turnreck angeschafft, nachdem es seit 1884 Turnunterricht
gab.
Das Jahr 1888 war ein
sehr ereignisreiches Jahr für Zemnick: Die Kirche wurde eingeweiht und ein
großer Brand brach aus. Die Schulchronik berichtet: „Am 7. August 1888 war im hiesigen Orte ein großes Feuer, welches vier
Gehöfte in Asche legte, des Hüfners W. Richter, des Hüfners G. Meister, des
Resthüfners Schuck und des Hüfners G. Müller. Das Feuer entstand beim Hüfner
Meister aus nicht aufgeklärter Ursache.“
Und das Wittenberger
Kreisblatt berichtet über die Grundsteinlegung der neuen Kirche 1887:
„In unserem Dorfe wird eine neue Kirche gebaut und ist die
Ausführung des Baues dem Baugewerksmeister Herrn Richter in Zahna übertragen.
Am vorigen Freitag fand unter entsprechender Feierlichkeit die Grundsteinlegung
derselben statt. Zu dem Zwecke hatten sich unser Pastor Schreier aus Gadegast -
wohin unser Dörflein eingepfarrt - samt dem Gemeinde-Kirchenrathe, der
Ortsbehörde und der Baumeister in hiesiger Schule eingefunden. Man schritt
zunächst zur Anfertigung einer Urkunde, enthaltend die Einwohner- und
Häuserzahl unseres Ortes, die Zahl der schulpflichtigen Kinder, den Namen des
Erbauers der Kirche, sowie eine Steuerabgaben-Liste der Ortseingesessenen.
Nachdem das Schriftstück von den Anwesenden unterzeichnet, wurde dasselbe mit
je einem Exemplar des Wittenberger und des Schweinitzer Kreisblattes in eine
steinerne Büchse gefügt und versiegelt. Unter dem Geläute der Glocke, dem
Vorantritte der Schuljugend und des Ortslehrers bewegte sich die Versammlung
nach dem Bauplatze. Hier angekommen, wurde das Lied „Ach bleib mit Deiner
Gnade“ angestimmt und vom Herrn Pastor auf Grund des Bibelwortes 1. Corinther
3,11: „Einen anderen Grund kann Niemand legen...“ eine erhebende Weihrede
gehalten. Darauf wurde die Büchse in die Grundmauer eingefügt, mit einer
eisernen Platte überdeckt und vom Herrn Pfarrer im Namen des dreieinigen Gottes
die drei Hammerschläge gethan. Ein Gebet für das Gelingen des Baues und den
Schutz der Bauarbeiter und der Gesang: „Allein Gott in der Höh´ sei Ehr!“
schlossen die Feier.“
Die Kirche wurde am 18.
September 1888 eingeweiht. Sie kostete 10.100 Mark.
Im Inneren wurde durch
einen Elsteraner ein Wandgemälde gestaltet, welches „dem Innern der Kirche eine weihevolle Stimmung gibt“, so schreibt
es Johann Gottlieb Meister. Viele Zemnicker können sich noch an die Inschrift
über dem Triumphbogen erinnern. Dort stand in ähnlicher Weise wie in der Kirche
in Gadegast geschrieben: „Geheiligt werde
Dein Name! Dein Reich komme! Dein Wille geschehe!“ - die ersten drei Bitten
des Vater Unser, jenes Gebetes von Jesus, was zu jedem Gottesdienst in Zemnick,
solange es hier eine Kirche gibt, gesprochen wurde und wird.
Conrad Geißler aus
Eilenburg, einer der führenden sächsischen Orgelbaumeister seiner Zeit, baute
in Zemnick seine 99. Orgel, die auch 1888 fertiggestellt wurde.
Das Material der alten
Kirche wurde verkauft!
Wiederum Bäume und einen
Gedächtnisstein stellten die Zemnicker 1896 auf, in einem „luftigen Birkenschlag auf dem Weg von Seyda vor Zemnick“, Birken
ringsherum, in der Mitte eine Linde, an deren Fuß der Stein mit der Aufschrift:
„Zur Ehre Gottes und dem Reichskanzler Fürst Bismarck wurde
diese Linde von der Gemeinde Zemnick 1896 gepflanzt“. Auf der anderen Seite:
„Ruhe und Fried im Land ernähret jeden Stand, Unfriede und Krieg macht arm und
betrübt.“
(Brachwitz, Zemnick)
In der Tat brachte die
lange Friedenszeit einen großen Aufschwung für das Dorf. Neben der wachsenden
Bevölkerung und dem Neubau der Kirche zeigt das auch das 1899 neu erbaute
Schulgebäude. Es wurde von dem Bauunternehmer Bamm aus Mügeln für 7.400 Mark gebaut.
Die Arbeiten begannen am 17. April 1899, und bereits am 9. Oktober konnte die
Schule eingeweiht werden.
Die Schule war nun
endgültig eine feste Institution in Zemnick geworden! In den Erinnerungen von
Johann Gottlieb Meister kann man lesen:
„In den ältesten Zeiten besaß Zemnick keine eigene Schule,
sondern die Kinder wurden nach Gadegast in die Schule geschickt, dessen Lehrer
auch zugleich Küster und Kantor von Zemnick war. Wenn er des Sonntags zusammen
mit dem Pfarrer nach dem Filial wanderte, dann gehörte es zu seinen
Amtspflichten, den Priestermantel hin und her zu tragen; ein etwas lustiges Geschäft
bei einem Wege von 1 Stunde Dauer. Darüber hat auch der Pfarrer, Magister
Kranold im Jahre 1762 folgende Notiz in die Kirchenagende von Zemnick
eingetragen... „1762 habe ich in die Kirche nach Zemnick einen Mantel zu meinem
und meiner Herren Nachfolger im Amte Gebrauche angeschafft. Ich selbst habe
dazu 1 Thlr 8 sgr. und jeder Einwohner einige Groschen freiwillligen Beitrag
gegeben. Der Custos aber, Meister Johann George Schlawig, hat ihn ohne Entgelt
verfertigt. Die Anschaffung des Mantels hat diese Absicht, daß der
Beschwerlichkeit des Tragens mit dem Priesterrock abgeholfen wurde.“
Dieses gemeinsame Schulverhältnis mit Gadegast scheint bis zum
Tode des Lehrers Rennebeck bestanden zu haben, der als letzter „Lehrer von
Gadegast und Zemnick“ im Kirchenbuch bezeichnet wird. Erst im Jahre 1827 tritt die Absicht einer
„confirmierten Schulstelle“ hervor.
Zunächst bestand eine „Wandelschule“ für die Kleinen im Dorfe
mit einem Schulamtskandidat. Da derselbe aber noch kein Examen gemacht hatte,
so mußten die Kinder vom 12. Jahre ab auch weiterhin einstweilen nach Gadegast
gehen. Die Schule wurde damals monatsweise abwechselnd in den verschiedenen
Hüfnerstuben abgehalten. Der Lehrer aß „auf der Reihe“, aber bloß da, wo Kinder
waren. Wer 1 Kind hatte, da aß er 1 Tag, wo 2 Kinder waren 2 Tage hinereinander
usw. Das war natürlich eine Plage für die Leute, die viele Kinder hatten. Trotz
wiederholter Aufforderungen seitens der Regierung an die Gemeinde, ein
passendes Schullokal zu beschaffen und das Lehrergehalt aufzubessern, ist noch
im Jahre 1835 der Stand der Dinge ein solcher, daß die Regierung erklärte,
unter den obwaltenden Umständen der Gemeinde keinen Lehrer verschaffen zu
können.“
In den Notzeiten zwischen
1806 und 1815 soll sich ein Schneider als Lehrer verdingt haben. Die
„Wandelschule“ hat nach Auskunft der Schulchronik von 1828 bis 1835 bestanden,
in den Jahren davor war die Schule bei Böttchers (heute Schenkens).
„Der erste von der Regierung fest angestellte Lehrer für
Zemnick war der Lehrer Mennicke (1848-1866). Er war ein tüchtiger Lehrer, aber
er konnte nicht singen, was ja in einer Kirche, die keine Orgel hat, gerade
besonders wichtig war.“
1878 berichtet die
Schulchronik: „Als kirchliche Nebenämter
bekleidet der Lehrer diejenigen eines Cantors, Küsters und Kirchners.“
„Das Schulgehöft ist entstanden durch Erweiterung des früheren
Hirtenhauses...“ Wo dieses Hirtenhaus stand, wissen wir
heute nicht mehr.
Im Jahre 1884 ist die
Klage zu lesen, daß zwar Lehrer als Organisten hergeschickt werden, aber keine Orgel
im Dorf ist. Das Drängen der Lehrer wird ein Grund gewesen sein, daß Zemnick,
obwohl es doch ein kleines Dorf ist, eine solche Orgel bekommen konnte.
„Mit der Anstellung von Lehrern machte sich nun auch die
Notwendigkeit geltend, ein Schulhaus zu Verfügung zu stellen. Es wurde geschaffen durch Erweiterung des früheren
Hirtenhauses und bestand aus einer Schulstube, 2 Zimmern und 2 Kammern für den
Lehrer.
Der ungenügende Raum war nach einer Aufzeichnung des Lehrers
Rümpler das niedrige Klassenzimmer, in dem 36 Kinder eingepfercht waren, und
das ständig von einer giftigen Atmosphäre erfüllt war. Die Regierung drang
darum seit 1878 auf einen Neubau, der aber erst 1899 zustande kam.“
Die Schulchronik, die
Frau Elly Zimmermann aufbewahrt, enthält viel Interessantes aus der Geschichte
von Zemnick. So wurde 1865 die erste Petroleumlampe in Zemnick angezündet.
Einmal, 1904 bis 1908,
hatte Zemnick auch einen sehr unbeliebten
Lehrer. Er hieß Cardinal, war Junggeselle und beschwerte sich, daß er
kein Mittagessen bekam. Schließlich wurde er wegen „Sittenlosigkeit“ entlassen.
In der Schulchronik
schrieb er, daß er froh wäre, Zemnick endlich verlassen zu dürfen, und schließt
seine Eintragung mit den Worten: „Nachfolger kann meiner aufrichtigen Teilnahme
versichert sein.“
Der letzte Pastor, der im
Gadegaster Pfarrhaus amtierte, war der Pastor Theodor Voigt. Er kam frisch vom
Studium 1903 hierher und blieb bis zu seinem Tode 1939.
In den ersten Jahren
seiner Tätigkeit führte er im Taufbuch eine regelmäßige Chronik. Darin ist 1905
zu lesen:
„Der Kirchenbesuch war lobenswert; fast 50% der Erwachsenen;
der Kollektenertrag fast immer besser als in der viel größeren und reicheren
mater. Die Frauen geben zwar nichts, aber die Männer geben ihren Groschen; das
fehlt leider in Gadegast.“
Zemnick hatte in diesem
Jahr - nach Auskunft des Gemeindelexikons der Provinz Sachsen „mit dem Wolfswinkel eine Arealgrößte von
683,4 ha, 24 bewohnte Häuser, 28 Haushaltungen, 2 Einzellebende mit eigener
Hauswirtschaft und insgesamt 146 Einwohner, davon 72 männliche.“
Für 1907 wird eine
Goldene Hochzeit in Zemnick gefeiert,
das Ehepaar Meister. Der Goldene Bräutigam hat uns mit seinen Erinnerungen
schon einiges aus dem Zemnicker Leben im 19. Jahrhundert erzählt. Eine solche
Goldene Hochzeit war damals eine sehr seltene Feier, weil die Menschen nicht so
alt wurden. Die Kindersterblichkeit war sehr hoch, und viele Mütter starben im
Kindbett oder wurden von den vielen Geburten sehr geschwächt.
Das emsige Kollektegeben
in der Kirche, das Pastor Voigt so gelobt hat, machte es möglich, ein buntes
Glasfenster in die Kirche zu bringen, was auch heute noch ein Kleinod für
Zemnick ist. Es wurde 1909 eingebaut und trägt die Inschrift: „Die Gemeinde Zemnick und Pastor Voigt
1909.“ Es zeigt in feiner Darstellung die Ostergeschichte mit Maria
Magdalena: Die Mitte unseres Glaubens: Jesus lebt! Er ist auferstanden.
Die Geschichte ist
aufgeschrieben beim Evangelisten Johannes im 20. Kapitel:
„Maria aber stand vor dem Grabe und weinte draußen. Als sie nun
weinte, schaute sie in das Grab und sieht zwei Engel in weißen Kleidern sitzen,
einen zu den Häupten und den andern zu den Füßen, da sie den Leichnam Jesu
hingelegt hatten. Und dieselben sprachen zu ihr: Frau, was weinst Du? Sie
spricht zu ihnen: Sie haben meinen Herrn weggenommen, und ich weiß nicht, wo
sie ihn hingelegt haben. Und als sie das sagte, wandte sie sich zurück und
sieht Jesus stehen und weiß nicht, daß es Jesus ist. Spricht Jesus zu ihr:
Frau, was weinst Du? Sie meint, es sei der Gärtner, und spricht zu ihm: Herr,
hast Du ihn weggetragen, so sage mir, wo hast Du ihn hingelegt, so will ich ihn
holen. Spricht Jesus zu ihr: Maria! Da wandte sie sich um und spricht zu ihm
auf hebräisch: Rabbuni! das heißt: Meister! Spricht Jesus zu ihr: Rühre mich
nicht an! denn ich bin noch nicht aufgefahren zum Vater. Gehe aber hin zu
meinen Brüdern und sage ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater und zu Eurem
Vater, zu meinem Gott und zu Eurem Gott. Maria Magdalena kommt und verkündigt
den Jüngern: Ich habe den Herrn gesehen, und solches hat er zu mir gesagt.“
Die dunkle Grabeshöhle
und der Herr Christus daneben, der Maria die gute Nachricht bringt: wieviel
Trost geht von diesem Bild aus, wieviele werden sich wiedergefunden haben in
der Maria, die weinend vor dem Grab steht, gerade in unserem zu Ende gehenden Jahrhundert,
was so viele Tränen auch in Zemnick gesehen hat!
Ein Bild des Friedens
aber, vor dem Sturm, zeichnet der Bericht des ersten Familienabends in Zemnick,
der am 24. März 1912 stattfand. Er begann mit dem Lied: „Großer Gott, wir loben
Dich“. Pastor Voigt begrüßte die versammelte Gemeinde und las eine Ansprache
des Kaisers vor, die dieser an seine Söhne zur Konfirmation gehalten hatte. Es
wurde miteinander gesungen und Gedichte wurden vorgetragen. Der Höhepunkt war
die Aufführung des Märchenstücks „Waldkönigin“ durch die Schüler. Es wurde mit
Applaus aufgenommen. Alle sangen das Kinderlied: „Wer hat die schönsten
Schäfchen“.
Anschließend hielt der
Lehrer einen Vortrag über das Weltgebäude. Der Abend schloß mit dem Lied:
„Guten Abend, gute Nacht“.
Mancher Zemnicker wird
mit diesen Liedern von seiner Mutter in den Schlaf gesungen worden sein.
Deshalb seien sie hier
einmal ausführlich wiedergegeben:
Wer hat die schönsten Schäfchen? Die hat der goldne Mond, der
hinter unsern Bäumen, Bäumen am Himmel droben wohnt.
Er kommt am späten Abend, wenn alles schlafen will, hervor aus
seinem Hause, Hause zum Himmel leis und still.
Dann weidet er die Schäfchen auf seiner blauen Flur; denn all
die weißen Sterne, Sterne sind seine Schäfchen nur.
Sie tun sich nichts zu leide, hat eins das andre gern, und Schwerstern sind und
Brüder, Brüder da oben Stern an Stern.
Wenn ich gen Himmel schaue, so fällt mir immer ein: O, laßt uns
auch so freundlich, freundlich wie diese Schäfchen sein.
Guten Abend, gut Nacht, mit Rosen bedacht, mit Näglein
besteckt, schlupf unter die Deck. Morgen früh, wenn Gott will, wirst Du wieder
geweckt! Morgen früh, wenn Gott will, wirst Du wieder geweckt!
Guten Abend, gut Nacht, von Englein bewacht, die zeigen im
Traum Dir Christkindleins Baum: Schlaf nur selig und süß, schau im Traum´s
Paradies! Schlaf nur selig und süß, schau im Traum´s Paradies!
1914 brach der Erste
Weltkrieg aus. Auch in Zemnick war man zunächst begeistert in den Krieg
gezogen: 23 Männer.
Auch der Lehrer
Lommatzsch meldete sich als Kriegsfreiwilliger. So mußte Pastor Voigt einen Tag
in der Woche in Zemnick vertreten, Lehrer aus Leetza kam zwei Tage. Später war
der Lehrer Senst aus Elster drei Tage in Zemnick. 1915 mußten die Zemnicker sogar
zeitweise wieder nach Gadegast zur Schule gehen. 1917 wurden in einigen
Familien Gastkinder aufgenommen, um die Schülerzahl auf das erforderliche Maß
zu bringen.
Bald wurde die Not
überall spürbar. Lebensmittel waren knapp, Lebensmittelkarten wurden
eingeführt. Die Arbeitskraft der Männer fehlte. Und am schlimmsten: die
Nachricht von den Gefallenen.
Der Lehrer Ziebel
schnitzte eine Tafel für sie, die Weihnachten 1930 eingeweiht wurde und bis
heute an der Westwand der Kirche hängt:
Gottlieb Reinhold Gresse
Friedrich Otto Thiele
Richard Müller
Otto Reinhold Schuck
Otto Schuck
Friedrich Reinhold
Pötzsch
August Loos
Wie sehr man sich den
Frieden zurückwünschte, wird in der Schulchronik deutlich. Pastor Voigt führt
dort 1916 Klage über den Krieg und drückt seine Hoffnung nach baldigem Frieden
aus. Er schreibt: „Es liegt bereits die
1.320. Ausgabe der Verlustlisten vor!“
Dennoch wird weiter
kräftig für Kriegsanleihen geworben, um für die großen Kosten der
Rüstungsmaschine aufzukommen. Aus der Kirche werden die Orgelpfeifen entfernt!
Erst 1926 kann der Kirchenrat beschließen, wieder neue Pfeifen anzuschaffen.
Sogar die Glocke sollte eingeschmolzen werden, wie es auch in anderen Orten
geschah, aber dazu ist es glücklicherweise nicht mehr gekommen, der Krieg war
schneller vorbei.
Zum 400.
Reformationsjubiläum 1917 wurde eine Gedächtnisplatte „Aus tiefer Not“ in der
Kirche angebracht. Die Inschrift war genagelt, und jeder Nagel war eine Spende
für die Soldaten. Eine ähnliche Platte kann man heute noch in der Gadegaster
Kirche sehen. In Zemnick hing sie bis 1968.
Von dem
Reformationsjubiläum ist auch das Lutherbild, was wir noch in der Kirche haben.
Es liegt zusammengerollt auf der Empore, vielleicht können wir es wieder mit
einem Rahmen versehen und aufhängen.
Der verlorene Krieg
brachte große Veränderungen auch für Zemnick.
Zu der schwierigen
Versorgungslage gab es Banden, die nachts ihr Unwesen trieben und in die
Wirtschaften einbrachen. Da die staatliche Ordnung durch die Revolution
erschüttert war und nicht helfen konnte, bildeten die Zemnicker eine eigene
Bürgerwehr. Sie bestand aus etwa 25 Männern des Dorfes, die mit Gewehren
ausgerüstet waren. So hörte die Plünderei auf.
Die Not in den Städten
war noch größer, so wurde das Land mit einer großen Flut von Bettlern
überflutet, die auch nach Zemnick kamen.
Die Inflation und die
Wirtschaftskrise trafen auch Zemnick. Ein Ei kostete 1923 40.000 Mark!
Zu den Sternstunden der
Kirchengemeinde gehört es gewiß, daß der Kirchenrat 1931 eine Sammelstelle für
Textilien und Nahrungsmittel einrichtete, um Arbeitslose und ihre Familien zu
unterstützen.
So haben die Zemnicker
aus dem Glauben nicht nur Kraft geschöpft, mit der eigenen Not zurechtzukommen,
sondern auch den Nächsten nicht vergessen.
Die Auflösung des
Kaiserreichs brachte auch die Trennung der Schule von der Kirche mit sich. Bis
1918 war der Pastor der Lokalschulinspektor, der Superintendent
Kreisschulinspektor.
Ein Vertrag für Zemnick
zwischen Schule und Kirche wurde am 21. September 1931 geschlossen.
Der Lehrer schloß dann,
privat, 1932 einen Vertrag mit dem Kirchenrat, und führte so das Küsteramt
weiter.
Neben der Not gab es aber
auch ganz alltägliche Nachrichten: 1915 fand der Hüfner Ernst Richter auf dem Baugrund seiner alten Scheune, wo er
einen Baum pflanzen wollte, einen alten Topf mit mehreren Talern kurfürstlich
sächsischer Prägung und einer ganzen Menge kleiner Silbermünzen, sog.
Engelsgroschen. Vermutlich wurde dieser Schatz im Dreißigjährigen Krieg vor
Plünderungen versteckt. Vielleicht sind die Bewohner umgekommen, so daß die
Münzen verborgen blieben.
1916 kam der elektrische
Strom nach Zemnick. Wer hatte das erste Telefon, das erste Radio, das erste
Auto, den ersten Fernseher, den ersten Computer?
1925 besuchten acht
Kinder (7 Mädchen und ein Knabe) die Dorfschule.
Am 14. Februar 1925 gab
es wieder eine Goldene Hochzeit, das Ehepaar Müller. In der Kirche wurde, wie
es üblich war, eine Dankandacht gehalten.
Die Sitzordnung in der
Kirche in Zemnick war bis in die dreißiger Jahre hinein festgelegt: die Frauen saßen
rechts (auf der Südseite, in der Sonne), die Männer links. Jede Familie hatte
ihre Bank. Richters die zweite, Nitschkes die dritte, Schenkes und Arndts saßen
vorn, Röthes hinten...
Unter dem 18. Oktober
1910 ist im Protokollbuch des Kirchenrates ein „Verzeichnis der verlosbaren Kirchensitze“, also der nicht fest
vergebenen, einzusehen.
Jeden Sonntag war
Gottesdienst um 10 Uhr. Der Pastor kam vierzehntägig, am Sonntag dazwischen
hielt der Lehrer einen Lesegottesdienst.
Zur Feier des Heiligen
Abendmahls empfing man auf der rechten Altarseite das Brot, ging hinter dem
Altar herum (dort stand ein Kollektenkörbchen) und erhielt auf der anderen
Seite den Kelch. Auch war das Knien bei den Gebeten in dieser Zeit in Zemnick
üblich.
1928 wurde eine große
Feierstunde abgehalten: Pastor Voigt war 25 Jahre lang in Zemnick.
Trotz der schweren Zeiten
in dem 130 Einwohner zählenden Dorf konnte 1931 das Kirchendach repariert
werden.
Ein Bild von Lehrer
Ziepel zu „Breit aus die Flügel, beide“ bekam Frau Elly Pötzsch verh.
Zimmermann, beste Schülerin der Zemnicker Schule.
Er malte ganze Zimmer
aus, über Bett: „Breit aus die Flügel, beide“.
Seit
1912 bekamen viele Zemnicker Familien jeden Monat die „Heimatgrüße“ zugestellt,
die Pastor Voigt herausgab. Neben Andachten und Nachrichten aus den Gemeinden
und Familien ist dort viel Heimatgeschichtliches zu finden.
Die „Heimatgrüße“
spiegeln das Empfinden der Zeit wider. So können wir 1933 aus der Feder von
Pastor Voigt lesen:
„Vor 12 Jahren, in der April-Nummer der Heimatgrüße von 1922,
hatten wir ein Gedicht von Pastor Bahr, ein Stoßgebet aus dem Herzen des
Volkes, an die Spitze gestellt, das um seiner unglaublich buchstäblichen
Erfüllung und Erhörung willen hier noch einmal abgedruckt sein mag. Es ist
überschrieben:
Ein Mann!
Ein Mann tut uns not mit stahlharter Stirn,
Ein Mann, mit flammender, zündender Rede,
Ein Mann, der Welten trägt im Gehirn,
Ein Mann, der siegreich besteht jede Fehde;
Ein Mann, der die Liebe zum Vaterland,
Die Ehre aufpeitscht mit gewaltigen Hieben,
Ein Mann, der ins Herz wirft den Feuerbrand,
Daß Feigheit und Selbstsucht in Funken zerstieben;
Ein Mann wie Luther, ein Riesenheld,
Ein F ü h r e r in Nacht und Sturm und Wetter,
Ein Mann, den segnet die deutsche Welt,
Du, Herrgott im Himmel, o send uns den Retter!“
Kein Mensch wußte damals: „wie mag das zugehen?“ oder: „wer mag
das sein?“ - Der Mann, der Führer selbst kannte seine Bestimmung noch nicht.
Aber Gott hatte Sein Werkzeug, den Retter Deutschlands, schon bereit: Adolf
Hitler; und 12 Jahre später, als die Not aufs höchste gestiegen war, da hat Er
ihn uns gegeben. Wer nun noch zweifelt, daß Gott Gebete erhört, wer nun noch
bestreitet, daß Gott auch heute noch Wunder tut, dem ist nicht zu helfen, der
will eben nicht sehen...“
Es gehört zu den
dunkelsten Kapiteln unseres Volkes und auch unserer Kirche, daß viele diesem
Ver-Führer gefolgt sind, der so vielfaches Leid nicht nur über unser Land,
sondern über die Völker Europas gebracht hat. In einer Geschichte der Kirche
von Zemnick soll nicht verschwiegen werden, daß unsere Gemeinde mit ihrem
Pastor an der Spitze das Unheil, was dieser Mann brachte, nicht vorhergesehen
hat, sondern ihm blind gefolgt ist. Die Katastrophe, die darauf folgte, war
noch größer als die erste, und ihre Folgen zeigen sich noch heute, über ein
halbes Jahrhundert später.
So, wie es sich der
Pastor Voigt wünschte, daß auch die Kirche durch diesen Führer neu geordnet
würde, trat es nicht ein. Denn es gab mutige Leute in der Kirche, die das
verhindert haben. Sie gründeten die „Bekennende Kirche“ und installierten neben
der verordneten Kirchenleitung eine „provisorische“, die sich nicht wie alle
anderen Organisationen „gleichschalten“ ließ.
Neben der „Politik“, den
großen Aufmärschen und Reden, die bis nach Zemnick drangen und ihre Wirkung
zeigten, gab es natürlich auch das einfache Landleben. So dichtete der Lehrer
Lommatzsch zum Erntedankfest 1936 ein Gedicht. Es wurde in der Kirche vorgetragen
von der Schülerin Elly Pötzsch, heute verheiratete Zimmermann, die es jetzt
noch auswendig kann:
Erntedankfest 1936
Die Ernt´ ist nun zuende,
der Segen eingebracht
woraus Gott alle Stände
satt, reich und fröhlich macht.
Der alte Gott lebt noch,
man kann es deutlich merken
an soviel Liebeswerken!
Drum preisen wir ihn hoch!
Ein Jahr harte Arbeit ist wieder vorbei,
wir waren ja alle feste dabei.
Und heut - nach alter Väter Brauch -
feiern wir ein Tag der Freude auch.
Ich begrüße all´ die Freunde und Gäste
zum heutigen Zemnicker Erntefeste!
In Berlin zur Olympiade freilich
herrscht mehr Leben
- aber was wir hier in Zemnick geben
an Gastfreundschaft, Liebe und Treu
soll ein Zeichen sein auf´s Neu,
daß wir auch gern Opfer bringen
und für Deutschlands Zukunft ringen.
Wir haben gearbeitet so fleißig
und
mußten Enttäuschungen erleben im Jahre fünfundreißig.
Wohl
gab es Stroh, aber die Körner gaben uns Ursach
zum
Klagen, der Regen: ach,
er
fehlte so sehr, und machte uns unsere Arbeit so schwer.
Gehofft
haben wir auf eine gute Ernte
im
nächsten Jahr.
Das
haben wir alle, das ist wahr!
Und
unsere Hoffnung war nicht vergebens:
Gott schickte uns in diesem Jahr mehr Regen,
er
segnete unsere Arbeit, unsere Fluren und das Land.
Die
Felder sind nun wieder abgeräumt,
die
Arbeit ist zu Ende,
wir
haben dabei nicht gesäumt,
voll
Fleiß geregt die Hände.
Die Scheune birgt, was jedem frommt,
sobald der harte Winter kommt.
Ja, die Schnitter, sie hatten tüchtig zu tun
bei der Ernte, Tag um Tag, ohne zu ruhn.
Und
wir Schnitterinnen waren wie die Bienen so fleißig
-
das taten wir gern, denn die Ernte war besser im Jahr sechsunddreißig.
Aber
all unser Fleiß, er wäre vergebens gewesen,
wenn Gottes starke Hand nicht hätt´ gewehrt
Unwetter und sonstiges Verderben,
was unsere Felder oft verheert.
Drum bitten wir Dich, Gott im Himmel,
für unser fernes Wohlergehn,
damit wir auch im nächsten Jahr
hier wieder dankbar vor Dir stehn.
Anschließend wurde
gemeinsam das Lied
„Nun danket alle Gott“ gesungen.
Der Musiker des Ortes war
zwischen 1932 und 1945 der Lehrer Franz Köchy. Er spielte sonntäglich in
Gadegast die Orgel, natürlich auch in Zemnick. Seine Geige war sowohl in der
Schule als auch nachmittags und abends im Dorf zu hören. 1945 wurde er von den
Russen abgeholt, weil er die Kasse der SA geführt hatte.
Anfang September 1939,
als der Zweite Weltkrieg begann, starb der alte Pastor Voigt. 37 Jahre lang war er Pastor in Gadegast und
Zemnick. In den letzten Jahren ist ihm sein Dienst schwer geworden, aber er hat
ihn getan, trotzdem ihm ein Bein abgenommen werden mußte.
„Mit Pfarrer Voigt wurde auch die alte Zeit begraben.“
so schreibt es später
Pfarrer Mauer in die Gadegaster Turmkugel 1960. „1939 fing der 2. Weltkrieg an. Die meisten Männer zogen in den Krieg,
und ihre Arbeit mußten Frauen übernehmen, bald auch Gefangene und
Zwangsarbeiter aus den von Deutschland besetzten Ländern (im Stall des
Pfarrhauses waren Serben untergebracht). Nicht wenige Bauern behandelten diese
Fremden menschlich: Sie durften mit ihnen am Tisch sitzen und dasselbe essen
wie sie, obwohl so etwas im Reiche Hitlers sehr streng verboten war.
Wieder mußten die Männer
in den Krieg ziehen. Fünf sind gefallen:
Arthur Kerstin
Alfred Kreuzmann
Erich Rietdorf
Kurt Steudte
Otto Schulze
Der Krieg kam bis nach
Zemnick. Einige Tage vor Kriegsende explodierte in Elster ein Munitionszug.
Sogar in Zemnick zerbrachen Scheiben, so die Kirchenfenster.
Zum Kriegsende ging auch
ein Todesmarsch aus dem KZ-Lager Lichtenburg an Zemnick vorbei. Der Zug von
einigen hundert ausgehungerten Strafgefangenen führte von Meltendorf in
Richtung Leetza. Wer nicht mehr konnte, wurde erschossen. Bei Schadewalde
stellte sich einer von ihnen tot: Dr. Weidauer. Eine Familie in Schadewalde
versteckte ihn. Später war er ein bekannter Arzt in Seyda.
Die Russen zogen am 23.
April 1945 ein. Sie plünderten und mißhandelten wochenlang in Zemnick.
Das Vieh wurde
weggetrieben. In Zemnick gab es bis 1945 eine bedeutende Herdbuch-Rinderzucht.
Durch persönliche Vorsprache des Pastors Leut aus Seyda, der nun für Zemnick
zuständig war, bei der russischen Kommandantur in Seyda kam ein großer Teil des
Viehs wieder nach Zemnick zurück.
Viele Umsiedler, die ihre
Heimat im Osten verloren hatten, wurden in Zemnick aufgenommen. 1945 hatte
Zemnick zeitweise 205 Einwohner, davon 88 Umsiedler. Beispielsweise aus dem
Sudetenland durften sie zwar offiziell 70 Kilo Gepäck und 600 bis 1.000 Reichsmark
pro Person mitbringen, meist aber war ihnen unterwegs alles genommen worden.
1949 kamen noch einmal 16 Ostpreußen.
Nur nach und nach kommen
die Zemnicker Männer aus der Gefangenschaft.
Die Lebensmittelkarten
werden erst 1950 abgeschafft.
Lehrerin an der Zemnicker
Volksschule wurde Fräulein Maria Frömel, später verheiratete Brosig. Sie kam
1945 als Vertriebene aus dem Sudentenland und führte bis zu ihrer Flucht nach
Westdeutschland 1953 jährlich mit den Kindern ein Krippenspiel zum Christfest
in der Zemnicker Kirche auf. Sie war katholisch: auch das war etwas Neues für
die Zemnicker. Seit 1945 besuchen auch katholische Christen unsere Kirche als
ihre Heimatkirche.
Die politischen
Veränderungen stellten auch die Kirche vor große Probleme. Die Pfarrstelle in
Gadegast wurde nicht wieder besetzt. 1947 stellt der Gemeindekirchenrat den
Antrag, Zemnick solle von Leetza aus versorgt werden, da der Seydaer Pfarrer
überlastet sei. Doch dazu kommt es nicht. Zemnick gehört seitdem zum
Pfarrbereich Seyda.
Der Pfarrer von Seyda,
Willy Hagendorf, mußte öfter wegen politischer Vergehen ins Gefängnis und
flieht 1954 aus dem Land. Ein Jahr war er bereits eingesperrt, weil er nach dem
gescheiterten Aufstand am 17. Juni 1953 die Streikleitung aus Wolfen in seinem
Pfarrhaus versteckt hatte, und er hatte danach Predigtverbot.
Die
tiefgreifenden Veränderungen fanden mit dem Krieg nicht ihren Abschluß. Anfang
der 50iger Jahre wurde intensiv damit begonnen, die Landwirtschaft im
sozialistischen Sinne umzugestalten. Zunächst traf es die größeren Bauern, die
ein Soll auferlegt bekamen, was kaum zu schaffen war. Viele entzogen sich durch
Flucht oder durch den Eintritt in die LPG.
Pastor Mauer schreibt in
der Turmkugel der Gadegaster Kirche über die Ereignisse:
Im Frühjahr 1960 wurden unter Führung der marxistischen
Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (S.E.D.) wochenlang täglich sich
wiederholende lange Besuche vieler im politischen Leben stehender Personen,
unterstützt durch lang anhaltende laute Musik aus einem Lautsprecherwagen, die
letzten selbständigen Bauern dazu gebracht, daß sie in die LPG eintreten.
Besonders die alten Bauern können das noch immer nicht verstehen, hatten sie
doch von ihren Vätern die Wirtschaften geerbt und auf ihnen ein Leben lang für
ihre Kinder gearbeitet, und auch den jüngeren Leuten wird es noch immer schwer,
sich in die ganz anderen Verhältnisse zu finden...
Eine neue Milchviehanlage
mit 230 Kuhplätzen ist 1966/67 errichtet worden. Für viele war das auch mit
einer Verbesserung der Lebensbedingungen verbunden. Zum Beispiel konnte man
jetzt im Sommer Urlaub machen und hatte seine geregelten Arbeitszeiten.
Doch die Machthaber
wollten nicht nur das Land und den Besitz, sie wollten auch die Seele. Der
christliche Glaube wurde in Schulen und Zeitungen massiv diffamiert, Kinder und
Eltern, die sich zur Kirche hielten, wurden zurückgesetzt und benachteiligt.
Aber auch in Zemnick gab es Familien, die in diesen Jahren treu zu ihrer Kirche
gestanden haben.
Wie ein kleines Wunder
ist es, daß 1968 die Kirche nach 80 Jahre neu renoviert werden konnte.
Dabei ging man dem Geist
der Zeit entsprechend vor und entfernte viele alte, liebgewordene Gegenstände
und Malereien. Die Kanzel wurde herabgesetzt: Der Pastor predigt nicht mehr „von
oben herab“. Das Sakristeihäuschen, was auf der linken Seite stand, verschwand.
Die Bemalung wurde in einem schlichten weiß gehalten, die Fenster erneuert, das
elektrische Licht gelegt.
Im September 1968 wurde
in der festlich geschmückten und vollbesetzten Kirche ein Festgottesdienst
gefeiert, in dem Propst Treu aus Wittenberg die Predigt hielt.
Von der Mitte der
sechziger Jahre an war Pastor Schlauraff in Seyda zuständig für Zemnick. Er ist
vielen als Jugendpastor in Erinnerung, denn er veranstaltete regelmäßig
Rüstzeiten in Seyda.
Aber er hat es auch nicht
immer leicht gehabt. 1971 beklagt er den schlechten Gottesdienstbesuch: dreimal
sei nur ein Besucher gekommen. 1973 plant er sogar eine Eingabe beim
Kreiskirchenrat, weil wiederholt Gottesdienste ausfallen mußten.
Zur Zeit des Pastor
Schlauraff fingen die „Gemeindeabende“ an, bei denen auch gebastelt wurde. Noch
25 Jahre später wurden selbstgebastelte Kerzenständer von diesen Abenden in den
Zemnicker Familien genutzt.
1972 wurde ein Stück vom
Friedhof (Preis: 6,80 M) an die Kommune verkauft, die dort eine Friedhofshalle
baute.
Die Kirchengemeinde
Zemnick überstand auch längere Vakanzzeiten, in denen gar kein Pfarrer in Seyda
war, so zwischen 1975 und 1980. Einige Traditionen halten fest bis zum heutigen
Tag: so, daß jede Familie ein Kirchenfenster putzt, daß die Vorbereitung des
Gottesdienstes „in der Reihe herum“ geht, ebenso das Sammeln. Zemnick hat einen
Küster, der die Kirche vorbereitet und die Glocke läutet. Diese Aufgabe wird
seit dem Krieg ehrenamtlich versehen. Die erste, die diesen Dienst tat, war
Frau Minna Wolschke geb. Schütze. Es folgten als Küster: Willi Richter,
Reinhard Thiele, Dietmar Zimmermann, Frank Richter, Ronald Richter, Ingolf
Wiesner, Udo Jahn, René Richter, André Gresse.
Seit 1975 bis zur Wende
1989 fanden in Zemnick Kinderferienlager des Staatsverlages der DDR statt, im
Grundstück Nr. 4. Die Kinder aus der Großstadt erlebten die Idylle des kleinen
Dorfes mit der feinen Kirche in der Mitte, und gewiß nicht nur ein Mädchen hat
sie im Bild festgehalten.
1983 konnte unter großen
Mühen das Kirchendach neu eingedeckt werden. 1985/86 kam es zur Restaurierung
der zwei Figuren und des Kruzifixes. Die Restauratorin Meußling aus Plötzky
entfernte die Farbe und stellte den derzeitigen Zustand her, der ursprünglich
sein soll.
Der Pfarrer Podstawa
stieg 1989 persönlich bis auf die Kirchturmspitze, nachdem er mit einem
Schweinitzer Gerüstbauer und Männern aus Zemnick das Gerüst gestellt hatte.
Das Turmdach wurde
gemacht und das Kreuz - aus Mangel an anderen Möglichkeiten - mit kleinen
Fläschchen von Goldbronze gestrichen. Die Turmkugel hat man nicht öffnen
können. Die Rüstung hatte der Partnerkirchenkreis in Hessen/Westdeutschland
geschenkt. Die alten Dachsteine wurden in Eimern heruntergetragen.
Die Zemnicker werden
nicht vergessen, daß Pfarrer Podstawa damals, beim Gerüstbau, die Veränderungen
voraussagte: „Zu Weihnachten sehen wir ´was anderes!“ Daran hatte selbst wenige
Monate vor der Wende keiner geglaubt, daß es 1990 wieder ein einiges Vaterland
und freiheitlich-demokratische Verhältnisse geben würde.
Der größte Teil der
Kosten für den Turm (5.600 von 6.200 Mark) wurden freilich auch 1989 schon von
der LPG bezahlt.
Am 26. Novembr 1993
begrüßte Zemnick seinen 100. Einwohner: Marlen Röthe.
Am 3. Dezember 1993 wurde
das Heporö-Heim, ein Zuhause für alkoholkranke Menschen, eingeweiht. In diesem
Heim hat auch die Kirchengemeinde oftmals zu Gast sein dürfen: zu
Gemeindeabenden, Bibelstunden, Gottesdiensten in sehr grimmiger Winterzeit oder
bei Bauarbeiten. Einige Heimbewohner besuchten uns und feierten mit uns
Gottesdienst.
Gemeinsam mit dem Heim
konnten wir mehrmals einen Moskauer Männerchor in unsere Kirche einladen. Nun
kann Frieden werden, nach 50 Jahren und in Freiheit, nachdem bis 1990 russische
Panzer und Mannschaftswagen noch zum Straßenbild gehörten.
Wenn es sehr kalt ist,
wird seit einiger Zeit auch in Zemnicker Wohnzimmern Gottesdienst gefeiert. Es
ist dann manchmal ein wenig eng, aber schön warm.
Seit 1994 führen die
Kinder und Jugendlichen wieder regelmäßig am Heiligen Abend das Krippenspiel
auf.
Der Pfarrer wunderte sich
1994, warum die Zemnicker zunehmend auf der Südseite zusammenrücken, obwohl auf
der anderen Seite doch noch genug Platz war. Darauf angesprochen, bekam er die
Antwort: „Nein, Herr Pastor, da drüben kommt immer mal ein Stück Holz herunter,
da setzen wir uns nicht hin.“ Das waren die Folgeschäden des bis 1983
schadhaften Daches. Gemeinsam wurde die alte Holzdecke entfernt und durch eine
Firma aus Mügeln eine neue angebracht. Dabei kam einiger Staub mit Spänen in
die Orgel. Wir bekamen dafür eine Entschädigung und konnten so auch noch die
Kirche malen, wieder ganz weiß; denn inzwischen waren die Wasserflecke schon
größer geworden. Zum Erntedankfest 1995 konnten wir die Kirche wieder
einweihen. Dabei spielte die Orgel - mit einem Motor versehen, bis dato wurde
von Hand gepumpt. Ein Kind wurde getauft, Vanessa Jahn, zum Zeichen, daß Gottes
Treue kein Ende hat.
Zur Hochzeit des Seydaer
Pfarrers Meinhof im August 1997 unterschrieb das ganze Dorf eine
Glückwunschkarte und sammelte Geld für ein großes Hochzeitsgeschenk.
Seit 1998 gibt es in
Zemnick wieder eine kleine Christenlehre. So konnte auch die Tradition des
Adventssingen wiederbelebt werden. Im August 1998 feierten die Familien Jahn
und Harrer in der Kirche eine Doppelhochzeit. Vier Taufen gab es im letzten
Jahr. Besondere Höhepunkte waren auch eine Osternacht mit der Taufe eines
Heimbewohners und einem großen Osterfeuer sowie der Regionalgottesdienst im
April 1999: Da mußten Stühle im Gang gestellt werden, und dennoch paßten nicht
alle in die Kirche hinein. Anschließend saß man bei Zemnicker Kuchen gemütlich
in Saal und Gaststätte beieinander.
Nach 111 Jahren war es
nötig, die Kirche neu zu verfugen. Eine große Hilfe war dabei eine ABM-Maßnahme
der Ökotour-Sanierungsgesellschaft unter Leitung von Herrn Willy Richter, die
diese Arbeit fachgerecht unter Anleitung des Baubetriebs Rietdorf ausführten.
„Jesus Christus -
gestern, heute und derselbe auch in Ewigkeit.“ So geht die Geschichte der
Kirche in Zemnick weiter, und wir wollen dankbar sein für die Zeit, in der wir
dabei sein können auf unserem Lebensweg.